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E-Book

Das wird mir alles nicht passieren ...

Wie bleibe ich FeministIn.

AutorMarlene Streeruwitz
VerlagS. Fischer Verlag GmbH
Erscheinungsjahr2010
Seitenanzahl160 Seiten
ISBN9783104008028
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis8,99 EUR
Marlene Streeruwitz versteht es in einzigartiger Weise, die Abgründe der Wirklichkeit auszuloten und in Sprache zu fassen. In ihren neuen Erzählungen schildert sie elf Schicksale, elf Figuren, die eines gemeinsam haben: die Entscheidung, sich ihren äußeren Bedingungen unterzuordnen oder auf einer autonomeren Lebensgestaltung zu bestehen. Diese elf literarischen Lernstücke finden ihre Fortsetzung auf der Website des Buches, auf der alle Fragen diskutiert werden, die diese elf Geschichten aufwerfen. Auf dieser Webseite wird verraten, wie die Personen ihr Leben weiter gestalteten und welche Überlegungen für sie ausschlaggebend waren. Die Theorie erschließt sich so aus der Praxis, und jenseits von dogmatischen Lösungen lassen sich durch Vielfalt die Räume der Emanzipation neu beschreiben.

Marlene Streeruwitz, in Baden bei Wien geboren, studierte Slawistik und Kunstgeschichte und begann als Regisseurin und Autorin von Theaterstücken und Hörspielen. Für ihre Romane erhielt sie zahlreiche Auszeichnungen, darunter zuletzt den Bremer Literaturpreis und den Preis der Literaturhäuser. Ihr Roman »Die Schmerzmacherin.« stand 2011 auf der Shortlist für den Deutschen Buchpreis. Zuletzt erschienen der Roman »Flammenwand.« (Longlist Deutscher Buchpreis 2019), die Breitbach-Poetikvorlesung »Geschlecht. Zahl. Fall.« (2021) sowie der Roman »Tage im Mai.« (2023). Literaturpreise (u.a.):Mara-Cassens-Preis 1996Österreichischer Würdigungsstaatspreis für Literatur 1999Hermann-Hesse-Literaturpreis 2001 (für 'Nachwelt')Walter-Hasenclever-Literaturpreis 2002Bremer Literaturpreis 2012Franz-Nabl-Preis 2015Preis der Literaturhäuser 2020Wiener Buchpreis 2023

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Leseprobe

Andrea S.


Es war nicht wegen des Sex.

Sie machte ihm keinen Vorwurf wegen des Sex. Aber es war alles sehr schwierig geworden, und die Probleme schleppten sich so unlösbar weiter, weil sie im Bett nicht mehr zueinander fanden und danach dann wieder miteinander lachen hätten können.

Sie trug das Tischtuch durch das Schlafzimmer und breitete es über den kleinen Tisch auf dem winzigen Balkon da. Man konnte auf der Dachterrasse oben nicht essen. Es war zu stürmisch. Aber er tat so, als wären der Sturm und die Hitze von ihr herbeigerufen, damit sie die Dachterrasse verlassen und auf dem kleinen Balkon essen mussten. Es war zu heiß und zu stürmisch. Daran konnte sie doch nichts ändern.

Sie hatte alles wieder hinuntertragen müssen. Teller. Besteck. Gläser. Servietten. Das Tischtuch, das für den kleinen Tisch viel zu groß war und auf dem Boden auflag. Sie schob den Stoff weit unter den Tisch und rückte den Sessel an die Wand. Joachim brauchte Platz.

Er hatte ihr erst nicht geglaubt, dass man oben nicht essen konnte. Er war auf die Dachterrasse heraufgekommen und hatte ihr dann nur murrend recht gegeben. Er hatte sich an den Tisch gesetzt und sagen wollen, dass das doch gemütlich wäre. Ein Windstoß hatte die Serviette aufgewirbelt und das langstielige Weinglas umgelegt. Wozu man nun diesen Aufwand betrieben hätte, hatte er gestöhnt. Wenn man die Dachterrasse ohnehin nie benutzen konnte. Sie seien zu wenig zu Hause, hatte sie gesagt. Man müsse die Gelegenheiten abwarten können und nicht nach einem Terminplan leben müssen. Aber er war schon auf der Wendeltreppe hinuntergestapft und hatte die Metallkonstruktion ins Schwingen und Klirren gebracht. Er hatte sie nicht mehr hören können.

