FEBRUAR –
DIE SUCHE BEGINNT
Es hat auch Vorteile, Single zu sein. Abends, wenn mein kleiner Sohn schläft, kann ich eine Stunde baden, ohne dass jemand wütend gegen die Badezimmertür hämmert, weil er ein dringendes Geschäft erledigen muss. Ich kann mir die Beine rasieren, ohne die Tür abzuschließen, und dabei Star FM hören, ohne dass das jemand unsexy findet. Ich esse fast jeden Abend Bruschetta oder Gyros mit Knoblauchsoße, und keiner beschwert sich anschließend über meinen abstoßenden Mundgeruch. Abends sitze ich gemütlich in meinem Wohnzimmer auf der Couch, lese ein Buch und knipse gegen Mitternacht das Licht aus. Keiner stört mich mit blöden Fernsehsendungen, niemand raubt mir den Schlaf mit nervtötender Musik.
Nach dem Ende meines Praktikums in einem IT-Büro habe ich einen Teilzeitvertrag als Werkstudentin bekommen und arbeite jetzt zwanzig Stunden die Woche. Dazu besuche ich zwei Mathematik-Veranstaltungen an der Uni in der Hoffnung, bis Jahresende mit den Prüfungen fertig zu werden. Außerdem habe ich begonnen, ein Buch über meine Jahre im Rotlichtmilieu zu schreiben. Ich hatte schon seit einigen Monaten einen Blog im Internet geschrieben, wo ich die lustigsten Geschichten aus fünf Jahren Pufferfahrung erzählte, und meine beste Freundin Jule ermunterte mich, mal über ein entsprechendes Buchprojekt nachzudenken.
Alles in Butter also? Nicht ganz. Es gibt eben doch Nächte, in denen ich mich ewig im Bett hin und her wälze, ständig die Lage wechsle und dann genervt aufstehe. Das liegt weder an meiner Kaffeesucht noch an Mangel an Beschäftigung während des Tages. Nein, es ist diese innere Unruhe, die trotz eines geregelten Tagesablaufs nicht weggeht und die mich darauf hinweist, dass da etwas fehlt in meinem Leben. Und dann sitze ich mitten in der Nacht in der Küche, rauche eine Zigarette nach der anderen und grüble über die Zukunft nach. Klar, es gibt Menschen, die wesentlich größere Probleme als ich haben und stets mit einem Lächeln den neuen Tag begrüßen. Aber macht das die Sache besser?
Wenn ich jemandem von meiner Einsamkeit erzähle, nimmt mich keiner so richtig ernst. Mein langjähriger Freund Olli zum Beispiel – er wohnt in Braunschweig und zählt zu den Menschen, denen ich am besten mein Herz ausschütten kann. Kennengelernt habe ich ihn am Christopher Street Day 2002, als er mit seiner Freundin in Berlin war. Ladja und ich haben die beiden in unserer Einzimmerwohnung schlafen lassen, und trotz der Entfernung hat sich in vielen nachfolgenden Telefonaten eine dauerhafte Freundschaft entwickelt.
»Du findest keinen Freund?«, verspottet er mich während eines unserer Gespräche, die immer um elf Uhr abends anfangen und nach Mitternacht enden. »Es gibt keinen Grund dafür. Du bist sexy, du bist intelligent, du hast eine brillante Zukunft vor dir. Ich wette, wenn ich mit dir den Ku’damm entlanglaufe und herumschreie, dass du Single bist, dauert es nicht lange, bis jemand sich meldet.«
»Danke, sehr beruhigend. Schade, dass ich nicht auf Anmachen auf der Straße reagiere«, erwidere ich nüchtern.
»Komm, was ist, wenn du abends weggehst? Ich glaube nicht, dass keiner dich bemerkt«, entgegnet er.
Ich versuche mich daran zu erinnern, wann ich zuletzt weggegangen bin. Kurz nach meiner Trennung von Ladja bin ich mit zwei ehemaligen Kolleginnen aus einem Puff, die auch solo sind, auf eine Single-Party gegangen. Wir haben ausgelassen zu den Pop-Hits des letzten Jahrzehnts getanzt, Blödsinn geredet und auf die alten Zeiten angestoßen. Ich habe mir sogar eine Art Nummernschild auf den Arm geklebt, was unter meinen Freundinnen für schallendes Gelächter sorgte. Die drei schwarzen Ziffern waren ein Code für eher schüchterne Männer, die sich nicht trauen, jemanden anzusprechen, und stattdessen lieber eine Nachricht für einen hinterlegen wollen. Trotz sichtbarer Nummer, hochgesteckten Haaren und Ballkleid habe ich das Lokal um zwei Uhr nachts allein verlassen. Weder hat ein einsamer Kavalier um einen Tanz gebeten, noch ist es an der Bar zu Annäherungsversuchen vom anderen Geschlecht gekommen. Vielleicht wirkte unsere geschlossene Gruppe einschüchternd, vielleicht war ich für einen Discoabend mit meinem schwarzen Satinkleid und den hochhackigen Sandalen zu aufgebrezelt – außer einem Schubs von einem betrunkenen Typen auf der Tanzfläche habe ich jedenfalls nichts von den anwesenden Männern abbekommen.
»Du solltest einfach öfter mal aus deinen vier Wänden raus, dann passiert schon was«, rät mir Olli. Mein derzeitiges Leben zwischen Büro, Uni und Kindergarten biete ja kaum Gelegenheit, einen Mann kennenzulernen.
