2 Überzeugungsmacht — Wirkung in der Politik
Es war an einem Sonntag im Sommer, Ende der 90er Jahre. Ich war bei meiner Familie im schönen Kärnten. Mit meiner Schwester schlenderte ich durchs Dorf, in der Ferne lockte das dumpfe Humtata einer Musikkapelle. Sommer ist bei uns Hochsaison für Zeltfeste. Ob Sportverein oder Feuerwehr, in Kärnten findet sich immer ein Anlass zum Feiern. »Komm, lass uns was trinken«, sagte meine Schwester. Gesagt, getan. Das Zelt war rappelvoll, die Luft stickig, der Lärmpegel hoch. Wir saßen kaum, da wurde es auf einen Schlag leise. Ich blickte mich um und verstand warum. Dort im Zelteingang stand er, der »Robin Hood Österreichs« und »Bierzelt-Bruder« Jörg Haider, der damals bekannteste Rechtspopulist Österreichs. Lässig in Jeans und T-Shirt, Pullover um den Hals gebunden, strahlendes Gesicht. Er klopfte auf Schultern, spendierte Bier. Dann griff er sich ein Mikro und hielt eine scheinbar spontane Rede. Er sprach weder klar und logisch noch brachte er Sätze zu Ende, doch die Menschen verstanden ihn auch so: ausdrucksstarke Haltung, gezielte Handbewegungen, ein schadenfrohes Grinsen hier, ein aggressiver Blick da. Um dann im nächsten Atemzug wieder herzhaft zu lachen und Leichtigkeit auszustrahlen. Seine platten Parolen erledigten den Rest. Die Masse tobte. Mir wurde klar, warum es so viele Haider-Fans gab. Eine Schande.
Wirkungskompetenz in der Politik, sie hat ihre hellen und ihre dunklen Momente. Man kann sie nutzen, um Sinnvolles und Intelligentes zu erreichen – oder um böse Dummheiten zu verbreiten. Haiders flache Botschaft war: Hier steh ich, so denk ich halt, wählt mich!
In der Politik geht es bei Wirkung immer darum, Menschen zu überzeugen. Überzeugend müssen die Argumente und Positionen sein, in erster Linie jedoch die Personen, die sie vertreten. Ist das Auftreten einer Politikerin glaubwürdig? Kann ein Politiker Nähe zum Wähler herstellen? Körpersprache ist hier das stärkste Ausdrucksmittel. Durch Gesten, Mimik und Körperhaltung versuchen Politiker, ihren Aussagen gezielt Nachdruck zu verleihen oder ein bestimmtes Image aufzubauen. Je stimmiger ihr Verhalten wirkt, je mehr Emotionen überspringen, desto stärker identifizieren sich die Menschen mit ihnen (Sollmann 2006). Politiker mit hoher Wirkungskompetenz sind dabei klar im Vorteil, im Wahlkampf wie in der täglichen Arbeit. Die Überzeugungsmacht ist stärker als die formale Macht eines Amtes. Und wie jede Macht kann sie missbraucht werden – etwa wenn, wie im Fall von Jörg Haider, ein perfekter Auftritt mit einer fragwürdigen Botschaft verknüpft wird. Aber von solchen Auswüchsen mal ganz abgesehen, greift die sogenannte »Amerikanisierung der Politik« immer stärker um sich: Die Person steht im Mittelpunkt, nur das Image zählt.
»Images«, sprich Bilder, haben in der Politik meist mehr Gewicht als »Issues«, die Themen (Holtz-Bacha 2003). Wer beim Wähler ankommen will, setzt auf suggestive Bilder, auf Emotionalisierung und das Erzählen von spannenden Geschichten. Die politischen Akteure professionalisieren deshalb den Umgang mit den Medien. Den Wahlkampf legen sie in die Hände von Kommunikationsspezialisten. Experten aus Media-, PR- und Werbeagenturen erstellen genaue Analysen der Wählergruppen und entwickeln eine Marketingstrategie, um ihre Klienten ins rechte Licht zu rücken.