Sie war oben stehen geblieben und hatte in die Ebene hinausgesehen. Es war wenigstens nicht mehr ihre Schuld. Oder es wurde wenigstens nicht mehr gesagt, es wäre ihre Schuld. Zuerst war es ihre Aufgabe gewesen, den Bau der Dachterrasse zu beaufsichtigen. Dann war es ihre Aufgabe geworden, den Dachgarten einzurichten. Sie arbeite schließlich nur 30 Stunden, war gesagt worden. Sie hätte also Zeit. Sie hatte ihre Arbeitszeit in der Klinik auf diese 30 Stunden reduziert, weil sie daneben an einem Forschungsprojekt mitarbeitete und sich damit habilitieren wollte. Darüber wurde nicht gesprochen. Das wurde als ihr Hobby angesehen. Und es stimmte, er arbeitete ununterbrochen und verdiente auch ununterbrochen. Er war stets in Sitzungen und Komitees und Kongressen und Besprechungen. Gesundheitspolitik bestand aus Reden. In alle Richtungen wurde geredet und vereinbart und wieder neu geredet, weil schon wieder eine neue Entwicklung im Gesundheitsmanagement neue Vereinbarungen erforderte. Er war gejagt von den Neuerungen, die Einsparungen verhießen.

Nach ihren drei Versuchen mit der Dachterrasse hatte er es dann übernommen. Sie hatte es zuerst selbst machen wollen. Sie hatte Bücher studiert. Sie hatte mit anderen Dachgartenbesitzerinnen geredet. Sie hatte im Internet recherchiert. Sie hatte Gartengeräte besorgt. Sie hatte Erde geschleppt. Blumentöpfe gehievt. Sie hatte die Pflanzen hinaufgetragen. Nach zwei Jahren waren alle Rosensträucher, Oleanderbäumchen, Bougainvilleen, die Lorbeerbäumchen und die Wandelröschen ausgedörrt und zerzaust.

Zu viel Wind, hatte der Gärtner gesagt, der dann geholt worden war. In dieser Höhe käme man mit so ehrgeizigen Pflanzen nicht weiter. Sie hatte einwenden wollen, wie viel Wind auf die Oleanderbäume am Gardasee einpeitschte. Sie hatte nichts gesagt. Es ging nicht darum, sich vor diesem Mann zu verantworten. Sie hatte einen schönen Dachgarten haben wollen und deshalb nichts gesagt.

Bambussträucher als Windschutz und Obstbäumchen in Riesentöpfen als Schattenspender und wieder Rosen. Aber diesmal wären es die richtigen Sorten, hatte der Mann bedeutungsvoll gesagt. Es waren dieselben Sorten ausgepflanzt worden, die sie schon eingesetzt hatte. Sie hatte ihre Gartenbücher genau studiert gehabt. Sie war Wissenschaftlerin. Sie hatte Joachim von den Rosensorten erzählt, aber der hatte gesagt, dass dieser Mann doch ein Gärtner sei und schon wissen würde, was er täte. Nach zwei Jahren waren die Bäumchen und Sträucher verkümmert und die Rosen tot.

Der nächste Gärtner ließ Metallzäune errichten und setzte Kletterpflanzen. Clematis, Geißblatt, Kletterrosen, Pfeifenstrauch, Efeu und Baumwürger. Sie waren dann beide lange verreist gewesen. Joachim war auf einem Kongress in Kiel gewesen und sie hatte einen Vortrag in Chicago gehalten. Sie hatten einander in Hamburg getroffen und waren da einige Tage geblieben. Auf dem Dachgarten war die Bewässerungsanlage ausgefallen.

Ob sie die Anlage vielleicht falsch programmiert hätte, war sie dann vom Installateur gefragt worden. Sie hatte nichts gesagt und war weggegangen. Hätte sie dem Mann erklären sollen, was sie den ganzen Tag im Labor tat und wie weit sie die technischen Anforderungen, eine Bewässerungsanlage zu bedienen, hinter sich gelassen hatte. Der Mann hätte ihr nur gesagt, dass man auch zu viel wissen konnte und hätte weiterhin ihr die Schuld gegeben. Der Fehler lag dann an einem Ventil in der Zuleitung, aber niemand sagte irgendetwas Entschuldigendes zu ihr und irgendwie blieb auch diese Zerstörung des Dachgartens ihre Schuld.

Joachim hatte dann übernommen. Sie könne sich zwar habilitieren, aber einen Dachgarten, das schaffe sie nicht. Er hatte es lächelnd gesagt und einen neuen Gärtner beauftragt. Weißer und rötlicher Mauerpfeffer. Polster von Immergrün und fette Hennen aller Art. Eine bunte Wüste war das dann. Sie fand das sehr attraktiv. Sie hätte das von Anfang an machen können. Es war seine Vorstellung gewesen, die Büsche und Bäume und blühenden Rosen und Sträucher zu haben. Sie saß gerne unter dem einbetonierten Schirm und studierte die Pölsterchen von Sukkulenten und 30 verschiedene Steinbrecharten. Saxifraga Arendsii Granulata Paniculata.

