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E-Book

Die rote Rebellin

Fortschritt braucht Provokation

AutorGabriele Pauli
VerlagGütersloher Verlagshaus
Erscheinungsjahr2014
Seitenanzahl256 Seiten
ISBN9783641113216
FormatePUB
KopierschutzDRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis15,99 EUR
Kein Platz für Individualisten und Paradiesvögel - Warum Politik in Deutschland immer konformer wird
Kaum eine andere Politikerin ruft so zwiespältige Reaktionen hervor wie die bayerische Polit-Rebellin Gabriele Pauli. Sie ließ die CSU erbeben, indem sie maßgeblich am Sturz Edmund Stoibers beteiligt war. Dabei nahm sie kein Blatt vor den Mund: Je provokanter, desto besser. Als »rote Rebellin« ging sie in die Politikgeschichte ein, doch sie wäre nicht Gabriele Pauli, schriebe sie ihre Geschichte nicht weiter.
In diesem Buch zeigt die kämpferische Politikerin, welche Vorstellungen sie von einer stimmigeren Gesellschaft und einer Politik hat, die für die Menschen an der Basis gemacht wird. Dabei lässt sie spannende biographische Einblicke in ein Leben zu, das geprägt ist von dem Motto: »Fortschritt braucht Provokation!«.
  • Jeanne d'Arc oder Hexe? Die Politbiografie einer Frau, die die CSU erbeben ließ
  • Spannende Visionen und Anstöße für mehr Herzensbildung in der Gesellschaft und eine Politik mit Rückgrat


Gabriele Pauli, Jahrgang 1957, Dr. rer. pol., Diplom-Kauffrau, 18 Jahre Vorstandsmitglied der CSU, von 1990 bis 2008 jüngste Landrätin Deutschlands im fränkischen Fürth, Doktorarbeit über PR-Praxis der CSU. 2007 Austritt aus der Partei wegen Mobbings, Kandidatur bei den Freien Wählern, 2008 maßgeblich beteiligt am Sturz der CSU auf 43,4 Prozent, dem erstmaligen Verlust der absoluten Mehrheit in Bayern. Danach Gründerin der Freien Union und fraktionslose Abgeordnete im Bayerischen Landtag. 1999 bekam Pauli das Bundesverdienstkreuz für bürgerfreundliche Verwaltung. Sie hat eine Tochter und lebt in München.

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Leseprobe

Einleitung


Wie ich in der Einsamkeit meine Würde wiederfand


Meine Reise in die Stille begann damit, dass ich meinen Atem hörte. Und den Schnee, der knirschte, als ich mit meiner Reisetasche durch den Wald ging. Ein bisschen unheimlich erschien mir die Stimmung, aber ich hatte es ja so gewollt und freute mich auf meine Berghütte, die ich mir im Internet rausgesucht hatte. Abgelegen im Wald, die Berge bei Salzburg vor der Haustür und die Aussicht auf weiße Weihnachten 2010  – das alles verursachte in mir eine Hochstimmung. Zehn Tage wollte ich ganz für mich sein, das Handy ausschalten, eine Auszeit nehmen, ganz bewusst in mich gehen in der Hoffnung, dort jemanden vorzufinden, der mir angenehm ist und mir meinen Mut zurückgibt. Und ein wenig mit den Bergen reden wollte ich. Bergsteiger tun das gerne. Aber mein Berg schwieg, er antwortete mir nicht.

Wenn sich Politiker in die Einsamkeit zurückziehen und niemanden sehen wollen, sind sie entweder depressiv oder sie wollen sich einen Luxus gönnen, den sie im Alltag kaum haben: über sich selbst nachdenken, vielleicht sogar vordenken, die Batterie aufladen, alle Überreiztheit ablegen. Theoretisch klingt das gut, aber als ich die dunkle Holzhütte betrat und mir ein schwerer Kamingeruch entgegendrang, wusste ich zunächst nicht mehr, was ich mit den vielen mir geschenkten Stunden anfangen sollte. Ich kam mir etwas verloren vor in dem großzügigen Wohnzimmer und der liebevoll ausgestatteten Oma-Küche, in der man für eine Fußballmannschaft hätte kochen können.

Aber nach heiterer Geselligkeit war mir nicht. Ich wollte mir selbst begegnen, niemandem sonst. Auch keine Berieselung durch Musik, keine Ablenkung durch Bücher, keine Zerstreuung. Ich hatte vorher kurz überlegt, wie es heute Mode geworden ist, für ein paar Tage ins Kloster zu gehen. Aber ich verwarf die Idee, dort war es mir dann doch zu strukturiert, man wird dort gelebt. Es gibt klare Tagesabläufe, man ist unter Menschen und kann immer noch vor sich selbst davonlaufen.

