Umarme also den Sohn Gottes und Mariens …
Über Römer 13,11ff – 1. Adventssonntag 1545
Ich kann nicht alles behandeln, was in dieser Epistel geschrieben steht … Bis zu dieser Stelle hat Paulus reichlich und trefflich darüber gepredigt, was der christliche Glaube sei, wie wir befreit werden von Sünde, Tod und von der Gewalt des Teufels, und von der Herrschaft des Gottes Sohnes … Dann beginnt er mit dem christlichen Leben, das wir unter uns zu führen haben. Täglich hören wir vom Unterschied zwischen dem Glauben und den guten Werken, damit wir sie nicht vermengen wie unter dem Papsttum, wo wir unser Vertrauen auf Menschen und nicht auf Gott setzten, um so alles verkehrt zu machen. Da wir aber nun befreit sind von Sünde und Tod – nicht durch unsere Werke, sondern durch Gottes Sohn und sein Blut – und nachdem wir durch Christus befreit sind von allem, von dem ihr euch selbst nicht hättet befreien können, sollt ihr nun auch äußerlich fromm sein. Liebet den Nächsten und tut ihm Gutes, wie Gott euch Gutes getan hat. Darüber hinaus denkt an euren Leib, damit ihr keusch und mäßig lebt. Denn da ihr schon befreit seid, reimt es sich nicht mehr, dass ihr Sünden begeht gegen den Magistrat, gegen den Nächsten und gegen euren eigenen Leib. Denn du bist kein Christ, wenn du nicht von allen Lastern frei bist. Das Evangelium erlaubt einfach die Sünden nicht, sondern lehrt, wie sie auszufegen seien.
Damit ich nicht abschweife, zurück zu Paulus, der hier sagt (Röm 13,11): Ihr wisst, „dass die Stunde da ist“. Er meint hier einen anderen Tag und eine andere Nacht, als die Welt sie hat. Die Sonne, die über Gute und Böse strahlt, ist körperlich. Auch die Tiere benützen sie, wenn sie in der Finsternis der Nacht ihre Ruhe suchen. Über diesen Tag und diese Nacht redet er nicht, auch nicht über diese Sonne … Es ist vielmehr eine andere Sonne und ein anderer Tag, um die es hier geht … Christus ist die Sonne, und sie leuchtet so, dass niemand mit dem leiblichen Auge ihren Strahl und ihren Tag zu sehen vermag. Alle, die jedoch ihren Schein im Glauben erfassen, werden gerecht und heilig, frei von Sünde und Tod. Alle gerechten und heiligen Werke stammen darum aus dieser Sonne. So ist Christus zu betrachten wie diese Sonne, die unsere Herzen erleuchtet. Wo diese Sonne nicht leuchtet, ist Nacht und Finsternis. Wo sie aber aufgeht und strahlt, da ist Tag und da wandeln wir wie hier im Tageslicht. Wo diese Sonne leuchtet, leben die Menschen gerecht und heilig. Was immer sie tun, heißt alles wohlgetan, ob sie nun beten, predigen oder schlafen. So reich ist die Sonne der Gerechtigkeit über ihnen, dass alle, die durch sie erleuchtet sind, wissen, was der Mensch, was Gott und was alle Kreaturen sind.
Juden aber und Türken, Papisten und Juristen, Philosophen und falsche Theologen sehen diese Sonne nicht. Also umgibt sie Finsternis. Wahrlich, Mahomet und Cäsar mit all ihren Theologen sehen nicht! Und der Papst beraubte sich selbst dieser Sonne und ihres Lichtes. Dafür zündete er sich ein neues Licht an, d. h. eine Laterne mit Dreck darin. Nichts sieht er in diesem Licht, es sei denn, dass man ihm die Füße und das Haupt küsst, dass man Ablass-, Eier- und Käse-Briefe kauft, Mönchsorden gründet, auf Wallfahrt geht und – noch einmal – dass man Ablass erwirbt. Aber welches Licht bringt schon solche Lehre? Mit ihren Lügen und ihrem Gestank ist sie wirklich wie Dreck in der Laterne.
Die Sonne aber, um die es hier geht, die sagt etwas anderes. Sie sagt uns, wie es Gott im Himmel ums Herz ist und was er denkt, was die Engel tun und wissen und dass wir glauben müssen an Gott. Wer an den Sohn glaubt, der weiß, wie Gott im Grund des Herzens gesinnt ist. Denn der „Geist erforscht die Tiefen“ (1 Kor 2,10). Umarme also den Sohn Gottes und Mariens, höre und glaube, dass er für dich gestorben ist, höre, was er dir zu sagen hat, und du wirst sehen, was Gott im Grunde seines Herzens will. Dann erkennst du wahrhaft Gott und was sein Wille ist: Sein Sohn, Mensch geworden, und wer immer an ihn glaubt, geheilt von Sünde und Tod. Wer hätte dies vorher gewusst? Alle, die diesen Glanz nicht erfahren haben, verkennen ihn. Der Mönch meint, dass er durch seine Werke gerettet wird. Von wo kommt er zu dieser Ansicht? Der Papst hat es gelehrt. Durch das Licht in der Laterne, das Scheißdreck ist. Ja, sie behaupten sogar, dass sie über Werke verfügen (opera supererogationis), die sie für sich selbst gar nicht mehr brauchen. Aber wie vereinbart sich das mit dem, was unsere Kinder im Credo singen: „und an Jesus Christus usw.“? Von woher hat es Leuchtkraft? Aus der Laterne, da der Teufel heraus … So streitet also dieser Ansatz mit allen Kräften gegen Gottes Sohn und die Sonne der Gerechtigkeit.