Sicher, er hat recht, aber am Ende des Tages bin ich oft einfach erschöpft und sehne mich nur noch nach meinem Bett. Darauf, mich sexy anzuziehen, zu schminken und gegen Mitternacht auf Männerfang zu gehen, habe ich schlicht und einfach keine Lust. Auch für diesen Fall hat Olli aber eine Lösung parat. Wir lebten doch im Internetzeitalter, meint er.
»Diese Franzi, die ich dir letztes Mal in Berlin vorgestellt habe, die kenne ich auch aus dem Chat. Gut, es hat nur drei Wochen gehalten, aber es war eine lustige Zeit. Sie ist auf jeden Fall einer der fröhlichsten Menschen, die ich in den letzten Jahren getroffen habe.«
»Aber die große Liebe war sie anscheinend nicht.«
»Oje, du kennst mich doch. Vielleicht wäre es auch was geworden, aber ich kriege immer panische Angst, wenn die Frauen anfangen, persönliche Sachen in meiner Wohnung liegenzulassen.«
»Ja, ich weiß.« Olli ist bereits verheiratet – mit seiner Arbeit, und es scheint ihn nicht mal zu stören. Seit dem Ende einer siebenjährigen Beziehung hat er sich vom idyllischen Traum von einem Reihenhaus in der Vorstadt, zwei Kindern und einem Hund verabschiedet und fühlt sich in seinem Single-Dasein so wohl wie ein buddhistischer Mönch in einem tibetanischen Kloster. Manchmal würde ich gerne mit ihm tauschen, zumindest was seine realistische Lebenseinstellung angeht.
Vielleicht sollte ich wirklich etwas unternehmen, anstatt nur zu jammern …
Nicht, dass ich mit der Liebe im Internet keine Erfahrungen gemacht hätte. Mit fünfzehn habe ich im Yahoo-Chat einen Studenten aus Kalifornien kennengelernt, der mich nach einem Monat intensiven Mailaustausches heiraten wollte. Am Anfang habe ich noch aus Spaß mitgemacht – ich fand es toll, in der Schule zu erzählen, dass mein Freund in Amerika wohne. Anstrengend wurde es allerdings, als Brandon (so hieß er) darauf bestand, dass ich ihn so schnell wie möglich besuchen solle oder dass andernfalls er nach Italien komme, um mich abzuholen und bis ans Ende seiner Tage glücklich mit mir zusammenzuleben. Ich hatte seine Anträge immer als Scherze verstanden, tatsächlich hatte er sie aber ernst gemeint. Dass ich mit fünfzehn nicht heiraten durfte, wusste er anscheinend nicht. Als er sich dann auch noch als Mormone outete, läuteten bei mir die Alarmglocken.
Ich brach von heute auf morgen den Kontakt ab, was meinem Möchtegern-Ehemann gar nicht gefiel. Es folgten regelmäßige Anrufe mitten in der Nacht, die mich jedes Mal wütend und gleichzeitig ängstlich aufschrecken ließen. Er liebe mich doch sehr und er könne den Traum unserer gemeinsamen Zukunft nicht einfach so begraben. Das war Ende der neunziger Jahre, in der Steinzeit des Internets, aber offenbar gab es von Anfang an Leute, die nicht zwischen virtueller Welt und Realität unterscheiden konnten. Meinen Eltern gefielen die Liebesbeichten des Verrückten um fünf Uhr morgens auch nicht, und so kündigten sie den Internetanschluss, was für mich als netzsüchtigen Teenager eine Katastrophe war. Es bedurfte einer Woche Hungerstreiks, um wieder surfen zu dürfen, aber ich hatte meine Lektion gelernt: bloß keine Telefonnummer herausgeben und generell mit persönlichen Daten vorsichtig sein. Es waren offenbar mehr Spinner unterwegs, als ich dachte.
Die nächsten Begegnungen im Netz waren dann wesentlich harmloser: ein Mann, der sich als zwanzig ausgab und in Wahrheit fünfzig war, aber auch schüchterne Jungs aus dem Nachbardorf, die mit ihrer Tollpatschigkeit und ihrem Mangel an Erfahrung meiner Vorstellung vom weltgewandten Traummann beim besten Willen nicht gerecht werden konnten. Dann gab es noch einen Geschichtslehrer aus Florenz, der mich, als Student getarnt, per ICQ-Chat zu einem romantischen Wochenende in seiner Heimatstadt eingeladen hatte. Ich nahm die Strapazen einer zehnstündigen Bahnreise auf mich; kein Weg war zu weit, wenn die schönsten Dinge des Lebens vermeintlich auf mich warteten: Unabhängigkeit, Kultur und vielleicht sogar die große Liebe.
Leider war der Professor liiert und die Hochzeit stand kurz bevor – was ich aber erst erfuhr, als wir schon auf dem Rücksitz seines Fiat Punto eine Nummer geschoben hatten! Das schmuddelige, schrottreife Auto und der Bahnhof von Florenz waren alles, was ich von der weltberühmten Wiege der Renaissance sah. Ohne Geld und innerlich aufgewühlt fuhr ich wieder nach Hause. Dass sich der Prof nie mehr bei mir meldete, war klar. Kurz nach dem Abitur zog ich dann nach Deutschland und entschied mich bewusst für ein Leben ohne Internet – die Straßen von Berlin waren sowieso viel spannender als die virtuelle Welt. Als ich kurz nach der Geburt meines Sohnes endlich einen DSL-Anschluss beantragte, tat ich das nur wegen meines Studiums, um besser an Uni-Material zu kommen.
Und jetzt...