Nein, ich wollte eine Eremitin auf Zeit sein und Neuland betreten, wissen, was mit mir passiert, wenn alles so still ist, dass ich nur mich beobachten kann. Nicht effizient sein und auf die Uhr schauen, nur nach dem Stand der Sonne leben, das war mein Ziel. Es kann eine elementare Lehre sein, die Leere in sich zu spüren. Oder den Sturm der Gedanken, die sich nicht bändigen lassen. Ich richtete mich auf ein Stück schwerer seelischer Arbeit ein.

In der ersten Nacht schlief ich in der kleinsten Kammer, die die Hütte zu bieten hatte, und freute mich über die sauerstoffreiche Luft, die von außen in die kleine Stube drang. Denn ein Holzhaus atmet, und immer hat man das Gefühl, in der Natur zu sein. Ich konnte das in der ersten Nacht sehr genießen, die nächste Nacht allerdings schon weniger. Ich tappte von meiner Küche mit einer Kanne Tee ins Wohnzimmer und betrachtete durch die kleinen Holzfenster den grau und dann stockdunkel werdenden Wald. Und dann war die Stille kalt. Sie fühlte sich fast schmerzhaft an. Sie wurde bleiern und hart. Ich blieb dort sitzen und nahm ein Blatt Papier, um meine Gedanken zu notieren.

Über 50 Jahre war ich auf dieser Welt, hatte ich sie bereichert oder nur ausgebeutet? Was kann ich anderen wirklich geben? War die Summe meiner vielen Glücksmomente wirklich das große Glück, nach dem sich alle sehnen? Ich sah mich im Spiegel an und entdeckte ein paar Schrammen, die wohl nur ich sah. Aber war Makellosigkeit in einem Leben voll reicher Erfahrungen nicht ein aussichtsloses, ja dummes Ziel? War die »rote Rebellin« (so nannten mich die Reporter wegen meiner Haare, nicht etwa wegen meiner politischen Gesinnung!) ein Zerrbild der Medien – oder die Kämpferin für eine gerechte Sache?

Wie viele Gabys gab es? War ich in einer Identitätskrise? In meinem Kopf ging es rund, und das war gut so, denn das Denken soll ja immer wieder mal die Richtung wechseln – doch musste es gleich so eine Achterbahnfahrt sein? Ich versuchte zu meditieren, aber in meinem Bewusstsein war Theater – und ich war Hauptdarstellerin und Publikum zugleich. Mein Leben zog in ungeordneten Fetzen an mir vorbei, jeden Stein drehte ich um. Mit 18 Jahren hatte ich mit einem Jahr Schulzeitverkürzung das Abitur in der Tasche und kam im Studium in die »Begabtenförderung« der Konrad-Adenauer-Stiftung – aber hatte ich meine »Gaben« wirklich gut genutzt? Ich hatte eine Doktorarbeit über politische Public Relations geschrieben, in der CSU war ich gut vorangekommen. Mit 32 war ich die jüngste Landrätin der Republik und bekam in den folgenden 18 Jahren von Wahl zu Wahl mehr Stimmen – aber warum befriedigte mich diese Popularität nicht auf Dauer, warum waren mir Vorzimmer und Dienstwagen dann doch nicht mehr angenehm, warum wurde mein Strahlen plötzlich anstrengend?

Mit 48 Jahren forderte ich nahezu im Alleingang meine Parteifreunde auf, Edmund Stoiber als Ministerpräsidenten zu stürzen  – dabei bin ich nicht die geborene Rebellin. War es die Nachteile wert, die ich danach erfuhr, die Überdosis Hohn und Spott, die über mich ausgeschüttet wurde? Warum blieb ich nicht brav in der Herde? Und als parteilose Abgeordnete im Bayerischen Landtag ohne jeden Einfluss am Rande zu sitzen – hätte ich mir das nicht ersparen können, oder ist Treue sich selbst gegenüber doch die wichtigste Treue? Ist meine Wahrheit wichtiger als die Wahrnehmung durch andere? Hatte ich nicht andere immer zur Courage, der edelsten Kunst in der Demokratie, ermutigt?

Bei der Vereidigung eines neuen Mitglieds im Jugendhilfeausschuss des Landkreises konnte ich mir einmal den Sarkasmus nicht verkneifen und zitierte Albert Einstein: »Um ein tadelloses Mitglied einer Schafherde sein zu können, muss man vor allem ein Schaf sein.« Aber ich konnte nicht blöken. Ich war nicht zum Herdentier geboren, ich bin eben Mensch. Mal stark, mal schwach.

