Einführung
In der Entdeckung der inneren Vielstimmigkeit und Konflikthaftigkeit des Menschen durch Sigmund Freud liegt der Ursprung der Psychotherapie. Mit seiner Entdeckung des Unbewussten und damit der Tatsache, dass der Mensch nicht »Herr im eigenen Haus« ist, sondern in Fühlen, Denken und Handeln durch eine Vielzahl von Kräften beeinflusst wird, die er weder kennt noch wirklich bändigen kann, wurden psychische Schwierigkeiten und Störungen erst verständlich – und damit einer psychotherapeutischen Behandlung zugänglich. Freud sah den Weg zur Heilung darin, sich dieses inneren Widerstreits bewusst zu werden und einen besseren Ausgleich zwischen den streitenden Anteilen der Psyche zu finden.
Dieser Grundgedanke hat viele therapeutische Schulen geprägt. Nicht nur die psychodynamischen Verfahren, also Psychoanalyse und Tiefenpsychologisch fundierte Psychotherapie, sondern auch humanistische Therapieverfahren wie Gestalttherapie, Psychodrama oder Transaktionsanalyse – und ebenso moderne Formen der Verhaltenstherapie. Die Art, wie diese innerpsychische Vielstimmigkeit verstanden und wie damit gearbeitet wird, unterscheidet sich jedoch beträchtlich. Auch wenn der Cartoonist Hans Biedermann Freuds Strukturmodell als Beschreibung eines inneren Dialogs zwischen ›Ich‹, ›Es‹ und ›Über-Ich‹ interpretiert (siehe Abb. 1) – Freud selber hätte es womöglich amüsant, vermutlich aber auch höchst befremdlich gefunden, diese abstrakten psychischen »Instanzen« zu personalisieren und unmittelbar therapeutisch mit ihnen in Kontakt zu gehen.
Spätere therapeutische Ansätze dagegen haben schon früh damit begonnen, unmittelbar mit unterschiedlichen Persönlichkeitsanteilen zu arbeiten. Gerade in den humanistischen Verfahren wird seit Langem mit einer Personalisierung der inneren Dynamik gearbeitet: diese wird als Interaktion verschiedener Persönlichkeitsanteile verstanden. So gehört es in Psychodrama und Gestalttherapie zum methodischen Grundinventar, verschiedene innere Anteile einer Person auf die Bühne und miteinander ins Gespräch zu bringen. Virginia Satir hat das Bild eines »Inneren Theaters« entworfen, in dem die Interaktion der verschiedenen »Gesichter« beobachtet und verändert werden kann (Satir 1988). Auch Bernes Transaktionsanalyse (Berne 1970) ist dieser Sichtweise verwandt, fokussiert allerdings mehr den äußeren als den inneren Dialog.
Abbildung 1: Hans Biedermann: »Die Drillinge des Doktor Freud« Schattauer Verlag 2012, S. 42.
In den Neunzigerjahren begannen Psychotherapeuten und Psychologen unabhängig voneinander an weit voneinander entfernten Orten und in völlig unterschiedlichen Kontexten damit, die Arbeit mit inneren Anteilen zu systematisieren. Sie dachten darüber nach, in welchem Verhältnis diese Anteile zueinander stehen – was passiert, wenn sie sich streiten, wie man Blockaden und Störungen anhand dieser Metaphorik verstehen und wie man solche Blockaden überwinden kann. Es entstanden Bilder dafür, was Traumatisierungen für die Organisation einer solchen inneren Dynamik bedeuten. Und es wurde über innere Führung nachgedacht – denn irgendjemanden scheint es ja zu geben oder zumindest geben zu können, der die innere Vielstimmigkeit überblickt und der die Einheit der Person repräsentiert. Und es ist von entscheidender Bedeutung, ob dieser »Chef« der inneren Dynamik gewachsen ist, ob er den einzelnen Anteilen Raum geben und diese zugleich bändigen kann, oder ob er von der inneren Dynamik überrollt und überfordert ist und entmachtet und überflutet wird.
So entstanden differenzierte und komplexe Bilder der menschlichen Psyche. Kennzeichnend ist, dass die Psyche dabei in Analogie zu äußeren Gruppen gedacht wurde – und zwar in Analogie zu den Gruppen, mit denen die Autoren schwerpunktmäßig gearbeitet hatten.
Kontext systemische Familientherapie
So übertrug der systemische Familientherapeut Richard Schwartz in Amerika die Grundsätze der Familientherapie auf die Arbeit mit Einzelpersonen (Schwartz 1997). Er stellte fest, dass die innere Dynamik, die er bei seinen Einzelklienten erlebte, in frappierender Weise der Dynamik der Familien entsprach, mit denen er arbeitete. Auf dieser Basis entwickelte er ein differenziertes therapeutisches Konzept zur Arbeit mit der »Inneren Familie«, das er »Internal Family Systems (IfS)« nannte. Gunter Schmidt ging im Kontext der Heidelberger Familientherapie einen ähnlichen Weg zum »Inneren Parlament« (Schmidt 2000, 2003).
