Einführung
Einen mehrmonatigen Vorlauf und eine gute Planung hatte es gebraucht, um eine vorübergehende Auszeit von meiner Tätigkeit als Seminarleiter zu organisieren. Als Aufenthaltsort wählte ich Barcelona. Dass viele der Einwohner es vorziehen, den heißesten Monat des Jahres an einem der nahen Strände zu verbringen, und dass die Touristen um diese Jahreszeit gar nicht erst kommen, machte es leichter, ein schönes Apartment für den August 2005 zu finden: der perfekte Rückzugsort mit herrlicher Dachterrasse und Blick über die Stadt. Bestens geeignet, um einerseits in Ruhe schreiben zu können und andererseits die Gelegenheit zu haben, mich zwischendurch ins städtische Getümmel zu stürzen, von dem es auch im August noch immer genug gab.
Mein Ziel für diesen Aufenthalt: die Erkenntnisse, die ich in meinen vielen Fortbildungen und Seminaren und vor allem bei der Arbeit mit den Teilnehmerinnen und Teilnehmern zum Thema Beziehungen gewonnen hatte, in einem Buch festzuhalten. Dieser Schatz an Erfahrungen erschien mir so reichhaltig, dass ich es kaum abwarten konnte, ihn mit anderen zu teilen.
Das Projekt startete großartig. Die Struktur des Buches hatte ich im Kopf. Das Schreiben entlang dieses roten Fadens brachte Spaß, und ich machte täglich gute Fortschritte. Was dazwischenkam, war Chris. Ihn kennenzulernen war mir als Single allein in Barcelona zunächst eine willkommene Abwechslung. Doch je öfter wir uns sahen, desto mehr geriet das Buch in den Hintergrund.
Rückblickend betrachtet löst die Erinnerung an diesen Monat in Barcelona großes Schmunzeln und vor allem Dankbarkeit in mir aus. Im Nachhinein verstehe ich, dass ich zuerst mit dem Menschen zusammenkommen sollte, mit dem ich all die guten Ideen ausprobieren und in die Tat umsetzen konnte, bevor ich meine Erkenntnisse und Erfahrungen in einem Buch veröffentlichen würde.
Doch drehen wir die Uhr zunächst noch ein paar Jahre weiter zurück. Vor allem in meinen Zwanzigern war ich in Beziehungen nie wirklich zur Ruhe gekommen. An Intensität gab es keinen Mangel. Von himmelhochjauchzend bis zu Tode betrübt war alles dabei, manchmal im Laufe eines Monats oder einer Woche, und wenn es richtig schlimm kam, dann erlebte ich alle vier Jahreszeiten auch schon mal an ein und demselben Tag. Ich begann in dieser Zeit, viel über Beziehungen und Kommunikation zu lesen und Seminare zu besuchen – hauptsächlich mit dem Ziel, endlich eine glückliche Beziehung führen zu können. Häufig wechselte ich die Strategie, und wenn das nicht half, die Partner. Und ich kann mich gut erinnern, dass ich das Vorhaben »glückliche Beziehung« für mich schon ad acta legen wollte.
Im Rückblick kann ich sehen, wie sich das ab dem Moment änderte, in dem zum ersten Mal The Work of Byron Katie in meinem Leben auftauchte. Unmittelbar nachdem ich The Work zum ersten Mal angewendet hatte, beobachtete ich an mir überraschende und inspirierende Veränderungen. Deshalb begann ich bald damit, so viel Erfahrung wie möglich mit der Anwendung dieser zunächst seltsam anmutenden vier Fragen und den Umkehrungen zu sammeln.
Nicht von heute auf morgen, aber stetig und nachhaltig änderte sich dadurch meine Perspektive auf das Thema Partnerschaft, und diese neue Sichtweise gewann zunehmend mehr Raum in meinem Leben.
Im Sommer 2004 hatte ich endlich die Gelegenheit, Byron Katie persönlich kennenzulernen. Für ihre Europatour buchte ich zwei Seminare. Am Ende war ich so beeindruckt, dass ich einfach nur das Bedürfnis hatte, The Work mit all den Menschen zu teilen, die ich aus meinen Seminaren im Berliner Raum kannte. So lud ich Byron Katie am Abend des letzten Seminartages für den darauffolgenden Sommer nach Berlin ein und freute mich sehr über ihre spontane Zusage.
In den Monaten, die folgten, wendete ich The Work fast täglich an. Als Single hatte ich genügend Zeit, aus früheren Situationen zu lernen, was mir zuvor verborgen geblieben war. Überall da, wo ich meinen Ex-Partnern noch nicht vergeben hatte, und überall da, wo ich mir selbst noch nicht vergeben hatte, gab es etwas zu tun. Und das war eine ganze Menge. Womöglich machte mich die Verarbeitung all dessen offen für eine neue Partnerschaft, denn genau dieser ersten Phase der intensiven Anwendung von The Work folgte der eingangs erwähnte Monat in Barcelona. Chris und ich lernten uns kennen. Wir verliebten uns, genossen unsere Zeit, und mit Schmetterlingen im Bauch gab es nicht so viel Grund zu worken. Als es dann allerdings nach ein paar Monaten »ernster« wurde, wurde The Work auch in unserer Beziehung wieder mein – und später auch Chris’ – ständiger Begleiter. Und seit dieser Zeit vergeht kaum ein Tag, an dem ich Byron Katie nicht dankbar bin für The Work. In dem Prozess des Untersuchens der eigenen Gedanken durfte ich – und darf ich immer noch – unendlich viel über mich, über meinen Partner und über andere Menschen lernen und erkennen.
