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E-Book

Die Schweiz für die Hosentasche

Was Reiseführer verschweigen

AutorAnica Jonas, Martin Walker
VerlagS. Fischer Verlag GmbH
Erscheinungsjahr2014
Seitenanzahl272 Seiten
ISBN9783104029580
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis9,99 EUR
Das kleinste Buch über die großartige Schweiz! Wie tief ist der Röstigraben und wo liegt er? Was versteckt sich hinter Schwingen, Hornussen und Jassen? Was ist ein Brocki? Warum heißt »Mensch ärgere dich nicht« in der Schweiz »Eile mit Weile«? Haben die Schweizer Humor und wenn ja, welchen?

Martin Walker, Journalist, Verleger, Autor und Urner, lebt in Zürich. Auch als Schweizer versteht er sein Land und seine Landsleute nicht immer.

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Leseprobe

Alle Schweizer sind viersprachig, fließend


Die Schweiz hat vier Landessprachen – Deutsch, Französisch, Italienisch und Rätoromanisch (erst seit 1938) – und drei Amtssprachen, zu denen Rätoromanisch nur im Verkehr mit Rätoromanen dazukommt. Dabei bilden die Rätoromanen die mit Abstand kleinste Sprachgruppe, die sich in mehrere Dialekte aufsplittet. Rätoromanisch sprechen Skilehrer, wenn sie von ihren unsicher auf zwei Latten schlotternden, dafür umso teurer eingekleideten Anfängern nicht verstanden werden wollen. (Die Skischüler unter sich sprechen Russisch.) Rätoromanisch lernen Zürcher, die nach Graubünden ziehen – die sogenannten Züzis – und sich damit dauerhaft jede Integration in die dörfliche Bergwelt verbauen. Die Bündner heißen in der Restschweiz nicht umsonst »Steinbock-Tschinggen« (Tschingg = Schimpfwort für Italiener), und das ist noch eine freundliche Bezeichnung.

Die Mehrheit der Schweizer spricht Deutsch, Schweizerdeutsch, wobei sich auch dies in unzählige, mehr oder weniger beliebte Dialekte aufteilt. Beliebt ist Berndeutsch, Bündnerdeutsch (nicht zu verwechseln mit Rätoromanisch). Darüber hinaus gibt es auch noch das schwer verständliche Walliserdeutsch und die Sprachen der Innerschweiz, die man jedoch selten hört. Verhasst sind alle Ostschweizer Dialekte, die Zürcher bekommen Ohrensausen, wenn sie einem Basler zuhören, Basler hören Zürchern prinzipiell nicht zu. Die sogenannte Mundart wird auch geschrieben, durchaus mit literarischem Erfolg, hauptsächlich aber in SMS von Jugendlichen. Auch Mundartlieder haben großen Erfolg. Hier ist Berndeutsch klar die leading language.

Die Schriftsprache ist Hochdeutsch, leicht dialektal eingefärbt. Die meisten Deutschschweizer können kein Hochdeutsch sprechen, obwohl sie reflexartig im Gespräch mit Deutschen in diese Sprache wechseln. (Dieser Reflex ist jedoch als Folge der in Massen einwandernden Deutschen am Abflauen.) Am schlechtesten Hochdeutsch sprechen Parlamentarier und Bundesräte. Deutsche, die Mundart sprechen, mag man nicht. Das offizielle Schweizerdeutsche Wörterbuch heißt Idiotikon.

Im Ausland gibt sich der Schweizer gern polyglott, mit einer Ausnahme: Hören Herr und Frau Schweizer im Urlaub Schweizerdeutsch, werden sie sich nur noch in Zeichensprache unterhalten und schnellstmöglich auf den sicheren Hotelbalkon flüchten. Man will in den Ferien ja nicht ständig unter Seinesgleichen sein.

Im Tessin wird Italienisch gesprochen. Die Situation ist ähnlich der des Rätoromanischen, mit dem Unterschied, dass die Zuzüger nicht mal mehr Italienisch lernen, alle Tessiner sowieso in Zürich studiert haben, es sonst aber kaum mehr zu hören ist. Das Tessin ist so schön, da kann man nicht mal mehr über das Wetter sprechen. Eine Ausnahme gibt es auch hier: Es gibt Fernseh- und Radioprogramme in Italienisch.

