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Ambulante Pflegedienste in der Krise - Situationsanalyse und erste Überlegungen zur Problembewältigung

AutorMarko Stephan
VerlagExamicus Verlag
Erscheinungsjahr2012
Seitenanzahl66 Seiten
ISBN9783656981626
FormatePUB/PDF
Kopierschutzkein Kopierschutz
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis29,99 EUR
Studienarbeit aus dem Jahr 2001 im Fachbereich VWL - Gesundheitsökonomie, Note: 1.3, Berufsakademie Sachsen in Plauen, Sprache: Deutsch, Abstract: Diese Studienarbeit befasst sich mit der Analyse der Auswirkungen, die sich bei der praktischen Umsetzung der Pflegeversicherung ergeben. Zu Beginn erfolgt eine kurze Beschreibung des ambulanten Leistungsangebotes sowie deren Leistungsträger. Dem schließen sich die ausführliche Darstellung der veränderten rechtlichen und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen und die daraus resultierenden Problemstellungen an. Vor allem die Zusammenhänge zwischen betriebswirtschaftlicher Sichtweise, den Ansprüchen der Pflegenden und der Pflegebedürftigen sowie die gesetzlichen Anforderungen des Sozialgesetzbuches sind Untersuchungsgegenstände dieser Arbeit.

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Leseprobe

3  Veränderte rechtliche Rahmenbedingungen und deren Auswirkungen auf die ambulanten Pflegedienste


 

Das Pflegeversicherungsgesetz SGB XI soll das Risiko der Pflegebedürftigkeit absichern und regelt gleichzeitig die Finanzierung, die Leistungsausgestaltung und die Trägerschaft der Pflegekassen. Nach insgesamt 17 Gesetzesentwürfen und einer vorangegangenen 20jährigen Diskussion wurde es am 22. April 1994 vom Bundestag und am 29. April 1994 vom Bundesrat angenommen. Seit 01. Januar 1995 ist es in Kraft und enthält neben den Regelungen zur stationären Pflege auch Regelungen zur häuslichen Pflege. Die dabei geltenden Regelungen der ambulanten Krankenpflege nach § 37 SGB V bleiben von diesem neuen Gesetz allerdings weitgehend unberührt.[13]) Anders als bei der Gesetzlichen Krankenversicherung sind die Beitragshöhe und die Höhe der monatlichen maximalen Leistungen gesetzlich fixiert.

 

Durch die Einführung des Pflegeversicherungsgesetzes entstanden aus Sicht der Pflegedienste Vor-, aber auch Nachteile. Vorteile ergaben sich vor allem auf dem Gebiet der Qualitätssicherung, die nun gesetzlich gefordert wurde. Ferner erhalten Pflegebedürftige höhere Leistungen als vor Einführung des SGB XI. Mit der gesetzlichen Definition der Leistungen ist auch eine stärkere Transparenz der Leistungsanbieter verbunden. Das Prinzip der Selbstkostendeckung und die damit verbundenen finanziellen Unterstützungsmaßnahmen (Betriebskostenzuschüsse) des Bundes, der Länder und der Kommunen wurden ganz bzw. teilweise eingestellt.[14]) Der bis dahin starke staatliche Einfluss sank und es entstand ein sich öffnender Pflegemarkt, der vorher nur von den Diensten der freien Wohlfahrtspflege bestimmt wurde.

 

Nachteilig aus Sicht der Pflegedienste sind vor allem die in den nachfolgenden Abschnitten beschriebenen Probleme, wie z. B. der zunehmende Konkurrenzdruck, die Auswirkungen der Qualitätsanforderungen und auch die steigende Bedeutung der Kundenorientierung.

 

WIORKOWSKI vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend stellt in diesem Kontext fest:

 

Die Dienste in der Altenhilfe stehen unter Druck: Unter Kostendruck durch niedrige Verhandlungsabschlüsse einerseits und unter dem Druck ihren Kunden und der wachsenden Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit gegenüber die Qualität ihrer Dienstleistungen nachweisen zu müssen auf der anderen Seite.“[15])

 

Diese Probleme resultieren eben zu einem großen Teil aus der Einführung der Pflegeversicherung und den damit einhergehenden Änderungen.

 

Darüber hinaus wurde erstmals davon gesprochen, dass jeder zugelassene Pflegedienst unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten, also unter finanzieller Eigenverantwortung der jeweiligen Träger geführt werden muss.[16]) (Näheres zu dieser Thematik im Punkt 5.1).

 

Neben den qualitativen Anforderungen werden also auch wirtschaftliche Anforderungen erhoben, die gemäß § 79 SGB XI überwacht und kontrolliert werden:

 

„(1) Die Landesverbände der Pflegekassen können die Wirtschaftlichkeit und Wirksamkeit der ambulanten, teilstationären und vollstationären Pflegeleistungen durch von ihnen bestellte Sachverständige prüfen lassen; (...) Bestehen Anhaltspunkte dafür, daß eine Pflegeeinrichtung die Anforderungen des § 72 Abs. 3 Satz 1 nicht oder nicht mehr erfüllt, sind die Landesverbände zur Einleitung einer Wirtschaftlichkeitsprüfung verpflichtet.

 

(2) Die Träger der Pflegeinrichtungen sind verpflichtet, dem Sachverständigen auf Verlangen die für die Wahrnehmung seiner Aufgaben notwendigen Unterlagen vorzulegen und Auskünfte zu erteilen.

