2. Die Deutsche Bank – Eine bewegte Geschichte
»Den Blick zurückzutun in die Vergangenheit ist uns kein Selbstzweck und kein museales Vergnügen. Zu erfahren, wie die Deutsche Bank wurde, was sie ist, fordert die Gegenwart.«
Hilmar Kopper[15]
Vorbemerkung
Man kann der Deutschen Bank viel vorwerfen, aber eines nicht, sie hätte sich nicht ihrer Geschichte gestellt: »Am 29. August 1961, beschloss der Vorstand der Deutschen Bank den Aufbau eines eigenen Historischen Archivs in der Frankfurter Zentrale. Das Archiv der Deutschen Bank ist damit das älteste professionelle Unternehmensarchiv in der deutschen Finanzwirtschaft. Heute umfasst es mehr als sechs Kilometer an Geschäfts- und Personalakten, Dokumenten, Fotos, Filmen, Werbemitteln und Wertpapieren der Deutschen Bank und ihrer Vorgängerinstitute.«[16] Die Geschichte der Deutschen Bank soll uns Hilmar Kopper zufolge möglicherweise nicht nur den Ist-Zustand erklären, sondern auch eine Einschätzung der Zukunft ermöglichen. Eine Zukunft, die nicht nur für die Deutsche Bank gilt, sondern das Bankgeschäft insgesamt betrifft. Dabei erstaunt, in welcher Art und Weise sich das Alltagsgeschäft der Banken allgemein und das der Deutschen Bank im Besonderen im Zuge der fast 150 letzten Jahre entwickelt hat. Denn die Szenarien, die für die Zukunft des Bankgeschäfts entworfen werden, haben dabei vordergründig betrachtet nichts mehr zu tun mit dem traditionellen Geschäftsbetrieb, den es in der Gründungszeit der Deutschen Bank gab. Es gibt allerdings auch Dinge, die zunehmend wiederentdeckt werden, und die auch heute wieder – man lese und staune – als offenkundig wichtig bewertet werden. Dazu gehört insbesondere die vom Normalkonsumenten eigentlich für selbstverständlich gehaltene Tatsache, dass der Kunde wieder in den Fokus der bankgeschäftlichen Interessen rücken soll.
Wer sich als schlangestehender und vielleicht sogar konfus beratener Bankkunde lange missachtet fühlte, darf laut einer Studie[17] aufatmen[18]: »Der Kunde steht bei den Banken immer stärker im Mittelpunkt. Vor allem die Wiederherstellung ihres Images beziehungsweise die Wahrung ihrer Reputation stellen für 40,4 Prozent der Befragten sehr große Herausforderungen dar. Dies ist eine Folge der Finanzmarktkrise aus dem Jahr 2009. Weitere 25 Prozent halten das Thema immerhin für relevant. Die mittlere Bewertung der Befragten liegt bei 3,0. Hierbei wird deutlich, dass aus Sicht der befragten Bankmanager die Reputation noch nicht vollständig wiederhergestellt worden ist und weitere Anstrengungen in diesem Bereich nötig sind. Die abnehmende Kundenloyalität und die erhöhte Wechselbereitschaft der Kunden zählen mit einer Bewertung von 2,9 im statistischen Mittel ebenso zu den dringenden Herausforderungen, wie »veränderte Kundenbedürfnisse in Bezug auf Servicequalität«. Vor dem Hintergrund des steigenden Wettbewerbsdrucks, mit dem sich die Branche konfrontiert sieht, werden Bankinstitute den Kunden auch stärker in den Fokus rücken müssen.«[19] Dazu kommt, dass der Filialbetrieb irgendwann auch anderen Vertriebskanälen wird weichen müssen, zumal mittlerweile längst völlig neue Technologien in die Kundenkommunikation Einzug gehalten haben. So wollen die befragten Bankmanager stark oder sogar sehr stark in die mobilen Plattformen für den Vertrieb von Bankprodukten, die Interaktion über Onlinekanäle beziehungsweise in Technologien für Mobile Business, die Industrialisierung und die Automatisierung von Geschäftsprozessen investieren. Hier wird dringender Handlungsbedarf gesehen. Und doch, »die Bank von morgen ist heute schon von gestern. Loungebereich, Videoberater und Kuschelecke: Die Banken wollen mit modernen Vorzeigefilialen Finanzgeschäfte zum Erlebnis machen. Dabei kann das Smartphone künftig jede Bank ersetzen.«[20]
Schlägt der vernachlässigte Kunde zurück? Verselbstständigt sich der bisher auf die Filiale angewiesen Kunde und nutzt seine erhöhte Mobilität zu einer Art Emanzipation? »Zudem rüsten sich die Internetgiganten […], ihre gewaltigen Kundenstämme, ihre technische Leistungsfähigkeit und ihre Erfolge im Sammeln von Daten auszunutzen, um ihrerseits den Banken Konkurrenz zu machen. Zuletzt sorgte eine geplante Kooperation zwischen der chinesischen Internetplattform Alibaba und Apple für Schlagzeilen – die Revolution des Zahlungsverkehrs lockt die Großen offenbar sehr. ›Die Banken sind gut beraten, das im Auge zu behalten‹, heißt es in einer Studie der Deutschen Bank.«[21] Die Banken werden also nicht umhin kommen, letztlich den Rückzug aus der analogen Fläche hinein in die digitale Welt zu vollziehen. Über die Zukunft des Filialgeschäfts wird seit geraumer Zeit gestritten[22]; mal wird es für extrem wichtig befunden, da nur hier persönlicher Kontakt und ein essenziell Vertrauen schaffender Kontakt zum Bankkunden entstehe, mal wieder infrage gestellt von der unaufhaltsamen Entwicklung hin zu digitalisierten Geschäftsprozessen und der Forderung nach kundenorientierter digitaler Omnipräsenz. Hinzu kommen Fragen rund um die Bankenregulierung, Verwaltungsaufwand, Recruiting und Einbindung der FinTechs[23], jener Startups, die all diejenigen Bizztools und Programmfeatures entwickeln, mit deren Hilfe das »analoge« Filialgeschäft dem eBusiness irgendwann endgültig wird weichen müssen.