Personalisierung und Professionalisierung, beides prägt die mediale Selbstinszenierung von Politikern immens. Schauen wir uns fünf ganz unterschiedliche Vertreter dieser Berufsgruppe an. Als Meister der Selbstinszenierung ist das Überzeugen von Menschen ihr tägliches Handwerk. Mal mit fairen, mal mit zweifelhaften Mitteln.
Angela Merkel: Viel Macht um nichts
Nichts. Nichts hat sie zu bedeuten, die berühmte Merkel-Raute. Das ist meine Standardantwort, wann immer mich ein Journalist, ein Zuhörer oder ein Seminarteilnehmer fragt, warum die Kanzlerin ihre Hände gerne in Rautenform vorm Körper faltet. Nichts? Natürlich ist diese Antwort nicht ganz korrekt. Körpersprache hat stets eine Bedeutung, keine Geste ist bedeutungslos. Mit »nichts« schmettere ich lediglich all die in die Raute hineininterpretierten Deutungen ab. Was manche Menschen in ihr zu erkennen glauben, ist zum Teil schreiend komisch. Eine Raute der Macht etwa. Oder sogar eine Kamasutra-Haltung. Angela Merkel selbst erklärte in einem Interview, was die Raute bedeutet: »Nichts. Diese Haltung ist die Position, in der ich automatisch den Oberkörper aufrecht halte. Normalerweise bin ich ja mehr so … (sie zieht die Schultern nach vorn, macht einen leichten Buckel). Nichts anderes heißt das.« (von Stuckrad-Barre 2009).
Die Kanzlerin führt einen sachlichen Grund für die Geste an: bessere Körperhaltung. Das stimmt, und doch ist es nicht die ganze Wahrheit. Als Geste passt die Raute hervorragend zu ihrem Image der besonnen handelnden Regierungschefin. Früher sah sie noch anders aus. Die Fingerspitzen zeigten nach vorne, sie formte sie zu einem Spitzdach. Im Fachjargon nennt man das eine Konzentrationshaltung. Konzentriert musste die noch unerfahrene Kanzlerin sein, wenn sie in den Medien Statements abgab. Mittlerweile, dank mehr Erfahrung und Selbstvertrauen, sind ihre Fingerspitzen nach unten gewandert. Aus der Konzentrationsgeste ist jetzt ein Markenzeichen geworden. Zur Bundestagswahl 2013 war die »Merkelizer-Haltung« in Berlin auf einem überdimensionalen Poster, 70 mal 20 Meter, zu sehen. Die Kanzlerin hatte es geschafft, eine Schwäche in eine Stärke zu verwandeln.
Wie kann eine kleine, eher nichtssagende Geste zum Markenzeichen werden? Fast scheint es so, als seien Medien und Öffentlichkeit froh, zumindest einen Punkt zu haben, an dem sie die Kanzlerin, die wie nur wenige Menschen im öffentlichen Leben für Nicht-Inszenierung steht, festmachen können. Alles an Angela Merkel ist echt. Sie lässt sich kein Image aufzwängen. Sie folgt keinen Regieanweisungen. Sie bleibt sich treu. Sie ist eigentlich wie wir, nur eben Kanzlerin von Beruf. Glauben wir ihr das wirklich? Dann sind wir ihr auf den Leim gegangen.
Keine Inszenierung ist auch eine
Die Uninszeniertheit von Angela Merkel ist geschickt inszeniert. Hinter so viel Normalsein steckt viel harte Arbeit. Nicht nur von ihr, sondern von zahlreichen Beratern und Helfern. Den weisen Spruch »Nur wer sich ändert, bleibt sich treu« von Wolf Biermann – die Kanzlerin beherzigt ihn. Angela Merkel hat sich massiv geändert, ihre Transformation vom ostdeutschen Mauerblümchen zur globalen Power-Queen erfolgte aber in so vielen kleinen Schritten, dass man sie kaum bewusst wahrnehmen konnte. Erst im Rückblick erschließt sich das ganze Ausmaß der Verwandlung – und die kunstvolle Selbstinszenierung, die dazugehört. Blicken wir also zurück.