Sie schaute diese winzige Vielfalt der Blättchen und Stängel an. Es hatte gelernt werden müssen, wie so ein Dachgarten gemacht werden musste, und sie konnte ruhig zusehen, wie Versuche sich entwickelten. Er wollte Lösungen. Gleich und sofort musste es eine Lösung geben. Das war sein Beruf. Für einen Spitalsverwalter ging es um diese raschen Lösungen. Aber warum hatte er vergessen, wie sie auf der gerade fertigen Dachterrasse gestanden waren und die Richtung der Steinbänke zu bestimmen war. Eine war dann mit Blick auf den Kahlenberg aufgestellt worden, von der anderen konnte man in den Südosten hinaussehen. Er war damals herumgegangen und hatte gesagt, wo er die Rosen haben hatte wollen. Wo die Oleanderbüsche. Sie hatte da noch nichts von Dachterrassen verstanden. Er auch nicht. Es war ein schöner Augenblick gewesen. Die Dachterrasse das gemeinsame Projekt, nachdem die Kinder aus dem Haus waren. Seine und ihre.

Sie hatte das Tischtuch so weit unter den Tisch geschoben, damit er nicht draufsteigen konnte und alles in einer Verwicklung von seinen Beinen im Tischtuch auf den Boden geschleudert wurde. Er war so dick geworden, dass er nicht mehr sehen konnte, was unterhalb seines Bauchs geschah. Sie konnte sich nicht erinnern, wann das mit dem Dickwerden begonnen hatte. Am Anfang war jede Zunahme zu sehen gewesen. Seine Kleidung hatte nicht mehr ausgereicht und sie hatte lange zugesehen. Er war ein erwachsener Mensch und selbst im Gesundheitswesen. Er musste wissen, wie er sich selbst mit diesem Zunehmen behandelte. Sie hatte zuerst gedacht, seine Sekretärinnen sollten ihm die nötigen Hinweise geben. Seine Sekretärinnen waren die Tagesehefrauen. Sie hatten so viel mehr Einfluss als sie. Aber es geschah nichts. Die Hose schnitt in seine Taille und schließlich war es so weit und er konnte sie gar nicht mehr schließen. Als er die Hose seines Abendanzugs mit einem schwarzen Schuhband zusammenhalten wollte, konnte sie nicht länger zusehen. Sie wollte den Abend absagen und ein Gespräch führen. Sie hatte besprechen wollen, was es bedeutete, dass er sich sei- nen bisherigen Kleidern entzog, als wolle er ihnen entwachsen. Sie hatte besprechen wollen, was es bedeuten konnte, dass er sich selbst so vergrößern musste. So ausweiten. Aber er bestand darauf, auszugehen. Es blieb bei dem schwarzen Schuhband, das die Hose zusammenhielt. Es war eine chirurgische Maßnahme gewesen, wie er diese Hose zuschnürte. Der Kummerbund verbarg die Konstruktion, aber er durfte nichts trinken. Er hatte die Verschnürung so gemacht, dass er sie nur mit einem Schnitt wieder öffnen konnte, wenn er pinkeln hätte wollen. Sie waren sehr bald von diesem Sommerball des Rotary Clubs Wien-Mitte Punkt zurückgekehrt. Er war fröhlich gewesen und hatte nur besprochen, wie er seinem Umfang ein Schnippchen geschlagen und es doch geschafft hatte, im Smoking auszugehen. Sie hatte darüber reden wollen, wie stark er sich verändert hatte und dass er doch wissen musste, dass man seinem Umfang kein Schnippchen schlagen konnte.

Eine Zeit ging sie dann für ihn die Kleider einkaufen. Er hatte sich geweigert zuzugeben, dass ihm nichts mehr passte. Sie hatte die Hosen austauschen müssen. Als er dann in ihr Arbeitszimmer kam und ihr triumphierend zeigte, dass ihm diese Hose sehr wohl passte und dass sie einsehen müsste, dass sie mit ihrem Keifen über sein Gewicht vollkommen unrecht hätte. Sie war gerade von einem Gespräch mit dem Institutsvorstand am Allgemeinen Krankenhaus gekommen, der ihre Forschung nur veröffentlichen wollte, wenn er als Wichtigster über dem Artikel angeführt würde. Sie war dagesessen und hatte den Satz im Kopf »Frau Kollegin, Sie wissen, dass Sie ohne mich keine Chance haben.« Sie hatte gewusst, wenn sie das Joachim erzählte. Er würde mit den Achseln zucken und sagen,...

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