1 Raus aus der Gefühlsfalle
Der Mensch ist nicht zum Vergnügen, sondern zur Freude geboren.
Paul Claudel
Zu viel Herz
Dass Frauen am Arbeitsplatz immer noch benachteiligt werden, was Gehalt, Anerkennung, Weiterbildungs- und Aufstiegschancen betrifft, ist sattsam bekannt. Ist Ihnen jemals der Gedanke gekommen, dass daran nicht allein die widrigen Umstände schuld sind? Betrachten wir ein Beispiel aus der Praxis.
Petra weiß, dass sie als Projektleiterin den ewigen Bedenkenträger Hans im Meeting in die Schranken weisen müsste. Doch Petra hat Mitleid mit ihm: Hans hat zurzeit familiäre Probleme. Deshalb schont sie ihn. Nach dem etwas unruhigen Meeting sagt ihr Abteilungsleiter, der an der Sitzung teilnahm: „Ihr Projekt kommt gut voran. Aber Ihr Team haben Sie nicht im Griff!“ Petra ist in seinen Augen nicht „führungstauglich“. Den Projekterfolg führt er auf die Kompetenz des Teams, nicht auf Petras Führungs- und Fachkompetenz zurück.
Der weibliche Führungsstil – ein Eigentor?Nicht nur, dass er damit eine grobe Fehleinschätzung begeht und Petra bitter Unrecht tut. Er enthält ihr auch ihre verdiente Anerkennung vor. Bei der nächsten Gehaltsverhandlung oder Aufgabenverteilung wird er ihr die vermeintliche Schwäche aufs Butterbrot schmieren. Die erhoffte Beförderung zur Group Pro-duct Managerin kann sie sich abschminken und muss bitter enttäuscht mit ansehen, wie ein weniger kompetenter Kollege die Position bekommt, die eigentlich ihr zusteht.
Petra wird ganz offensichtlich im Beruf benachteiligt. Und das, obwohl ihr Abschluss, ihre Fach- und Führungskompetenz und ihre Projekterfolgsbilanz eindeutig besser sind als die ihrer männlichen Kollegen. Sie wird benachteiligt: nicht weil sie eine Frau ist, sondern weil sie wie eine Frau führt: emotional. Und immer noch preisen Frauenzeitschriften und Führungsbücher den weiblichen Führungsstil. Ich und mit mir Zehntausende Frauen wie Petra fragen uns, warum.
Frauen fühlen – deshalb werden sie benachteiligtDer „typisch weibliche Führungsstil“ ist im Falle Petras ein sattes Eigentor mit Anlauf. Geradezu absurde Züge nimmt Petras Benachteiligung an, wenn wir erfahren, dass Petra sehr wohl weiß, wie ein Kritikgespräch zu führen ist, wie man moderiert. Sie beherrscht alle dafür nötigen Kommunikations- und Führungstechniken – nachweislich besser als jeder ihrer Kollegen. Das zeigen zig Rollenspiele in Führungsseminaren.
Viele Frauen sind ihren männlichen Kollegen in Abschluss, Qualifikation, Erfolgsbilanz, Fach- und Führungskompetenz weit überlegen. Doch diese Überlegenheit verwandelt sich oft in eine Unterlegenheit, wenn Frauen über ihre Gefühle stolpern. Für Frauen im Beruf ergibt sich daraus eine unerhörte Frage: Dürfen wir unseren Gefühlen nicht länger trauen?
Frauen in der Gefühlsfalle
Frauen stolpern im Beruf (und anderswo) recht häufig über ihre Gefühle. So häufig, dass dafür allerlei Empfehlungen entwickelt wurden. Viele Bücher und Trainer raten zum Beispiel: „Manche Entscheidungen müssen aus dem Kopf, andere aus dem Bauch getroffen werden!“ Hört sich vernünftig an.
Lassen Sie sich Ihre Gefühle nicht verbieten!Haben Sie das mal probiert? Diesem Rat zu folgen hieße, fallweise die eigenen Gefühle zu ignorieren. Petra müsste also ihr Mitgefühl mit Hans ignorieren und rein aus dem Kopf heraus entscheiden, Hans zurechtzuweisen.
Gefühle sind zum Fühlen daWenn sich Ihnen dabei der Magen verknotet, darf ich Sie zu Ihrer emotionalen Intelligenz beglückwünschen: Die eigenen Gefühle zu ignorieren und nur nach dem Kopf zu entscheiden erfordert a) eine Unmenge ermüdender Disziplin, tut b) nicht gut und hält c) keine Frau lange aus (weil gegen die eigenen Gefühle zu leben eben unheimlich Energie verbraucht und emotional belastet). Frauen sind nun einmal hoch emotionale Wesen. Von einem Mann würde man in Petras Situation auch nicht verlangen: „Verlass dich einfach auf dein Gefühl und schon Hans heute mal!“ Da würde sich (fast) jeder Mann an die Stirn tippen!
