1 Dialektisch-Behaviorale Therapie (DBT)
Maik Voelzke
In diesem Kapitel werden allgemeine Informationen zur DBT gegeben, die therapeutische Grundhaltung und einzelne, für fachtherapeutische Berufsgruppen relevante Therapiebausteine vorgestellt. Ziel ist es, einen Einblick in die Grundlagen der DBT zu geben und erste Anregungen zur Entwicklung einer eigenen dialektischen Haltung zu vermitteln.
1.1 Allgemeine Informationen
In den 1970er- und 80er-Jahren befasste sich ein Forscherteam unter Leitung von Prof. Marsha Linehan mit dem Thema, wie man chronisch suizidale Frauen, die bis dahin als nicht therapierbar galten, wirkungsvoll behandeln kann. Sehr schnell wurde klar, dass klassisch veränderungsorientierte Verhaltenstherapie nicht zum Erfolg führte, solange die akzeptanzorientierten Behandlungselemente fehlten. Diese Anteile fand M. Linehan unter anderem in der Gesprächspsychotherapie und in der Zen-buddhistischen Praxis der Achtsamkeit. Durch das Hinzufügen der akzeptanzorientierten Anteile wurde es nun möglich, eine Balance zwischen Akzeptanz und Veränderung zu schaffen. Um der Bedeutung des Ausbalancierens noch mehr Gewicht zu geben, wurde die ursprüngliche Bezeichnung »Paradoxe Verhaltenstherapie« verworfen und durch die Bezeichnung »Dialectical Behavioral Therapy – DBT« ersetzt. Das erste Therapiemanual sowie das Manual zum Skillstraining erschienen 1993 (Linehan 1993 a, b).
In Deutschland, konkret in Freiburg, wurde DBT 1994 von der Arbeitsgruppe um Prof. Martin Bohus erstmals stationär implementiert. Da es sich bei der DBT originär um eine ambulante Therapie handelt, mussten in verschiedenen Bereichen (z. B. Skillstraining, Körpertherapie) Anpassungen vorgenommen werden. Das stationäre Behandlungsprogramm erstreckt sich in Freiburg über einen Zeitraum von drei Monaten.
Inzwischen ist die DBT weiterentwickelt und modifiziert worden:
- DBT-S bei Suchterkrankungen (Linehan et al. 1999)
- DBT bei Essstörungen (Telch et al. 2001)
- DBT bei Depressionen (Lynch et al. 2003; 2007)
- DBT stationär (Bohus et al. 2004)
- DBT-A für Adoleszente (Rathus u. Miller 2002)
- DBT als Krisenintervention (McQuillan et al. 2005)
- DBT-F in der Forensik (McCann u. Ball 2000)
- DBT-ACES als zweite Therapiephase nach der Akutphase (Comtois et al. 2006)
- DBT für Eltern, Paare und Familien (Fruzzetti 2006)
- DBT-PTBS bei Posttraumatischer Belastungsstörung (Bohus et al. 2011)
Wenn man sich die DBT als ein Haus vorstellt, ist das Fundament der Behandlungsvertrag, der zwischen Behandlerteam und Patienten abgeschlossen wird. Die zwei tragenden Säulen des Hauses sind 1. die therapeutische Haltung und 2. die zur Anwendung kommenden Behandlungstechniken. Auf den Säulen ruht das Dach, die DBT.
Wie bereits erwähnt werden aus Gründen der Komplexität in diesem Kapitel die für Ergotherapeuten relevanten Behandlungstechniken ausführlich erläutert.
1.2 Therapeutische Grundhaltungen
Das therapeutische Verständnis in der DBT kann gut mit dem Vertrag eines Fußballvereines mit einem Trainer verglichen werden. Der Trainer (DBT-Therapeut) vereinbart mit dem Verein den Aufstieg in die Zweite Bundesliga innerhalb von zwei Jahren (Therapieziel) und legt ein Erfolg versprechendes Konzept vor (DBT), in dessen Rahmen beide arbeiten werden. Dabei achtet der Trainer darauf, dass die Mannschaft sowohl im Training als auch im Spiel alles gibt (Fordern) und nach schweren Spielen eine angemessene Regenerationsphase erhält (wohlwollendes Sorgen). Der Trainer wird darauf achten, dass es eine angemessene Ausgewogenheit zwischen Belastung und Entlastung gibt (Dialektik). Der Trainer ist davon überzeugt, dass die Mannschaft alles gibt, um das Ziel zu erreichen. Er ist der Mannschaft nicht nur bei Erfolgen freundlich zugewandt und spricht Lob aus, sondern auch Niederlagen werden wohlwollend analysiert. Und anstatt nur zu trösten, wird er gemeinsam mit der Mannschaft nach Lösungen suchen. Diese Lösungen behält er im Auge und hilft der Mannschaft von der Seitenlinie aus, diese umzusetzen. In besonders schwierigen Spielen, wenn es auf der Kippe steht oder alles verloren scheint, steht er der Mannschaft zur Seite, indem er jeden einzelnen Spielzug laut und wild gestikulierend ins Feld ruft. Auf der anderen Seite sichert die Mannschaft zu, alles in ihrer Macht Stehende zu tun, um seine Anweisungen umzusetzen, bis zur Erschöpfung zu kämpfen und niemals ein Spiel, egal wie schlecht es gerade aussieht, verloren zu geben.
