Rund um den Kranz
welch ein Schimmer
Winter-Zeit
Viele Menschen mögen den Winter nicht. Zu kalt, zu dunkel, zu erstarrt, sagen sie. Keine Blumen, keine Vögel, kein Leben. Aber der Schein trügt. Unter der Schneedecke keimt schon die neue Saat. Tief im Boden, in den Wurzeln der Bäume regt sich bereits die Lebenskraft für den kommenden Frühling. Die Natur hat sich in sich selbst zurückgezogen, um in der Ruhe neue Kräfte zu sammeln.
Auch wir brauchen manchmal solche Zeiten der Ruhe, in denen still wachsen kann, was später lebendig werden soll. Sich eine Weile „bedeckt halten“, reifen lassen, sich zurückziehen und auf die eigene Mitte besinnen. Atem holen und Energien sammeln und in der Verborgenheit abwarten, welche neuen Knospen das Leben hervorbringen will.
Wir verlieren etwas, wenn wir den Winter verdrängen; wenn wir die Abende hell beleuchten wie die Sommernächte und unsere Geschäfte fortführen im gewohnten Tempo; wenn unsere Wege sich nach außen verlieren und die Tür verschlossen bleibt, die nach innen führt.
Wenn uns die Grünkraft des Frühlings am Herzen liegt, sollten wir uns die Winterzeit gönnen. Sie wird uns guttun.
Alle Jahre wieder
Die Weihnachtszeit ist die Zeit der Kindheitserinnerungen. Die Kerzen am Adventskranz anzünden, Plätzchen backen, den Wunschzettel schreiben für das Christkind – der Zauber vergangener Tage wird wieder wach. Bilder, Klänge, Düfte – aus einer Welt, die wir noch mit Kinderaugen gesehen haben.
Vielleicht berührt deshalb die Romantik der Weihnachtsmärkte und die adventliche Stimmung in den Straßen unser Herz, weil darin die Sehnsucht mitschwingt nach einer vergangenen Zeit, nach einer verlorenen Welt: als das Leben noch so einfach war, voller Geborgenheit und Wärme, als wir noch Träume hatten und an das Christkind glaubten.
Längst sind wir aufgewacht. Wir wissen, dass der Alltag nicht aus „O du fröhliche …“ besteht. Wir kennen die Nachrichten. Wir sind zu realistisch für Familienidylle und heile Welt.
Und trotzdem: Alle Jahre wieder holt sie uns ein, die Sehnsucht unserer Kindertage. Und auch wenn wir schon alt sind, halten wir Ausschau nach dem Stern, träumen von der Liebe und hoffen auf den Frieden, von dem die Engel gesungen haben in jener Nacht.
Es ist ein Schimmer des Paradieses, der aufleuchtet an Weihnachten, eine Ahnung von jener heilen Welt, die Gott seit den Tagen der Schöpfung uns zugedacht hat. „Wir essen Brot, aber wir leben vom Glanz“, sagt die Dichterin Hilde Domin. Es ist gut, dass uns die Adventszeit alle Jahre wieder daran erinnert, wer wir sein könnten und was die Welt sein könnte. In den Lichtern all der Weihnachtsbäume spiegelt sich ein Abglanz der Herrlichkeit Gottes und jenes „Licht aus der Höhe“, das an Weihnachten in die Welt gekommen ist.
Von Menschen und Mäusen
Ein bekanntes Bilderbuch erzählt von der kleinen Maus Frederick. Während die anderen Mäuse im Sommer Vorräte sammeln für den Winter, liegt Frederick in der Sonne, genießt das Leben und träumt. Als ihm seine Freunde vorwerfen, er sei ein Faulpelz, antwortet Frederick: „Ich sammle auch etwas. Ich sammle Farben, ich sammle Worte und ich sammle Sonnenstrahlen, denn der Winter wird grau und kalt.“
Bald ist der Sommer vorbei. Im Winterquartier der Mäuse gibt es genug zu essen – man hatte ja reichlich Vorräte gesammelt –, doch trotzdem breitet sich Niedergeschlagenheit aus. Es ist düster und frostig, und eintönig verrinnen die Tage. Da teilt Frederick seine gesammelten Worte. Er erzählt vom Sommer, von seinen Erlebnissen und Begegnungen, und es ist, als kehrten in die Höhle der Mäuse Farben und Sonnenstrahlen zurück.
Natürlich wäre Frederick verhungert ohne die gesammelte Nahrung der anderen, aber auch er hat etwas Wichtiges beizusteuern für das Leben der Gemeinschaft. Die anderen arbeiten, er lebt. Und er sammelt dabei Erfahrungen, saugt sich voll mit den Farben dieser Welt, speichert in seinem Herzen die Strahlen der Sonne. Die Maus lebt nicht vom Käse allein, das zeigt sich, als der Winter kommt.
Bei uns Menschen ist das nicht anders. Wer über der Arbeit vergisst zu leben, findet sich bald in der grauen Höhle der Freudlosigkeit. Vergiss die Farben nicht, vergiss die Wärme nicht, sonst ist dir bald kalt ums Herz. Wenn dir die Worte abhandenkommen, wenn du keine Geschichten mehr zu erzählen hast, dann wird es Zeit, neue Vorräte zu suchen. Dann wird es Zeit, dass du Begegnungen und Gesprächen wieder mehr Raum gibst, dass du dir das Herz wärmen lässt und Farbe in dein Leben bringst.
