Abhandlung über die Güte Gottes, die Freiheit des Menschen und den Ursprung des Uebels
Erster Theil
1. Nachdem ich die Rechte des Glaubens und der Vernunft in einer Weise festgestellt habe, welche die Vernunft dem Glauben nützen lässt, anstatt ihm entgegen zu treten, wird sich zeigen, wie beide diese Rechte gebrauchen, um dasjenige aufrecht zu erhalten und zu vereinigen, was das natürliche und das offenbarte Licht uns von Gott und dem Menschen in Bezug auf das Uebel lehren. Man kann die Schwierigkeiten in zwei Klassen theilen; die einen entspringen aus der Freiheit des Menschen, welche mit der Natur Gottes unverträglich erscheint, während sie doch nothwendig ist, damit der Mensch für schuldig und strafbar gehalten werden kann. Die andere Klasse betrifft das Verhalten Gottes, indem er danach zu sehr an dem Dasein des Uebels Theil zu nehmen scheint; selbst wenn der Mensch frei sein und auch seinen Theil davon auf sich nehmen sollte. Dieses Verhalten scheint mit der göttlichen Güte, Heiligkeit und Gerechtigkeit nicht verträglich, weil Gott an dem physischen und moralischen Uebel mitwirkt, und weil dies bei dem einen wie bei dem andern ebenso physisch, wie moralisch geschieht und weil diese Uebel sich anscheinend sowohl in dem Reiche der Natur, wie in dem der Gnade zeigen und ebenso, ja noch mehr, in dem kommenden und ewigen Leben, als in dem kurzen hienieden.
2. Um diese Schwierigkeiten kurz darzulegen, bedenke man, dass die Freiheit (anscheinend) mit der Vorherbestimmung und Gewissheit sich nicht verträgt, mag diese Freiheit sein, welcher Art sie wolle; trotzdem soll nach der gewöhnlichen Lehre unserer Philosophen die Wahrheit der kommenden zufälligen Ereignisse bestimmt sein. Das Vorauswissen Gottes macht alles Kommende gewiss und bestimmt; ja seine Voraussicht und seine Vorausbestimmung, auf welche das Vorauswissen gegründet erscheint, thut noch mehr, da Gott nicht gleich dem Menschen die Ereignisse mit Gleichgültigkeit betrachten und sein Urtheil anhalten kann, weil alles nur durch die Beschlüsse seines Willens und die Wirksamkeit seiner Macht zum Dasein gelangt. Selbst wenn man von einer Mitwirkung Gottes absieht, so ist doch in der Ordnung der Natur alles mit einander verknüpft, indem nichts ohne eine Ursache, welche die Wirkung bestimmt, geschehen kann. Dies gilt ebenso für die freiwilligen Handlungen, wie für alles andere. Danach erscheint der Mensch also gezwungen, das Gute und Schlechte zu thun, was er thut und er verdient deshalb weder Strafe noch Belohnung. Die ganze Moral und alle menschliche und göttliche Gerechtigkeit wird dadurch vernichtet.
3. Wollte man aber dem Menschen selbst diese Freiheit zugestehen, mit der er sich zu seinem Schaden schmückt, so würde doch das Verhalten Gottes dem Tadel unterliegen und dieser Tadel durch die anmassliche Unwissenheit der Menschen unterstützt werden, die sich auf Kosten Gottes ganz oder zum Theil von der Schuld befreien möchten. Man behauptet, dass die ganze Realität und sogenannte Substanz der Handlungen, selbst bei der Sünde, ein Werk Gottes sei, weil alle Geschöpfe und all ihr Handeln das in diesem enthaltene Reale von ihm haben. Daraus will man ableiten, dass er nicht allein die physische Ursache des Uebels sei, sondern auch die moralische, weil Gott vollkommen frei handle und alles nur mit vollkommener Kenntniss der Dinge und ihrer möglichen Folgen thue. Es genügt auch nicht, zu sagen, dass Gott sich ein Gesetz gegeben habe, wonach er bei dem Wollen und den Entschlüssen der Menschen mitwirkt, sei es im gewöhnlichen Sinne, sei es nach dem System der gelegentlichen Ursachen; denn einmal scheint es sonderbar, dass er sich ein solches Gesetz gegeben, dessen Folgen ihm bekannt waren; sodann liegt aber die Hauptschwierigkeit darin, dass anscheinend der böse Wille selbst ohne seine Mitwirkung und selbst ohne eine Art Vorherbestimmung von seiner Seite, welche zur Entstehung dieses Wollens im Menschen oder eines andern vernünftigen Geschöpfes beiträgt, nicht zu Stande kommen kann; da ja auch eine Handlung, um schlecht zu sein, nicht minder von Gott abhängt. Daraus will man schliessen, dass Gott alles, das Gute wie das Schlechte, ohne Unterschied bewirkt, sofern man nicht etwa mit den Manichäern zwei Prinzipien, ein gutes und ein schlechtes annehmen möchte. Dazu kommt, dass nach der gemeinsamen Ansicht der Theologen und Philosophen, die Erhaltung der Welt eine fortgehende Schöpfung ist und man deshalb sagen kann, dass der Mensch fortwährend verdorben und sündigend geschaffen werde; ganz abgesehen von den Cartesianern, nach denen Gott der allein handelnde ist und die Geschöpfe nur die reinen leidenden Werkzeuge sind, eine Ansicht, auf die auch Herr Bayle sich vielfach stützt.