Anfang der 90er Jahre tritt Angela Merkel ins Bundeskabinett ein, erst ist sie Ministerin für Frauen und Jugend, dann ab 1994 Umweltministerin. Schnell gilt sie als Antiheldin der Mediengesellschaft. Sie hat eine ausgesprochene Abneigung, sich fotografieren und filmen zu lassen, was man ihr deutlich anmerkt – für den ›FAZ‹-Redakteur Nils Minkmar ein Alptraum. »Beim Gehen winkelt sie die Arme nach oben ab und wirkt trotz energischen Auftretens wie von einem Elektromotor angetrieben. Ihre optische Erscheinung ist ganz und gar der Laune der Fotografen anheimgestellt. Homestorys sind undenkbar. Hält sie eine wichtige Rede, verspricht sie sich. Geht sie zu einem festlichen Empfang, hat ihr Kleid einen Fleck. Kommt ihr ein Gegner in einer Debatte frech, verstummt sie.«
Die Ministerin wird derart mit Spott und Häme überschüttet, dass sie einem leidtun kann. Angriffsfläche ist meist ihr Äußeres: ihre strähnige Frisur, ihre hängenden Mundwinkel, ihre Augenlider, ihre Kleidung, ihre »zu männliche« Erscheinung. Sie entspricht nicht dem Schönheitsideal und ist somit wunderbar geeignet, um sie zu karikieren. Das Satiremagazin ›Titanic‹ titelt: »Ein neues Gesicht für Angela Merkel«. Den Lesern werden acht Varianten angeboten, das letzte Gesicht stellt ein blankes Hinterteil dar. Die ›taz‹ treibt die Geschmacklosigkeit auf den Gipfel mit einem Button: Merkel als Miss Piggy, dazu das Motto »Ferkel muss weg!« Und jeder erinnert sich wohl noch an die Werbeanzeige der Leihwagenfirma Sixt. Zwei Portraitfotos von Angela Merkel: links mit Pagenschnitt und der Bildunterschrift »Lust auf eine neue Frisur?«, rechts mit wild nach oben stehenden Haaren und der Textzeile »Mieten Sie sich ein Cabrio«. Obwohl das Unternehmen überhaupt nur zwei Anzeigen in der ›Süddeutschen‹ und im ›Focus‹ schaltet, ist die Kampagne in aller Munde. Angela Merkel kommentiert die Sache ganz gelassen: »Ein interessanter Stylingvorschlag.«
Angela Merkel modernisiert die CDU und sich selbst
Während ihrer Ministerjahre gilt Angela Merkel als beratungsresistent. Spätestens als sie CDU-Generalsekretärin wird, setzt aber ein Umdenken bei ihr ein. Ihr Aussehen und Auftreten wandeln sich. Die Veränderung beginnt langsam ab 2002. Ziel ist es, sie als politische Marke aufzubauen. Maßgeblichen Einfluss hat die Werbeagentur McCann Erickson. Auf Empfehlung der Agentur soll Angela Merkel schon durch ihr äußeres Erscheinungsbild vermitteln, dass sie für Kompetenz, Modernisierung und Hoffnung steht. Intensiv feilt man an ihrer öffentlichen Wirkung: ruhige Stimme, wohldosierter Einsatz von Gestik, Mimik und Körperbewegungen sowie ein offener, kamerazentrierter Blick. Dadurch wirkt sie aufrichtig, bürgernah und sympathisch. Ein Auftritt, der ganz ihrem Typus entspricht.
2005 wandelt sie sich...