Prolog
Die Religion, in deren Namen die arabischen Heere in der ersten Hälfte des siebten Jahrhunderts die Arabische Halbinsel verließen und binnen weniger Jahrzehnte Palästina, Nordafrika und Syrien eroberten, ist bis heute eine starke Kraft in der Weltpolitik. Woher diese Kraft kam, liegt heute genauso im Dunkeln wie damals, und der tendenziöse Charakter der meisten Quellen, die über diesen großen Umbruch berichten, war für Historiker ebenso hinderlich wie ihre eigenen Vorurteile. Nichtmuslimen, insbesondere Juden und Christen, fällt es schwer, angesichts der Welle muslimischer Eroberungen, die über die antiken Kulturen des Nahen Ostens hinweglief, sachlich zu bleiben. Nicht weniger schwer fällt es Muslimen, wissenschaftliche Strenge auf das Wort Gottes und eine historiographische Tradition zu verwenden, die deutlich späteren Datums ist als die Ereignisse, über die sie berichtet. Doch angesichts der immensen Autorität des Islams in der modernen Welt ist es für beide Seiten heute mehr denn je geboten, diese Mühen auf sich zu nehmen.
Die Pioniergeneration westlicher Islamwissenschaftler, unter ihnen Theodor Nöldeke, Julius Wellhausen und Ignaz Goldziher, bediente sich der Methoden der Klassischen Philologie, die Erasmus von Rotterdam und Wilhelm Gesenius erfolgreich auf das Studium des Neuen Testaments und der Hebräischen Bibel übertragen hatten. Für diese Wissenschaftler waren die alten Texte kritischer Analyse zugänglich. Inschriften, Papyri, Münzen und archäologische Ausgrabungen konnten diese Analyse ergänzen. Doch was den Islam betrifft, so hielt bekanntlich die Autorität des Korans als geoffenbartes Wort Gottes der Herausforderung durch Erasmus’ Methode stand, gab es doch eine große zeitliche Kluft zwischen seiner Entstehung (wann und wie auch immer) und sehr viel späteren Berichten über den Kontext, dem er entstammte. Es dauerte fast zwei Jahrhunderte, bis muslimische Exegeten über ein Korpus an Quellen verfügten, die über die Entstehung ihrer Religion Aufschluss gaben. Doch in der Zwischenzeit hatte bereits ein komplizierter Prozess der Überlieferung und Umgestaltung stattgefunden. In diesen zwei Jahrhunderten waren nichtmuslimische Chronisten, Interpreten und Historiker in einer Vielzahl von Sprachen – vor allem Griechisch, Lateinisch, Armenisch, Syrisch und Arabisch – am Werk gewesen. Sie hatten sich des vorhandenen Materials großzügig bedient, das Spuren in ihren Schriften hinterließ, obwohl sie natürlich auch eine eigene doktrinäre Sicht vertraten.
Drei neuere Bücher veranschaulichen das Dilemma, mit dem jeder konfrontiert ist, der sich mit dem Schmelztiegel beschäftigt, in dem der Islam geformt wurde.[1] Auch wenn kaum ein Zweifel daran besteht, dass dieser Schmelztiegel im Nordwesten der Arabischen Halbinsel lag, trugen Kontakte zwischen dieser Region und den benachbarten Kulturen Palästinas, Himyars, Äthiopiens und Persiens unweigerlich dazu bei, ein explosives Gemisch zu schaffen. Dasselbe gilt für die Traditionen des Polytheismus, der hier seit Langem heimisch war, aber auch für die jüdischen und christlichen Gemeinden jüngeren Datums, deren Entwicklung von Feindseligkeit und blutiger Gewalt geprägt war. Die drei neuen Bücher untersuchen den Aufstieg des Islams auf sehr unterschiedliche Weise, folgen aber alle dem bekannten Weg, der mit Mohammeds Geburt in Mekka um 570 und den Offenbarungen beginnt, die er durch Gabriel empfing, und sich mit seiner Auswanderung (Hidschra) nach Medina im Jahr 622 fortsetzt. Auf der Grundlage überlieferter Datierungen von Schlachten und Eroberungen übernehmen alle drei Bücher das Jahr 632 als das kanonische Datum von Mohammeds Tod und untersuchen anschließend die turbulente Herrschaft der vier sogenannten rechtgeleiteten Kalifen in der Nachfolge des Propheten vor der Gründung der Umayyaden-Dynastie in Damaskus um 661.[2] Doch in der Unterschiedlichkeit ihres Ansatzes verdeutlichen diese drei Bücher die Probleme, die mit der Erzählung der Geschichte vom Aufstieg des Islams verbunden sind.
