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E-Book

Der unbekannte Kimi Räikkönen

AutorKari Hotakainen
VerlagVerlagsgruppe Lübbe GmbH & Co. KG
Erscheinungsjahr2018
Seitenanzahl288 Seiten
ISBN9783732571376
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis9,99 EUR

Kimi Räikkönen wollte immer nur fahren, und zwar schnell. Bloß nicht lange reden. Der Finne ist berüchtigt für seinen rasanten Stil auf der Rennstrecke und seine Coolness - nicht umsonst wird er 'Iceman' genannt. Neugierige Fragen beantwortet er einfach nicht. Bis jetzt: Der Bestsellerautor Kari Hotakainen ist Kimi Räikkönen nicht von der Seite gewichen. Ob im Ferrari-Rennstall, im Kreise der Familie oder beim Jetset, überall war er mit dabei. Herausgekommen ist ein unverwechselbares Porträt, das den Menschen hinter der Fassade des kühlen Rasers und die Gepflogenheiten des Rennsports aufs Lebendigste zeigt.




Kimi Räikkönen, geboren 1979. Der finnische Formel-1-Fahrer ist einer der schnellsten des Rennsports und hat 2007 den Weltmeistertitel für Ferrari gewonnen. Räikkönen lebt mit seiner Familie in der Schweiz. Kari Hotakainen, geboren 1957. Der preisgekrönte finnische Bestsellerautor hat 22 Romane geschrieben, die in über 20 Sprachen übersetzt wurden. Das Porträt von Kimi Räikkönen ist sein erstes Sachbuch.

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Leseprobe

Nicht einen Meter


Kuala Lumpur, Hotel Sama-Sama, Samstagmorgen. Es ist 9.10 Uhr. Heute entscheidet sich, wer beim morgigen Rennen von der Pole-Position startet. Die Abfahrt vom Hotel ist für 9.30 Uhr geplant. Der Fahrer schläft bis zum letzten Moment.

Ich sitze bei einem Kaffee in der Bar im Foyer, am Nebentisch johlen drei lebens- und biererfahrene Leute mit Baseballkappen, zwei Frauen und ein Mann. Ihre ferrariroten T-Shirts haben dunkle Flecken, offenbar Erinnerungen an das preiswerte und schmackhafte Tiger-Bier. Drei heisere Wesen um die fünfzig, die den Geruch von tagelang im Organismus mariniertem Alkohol verströmen. Es stellt sich heraus, dass sie aus Australien kommen und schon am Mittwoch aus Sydney eingeflogen sind, um sich das Rennen anzusehen und ins Bierglas zu schauen.

Eine der beiden Frauen, die rothaarigere, fragt, ob sie mich möglicherweise gestern Abend angemotzt haben. Ich antworte, ich sei nicht in der Bar gewesen, von dieser Option hätten sie also noch keinen Gebrauch gemacht. Der Mann, dessen hellrote Wangen kleine Löcher aufweisen, erkundigt sich barsch, wer mein Favorit ist, Kimi oder der englische Nichtsnutz mit den Ohrringen. Seiner Meinung nach sehe ich eindeutig wie ein Lewis-Hamilton-Mann aus. Ich erkläre, dass ich hetero bin und kein Fan von wem auch immer. Die Frauen lachen erleichtert, weil sie mich nicht angemotzt haben.

Der Mann erkundigt sich nach meiner Meinung über Kimi Räikkönen. Ich sage, dass ich ihn nicht persönlich kenne, aber zu schätzen weiß, wie er dem Tod trotzt. Außerdem erzähle ich, dass ich noch nie ein Formel-1-Rennen bis zum Schluss verfolgt habe und mich nicht für diesen Sport interessiere. Die Frauen wollen mehr über meine Defizite wissen, aber der Mann bringt sie zum Schweigen und blickt mir streng in die Augen. Zur gleichen Zeit spüre ich seinen Blick sowohl am Hals als auch an den Ohren, denn seine Augen schweifen hin und her. Er fragt, woher ich komme und was ich in einem Hotel in der Nähe der Rennstrecke von Sepang zu schaffen habe, wenn ich mich nicht für die Formel 1 interessiere. Ich erzähle, dass ich aus Finnland komme und einfach nur Urlaub mache. Das Grüppchen horcht auf. Ich komme aus demselben Land wie Kimi. Mein Wert steigt. Zu Ehren meines Heimatlandes bestellen sie eine weitere Runde Bier. Sie fallen sich gegenseitig ins Wort, als sie ihre Meinung über Kimi zum Besten geben, der für sie wie ein Familienmitglied sei. Kimi sei der einzige Fahrer, der nach dem Rennen keinen banalen Stuss redet. Sie wissen, dass Kimi in diesem Hotel wohnt, haben ihn aber noch nicht zu Gesicht bekommen, denn er kommt immer erst spät ins Hotel, und dann sind sie schon so angeheitert, dass sie vergessen, den Lift im Auge zu behalten. Ihrer Meinung nach muss man Kimi begegnen, es reicht nicht, ihn auf der Hauptgerade mit 290 Stundenkilometern vorbeirasen zu sehen. Dabei gewinnt man keinen Eindruck von einem Menschen. Ich stimme zu.