Ich versuchte, mein Leben zu Papier zu bringen, aber ich war nicht zufrieden damit und warf die Seiten in das Kaminfeuer. Noch war ich nicht geordnet genug. In der Stille vermisste ich ein Gegenüber und begann, mit mir selbst zu reden. Ich durchlebte Konflikte meines Lebens erneut, und in manchen Punkten war ich selbst nicht mehr meiner Meinung. Manchmal wartet man zu lange, bis man neue Wege einschlägt. Aber ich wollte meinem Unbehagen auf den Grund gehen und schonungslos sein, mir kein verbales Valium einflößen oder einflößen lassen.  Oft raten Freunde, alles Unangenehme zu verdrängen, denn »anderen geht es doch auch so«. Aber das ist nicht die Lösung. Ich wollte den Gleichmut meines Vaters annehmen können, der mit der Weisheit eines schlichten Uhrmachermeisters gerne feststellte: »Was ist, das ist.« Ich fügte hinzu: Was ist, muss nicht bleiben.

Und dann kamen sie, die Zweifel, die Ängste, über die Politiker in der Öffentlichkeit nie sprechen. Früh hatte ich von meinen politischen Ziehvätern gelernt: Ein Politiker darf nie Schwächen zeigen, sonst stürzt sich das Wolfsrudel auf ihn, und ein Nachfolger besetzt den Platz, bevor man es merkt. Ich war die Jahre über keinem politischen Getümmel aus dem Weg gegangen und hatte sehr viel Stacheldrahtdenken erlebt, aber in diesen Nächten kroch die Angst in mir hoch, die ich sprechend bekämpfte. Ich suchte in mir das weise Gegenüber, das mich beruhigte, mir sagte, dass alles einen wunderbaren Sinn hätte – weil ich nicht sofort daran glaubte, begann ich zu beten. 

Es waren Ängste, die wohl jeder Mensch kennt, aber wenn sie geballt kommen, sind sie fürchterlich: Die Angst zu versagen, die Angst, Anerkennung und Sicherheit zu verlieren, die Angst, keine Bedeutung mehr zu haben, letztlich die Angst, nicht wirklich geliebt zu werden. Es war ein Trip in die Vergangenheit, eine Reise in der Raum- und Zeitmaschine, ich durchlebte Triumphe und Dramen meines Lebens noch einmal. Ich sah Parteifreunde, die nach meiner Rebellion gegen den CSU-Chef hämisch grinsten, auch wenn sie von dessen Ablösung profitierten. Viele wollten nicht mehr mit mir sprechen – oder durften nicht. Langjährige politische Freunde waren auf einmal für mich nicht mehr erreichbar. Trennungsängste taten sich vor mir auf, denn ich hatte die CSU immer als meine Heimat begriffen, meine politische Großfamilie, mit der ich mich 30 Jahre identifiziert hatte.

Aber in der Politik liebt man den Verrat, nicht die Verräterin. Diesen billigen Satz hatten mir diejenigen, die hinterher immer alles schon vorher wussten, oft vorgehalten. Selbst schuld – das war ihre platte These, wer aus der Reihe tanzt, kommt nicht mehr rein. Aber wer vor lauter Steifheit gar nicht tanzt, verpasst das Leben.

Mein Selbstgespräch ging weiter, meine Tochter erschien vor meinem geistigen Auge. War ich ihr wirklich eine gute Mutter, oder hatten Politik und Terminnot unser Verhältnis so überschattet, dass ein nicht wiedergutzumachendes Defizit blieb? Wie hat sie die Schlagzeilen weggesteckt, als ihre Mutter nach einem harmlosen Modeshooting mit Latexhandschuhen als »Domina« verunglimpft wurde? Konnte meine Arglosigkeit wirklich so eine unverzeihliche Sünde sein? Aus einer seriösen Politikerin war auf einmal in den Augen von vielen Leuten, die sich nicht mit dem Thema beschäftigt hatten, eine Art Flittchen geworden, ein Sexsymbol, das mit dem Wortspiel »St. Pauli« in doppeltem Sinne etikettiert wurde. Auf einem T-Shirt erschien ich mit diesem Untertitel und mit Heiligenschein, frech grinsend. Auf einmal war ich Objekt, ich wurde benutzt, um die Welt zu amüsieren. Ein echter Humortest, wahrer Humor beginnt ja erst da, wo der Spaß aufhört.

Auch die Angst vor Zweisamkeit kroch in mir hoch: War ich, eine zweimal geschiedene Frau, überhaupt liebesfähig oder fühlten sich die...

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