Vergleichen wir die Lehre aller mit dem, was die Sonne der Gerechtigkeit lehrt: Glaube, dass Gottes Sohn gesandt worden ist, so heißt es im Glaubensbekenntnis. Zieh deine Mönchskappe an, so sagen die anderen. Wie reimt sich das miteinander? Hier siehst du, dass diese Sonne weit sicherer ist als alle andere Weisung. Sie lehrt dich auch für das äußere Leben, selbst wenn du schlechter Obrigkeit gehorchen musst. Du darfst also gewiss sein, ein gutes Leben zu führen, gleichgültig ob du ehelos oder verheiratet leben willst. Fliehe nur allen Ehebruch, ohne auf das Werk als solches zu vertrauen. Denn du bist nicht Braut Christi wegen deiner Keuschheit. Braut Christi bist du, sofern du ihm im Glauben angetraut bist, und sofern er dich durch sein Blut gereinigt hat, wie Ezechiel (16,9) sagt: Ich hab dich rein gemacht vom Blut, das dir von Adam her angeboren ist. Dabei sollst du das Sakrament nicht als bloßes Werk empfangen, sondern zur Stärkung deines Glaubens. Der Papst frisst blind des Teufels Dreck. Aber die Sonne lehrt uns erkennen, was Gott und die Engel im Sinne haben. Der Kinderglaube leuchtet hell, dass ihr es mit Worten nachsprechen könnt.
Nur hinweg mit allem, das sich nicht reimt mit jener Sonne. Denn in ihrem Licht erkennst du alles und verurteilst Kaiser und Papst als Götzendiener. Dieses Urteil fälle ich im Licht der Sonne der Gerechtigkeit, in dem ich nun auch verstehe, was mit der 1. und 2. Tafel des Gesetzes gemeint ist. Schon sind wir – wie Paulus sagt – Söhne des Lichtes und des Tages, nicht der Nacht und der Finsternis. Solange also die Sonne der Gerechtigkeit leuchtet, glauben wir an ihn und lieben den Nächsten. Gleichgültig ob im Ehestand, als Knecht oder im Amt, ein jeder diene nach seiner Berufung. So will es das Licht der Gerechtigkeit. Es ist nicht erforderlich, dass du Gottes Gnade in Rom oder bei St. Jakob in Compostela suchst oder dass du den Papst anbetest. Tritt ihn nur mit Füßen, wenn du ihm früher die Füße geküsst hast. Ein jeder hat genug mit dem, was er in seiner Berufung zu tun hat. „Nacht“ (Röm 13,12), das ist die Blindheit und Torheit, die so groß war wie die ägyptische Finsternis … Unser Licht aber sagt: Glaube an Christus, tu, was dein Beruf verlangt, für dich selbst aber lebe mäßig und züchtig, dann wirst du Richter sein über alles. „Lasst uns also ablegen die Werke der Finsternis“, d. h. die Werke, die diesem Licht widerstreiten, das uns lehrt, an Christus zu glauben als an unseren einzigen Retter …
Darüber hinaus trifft Paulus hier sonderlich die Römer mit Ausdrücken wie „fressen und saufen“ und „Kammern“.
Gemeint sind abscheuliche Ärgernisse, die er eigentlich nicht nennen will. So deckt er sie zu, um sie am Ende doch zu offenbaren, wo er von der Unzucht in Sodom und Gomorra spricht. Auch spricht er (Röm 13,12) von den „Waffen des Lichtes“. Denn zweifellos geht es nicht ab ohne Kampf gegen alle Laster im Bereich der 1. und 2. Tafel des Gesetzes. Wenn man rein bleiben will im Glauben, so geht dies nicht ohne Kampf und Streit. So muss denn der Christ auch Krieger und Ritter sein. Du hast gehört, dass du das Fressen und Saufen ablegen sollst. Das Essen und Trinken hingegen ist dir wohl gegönnt, aber nur gesittet und mäßig, damit du tüchtig seist zu guten Werken. Wir sollen eben nicht leben wie die Römer.
Dann ist aber auch von „der Sorge für das Fleisch“ (Röm 13,14) die Rede. Paulus befiehlt damit, dass wir uns auch um den Leib kümmern. Wir sollen ihn so leiten, dass wir ihn weder geil machen noch totschlagen. Die Welt lässt diesen weisen Rat nicht zu. Alle aber, denen unsere Sonne strahlt, gehen diesen königlichen Weg (der Mitte). Die Welt hingegen will den Exzess im Luxus oder in der Askese. So waren wir im Mönchtum darauf aus, uns so wehe zu tun, dass dadurch Gott versöhnt werde. Wir glaubten nicht, dass Gottes Sohn durch seinen Tod schon alles für uns getan habe. Überzeugt davon, dass wir nach der Taufe ohne Sünde seien, wollten wir im Glauben das Heil allein erlangen und Christus anziehen. So stellte ich alles darauf ab, durch meine Werke gerechtfertigt zu werden. So ist es mit der Welt: Entweder tut sie viel zu wenig oder allzu viel. Im Winter erfror ich im Kloster schier bei den Metten. So wollten wir ganz einfach den Leib...