Also hört Petra auf ihr Gefühl. Aber wenn es ihr doch das Falsche rät! Wer behauptet das? Was fühlt Petra denn? Mitgefühl mit Hans. Was tut sie darauf? Beide Augen zudrücken, wenn er das Meeting stört. Und nun die 1000-Euro-Frage: Was hat das eine mit dem anderen zu tun?
Gefühle sind keine Gedanken!
Hat Petras Bauch ihr etwa gesagt: „Weis ihn nicht zurecht!“? Nein, er hat ihr nur gesagt: „Ich empfinde Mitgefühl mit Hans!“ Emotionale Intelligenz heißt deshalb zuerst einmal: Gefühle von Gedanken unterscheiden (lernen).
Bitte verwechseln Sie Gefühle nicht mit Gefühlsinterpretationen! Gefühle kommen aus dem Bauch, Interpretationen aus dem Intellekt.
Gefühle sagen Ihnen so gut wie nie, was Sie tun sollen. Sie sagen Ihnen lediglich, was Sie fühlen sollen.
Gefühle sind zum Fühlen da – deshalb heißen sie so! Sie heißen nicht „Ratschläge“. Das bedeutet – und das ist die gute Nachricht: Sie können Ihren Gefühlen voll und ganz vertrauen. Gefühle lügen nicht! Der Irrtum beginnt erst da, wo die unbewusste Interpretation einsetzt. Vertrauen Sie Ihren Gefühlen – aber nicht (immer) den Gedanken, die Ihr Verstand den Gefühlen andichtet!
Petra weiß inzwischen, dass ihr Mitgefühl mit Hans nicht unbedingt bedeutet, dass sie ihn nicht zurechtweisen darf. Sie kann Mitgefühl für Hans empfinden und sich gleichzeitig Gedanken machen, wie sie ihn höflich, aber bestimmt wieder ins Boot holt. Sie muss weder allein aus dem Bauch noch allein aus dem Kopf heraus entscheiden. Sie kann auf Kopf und Bauch gleichzeitig hören, womit sich Frauen weitaus wohler fühlen, weil es authentischer, weiblicher, harmonischer ist.
Beliebte Gefühlsfallen
Eigentlich ist das, was mit Frauen täglich passiert, doch recht verrückt: Frauen wissen oft ganz genau, was in einer bestimmten Situation zu tun wäre. Sie können es auch meist besser als die anwesenden Männer. Doch sie tun es nicht. Weil ihnen ihre Gefühle in die Quere kommen. Ahnten wir es nicht längst?
Unsere Gefühle sind der Schlüssel zu Erfolg und Zufriedenheit in Beruf und Privatleben – nicht Intelligenz, Erfahrung, Kompetenz oder Kommunikationstechniken.
Natürlich brauchen wir alle jede Menge Intelligenz, Erfahrung, Kompetenz und Kommunikationstechniken. Doch wenn unsere Gefühle beziehungsweise unsere Gefühlsinterpretationen verrückt-spielen, nützt uns die tollste Führungstechnik herzlich wenig und wir tappen in die Gefühlsfalle. Das passiert sehr oft. Ich habe einige Beispiele von Seminarteilnehmerinnen gesammelt:
Frauen in der Falle- ❑ „Sobald Kollege X mit Thema Y ankommt, kann ich nicht mehr vernünftig mit ihm reden, sondern gehe voll auf die Palme!“
- ❑ „Wenn mein Chef länger als zwei Minuten mit einer Kollegin spricht, reagiere ich verunsichert: Brüten die was gegen mich aus?“
- ❑ „Ich rege mich fürchterlich auf, wenn der Chef seine Lieblinge bevorzugt.“
- ❑ „Wenn ein Kollege mal nicht grüßt oder grimmig dreinschaut, beziehe ich das sofort auf mich und zerbreche mir den Kopf, warum er sauer ist auf mich.“
- ❑ „Mein Partner neidet mir meinen beruflichen Erfolg.“
- ❑ „Wenn mir ein Missgeschick passiert und andere schadenfroh reagieren, verletzt mich das viel zu sehr.“
- ❑ „Mit Kritik kann ich nicht umgehen. Ich fühle mich dabei viel zu schnell persönlich angegriffen.“
- ❑ „Wenn einer mit einem Killerspruch kommt wie ‚Dumme Tussi!‘, dann fällt mir...