4. Aber selbst wenn Gott bei den Handlungen nur in einer allgemeinen Weise mitwirken oder überhaupt nicht, wenigstens bei den schlechten Handlungen nicht, mitwirken sollte, so genügt doch für die Zurechnung, sagt man, und um Gott zu der moralischen Ursache zu machen, dass ohne seine Erlaubniss nichts geschehen kann. Wenn man auch von dem Sündenfall der Engel absieht, so weiss er doch alles, was geschehen wird, wenn er den Menschen nachdem er ihn geschaffen hat, in solche Verhältnisse bringt, und er hört nicht auf, ihn in solche zu versetzen. Der erste Mensch wird einer Versuchung ausgesetzt, von der Gott weiss, dass er unterliegen werde und dass derselbe dadurch die Ursache von unzähligen schrecklichen Uebeln werden werde und dass durch diese Sünde das ganze menschliche Geschlecht angesteckt und in eine Art von Nothwendigkeit zu sündigen versetzt werden werde, was man die Erbsünde nennt; dass die Welt dadurch in eine arge Verwirrung gebracht werden werde; dass dadurch der Tod und die Krankheiten über sie gebracht werden mit Tausend anderlei Unglück und Elend, welches regelmässig die Guten, wie die Schlechten trifft; dass selbst die Bosheit hienieden herrschen und die Tugend unterdrückt werden werde und dass es damit beinah den Anschein gewinne, als leite keine Vorsehung die Dinge. Indess wird es noch schlimmer, wenn man an das zukünftige Leben denkt, weil es da nur eine kleine Zahl geretteter Menschen geben wird und alle andern in Ewigkeit verderben werden; abgesehen davon, dass diese zum Heil bestimmten Menschen durch eine willkürliche Auswahl aus der verderbten Masse herausgenommen worden sind, mag man dabei sagen, dass Gott bei ihrer Auswahl ihre künftigen guten Handlungen, oder ihren Glauben oder ihre Werke beachte, oder mag man annehmen, dass er ihnen diese guten Eigenschaften und Handlungen gewährt habe, weil er sie zum Heile im Voraus bestimmt habe. Denn wenn auch in dem mildesten System gesagt wird, dass Gott alle Menschen habe erretten wollen, und wenn man auch in den andern, gewöhnlich angenommenen, Systemen anerkennt, dass er seinen Sohn die menschliche Natur habe annehmen lassen, um deren Sünden abzubüssen, so dass alle, die an ihn glauben, lebendig und schliesslich gerettet sein werden, so bleibt doch immer wahr, dass dieser lebendige Glaube ein Geschenk Gottes ist, dass wir für alle guten Werke todt sind, dass eine vorhergehende Gnade selbst bis zu unserem Willen den Antrieb giebt und dass Gott uns das Wollen und das Vollbringen giebt. Mag nun dies durch eine wirksame Gnade allein geschehen, d.h. durch eine innere göttliche Bewegung, welche unsern Willen vollständig zu dem Guten, was wir thun, bestimmt; oder mag es nur eine hinreichende Gnade sein, die aber doch stets antreibt und die durch die innern und äussern Umstände wirksam wird, in denen der Mensch sich befindet oder in die Gott ihn versetzt hat, so muss man immer darauf zurückkommen, dass Gott der letzte Grund des Heils, der Gnade, des Glaubens und der Erwählung in Jesu Christo ist. Selbst wenn die Auswahl die Ursache oder die Folge der Absicht Gottes, den Glauben zu gewähren, ist, so bleibt es doch immer wahr, dass er den Glauben und das Heil austheilt, wie es ihm beliebt ohne dass ein Grund für seine Auswahl sich zeigt, die nur auf eine sehr kleine Zahl von Menschen trifft.
5. Es ist also ein schreckliches Ergebniss dass Gott, indem er seinen einzigen Sohn für die ganze Menschheit hingiebt, und er der einzige Urheber und Herr des Heils der Menschen ist, doch nur so wenige rettet und alle andern seinem Feinde, dem Teufel überlässt, der sie in Ewigkeit quält und ihrem Schöpfer fluchen macht, obgleich doch alle geschaffen worden sind, um seine Güte, seine Gerechtigkeit und übrigen Vollkommenheiten auszubreiten und zu offenbaren. Dies Ereigniss ist um so erschreckender, als alle diese Menschen nur deshalb ewig unglücklich sind, weil Gott ihre Voreltern einer Versuchung ausgesetzt hat von welcher er wusste, dass sie ihr nicht wiederstehen würden; dass diese Sünde den Menschen anhängt und zugerechnet wird, noch ehe ihr Wille sich dabei betheiligt hat, dass diese Erbsünde ihren Willen bestimmt, wirkliche Sünden zu begehen und dass eine Unzahl Menschen, Kinder und Erwachsene, die niemals von Jesus Christus, dem Heiland der Menschheit, haben sprechen hören oder ihn nicht hinreichend verstanden haben, sterben, bevor sie die Hülfe erhalten, um sich von diesem Abgrund der Sünde zurückzuziehen; die zu ewigen Empörern gegen Gott verurtheilt und dem schrecklichsten Elend in Gemeinschaft mit den abscheulichsten der Geschöpfe hingegeben sind, obgleich doch im Grunde diese Menschen nicht schlechter als die andern gewesen sind obgleich vielleicht manche von ihnen weniger schuldig gewesen sind, als jene kleine Zahl der Auserwählten, welche eine Gnade ohne Grund gerettet worden sind und dadurch eine ewige Seligkeit geniessen, die sie nicht verdient haben. – Dies ist eine kurze Darstellung der Schwierigkeiten,...