Der Mann will mir einen Schnaps spendieren, denn so was trinken die Finnen doch zum Frühstück. Ich lehne ab, bedanke mich für das nette Gespräch und stehe auf. Der Mann wünscht mir viel Glück, was ich seiner Meinung nach allerdings nicht brauche, da ich ja das Glück habe, aus demselben Land zu kommen wie Kimi.

Alle drei werden gleichzeitig von unwiderstehlichem Harndrang gepackt und stürmen zu den Toiletten, dass die Badelatschen klatschen und die bunten Shorts rascheln. Kaum sind sie verschwunden, da öffnet sich die Aufzugtür, und der rote Mann hüpft zum Maserati.

Die Fahrt verläuft wieder fröhlich über dem Tempolimit, bis wir am Kreisverkehr stecken bleiben. Kimi mosert, ob man sich etwa an der Verkehrsinsel niederlassen wolle. Er ist ungeduldig, er will schnell zur Arbeit, in den kleinen Raum, unter den Helm.

Wir kommen bei der Rennstrecke an. In drei Stunden wird sich entscheiden, wer beim Rennen am Sonntag in der Pole-Position startet. Einer von Kimis Lieblingssongs heißt Paalupaikka (Pole-Position), er singt ihn gern beim Karaoke. Dafür muss die Kehle ein wenig angefeuchtet werden, dann bäumt sich das Ende des Refrains auf wie ein Hecht im Liegen. Hector hat den Countrysong komponiert und getextet, der verstorbene Kari Tapio hat ihn aufgenommen. Wie so viele Karaoke-Favoriten sagt er quasi aus Versehen viel über das Leben desjenigen, der ihn johlt: »Die Zeit zog mich mit, brachte mir oft auch Sorgen / Verrückte Jugend mit ihrer Allwissenheit / Vom Teufel bekam ich die Nacht und von Gott den Morgen / Jeder Tag wie eine kleine Ewigkeit / Weniger hätte mir auch gereicht / Denn ich weiß, wie viel mir zufällt / Jetzt bin ich hier und bleibe vielleicht / Ganz allein auf mich gestellt / In meiner Pole-Position.«

Der Jäger der Pole-Position springt seiner Wege, der Song klingt mir weiter in den Ohren. Ich gehe mit Sami in die Repräsentationsräume von Ferrari. Die rot gekleideten Mitarbeiter trinken starken Kaffee und sieden innerlich. Der Teamchef Maurizio Arrivabene, ein graubärtiger schlanker Mann, saugt an einem kleinen, mit dem Ferrari-Logo verzierten Halter und bläst Rauch zur Seite. Das Gerät, Iqos, ist die neueste Erfindung von Philip Morris, es erhitzt eine kleine Menge Tabak, bis sie verdampft, und liefert dem Saugenden das Nikotin ohne Papier. Ein Gift weniger. Ich entdecke das Gerät auch bei anderen wichtigen Leuten.

Arrivabene ist ein erfahrener Mensch. Er versteht sich darauf, die Spannung in seinem Inneren einzuschließen wie eine Saftflasche im Keller, doch sein unsteter Blick lässt den Kern des Motorsports erahnen: Wenn der Pilot gut fährt, kann der Motor streiken. Wenn der Pilot auch nur eine falsche Bewegung macht, wird er nur Fünfter. Wenn im entscheidenden Moment jemand vor ihm ist, verlieren wir eine halbe Sekunde. Eine halbe Sekunde ist erschöpfend lang. Bei keiner anderen Sportart sind die Unterschiede so gering. In der Formel 1 ist das Kleine riesig.