1.2.1 Therapeutische Grundannahmen
Wie in anderen Therapieformen wird auch in der DBT die therapeutische Grundhaltung von Wertschätzung und Empathie getragen. Bei der Behandlung von Borderline-Patienten kommt es immer wieder zu schwierigen Situationen, die den Behandler belasten, z. B. selbstverletzendes Verhalten oder Suizidversuche. Deshalb sind in der DBT explizit acht Grundannahmen entwickelt worden, die es dem Behandlerteam auch unter schwierigen Situationen ermöglichen, die beste DBT durchzuführen.
Diese Grundannahmen muss jeder Behandler verinnerlichen. Dabei ist es nicht ausschlaggebend, diese wortgetreu wiedergeben zu können, wichtiger ist es, sich ihren Inhalt und ihre Bedeutung während der Behandlung immer wieder vor Augen zu halten.
Dies bedeutet im Gegenzug aber nicht, über die eigenen Grenzen zu gehen. Die Grundannahmen weisen den Weg und helfen, den Abstand zu Patienten zu wahren, um nicht z. B. in Beziehungskonflikte zu geraten, sondern sich ganz auf die Arbeit mit den Patienten in der Therapie konzentrieren zu können.
Die oft dysfunktionalen Verhaltensweisen der Patienten werden vom Behandlungsteam als sehr belastend erlebt und gerade bei nicht störungsspezifischer Behandlung nicht als Versuch der Problemlösung erkannt. Dies hat zur Folge, dass den Patienten »Manipulation« und ungenügende Bereitschaft, sich in der Therapie anzustrengen, zur Last gelegt wird. Suizidandrohungen und selbstverletzendes Verhalten werden als »Erpressungsversuch« gewertet, um z. B. den stationären Aufenthalt zu verlängern oder den Urlaub des Therapeuten zu verhindern. Beim Formulieren der Grundannahmen hat Linehan gängige Vorurteile aufgegriffen.
Die acht Grundannahmen sind:
- Patienten geben sich wirklich Mühe.
- Patienten wollen sich verändern.
- Patienten müssen sich stärker anstrengen und härter arbeiten, um sich zu verändern.
- Patienten haben ihre Schwierigkeiten nicht alle selbst verursacht, aber müssen sie selber lösen.
- Das Leben suizidaler Borderline-Patienten ist so, wie es gegenwärtig gelebt wird, nicht auszuhalten.
- Patienten müssen neues Verhalten in allen relevanten Lebensbereichen erlernen.
- Patienten können in der Therapie nicht versagen.
- Therapeuten, die Borderline-Patienten behandeln, brauchen Unterstützung.
Wenn Sie diese Grundannahmen gelesen haben, möchte ich Sie bitten, einmal an Ihren »schlimmsten Patienten« zu denken. Gibt er sich wirklich Mühe? Möchte er sich wirklich verändern (Annahme 1 und 2)? Ja, er gibt sich Mühe, sonst wäre er längst tot. Er möchte sich verändern, denn sonst wäre er nicht in der Therapie. Wenn der Patient sich funktionaler verhalten könnte, würde er dies tun!
Warum muss er sich härter anstrengen, um sich zu verändern (Annahme 3)? Patienten haben bisher alles gegeben, um im Leben zurechtzukommen. Dies war schwer genug. Jetzt müssen sie sich trotzdem noch mehr anstrengen und noch härter arbeiten, um sich zu verändern.
Die vierte Grundannahme beleuchtet eine große Herausforderung für Patienten: Dinge zu verändern, die sie nicht verursacht haben (▶ Kap. 3.3). Folgende Metapher ist hilfreich: Stellen Sie sich vor, Sie laufen auf einer schmalen Uferstraße an einem Fluss entlang. Plötzlich springt jemand aus dem Gebüsch und stößt Sie ins Wasser. Sie sind da nicht allein hineingesprungen, nein, das wollten Sie überhaupt nicht. Aber um nicht zu ertrinken, müssen sie alles selbst unternehmen, um ans Ufer zu kommen.
Die fünfte Grundannahme ist als Appell an den Therapeuten zu verstehen, dass seine chronisch suizidalen Patienten sich den Gedanken an Suizid als letzte Tür offenlassen.
Warum sollten Patienten in allen relevanten Lebenslagen neues Verhalten lernen (Annahme 6)? Man könnte auch andersherum fragen: In welchem Lebensbereich spielen Emotionen keine Rolle? Außerdem ist diese Grundannahme nützlich, um den Patienten davon zu überzeugen, dass Skills auch in »ruhigen Zeiten« geübt und eingesetzt werden müssen. Patienten können nicht versagen (Annahme 7)? Verglichen mit einem Werkzeugkoffer hat die DBT einiges an Werkzeugen zu bieten. Manchmal ist jedoch nicht das richtige Werkzeug dabei und die DBT oder der Therapeut sind angehalten, nach einem geeigneten Werkzeug Ausschau zu halten oder es zu entwickeln und in den Koffer zu tun. Diese Grundannahme ist eine Aufforderung an die DBT nicht stehenzubleiben, sondern sich weiterzuentwickeln und zu verbessern.
Warum benötigen Therapeuten, die mit Borderline-Patienten arbeiten, Unterstützung (Annahme 8)? Linehan sagt, dass die Behandlung von Borderline-Patienten als »Einzelkämpfer« grob fahrlässig...