Kontext Hypnoanalyse
Ebenfalls in Amerika entwickelten John und Helen Watkins ihre Ego-State-Therapie (Watkins & Watkins 2003). Ihr Ausgangspunkt waren die Psychoanalyse und die Vorstellung einer »Multiplizität« der menschlichen Persönlichkeit, und sie hatten zwei Ziele: Zum einen wollten sie eine theoretische Brücke schlagen zwischen den extremen Formen der Dissoziation bei multiplen Persönlichkeitsstörungen und dem normalen Funktionieren der menschlichen Psyche. Zweitens wollten sie die enorme Dauer psychoanalytischer Behandlungen durch die Integration hypnotherapeutischer Techniken verringern. Diesen Ansatz hat Jochen Peichl in Deutschland weiterentwickelt und ausgebaut (Peichl 2007, 2011, 2013).
Kontext Traumatherapie
Ein dritter Kontext war die Traumatherapie. In Anknüpfung an die Ego-State-Therapie der Watkins’ entwickelte Luise Reddemann in der Arbeit mit schwer traumatisierten Patientinnen und Patienten ihr Konzept des »Inneren Teams«, das in der Traumatherapie großen Einfluss gewonnen hat (Reddemann 2001, 2011). Ihr geht es dabei schwerpunktmäßig um die Arbeit mit traumatisierten inneren Anteilen und um die Suche nach und die Entwicklung von inneren Ressourcen.
Kontext Kommunikationstraining und Coaching
Ein weiterer Ansatz stammt von Friedemann Schulz von Thun aus Hamburg. Sein Hintergrund war die von ihm entwickelte Kommunikationspsychologie und der Kontext seiner Praxis Coaching und Kommunikations- und Führungstrainings. Dabei machte er die Beobachtung, dass gute Kommunikation damit beginnt, mit sich selbst einig zu sein oder einig zu werden. Denn wer innerlich unklar ist, kann nicht klar und souverän kommunizieren. Und so bot er den Führungskräften das Bild vom »Inneren Team« an. Eine gute Führungskraft müsse nicht nur ein äußeres Team leiten – sondern auch eine innere Mannschaft, die ebenso zerstritten und schwierig sein kann wie die äußere und die nach ganz analogen Spielregeln funktioniert (Schulz von Thun 1998; Schulz von Thun, Ruppel Stratmann 2000).
Mein Standort
Ich habe die Arbeit mit dem Inneren Team ursprünglich von Friedemann Schulz von Thun gelernt und war fasziniert von Bildkraft und Potenzial dieser Arbeitsweise. Das Innere Team wurde schnell zu einem wichtigen Instrument meiner Praxis und zum Kern meiner Aus- und Fortbildungstätigkeit. Zugleich reichte das Inventar des Coaching-Modells für mein Arbeitsfeld als Psychotherapeutin nicht aus. Die innere Dynamik, die mit den teils schweren psychischen Störungen einherging, unter denen meine Klienten in der Klinik und in der ambulanten Praxis litten, ließ sich damit weder hinreichend verstehen noch therapeutisch erreichen. Ich entwickelte die Methode also weiter und passte sie an. Meine Lehrmeister waren dabei erstens meine Klienten und zweitens Luise Reddemann und Richard Schwartz. Bei Reddemann konnte ich persönlich in die Lehre gehen, die Arbeitsweise von Schwartz habe ich zunächst durch Ingrid Schulz von Thun und Tom Holmes und dann durch meine Weiterbildung bei Uta Sonneborn, Gabriela Martens und dem Ausbildungsteam des IfS-Instituts kennengelernt.
Und es faszinierte mich, dass ich überall auf die gleichen Strukturen stieß. Ich fand bei Reddemann und Schwartz ausformuliert, worüber ich selbst gestolpert war – und zwar sowohl bei meinen zum Teil schwer traumatisierten Patienten in der Klinik als auch auf Fortbildungen bei Menschen, die gut im Leben standen und die das Innere Team als Profis und zur Selbsterfahrung kennenlernen wollten. Schwartz und Reddemann weisen immer wieder nachdrücklich darauf hin, dass ihre Modelle das Resultat dessen seien, dass sie ihren Klienten zugehört hätten. Sie hätten im Wesentlichen aufgeschrieben und systematisiert, was ihre Klienten ihnen erzählt und beigebracht hätten. Und tatsächlich brachten mir meine Klienten das Gleiche bei. Ich kenne keine andere Methode, die einen derart offenen Rahmen dafür bietet, von und mit seinen Klienten zu lernen.
Ich arbeitete das, was ich auf diese Weise über die Dynamik psychischer Störungen unterschiedlichen Schweregrades verstand, in das Modell des Inneren Teams ein und erweiterte das Modell von Schulz von Thun um die Dimension der verletzten und traumatisierten inneren Kinder und deren Wächter. Traumatische Erlebnisse führen dazu, dass innere Anteile ›einfrieren‹ und in der damaligen Situation gewissermaßen stecken bleiben. Sie erleben die Gegenwart im Licht der Vergangenheit und können dadurch nicht aus Erfahrung lernen. Diese traumatisierten inneren Kinder müssen therapeutisch vollkommen anders verstanden und behandelt werden als erwachsene Mitglieder des Inneren Teams.
Dabei zeigte sich, dass diese Mechanismen gleichermaßen für schwere Traumata (wie Missbrauch, Gewalterfahrungen, Kriegserlebnisse und schwere Vernachlässigung) wie auch für subtilere Traumatisierungen und Verletzungen (das Leben mit depressiven oder traumatisierten Eltern, frühe Krankenhausaufenthalte, Demütigungen) zutrafen. Das Ausmaß der Störungen unterschied sich sehr – der Ansatzpunkt aber war der Gleiche....