1. Einleitung
Wir leben in einer Zeit, in der sich die Arbeits- und Lebensbedingungen in den letzten 20 Jahren drastisch gewandelt haben. In vielen Betrieben verbringen immer weniger Menschen immer mehr Zeit bei der Arbeit. Gleichzeitig finden immer mehr Menschen keine Arbeit. Diejenigen, die Arbeit haben, erleben erhöhte Arbeits-, Zeit- und Leistungsanforderungen zu niedrigeren Löhnen und geraten oft an ihre körperlichen, geistigen und seelischen Grenzen.
Viele lassen ihre natürliche Erschöpfung nicht zu, verdrängen sie, erholen sich nicht und entwickeln extreme Erschöpfungszustände, das sogenannte Burnout-Syndrom. Viele von denen, die keine klassische Erwerbsarbeit haben, erleben sozialen Druck und fühlen sich gesellschaftlich beschämt und gelangweilt und entwickeln die gleichen Beschwerden wie beim Burnout-Syndrom (Erschöpfung, innere Leere, Ausgebrannt-Sein). Weil diese jedoch aus einer ungesunden Langeweile heraus entstehen, spricht man hier von einem Boreout-Syndrom.
Burnout ist wegen der Häufigkeit des Vorkommens zu einem umgangssprachlichen Begriff geworden. Immer mehr Menschen kommen zu mir in meiner Eigenschaft als Berater, Coach und ärztlicher Psychotherapeut, weil sie an ihre Grenzen stoßen, sich erschöpft, ausgelaugt und innerlich leer fühlen. Sie haben sich zuvor im „täglichen Kampf“ in der Arbeit, in der Familie oder überhaupt in der täglichen „Auseinandersetzung mit dem Leben“ aufgerieben. Meist kommen sie erst dann zu mir, wenn sie bereits „körperliche und seelische Beschwerden dazu gezwungen haben“. Sie sind so mit ihrem Leben nicht mehr einverstanden, sie sind an Grenzen geraten, „können so nicht mehr weiter“, „müssen“ oder wünschen andere Wege zu gehen. Sie möchten wieder „sie selbst sein“, „das Leben wieder genießen“.
Wie kommt es zum Burnout?
Menschen bringen sich in Gefahr, in Burnout-Zustände zu geraten, wenn sie „zu sehr in ihrer Arbeit aufgehen“, „zu begeistert“ sind, „zu engagiert“, sich „vor Leidenschaft verbrennen“, es ihnen nicht gelingt, ihr Feuer zu hüten oder ihre Begeisterung und Tatkraft besonnen in ihrem Leben einzusetzen: „Wenn ich an etwas dran bin, dann arbeite ich sieben Stunden, oder auch einen ganzen Tag, ohne zu essen, oder Pause zu machen.“
Wenn die Begeisterung, das Engagement, die Leidenschaft zum eigenen inneren Zwang und überzogene Anforderungen von außen unbedacht übernommen wer-den, verbrennen sich Menschen im wahrsten Sinne des Wortes und fühlen sich schließlich massiv erschöpft und innerlich leer.
Definition Burnout-Syndrom
Als Burnout-Syndrom bezeichnet man einen Zustand
- totaler körperlicher, seelischer und geistiger Erschöpfung
- mit verringerter Leistungsfähigkeit und dem Gefühl
– extremer Erschöpfung,
– innerlicher Leere,
– und des Ausgebrannt-Seins.
Erschöpfungszustände haben biologische, physikalische, lebensgeschichtliche, geistige, seelische, soziale, politische und wirtschaftspolitische Hintergründe. Ohne diese Hintergründe gibt es kein Burnout-Syndrom und auch keine anderen „krankhaften“ Erschöpfungszustände.
Ein Burnout-Syndrom entwickeln Menschen in der Regel über einen längeren Zeitraum, über Wochen, Monate, ein Jahr, häufig über einen Zeitraum von drei und mehr Jahren; dies nennt man den Burnout-Vorgang oder -Prozess. Gar nicht selten habe ich Entwicklungen beobachten können, die bis zur totalen Erschöpfung, also dem vollen Ausbruch des Burnout-Syndroms, einen Verlauf von sieben bis zwölf Jahren nahmen. Die betroffenen Menschen bewegen sich von anfänglicher Begeisterung, Motivation und Überengagement langsam hin zu Resignation und sozialem Rückzug. Schließlich entwickeln sie starke seelische und körperliche Beschwerden, mit denen sie schließlich zum Arzt kommen.
„Ich habe jahrelang über meine Grenzen hinausgehend gearbeitet und mich verausgabt. Irgendwann ging es nicht mehr und ich bin ineffektiv geworden. Ich habe mich – im Nachhinein gesehen – immer mehr zurückgezogen. Ich habe meiner Frau nicht mehr gesagt, wie es mir wirklich geht, auch nicht meinen Freunden, niemandem. Ich glaube dieser Rückzug war ein Schutz. Ich habe mich davor geschützt, als schwach dazustehen, ausgelacht, beschämt zu werden. Lange habe ich gar nicht mehr gespürt, was eigentlich los ist mit mir. Manchmal habe ich etwas über Burnout gehört; ich war sogar in einem Seminar, doch ich dachte, das hat mit mir doch nichts zu tun. Jetzt erst, wo es mir wieder gut geht, erkenne ich, dass ich schon damals ausgelaugt war; ich konnte es aber nicht zulassen. Erst als nichts mehr ging und mein Arzt sehr einfühlsam und klar mit mir gesprochen hat, konnte ich loslassen. Dann war ich aber erst einmal drei Monate nicht mehr in der Lage zu arbeiten. Gott sei Dank hat er mich an einen guten Coach überwiesen.“
Wer ist von Burnout betroffen?