Das soll nicht etwa heißen, dass zwischen Chris und mir heute immer eitel Sonnenschein herrscht. Darum geht es mir auch gar nicht. Dank der intensiven Auseinandersetzung und der regelmäßigen Anwendung von The Work habe ich für mich die Zutaten für eine glückliche Beziehung gefunden. Im Gegensatz zu früher weiß ich heute, wie ich aus einem schlechten Zustand wieder zu einem guten finde, und genau dieses Rezept möchte ich mit Ihnen, liebe Leserin, lieber Leser, teilen.
Aus diesem Grund habe ich mir nun, einige Jahre später, erneut den entsprechenden Freiraum organisiert, den es für mich zum Schreiben eines Buches braucht. Wenn Sie das Ergebnis jetzt in gedruckter Form in Händen halten, ist das ein Zeichen dafür, dass dieses Mal nichts und niemand dazwischengekommen ist.
Ich möchte Sie einladen auf eine Reise, bei der Sie Drama, Abhängigkeiten und Unzufriedenheit Schritt für Schritt hinter sich lassen und sich für eine neue Erfahrung von Verbindung, Intimität und Zweisamkeit öffnen können. Wenn Sie sich auf diesen Weg machen möchten, setzt das jedoch auch voraus, dass Sie Zeit investieren, dass Sie sich auf einen intensiven Prozess einlassen und dass Sie das Interesse haben, sich selbst ehrlich zu begegnen. Wenn Sie die Offenheit mitbringen, auf die Antworten zu hören, die in Ihnen auftauchen, wird das vermutlich ein sehr spannendes Abenteuer werden. Das Lesen dieses Buches entspricht dann in gewisser Weise dem Studium der Wanderkarte – die eigentliche Wanderung unternehmen Sie dann selbst.
Doch bevor es losgeht, erlauben Sie mir an dieser Stelle noch einen Hinweis: Unterwegs werden Ihnen womöglich auch Frustration, Angst vor dem Scheitern oder das Gefühl von Sinn- und Ausweglosigkeit begegnen. Es lohnt sich jedoch dranzubleiben. Vielen Menschen, mit denen ich gearbeitet habe, ging es ebenso, und auch aus meiner eigenen Erfahrung kann ich das bestätigen.
Im ersten Kapitel werden Sie erfahren, warum uns die üblichen Herangehensweisen bei Schwierigkeiten und Problemen in der Partnerschaft nicht unbedingt weiterbringen. Überlegen Sie sich zum Beispiel einmal, welcher der folgenden drei Aussagen Sie intuitiv am ehesten zustimmen würden, wenn es in Ihrer Beziehung gerade nicht glattläuft:
- •»Wir haben ein Problem.«
- •»In unserer Beziehung gibt es ein Problem.«
- •»Ich habe ein Problem.«
Wenn Sie sich für die erste oder zweite Aussage entschieden haben, ist das ein Hinweis darauf, dass Sie Ihre Beziehung eher aus systemischer Perspektive betrachten. Und aus dieser Perspektive schaut man vor allem auf die Beziehung zwischen den verschiedenen beteiligten Elementen beziehungsweise Personen und nicht so sehr auf die einzelnen Elemente selbst. Aus dieser Perspektive haben dann eher »wir« ein Problem und nicht »ich« oder »der/die andere«. Das ergibt zunächst auch Sinn, denn wir gehen ja davon aus, dass wir gemeinsam eine Beziehung haben. Und wenn es in dieser Beziehung dann knirscht oder kracht, haben eben »wir« ein Problem – ein Beziehungsproblem. Genau mit der Perspektive »Beziehungsproblem« führen wir uns selbst aber in eine Sackgasse. Wenn wir ein »Beziehungsproblem« unterstellen, hat das zur Folge, dass wir davon ausgehen, dass zwei Menschen nötig sind, um das Problem zu lösen. Was passiert aber, wenn der Partner/die Partnerin nicht mitspielt bei der Lösung? Wenn er/sie nicht mitkommt zum Coaching oder zur Therapie? Wenn er/sie Absprachen nicht einhält oder ganz einfach keine Lust hat, gemeinsam am Thema zu arbeiten? Wenn ich zur Lösung des Problems auf die Mitarbeit des anderen angewiesen bin, fühle ich mich abhängig und werde schlimmstenfalls zum Opfer.
Mit dem Fokus auf »Beziehung« und »wir« sitzen Sie bezüglich der Problemlösung also schnell in einer Falle. Daher ist es eine gute Nachricht, dass Sie ein Problem sehen, wo keines sein kann. Ein Problem existiert nach meiner Erfahrung nie »zwischen« zwei Menschen oder »in einer Beziehung«. Ein Problem existiert lediglich in einem einzigen denkenden Verstand. Es sind immer Sie, Sie allein, der/die ein Problem hat! Dass andere Ihnen bestätigen, dass es tatsächlich ein Problem in Ihrer Beziehung gibt, ändert daran nichts. Auch die Tatsache, dass Ihr Partner/Ihre Partnerin in der gleichen Situation ebenfalls ein Problem hat, ändert daran nichts. Denn selbst wenn Sie beide ein Problem haben, heißt das noch nicht, dass es dasselbe Problem ist oder dass Sie es gemeinsam lösen können, geschweige denn lösen sollten. Sie teilen sich nicht ein Problem, sondern haben in diesem Fall zwei – jeder hat eins. Und diese beiden Probleme werden wir hier nicht in einen Topf werfen, sondern genau...