Es gibt Phasen im Leben, da ist es wichtig, sich selbst etwas Gutes zu tun. Ausgebrannt und ausgelaugt dienen wir niemandem. Nicht „Schaffe, schaffe, Häusle baue …“ ist unser erster Auftrag. Die Welt soll farbiger werden und wärmer durch uns, und die Hoffnung soll ein kleines Stück wachsen dürfen. Der Advent ist eine gute Zeit dafür.
Eine Nikolausgeschichte
In der Adventszeit herrscht gewöhnlich Hochbetrieb im Himmel. Es ist selbst für Engel ein gewisser Stress, alles vorzubereiten für den Nikolausabend und den Weihnachtstag.
Dieses Jahr aber war alles anders. Eine merkwürdig depressive Stimmung hing in der Luft. „Mit Sankt Nikolaus stimmt etwas nicht“, so raunten sich die Engel vielsagend zu und durch die Scharen der Heiligen ging ein aufgeregtes Wispern.
Der Erzengel Gabriel machte sich nicht viel aus Gerüchten und beteiligte sich grundsätzlich nicht an den himmlischen Tratschgeschichten, aber auch ihm konnte nicht entgehen, dass der heilige Nikolaus trübsinnig auf der Kante seines Schlittens hockte und gedankenverloren die Rentiere mit Rüben fütterte. Gabriel war besorgt. Majestätisch schwebte er heran: „Was ist dir, ehrwürdiger Bruder?“ Die Stimme des Erzengels stand wie ein heller Glockenton im Raum. „Der Nikolausabend naht, und du machst keine Anstalten, deine üblichen Vorbereitungen zu treffen. Was ist es, das dein Herz beschwert?“
Der Heilige schaute auf. „Ich werde auf der Erde nicht mehr gebraucht“, sagte er mit leiser Stimme. „Die Menschen haben keine Träume mehr. In ihren Herzen ist kein Platz mehr für Sehnsucht oder Hoffnung. Das Geheimnis der Weihnachtszeit ist übertönt von Lärm, zugeschüttet mit Einkaufstüten, verloren gegangen in den adventlichen Märkten und Feiern. Wo man einst vom Fest der Liebe gesprochen hat, da heißt es jetzt: ‚Geiz ist geil.‘ Sieh her, was sie aus mir gemacht haben: Früher einen Kinderschreck mit der Rute, heute: Nicola – die sexy Schokoladenfrau. Wer kennt noch meine Geschichte? Bei Günter Jauch hat neulich ein Kandidat meinen Beruf nicht gewusst. Er schwankte zwischen Rentierzüchter, Paketzusteller und Schauspieler. Was soll ich noch auf der Erde? Die Köpfe sind voll, die Herzen sind voll: kein Platz mehr für Träume, kein Raum für die Sehnsucht, kein Ort für die Hoffnung. Wie soll es da Advent, wie soll es Weihnachten werden?“
Lange schwieg Gabriel. Seine Gedanken wanderten zurück, als er selbst in dunkler Zeit als Bote unterwegs war, als er einer Frau die Geburt eines Sohnes verkündete und als er im Traum das Herz eines Mannes berührte. „Keine Träume, keine Sehnsucht, keine Hoffnung?“, sagte er leise. „Selbst wenn du recht hast: Was soll aus den Menschen werden, wenn die Lichter des Advents nicht mehr brennen, wenn der Weihnachtsstern nicht mehr leuchtet, wenn die Lieder nicht mehr gesungen werden von dem Kind, das geboren ist in jener Nacht?“
Der heilige Nikolaus hob die Augen: „Was schlägst du vor?“, fragte er.
Gabriel lächelte. Es war das weise und gütige Lächeln eines Engels, der schon viel gesehen hat und schon oft unterwegs war zu den Herzen der Menschen, und für den heiligen Nikolaus sah es fast ein wenig verschmitzt aus – dieses Lächeln des Erzengels, der doch zu den größten zählte unter den himmlischen Heerscharen.
Während also die beiden Himmlischen tiefsinnige Gespräche führten über den Lauf der Welt, hingen unten auf der Erde drei Menschen ihren ganz persönlichen Gedanken nach.
Die siebzehnjährige Barbara hatte Liebeskummer. Außerdem Ärger in der Schule und – eine logische Folge davon – Zoff daheim. Ob Jo sie wirklich liebte, hatte sie immer noch nicht herausgefunden, und wenn sie abends mit ihrer Clique in die Kneipe ging oder ins Kino, da wusste sie auch nicht so recht, was die anderen über sie dachten. „Du bist unser Mauerblümchen“, hatte Elke neulich im Scherz zu ihr gesagt. Seitdem war ihr Selbstbewusstsein endgültig in den Minusbereich abgesackt.
Noch einsamer fühlte sich Studiendirektor a.D. Ambrosius. Seit seine Frau gestorben war, hatte er sich verbittert zurückgezogen. Zu seinen früheren Kollegen suchte er keinen Kontakt mehr. Erst recht nicht zu den ehemaligen Schülern....