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Das Wissen der Leute

Bioethik, Alltag und Macht im Internet

AutorAnne Klein, Anne Waldschmidt, Miguel Tamayo
VerlagVS Verlag für Sozialwissenschaften (GWV)
Erscheinungsjahr2009
Seitenanzahl314 Seiten
ISBN9783531913612
FormatPDF
KopierschutzDRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis46,99 EUR
Was passiert, wenn die Bevölkerung die Möglichkeit erhält, sich ungeschminkt und ungefiltert zu bioethischen Problemstellungen zu äußern? Um den Stimmen aus der Zivilgesellschaft Gehör zu verschaffen, bietet die private Förderorganisation Aktion Mensch seit mehreren Jahren, gerahmt von einer groß angelegten Öffentlichkeitskampagne, die Internetplattform '1000fragen.de' an. Die Beiträge dieses Diskursprojekts, die einen einzigartigen Korpus des alltagsweltlichen Redens über Bioethik darstellen, bilden den Gegenstand der empirischen Untersuchung. Sie fragt unter diskurstheoretischen Gesichtspunkten nach Struktur und Dynamik der medial gerahmten Kommunikation und nimmt dabei insbesondere partizipationstheoretische und wissenssoziologische Aspekte in den Blick. Im Ergebnis wird aufgewiesen, dass die zivilgesellschaftliche Ausrichtung der Onlineplattform die Äußerung marginalisierter und 'unterworfener' Wissensformen und -bestände fördert. Auf den ersten Blick zeigt sich alltagsnahes Wissen zwar als 'wild wuchernd'; die empirische Analyse offenbart jedoch eine spezifische Diskursordnung, in der sich das Alltagswissen gegenüber dem Spezialwissen behaupten kann. Im Reden über Klone, Selbstbestimmung und Normalität werden außerdem diskursive Grenzverschiebungen sichtbar. In methodologischer Hinsicht trägt die Studie dazu bei, Alltagswissen als diskursanalytisch relevante Kategorie greifbar zu machen.

Anne Waldschmidt (Dr. rer. pol.) ist Professorin an der Humanwissenschaftlichen Fakultät der Universität zu Köln; sie ist Sozialwissenschaftlerin und lehrt Soziologie der Behinderung, Politik der Rehabilitation und Disability Studies.
Anne Klein (Dr. phil.) ist wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Humanwissenschaftlichen Fakultät der Universität zu Köln; sie ist Politikwissenschaftlerin und Historikerin mit dem Schwerpunkt Zeitgeschichte.
Miguel Tamayo Korte (Dipl. Soz.) hat die Arbeitsschwerpunkte Medizinsoziologie, soziale Gerontologie und empirische Methoden; er lebt in Düsseldorf.

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Leseprobe
"8 Wissen–Macht–Alltag: Wissenssoziologische Anschlüsse (S. 166-167)

Zwischenergebnisse der bisherigen Untersuchung haben immer wieder auf die Bedeutung der Kategorie‚Wissen’ aufmerksam gemacht. So wurde in der Auseinandersetzung mit der Foucault’schen Diskurstheorie (Kap. 3) die enge Verbindung von Diskurs und Wissen deutlich. Diskurse stellen Wissensordnungen dar, sie repräsentieren Politiken des Wissens. Außerdem stießen wir bei der empirischen Analyse auf die zentrale Bedeutung von Wissen, beim Offenen Codieren konnten wir die auffällige Häufung unterschiedlicher Wissensbestände und die Anwendung verschiedener Wissensformen feststellen (Kap. 7).

Und nicht zuletzt ließ die diskurstheoretische Verortung des 1000 Fragen Forums als Ereignis im Interdiskurs zwei Aspekte aufscheinen, die für eine wissenssoziologische Akzentuierung der Studie sprechen: So stimuliert die thematische Vorgabe „Bioethik"" spezialdiskursiveBezüge,dasBesondereamDatenkorpusistaber,dassmanhier typischerweise auf alltagsbezogenes Wissen trifft.

Um die Spezifität des medial vermittelten, partizipativ angelegten und öffentlich inszenierten Diskursereignisses „1000 fragen.de"" herauszuarbeiten, bietet es sich also an, die weitere Untersuchung wissenssoziologisch zu fokussieren. Es kann davon ausgegangen werden, dass eine interdiskursive, alltagsnahe Rahmung, wie sie das 1000 Fragen-Forum charakterisiert, geeignet ist, andere Wissensbestände und Wissensformen und damit ein anderes Wissen hervorzubringen als z.B. der Expertendiskurs. Um diese These zu überprüfen, ergeben sich folgende Fragestellungen: Wie wird über Bioethik im Alltag gesprochen? Welche Wissensformen treten auf?

Und: Wird in dieser öffentlichen Rede neues, überraschendes oder ungewöhnliches Wissen produziert? Bei der Suche nach Antworten haben wir feststellen müssen,dass ein an Foucault orientiertes, diskursanalytisches Vorgehen, das hauptsächlich darauf ausgerichtet ist, spezial diskursives Wissen zu erfassen, an Grenzen stößt. Möglicherweise sind aber die Beschränkungen nicht allein der Eigenart des untersuchten Gegenstandes geschuldet, sondern verweisen auch auf allgemeine Leerstellen der Diskursforschung. Auf der einen Seite haben sich Diskurstheorie und Analyse bislang nur ansatzweise mit Alltagswissen beschäftigt, und zwar offensichtlich deshalb, weil alltags weltliches Sprechen imengeren Sinne keine öffentliche Rede darstellt und somit nicht als bedeutungsvolle, d.h. auch mächtige und einflussreiche Diskursformation gilt. "
Inhaltsverzeichnis
Inhaltsverzeichnis6
Tabellenverzeichnis9
Abbildungsverzeichnis10
1 Die Problemstellung11
2 Der Forschungsgegenstand24
3 Diskurstheoretische Überlegungen40
4 Rahmenanalyse: Bioethik, zivilgesellschaftliche Partizipation, Öffentlichkeit im Internet67
5 Methodologische Vorüberlegungen106
6 Komplexität reduzieren durch Zählen und Messen117
7 Diskursordnung finden durch Kategorisieren und Systematisieren138
8 Wissen – Macht – Alltag: Wissenssoziologische Anschlüsse166
9 Die Macht des Wissens in „1000fragen.de“ – Eine wissenssoziologische Analyse193
10 Die Bedeutung interdiskursiven Wissens verstehen: Fallstudien236
11 Schlussbemerkungen300
12 Literatur306

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