 

(3) Das Prüfungsergebnis ist, unabhängig von den sich daraus ergebenden Folgerungen für eine Kündigung des Versorgungsvertrags nach § 74, in der nächstmöglichen Vergütungsvereinbarung mit Wirkung für die Zukunft zu berücksichtigen.“[17])

 

Dies stellt Pflegedienste – vor allem die bis dahin durch Selbstkostendeckung finanzierten – vor das Problem der Nachweispflicht über die wirtschaftliche Führung ihres Dienstes.

 

Bisher weniger beachtete Gebiete wie die Pflegebuchführungsverordnung (PBV), Controlling, Ausbau der Finanzbuchhaltung oder kassenspezifische Abrechnungsmodalitäten gewinnen an Bedeutung und konfrontieren die Pflegedienste – zusätzlich zu ihrem Tagesgeschäft – mit neuen betriebswirtschaftlichen Aufgaben.

 

Nachfolgend sollen einzelne Problemkreise, denen sich ambulante Pflegedienste verstärkt gegenüber sehen, näher beschrieben werden.

 

3.1  Problematik der Festpreise


 

Die genannte Forderung nach Wirtschaftlichkeit wird verschärft und untermauert durch ein neues Vergütungsmodell in Form des bereits erwähnten Leistungskataloges. Zugrunde liegt ein System aus Teilleistungen (Leistungskomplexe) mit festgelegten Verrichtungen und festgelegter Punktzahl (Pfennig pro Punkt). Der mit der Pflegekasse abrechenbare Betrag ergibt sich aus Multiplikation des Einzelwertes pro Punkt mit der Gesamtzahl der Punkte je Teilleistung.[18])

 

Problematisch dabei ist die verschiedene Handhabung in den jeweiligen Bundesländern. Die Punktwerte basieren auf einer bestimmten Zeitvorgabe, die in jedem Bundesland unterschiedlich geregelt ist. Dies hat zur Folge, dass die Leistungskomplexe hinsichtlich Leistungsinhalt und Punktwert kaum verglichen werden können.[19]) Denn vor allem die eingangs beschriebenen Faktoren Ort und Personal erfahren bei der Festlegung der Punktwerte eine unterschiedliche Beachtung. So ist es beispielsweise im Freistaat Sachsen nicht von Bedeutung, ob ein Pflegedienst im Ballungsraum einer Stadt oder auf ländlichem Gebiet mit längeren Wegstrecken tätig ist oder aber mehr qualitativ gute Fachkräfte beschäftigt als andere Dienste.

 

Seitens der Pflegekassen wird z. B. für den Leistungskomplex (LK) 1: „Kleine Morgen- / Abendtoilette“ die Punktzahl von 250 mit dem einheitlichen Punktwert von 0,067 DM/Punkt vergütet.[20])

 

Grundsätzlich sollten die Preise jedoch nach den Prinzipien der leistungsgerechten Vergütung festgesetzt werden, d. h. die tatsächlich entstehenden Kosten des einzelnen Pflegedienstes werden bei der Pflegesatzverhandlung beachtet. Eine Vergütung ist nach § 89 Absatz 1 Satz 3 SGB XI leistungsgerecht, wenn sie es einem Pflegedienst ermöglicht, seinen Versorgungsauftrag – unter wirtschaftlicher Betriebs-führung – zu erfüllen.[21]) Hintergrund dabei ist die sozialpolitische Vorstellung, dass der Pflegebedürftige anhand von Preisvergleichslisten der Pflegekassen (darin sind Preise und Leistungen der Pflegedienste in direkter Umgebung beschrieben) die Möglichkeit haben soll, den für ihn qualitativ günstigsten Leistungserbringer frei auszuwählen.[22])

 

In der Praxis allerdings streben die Pflegekassen einen bundeseinheitlichen Leistungskatalog an. Seitens der Pflegekassen wird eine Preisstrategie verfolgt, die letztlich Festpreise für die jeweiligen Leistungskomplexe zum Ergebnis hat. PIEHL und RISTOCK sprechen davon, dass „einheitliche Pflegeleistungen (...) primär über den Preis verkauft werden“[23]) sollen.

 

Dieser Trend zu einer einheitlichen Vergütung widerspricht aber den Prinzipien einer leistungsgerechten Vergütung dahingehend, dass Preise nicht mehr frei kalkuliert und am Markt erlöst werden können. Es handelt sich also mit der Festpreisgestaltung der Pflegekassen um einen quasi-staatlichen Eingriff in den Marktmechanismus. Solch ein Eingriff sollte gerade mit der Abschaffung des Selbstkostendeckungsprinzips beendet werden.

 

Konsequenz dieser Strategie ist, dass Pflegedienste mit ungünstiger Kostenstruktur - hauptsächlich tarifgebundene Einrichtungen - in wirtschaftliche Bedrängnis geraten und auf lange Sicht nicht mehr konkurrenzfähig sind.

 

3.2  Verlagerung von Zuständigkeiten der Leistungsträger


 


Die Finanzierung der ambulanten Pflege ist aufgrund der Komplexität und der Zersplitterung in unterschiedliche Quellen Gegenstand von Kontroversen. Aus diesen verschiedenen Finanzierungsquellen ergibt sich eine Unterteilung der Pflege in Grundpflege, Behandlungspflege und hauswirtschaftliche Versorgung sowie die jeweilige Zuweisung zu den Leistungsträgern. Ambulante Pflegeleistungen werden somit bisher primär durch sozialrechtliche und weniger durch pflegewissenschaftliche Kriterien bestimmt.[24])

 

Diese „Trennung zwischen Krankheit und Pflege“[25]) führt u. a. zu einer mangelnden Berücksichtigung von Bedarfskriterien. Es erfolgt eine am Defizitmodell ausgerichtete Pflege, die auf gesetzlich definierte, körperbezogene Aspekte reduziert ist und von den Leistungsträgern lediglich...

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