Fred Donner schildert in seinem Buch Muhammad and the Believers die Geschehnisse in Form einer chronologischen Erzählung, die Zitate aus dem Koran und anderen frühen Dokumenten mit Zeugnissen aus den traditionellen muslimischen Quellen späterer Jahrhunderte vermischt. Er zeichnet ganz bewusst ein grundsätzlich sympathisches und wohlwollendes Bild der frühen Muslime, das gerade in der heute so angespannten politischen Situation akzeptabel sein könnte. Deshalb nennt er sie auch beharrlich «die Gläubigen», was selbstverständlich eine völlig korrekte Wiedergabe der Bezeichnung ist, die für die Anhänger Mohammeds oft verwendet wurde. Donner ist überzeugt, dass die Gemeinschaft der Gläubigen weitaus ökumenischer war, als viele andere Historiker dachten, und dass ihre Mitglieder offen waren für den Kontakt mit Juden und Christen und empfänglich für deren Ansichten. Donners Lesern ist schnell aufgefallen, dass seine Darstellung der islamischen Ursprünge eine erste Generation von Muslimen porträtiert, die weit weniger bedrohlich wirken, als es den Juden und Christen jener Zeit und den meisten Historikern seither erschien. Dabei übersieht er keineswegs die zahlreichen Zwistigkeiten und blutigen Auseinandersetzungen der Gläubigen mit Anhängern anderer Religionen, aber auch mit vielen aus ihren eigenen Reihen.
Robert Hoyland folgt in seinem Buch God’s Path, einer Geschichte der arabischen Eroberung und der Gründung eines islamischen Reiches, einem Ansatz, der spätere und tendenziöse Texte als Quellen für die Frühzeit des Islams weitgehend ausklammert. Hierzu zählen nicht nur die arabischen Texte des Hadith, sondern auch die arabische Geschichtsschreibung (vor allem al-Tabarī), die arabisch-christliche Geschichtsschreibung (wie Agapius), zahlreiche syrische Chroniken sowie griechische Geschichtsdarstellungen wie die umfangreiche Chronographia von Theophanes dem Bekenner. Theophanes stützte sich auf heute verlorene Quellen, welche ihrerseits auf Quellen beruhten, die zu seiner Zeit bereits verschwunden waren. Da bis zum neunten Jahrhundert muslimische historische Quellen zur Frühzeit des Islams fehlen, beschloss Hoyland, sich auf jene erhaltenen Texte zu beschränken, die ausschließlich aus den ersten beiden Jahrhunderten der islamischen Ära stammen und somit ihre Autorität aus ihrer Nähe zu den geschilderten Ereignissen beziehen.
Doch diese Vorgehensweise ist riskant, handelt es sich doch zwangsläufig um christliche und jüdische Quellen, die zwar den Ereignissen, über die sie berichten, zeitlich nahestehen, aber auch unmittelbarer von ihnen gefärbt sind. Wie nicht anders zu erwarten, weisen sie eine unterschwellige Antipathie gegenüber den Muslimen auf. Diese Schwäche gleicht Hoyland geschickt dadurch aus, dass er sich den Völkern an den Rändern des muslimischen Territoriums zuwendet. Damit gewinnt er eine breitere Sicht auf die Ereignisse jener Epoche. Er richtet seinen Blick auf das weiter entfernte Georgien, nach Armenien und Zentralasien und kann durch Vergleiche nachverfolgen, welche Fehler die zeitgenössischen oder fast zeitgenössischen nahöstlichen Autoren in ihre Erzählungen einfließen ließen, sei es in böswilliger Absicht oder irrtümlich.
Hoylands Ansatz birgt jedoch die große Gefahr, dass wirklich aufschlussreiche Informationen, die die späteren muslimischen Berichte beisteuern könnten, außer Acht gelassen werden. Ein Historiker muss gegenüber dem Tendenziösen von Quellen stets wachsam bleiben, aber es ist nicht immer gerechtfertigt, sie vollständig zu verwerfen. Gefordert ist vielmehr eine sorgfältige Untersuchung der verschiedenen Versionen ein und derselben Geschichte, um ihre Konturen zu bestimmen, aber auch die Verzerrungen, denen sie unterworfen war. Dies hat in vorbildlicher Weise Maria Conterno in ihrer Analyse der Quellen getan, die Theophanes’ Darstellung der beiden Jahrhunderte vor seiner Zeit zugrunde lagen.[3]
Die bei Weitem umfangreichste, gründlichste und am sorgfältigsten dokumentierte Darstellung der Anfangsjahre des Islams ist das dritte der jüngst erschienenen Bücher. Aziz al-Azmehs The Emergence of Islam in Late Antiquity hat aufgrund seines immensen Umfangs und seiner Tiefe in der modernen Forschung nicht seinesgleichen. Im Unterschied zu Donner und Hoyland versucht al-Azmeh gar nicht erst, eine kohärente Erzählung vom Aufstieg des Islams zu liefern, sondern zeichnet ein Bild der Kultur insgesamt, in der der Islam entstand. Al-Azmeh entfaltet seine Argumentation in einer dichten und oft theoretisch anmutenden Sprache, aber er weiß, was er tut. Vor allem kennt er die arabischen Quellen sehr genau und verfügt über außergewöhnlich gute Griechischkenntnisse, wie sie heute nur wenige...