WARUM ICH DIESES BUCH SCHREIBE
Dieses Buch ist ein Abenteuer, vielleicht ein Wagnis. Denn ich bin kein Landwirt oder sonst wie mit der Landwirtschaft verbunden. Ich gehöre zu den 98,6 Prozent der Bevölkerung, die beruflich etwas anderes tun. Ich bin einer von denen, die in den Supermarkt gehen und abgepacktes Gemüse kaufen. Und die Tiere nur dann töten und ausnehmen, wenn ich Glück beim Angeln hatte. Das ist dann eine große Sache, die meine Kinder in helle Aufregung versetzt. Und uns fast andächtig auf das gebratene Stück Fisch blicken lässt, das vor uns auf den Tellern liegt!
Aber ich beschäftige mich von Berufs wegen mit der Akzeptanz von Wissenschaft, Technik und Industrie. Heute leite ich den Kommunikationsbereich eines Familienunternehmens im Maschinenbau, in dem Fragen von Nachhaltigkeit im Umgang mit Kunden, Mitarbeitern und Gesellschaft einen besonderen Stellenwert einnehmen. Die Werte-Debatte in Wirtschaft und Öffentlichkeit ist mir darum vertraut. Ebenso die Forderung nach einem ökologischen Richtungswechsel, die seit einiger Zeit mit dem Zusatz »Wende« bekräftigt wird, was für mich jedes Mal wie »1989« klingt: Energiewende, Verkehrswende, Klimawende, Textilwende, Ernährungswende – Agrarwende.
Glaubt man diesen Schlagworten, müssen wir an immer mehr Stellen unseres Lebens einen falschen Weg korrigieren. Ich bin da skeptisch. Und das nicht nur, weil ich alles in allem ein positives Bild von der Gegenwart habe. Sondern weil es bei der Suche nach Alternativen der Verbraucher bedarf. Nur wenn möglichst viele Verbraucher mitmachen, können gute Ideen in der Praxis ihre Wirkung entfalten.
Aber: Tun wir dies auch, zumindest der übergroße Teil von uns? Die Rekordumsätze von Volkswagen trotz der Debatte um Abgasmanipulationen oder der Datenskandal bei Facebook im Frühjahr 2018, dem kein nennenswerter Einbruch bei den User-Zahlen folgte, zeigen eher das Gegenteil. Mit der Landwirtschaft ist das nicht anders: Ihre Produkte werden massenweise gekauft, obwohl man öffentlich mehr hart als herzlich mit den Bauern ins Gericht geht.
Der Volksmund sagt, dass wir immer dann viele Worte machen, wenn wir uns einer Sache nicht sicher sind. Ein Grund dafür, warum derzeit so viel von »Wende« die Rede ist, könnte darin liegen, dass wir alle diese innere Zerrissenheit spüren: Einerseits wünschen wir uns mehr Verantwortung für Klima, Pflanzen und Tiere. Andererseits möchten wir auf nichts verzichten. Eine Wende ist leicht gefordert. Wer aber ist wirklich bereit und dazu in der Lage, entscheidend mehr für Lebensmittel zu zahlen? Sich von saisonalem Obst und Gemüse statt von günstigem Fleisch und Südfrüchten zu ernähren? Einschränkungen bei Mobilität, Rohstoffen und vielen anderen Dingen zu akzeptieren?
Landwirtschaft und Erinnerung
Ungeachtet meiner städtischen Biografie habe ich mich immer für das Land begeistert. Bereits als Kind verspürte ich ein Kribbeln, wenn wir raus aus der Stadt und vorbei an endlosen Feldern fuhren. Wenn ich später auf dem Steg saß und angelte, war auch dort Landwirtschaft – und keine unberührte Natur. Mochten die Barsche in einem Meter Wassertiefe auch seelenruhig um den Angelhaken kreisen: Über dem Wasser waren die Mähdrescher zu hören, die bis spätnachts auf den Feldern arbeiteten. Und deren Dröhnen man mit in den Schlaf nahm. Genau wie das Schlagen der alten Kirchturmuhr.
Das Bullerbü meiner Kindheit lag an einem Mecklenburger See, der über einen schmalen Kanal mit einem anderen, noch größeren verbunden war. Wollte man dorthin, musste man mit dem Ruderboot durch Schwärme von Insekten. Neben fadenbeinigen Schnaken und handgroßen Libellen gab es dort Unmengen von Kuhbremsen. Und ich muss wieder an sie denken, wenn wir darüber diskutieren, welchen Einfluss die Landwirtschaft auf das Verschwinden einiger Insektenarten haben könnte und dazu »Windschutzscheiben-Tests« bemühen. Werden die »Flies on the windscreen« einmal der Erinnerung angehören, wie es in einem Song meiner damaligen Lieblingsband Depeche Mode heißt?
Wir haben uns als Kinder nie für solche Dinge interessiert, den Zusammenhang von Lebensräumen und Insekten. Wir hassten die Bremsen, deren Stiche dicke Schwellungen am Hals und auf den Armen hinterließen. Wir wollten möglichst schnell auf den großen See und waren froh, wenn wir ihrem Blutdurst entkommen waren. Heute befällt mich jedoch ein eigenartiges Gefühl, wenn ein Stück der eigenen Biografie im Lichte aktueller Themen neu erscheint. Hätte man die Welt, wie sie war, anders wertschätzen müssen? Ist etwas durch uns unwiederbringlich verloren, wie viele Medienberichte dieser Tage behaupten?