Arrivabene zieht eine etwa drei Zentimeter lange Kartusche aus dem Halter und schiebt sie durch das Loch des speziellen Aschenbechers von Iqos. Der wirkt wie ein zierliches und elegantes Design-Objekt, nicht wie ein normaler, stinkender Ascher. Arrivabene begibt sich in wiegendem Gang zu den Boxen und hofft, dass die Uhr gerade seinen Fahrern gewogen ist.

Sami Visa bringt mir die dritte Wasserflasche des Tages und eine kleine Tasse starken Kaffee. Er kennt Kimi schon zweiundzwanzig Jahre, seit 1996. Vom Alter her könnte er Kimis Vater sein, jetzt ist er sein Manager. Es ist Kimi nie leichtgefallen, von irgendwem Rat anzunehmen, auch dann nicht, wenn die Ratschläge gut und angebracht waren. Kimi ist immer seinen eigenen Weg gegangen, auch wenn der Weg gelegentlich zum Pfad, zum Straßengraben und zur weglosen Wüste wurde. Ein Fahrer ist ein Fahrer, selbst wenn er nicht immer eine Straße unter sich hat. Auf Sami hört Kimi jedoch, und der Grund liegt auf der Hand: Sami hat ihn nicht beschissen. Und bescheißt ihn nicht. Das hat er vor zwei Jahren in der Sauna der Villa Butterfly versprochen, als die mündliche Vereinbarung über den Posten als Manager getroffen wurde: »Wenn du mich bescheißt, bring ich dich um.«

Manchmal ist eine mündliche Abmachung stärker als ein Blatt Papier. Da ich viel zu viele italienische Familienfilme gesehen habe, denke ich noch über die Drohung nach, die zu der Abmachung gehört, als ein großer, nachtschwarzer Mann auf die Terrasse wogt. Er grüßt Sami Visa mit tiefer, rauer Stimme. Mir schüttelt er die Hand, offenbar in der Annahme, dass ich ihn kenne. Ich vertusche meine Unwissenheit, indem ich an der Kaffeetasse fummle. Der Mann springt von seinem Stuhl auf, um den Chefkoch zu umarmen. Die beiden gestikulieren so lebhaft, dass Sami Zeit hat, mich aufzuklären: Der Mann ist Moko, der berühmte senegalesische Schmuckkünstler, einer der Gründer und Besitzer des internationalen Schmuck- und Modehauses Chrome Hearts. Alle hier kennen ihn, nur ich nicht. Seine Firma hat mit Madonna, Lenny Kravitz und vielen anderen Stars zusammengearbeitet. Moko besitzt einen lebenslang gültigen Pass für die F1-Rennen. Den hat er vor Jahren vom damaligen Ferrari-Teamchef Jean Todt bekommen, dem heutigen Präsidenten des Welt-Automobilverbands FIA.

Moko kehrt an unseren Tisch zurück, und als ich ihm sage, dass ich ein Buch über Kimi Räikkönen schreibe, flammt in seinen Augen ein Lagerfeuer auf. »Hör mal, bleicher Häuptling«, beginnt er und will alles erzählen. Er hat 1979 angefangen, die Formel 1 zu verfolgen, in der Zeit der schlimmsten Apartheid. Es verstieß gegen alle Konventionen, dass ein schwarzer Mann Anhänger eines weißen Mannes war, der einen Rennwagen fuhr. In Mokos Heimat, dem Senegal, spielte man Fußball und Rugby, aber er wählte die Formel 1. Seiner Meinung nach ist Kimi Räikkönen Künstlern vergleichbar, die ihr Werk für sich sprechen lassen. Ich will nachfragen, merke aber, dass ich unhöflicherweise auf den farbigen Kaftan starre, der dem großen Mann bis unter die Knie reicht. Moko registriert meinen Blick und preist die Produkte des finnischen Bekleidungsunternehmens Marimekko. Er hat Marimekko-Stoffe gekauft und sich daraus einzigartige Kleidungsstücke genäht.

Im Helm steckt ein verschwitzter Kopf, im Kopf ein Gehirn, das auf viel höheren Touren läuft als das Auto.

Er erzählt, er habe Kimi schon in dessen Zeit bei Sauber beobachtet. »Dieser Junge kam aus der Dunkelheit und hat sofort Licht gemacht. Ich habe nur zugeschaut, beobachtet, ihn mir eingeprägt«, erinnert sich Moko. Erst nach Kimis Wechsel zu Ferrari sind sie sich begegnet, und zwar bei Kimis erstem Grand Prix im Ferrari-Team, im australischen Melbourne. Moko saß im Paddock-Gebiet unter...

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