Bleibt das Französisch, das als Français Fédéral ein ähnliches Verhältnis zum Französisch der Franzosen pflegt, wie das schweizerische Hochdeutsch zur deutschen Schriftsprache, aber immerhin Teil der Francophonie ist. Deutschschweizer und Westschweizer sprechen miteinander bevorzugt Englisch. In Institutionen gilt die Regel, dass jeder seine Muttersprache spricht und hofft, die anderen mögen das verstehen oder zumindest so tun als ob.

Im Umgang mit den zugewanderten Menschen aus anderen Sprachräumen setzt ein ähnlicher Reflex wie gegenüber Deutschen ein. Der Schweizer spricht spontan ein absolut fehlerfreies Rudimentärdeutsch, bei dem die Verben nicht konjugiert werden, auch wenn das Gegenüber zwar ursprünglich aus Sri Lanka kommt, aber seit zwanzig Jahren in der Schweiz arbeitet – vornehmlich in der Küche beim Röstizubereiten.

Die vier Landessprachen sind unter Druck. Während gerade mal 35000 Personen Rätoromanisch als Hauptsprache angeben, sind es über 100000, die Serbisch bzw. Kroatisch sprechen (darunter bestimmt auch welche, die sich in Zürich erfolgreich eine Existenz aufgebaut haben und nun im Unterengadin Rätoromanischkurse belegen). Englisch ist im Vormarsch.

Kein anständiges Schweizer Unternehmen hat es in den vergangenen Jahren versäumt, sich einen englischen Namen zuzulegen. Dieser Trend ist allerdings teilweise wieder rückläufig. Der Flughafen in Zürich etwa heißt wieder Flughafen Zürich, nachdem die Bezeichnung Unique bis 2009 zu mehreren riskanten Flugmanövern geführt hat, aus Angst, man habe sich versehentlich nach Bayern verflogen. Die Verirrungen gab es auch in der helvetischen Variante: Idée Suisse heißt nun wieder Schweizer Radio und Fernsehen.

Prozentuale Verteilung der von Personen schweizerischer Nationalität gesprochenen Hauptsprachen, 19502000


1950

1960

1970

1980

1990

2000

Deutsch

74,2

74,4

74,5

73,5

73,4

72,5

Französisch

20,6

20,2

20,1

20,1

20,5

21,0

Italienisch

4,0

4,1

4,0

4,5

4,1

4,3

Rätoromanisch

1,1

1,0

1,0

0,9

0,7

0,6

Nichtlandessprachen

0,2

0,3

0,4

1,0

1,3

1,6

Anteil der 15 häufigsten Nichtlandessprachen in der Wohnbevölkerung (in % und absolut), 2000


Serbisch/Kroatisch

1,4

103350

Albanisch

1,3

94937

Portugiesisch

1,2

89527

Spanisch

1,1

77506

Englisch

1,0

73425

Türkisch

0,6

44523

Tamil

0,3

21816

Arabisch

0,2

14345

Niederländisch

0,2

11840

Russisch

0,1

9003

Chinesisch

0,1

8279

Thai

0,1

7569

Kurdisch

0,1

7531

Mazedonisch

0,1

6415

Sprachliche Minderheiten


Der Bund erkennt Rätoromanisch und Italienisch als sprachliche Minderheiten an. Dazu kommen als »nicht territoriale Minderheitensprachen« das Jenische und das Jiddische. Wobei es auch zu innerkantonalen Minderheiten kommen kann, wie etwa beim deutschsprachigen Bosco Gurin im Kanton Tessin.

Einführung in das Schweizerdeutsche


Schweizerdeutsch, das es so nicht gibt, denn jeder Kanton hat seine Eigenheiten, ist ein alemannischer Dialekt. Die Betonung liegt häufig auf der ersten Silbe, so heißt der Bankenplatz an der Zürcher Bahnhofstraße im Dialekt »Pàradeplatz« und nicht »Paràdeplatz«, und auch beim Bellevue liegt der Akzent auf dem Schönen und nicht auf der Sicht. Der Infinitiv wird im Schweizerdeutschen mit dem Hilfsverb »go« gebildet – »Ich...

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