Betroffen sind Männer und Frauen aus allen Berufen, genauso aber auch Frauen und Männer, die voll zu Hause arbeiten, den Haushalt machen, Kinder großziehen und alte Menschen versorgen. Solche, die sowohl erwerbstätig als auch zu Hause und in einem Ehrenamt arbeiten, sind besonders gefährdet.
Menschen mit Burnout-Erscheinungen haben das Gleichgewicht von Energie-Aufnehmen und Energie-Abgeben verloren. In der Regel verwechseln sie nach meinen Beobachtungen im ersten Stadium von Burnout seelische Energie und Kraft als Ausdruck und Empfinden einer eigenen inneren Bestätigung mit physikalischer Energie und Kraft. Sie spüren und wissen in dieser Verfassung nicht (mehr), wann und wie sie ihre Energie aufnehmen und wann oder wie sie sie verbrauchen. Wenn sie sich in ihrer Leidenschaft und in der Umsetzung ihrer Kraft intensiv spüren, so meinen sie, bekämen sie in diesem Moment Energie und Kraft. Meist sagen sie dann: „Meine Arbeit gibt mir so viel Kraft.“
Aus meiner Sicht spüren sie in diesem Moment, wie ihre Kraft fließt – und ziehen daraus eine momentane Anerkennung oder Bestätigung ihres Tuns und Fühlens. Doch anders, als sie annehmen, erhalten sie keine Energie im physikalischen Sinne, sondern sie verbrauchen sie. Das Spüren und Fließen der physikalischen Energie verwechseln sie mit der seelischen Energie des Sich-Spürens und des Sich-kraftvoll-Fühlens. Arbeit, auch solche, die begeistert, die Spaß, Freude und Lust macht, braucht physikalische Energie und führt zu einem natürlichen Erschöpfungsgefühl.
Es wäre auch natürlich, diese Erschöpfung zuzulassen, indem man Pausen einlegt, ausruht, schläft und sich dadurch erholt. In den Erholungsphasen schöpft man Energie, tankt wieder auf. Wenn Menschen sich jedoch nicht mehr genügend erholen, geraten sie in Disstress; sie wirken gereizt, entwickeln körperliche und seelische Beschwerden. Wenn sie schließlich ihre Ziele nicht mehr erreichen, keine Wertschätzung mehr spüren und sich unfrei und fremdbestimmt fühlen, entwickeln sie ein Gefühl des Ausgebrannt-Seins und der inneren Leere. Wie es um sie bestellt ist, spüren sie häufig erst, wenn es zu einem „Zusammenbruch“ kommt, sie „einfach nicht mehr können“ und „alles versagt“:
„Ich stand morgens im Bad vor dem Spiegel und plötzlich konnte ich nicht mehr. Alles versagte. Mir wurde schwindelig, die Beine hielten mich nicht mehr, ich bekam Panik und rief meine Eltern an. Sie kamen und brachten mich zum Arzt.“
„Ich bin beim Telefonat mit einem Kunden ausgerastet. Ich habe gebrüllt und dann bin ich weggelaufen; ich musste einfach raus. Ich wollte weit weg. Ich bin zum Bahnhof gelaufen, der Zug fuhr vor meiner Nase weg. Dann bin ich durch die Stadt geirrt, ziellos. Erst als mich meine Familie fand, kam ich wieder richtig zu mir. Ich habe ihnen alles erzählt und es fiel eine schwere Last von mir ab. Dann habe ich erst einmal drei Tage geschlafen.“
„Plötzlich, wie aus heiterem Himmel, habe ich Herzrasen bekommen und es ging nicht mehr weg. Ich habe Angst bekommen und mein Chef hat meine Familie angerufen. Sie haben mich abgeholt und sind mit mir zum Arzt gefahren, aber der konnte nichts Körperliches feststellen. Er hat mich aber trotzdem erst einmal aus dem Verkehr gezogen. Erst dann habe ich ganz allmählich gemerkt, wie fertig ich war. Die ganzen letzten Jahre war ich eigentlich schon fertig, nicht mal mehr im Urlaub konnte ich mich erholen.“
„Ich hatte plötzlich massivste Rückenschmerzen. Ich konnte nichts mehr machen. Ich wurde medizinisch nach den neuesten Regeln der Kunst auf den Kopf gestellt. Man fand nach allen Untersuchungen nichts Körperliches. Und als mein Hausarzt mir die Diagnose Burnout mitteilte – er hatte sie mir schon die Jahre zuvor häufiger angeboten –, konnte ich es endlich zulassen, erschöpft und am Ende zu sein. Aber dann ging erst einmal nichts mehr, ich konnte nicht mehr arbeiten, bin drei Monate ausgefallen.“
„Eines Tages konnte ich einfach nicht mehr: Ich bin zur Arbeit losgefahren, aber nicht mehr Richtung Betrieb. Ich bin einfach andere Straßen gefahren und habe überlegt, wie ich das meiner Frau erklären soll. Sie rackert sich ja auch ab, dann kann ich doch nicht einfach schlapp machen. Ich habe an einem Fluss angehalten, bin ausgestiegen. Ich habe der Fähre nachgeschaut und aufs Wasser geblickt. Plötzlich konnte ich nicht mehr an mich halten, es ist alles aus mir herausgebrochen. Ich habe geheult wie ein Schlosshund, dann war ich einfach nur fertig und konnte nicht...