Bezeichnenderweise wechselte der ehemalige Co-Chef der Deutschen Bank, Anshu Jain, zum milliardenschweren Online-Geldverleiher Social Finance ins Silicon Valley. Nicht nur, dass Jain dort erst als Berater, dann mit einem Posten im Verwaltungsrat gut versorgt wird, es zeigt sich auch, dass der ehemalige Vorzeige-Banker hervorragende geschäftliche Perspektiven sieht: »Es ist eine große Freude, bei SoFi zu beginnen. Als ein rapide wachsender Verleiher ist SoFi eine der dynamischsten Kräfte in diesem Sektor.«[24] Damit hat der zuletzt bei der Deutschen Bank glücklos agierende Jain nicht untertrieben, denn SoFis Geschäft ist es, zu günstigen Bedingungen die Refinanzierung von Studien- oder Hauskrediten anzubieten und alleine damit 2014 etwa eine Milliarde Dollar an Investorengeldern einzusammeln. »Die aktuelle Bewertung liegt derzeit bei vier Milliarden Dollar und macht SoFi zu einem der größten FinTech-Startups weltweit. Pro Jahr werden rund acht Milliarden Dollar an die Kunden verliehen.«[25] Der CEO der jungen Firma, Mike Cagney, spricht sogar von einem kaputten Banksystem, das er, bzw. die von ihm geführte Company mit ihrem Geschäftsmodell grundlegend ändern möchte. Ein Anspruch, der Anfang 2016 von Experten optimistisch beurteilt wurde. Auf jeden Fall bemerkenswert, dass jemand wie Jain scheinbar völlig die Seiten wechselt, denn »Don’t bank« ist einer der Werbesprüche von SoFi Inc.[26] Identifikation mit den Werten und der Geschichte des traditionsreichen deutschen Bankhauses, dem der einstige angebliche »Regenmacher« Anshu Jain[27] diente, sieht anders aus. Möglicherweise ist nicht nur in diesem Fall Loyalität als innerer Haltungsbestandteil entweder nicht vorhanden oder bereits auch zur Ware, zum Handelsgut verkommen: Manager-Etagen als Laufhausflure.
Die Jahre vor der Gründung
Traditionsreich, geschichtsträchtig, manch einer würde auch sagen, ehrwürdig, das sind jedenfalls neben den vielen negativ zu bewertenden Seiten Attribute, die sich die Deutsche Bank im Laufe ihrer Unternehmensgeschichte als Meriten auch verdiente. Wenn man davon absieht, dass die ganz grundsätzlichen geschäftlichen Mechaniken des Bankbetriebes über die Jahrzehnte die gleichen geblieben sind, so war doch das politische, wirtschaftliche Szenario jener Tage, in denen die Deutsche Bank gegründet wurde, ein völlig anderes als das, was uns aktuell Herausforderungen aufbürdet. Auch schien die charakterliche Fasson des Managements in den Gründerjahren eine fast vorbildliche zu sein. Der wohl bekannteste Wirtschaftsjournalist der Nachkriegsjahre, Kurt Pritzkoleit, schrieb über eine der Gründerpersönlichkeiten der Deutschen Bank: »Gewiss – Ludwig Bamberger war ein großer Geschäftsmann, aber wie so viele seiner nicht minder erfolgreichen Zeitgenossen – wie Friedrich Harkort[28] und David Hansemann[29], wie Ludolf Camphausen[30] und Carl Fürstenberg[31] – war er vor allem anderen ein glühender Patriot. Vaterlandsliebe und Weltbürgertum, Bürgerstolz und grandseigneurale Haltung, Gelehrsamkeit und praktischer Sinn durchdrangen in ihm zur Einheit einer starken und seltenen Persönlichkeit. Der fünfundzwanzigjährige Mainzer, Jurist und begeisterter Volkswirt, war 1848 wegen revolutionärer Umtriebe[32] in absentia zu einer hohen Zuchthausstrafe, später sogar zum Tode verurteilt worden.«[33]
Die moderne Wirtschaftsgesellschaft in Deutschland hat ihre Ursprünge besonders in den preußischen Reformen des 19. Jahrhunderts. Ein einheitliches Wirtschaftsgebiet wurde durch den 1834 gegründeten Zollverein geschaffen. Hauptinitiator der auch Stein-Hardenberg’sche Reformen genannten Neuerungen war Karl Reichsfreiherr vom und zum Stein, der mit eiserner Konsequenz die ständisch-korporativen Bindungen beseitigte, die...