Zu den Erinnerungen an diese Zeit gehört auch ein riesiger schwarzer Bulle, der angepflockt am Ufer stand. Mein Kumpel Gunnar und ich bewarfen ihn vom Boot aus mit Kletten und hofften, dass er sich nicht losriss. Und mir kommen die überdüngten Böden in den Sinn, die unseren See in etlichen Sommern »umkippen« ließen. Ich verstand als Zehnjähriger noch nichts von Ökologie, wer tut das in dem Alter schon. Aber ich begriff als Angler so viel, dass an den nach Luft schnappenden Plötzen und Brachsen die nahegelegene LPG schuld war. Sie ging – wir schreiben das Jahr 1984, als die DDR die Olympischen Spiele von Los Angeles boykottierte – nicht gerade zimperlich mit unserem See um. Weil sie einen Plan zu erfüllen hatte, der keine Rücksichtnahme gegenüber der Natur kannte. Und weil an diesem Plan Prämien und Präsentkörbe mit Wurst und Radeberger Bier hingen.
An den modernen Lagerfeuern
Mehr als dreißig Jahre später hat sich im Vergleich zu damals zumindest eines nicht geändert: Das Land ist noch immer eine von uns Städtern hoffnungslos romantisierte Sache. Sobald wir die Stadtgrenze überqueren, unterstellen wir eine Art Gegenwelt zu den Zwängen der Zivilisation – zu Algorithmen, Abgasen, Lärm, dem Bedrängenden städtischer Enge. Auch dem Streben nach Gewinnen.
Stattdessen soll das Land ein wenig aussehen wie Ostpreußen um 1900 und ein Versprechen von etwas einlösen, das uns angesichts von Globalisierung, Migration und technischer Beschleunigung wieder wichtiger ist: das Gefühl von Heimat und Herkunft. Zwei anderen Worten für Sicherheit und Beständigkeit.
Die Wirklichkeit ist weniger idyllisch – und schon gar nicht idealistisch. Landwirte produzieren Nahrungsmittel oder Energiepflanzen. Sie stellen sich dabei auf die Bedingungen ein, die das komplexe Geflecht aus Erzeugung und Handel vorgeben. Sie machen, was sich für sie rechnet, und unterlassen alles, was keine Margen verheißt. Dünger und Pflanzenschutz, Futter, Treibstoff für Landmaschinen, Lohnkosten, Kredite für Ställe, Versicherungspolicen gegen Hagelschäden, Frost, Starkregen und vieles andere sind für sie Kosten, die sie exakt kalkulieren müssen. Denn wer falsch kalkuliert oder Kostensteigerungen nicht ausgleichen kann, läuft auch auf dem Land Gefahr, wirtschaftlich zu scheitern!
Landwirte sind also keine Altruisten – und beileibe nicht die Unschuld vom Lande. Dennoch sind sie zunehmend Forderungen ausgesetzt, die so gar nicht zum nüchternen Betriebskalkül eines Unternehmers passen wollen. So fordern Verbraucher heute einen nachhaltigeren Umgang mit der Natur. Weniger Pestizide. Mehr Rücksichtnahmen auf das Tierwohl. Wollen Landwirte darum nicht nur Bad News produzieren und im Fernsehen beschimpft werden, dann werden sie auf diese Wünsche im Eigeninteresse nicht mit Ignoranz reagieren können. Genau das ist, etwas holzschnittartig, aber der Vorwurf an die Branche.
Warum dabei diese Härte der Kritik? Zum einen zeigen sich die Folgen der intensiven Landwirtschaft heute möglicherweise deutlicher, kumulieren sich wie bei den Insekten oder manchen bodenbrütenden Vogelarten Effekte, die ihre Ursachen vor zehn oder zwanzig Jahren haben. Auch bewegen Großprojekte wie die geplante Schweinemastanlage für 37.000 Tiere, die ein niederländischer Investor im brandenburgischen Haßleben errichten will, schon zu lange die Gemüter.
Bei den Recherchen für dieses Buch wurde mir zum anderen aber klar, dass es noch einen Grund gibt. Er hat weniger mit der Landwirtschaft zu tun als damit, was die Wissenschaftler Hans von Storch und Werner Krauß mit Blick auf die Klima-Debatte einmal als die modernen »Lagerfeuer« der Menschheit bezeichnet haben, um die wir alle gern sitzen.1 Und uns dort Geschichten von Blitz und Donner erzählen, die uns kollektiv verbinden – eine Art Public Viewing zu drängenden Gesellschaftsfragen. Angst ist dabei oft ein starkes Motiv.
Die Landwirtschaft ist nach meiner Beobachtung der nächste Kampfplatz in der Reihe großer gesellschaftlicher Konflikte, welche die deutsche Nachkriegsgeschichte durchziehen. Nach den Debatten um das Waldsterben und die Verschmutzung der Luft durch Sauren Regen und Smog, die Vergiftung der Flüsse durch die Chemie, vor allem aber die Atomkraft und die mittlerweile leiser werdende Klima-Debatte, ist sie jetzt sozusagen »an der Reihe«. Nicht zuletzt deshalb, weil Themen wie die Kernkraft durch den Ausstiegsbeschluss des Jahres 2011 politisch abgeräumt sind und ein Stück unserer medialen Aufmerksamkeit »freigeworden« ist, was manche Nichtregierungsorganisation konsequent im Eigeninteresse nutzt.
Es ist deshalb nicht übertrieben zu sagen, dass die Landwirtschaft zu dem Schauplatz öffentlicher Kontroversen an der Schnittstelle von Mensch, Natur und Technik geworden ist. Obwohl sie im Grunde dasselbe tut wie all die Jahre zuvor und vieles auf Druck einer veränderten...