In den letzten Jahrzenten haben Foreign Direct Investment (im Folgenden kurz: FDI) einen regelrechten Aufschwung erlebt. So konnte von 1970 bis 2012 ein weltweiter Anstieg von 465 % verzeichnet werden (vgl. Benz et al., 2012, S. 53). Unter FDI werden grenzüberschreitende Investitionen verstanden (vgl. Steiger, 1999, S. 22), deren Attraktivität von FDI u. a. in Steuer- oder Lohnkostenvorteilen begründet liegen kann (vgl. Goyal, 2006, S. 46; Krüger, 2004, S. 27 f.). Dabei kann die Investition beispielsweise als Gründung einer Tochtergesellschaft oder durch den Erwerb von Unternehmensanteilen eines bestehenden Unternehmens im Ausland vollzogen werden. Ferner sind Fusionen und Joint Ventures mit ausländischen Unternehmen als Investitionsformen denkbar (vgl. Köller, 2009, S. 25). Der obige Anstiegs-Trend setzte sich auch 2013 fort. So konnten FDI im Jahre 2013 einen weltweiten Anstieg von 11 % verzeichnen. Der Anteil der FDI betrug insgesamt 1,461 Billionen USD (vgl. UNCTAD, 2014, S. 1). Während die Industriestaaten Investitionen von 576 Billionen USD vorweisen können, lag die Investitionssumme der Entwicklungsländer bei 759 Bilionnen USD und 126 Billionen USD bei den Schwellenländern (vgl. UNCTAD, 2014, S. 4). Basierend auf den aktuellen Wachstumserwartungen prognostiziert die United Nations Conference on Trade and Development (UNCTAD)[1], dass die FDI im Jahre 2015 weiter zunehmen werden (vgl. UNCTAD, 2014, S. 10). Zeitgleich mit der Zunahme von FDI zwischen 1970 und 2012 ist auch die Anzahl der Integrationsabkommen auf der Welt angestiegen, die auch zu einer Intensivierung der Handelsströme und Attraktivitätssteigerung von FDI beigetragen haben (vgl. Cassel/Welfens, 2003, S. 295).
Dem Trend der Integrationsabkommen, konnte sich auch der asiatische Raum nicht entziehen (vgl. Cassel/Welfens, 2003, S. 20 f.), so setzte die vietnamesische Regierung im Jahr 1986 die “Doi moi-Reform“ (zu Deutsch: Erneuerung) um und sorgte für
eine Liberalisierung im Finanzmarkt, eine Konsolidierung des Staatshaushaltes,
eine Reform des Eigentums- und Nutzungsrechts,
eine außenwirtschaftliche Öffnung und
die Einführung von marktwirtschaftlichen Elementen.
Neben dieser Reform und dem Beitritt in den Association of Southeast Asian Nations (ASEAN[2]) im Jahr 1995 trug die Aufnahme in die Welthandelsorganisation (WTO[3]) im Jahr 2007 dazu bei, dass Vietnam sich dem Westen geöffnet und sich damit zu einem attraktiven Standort für FDI entwickelt hat. Das Land erfuhr in jüngster Vergangenheit einen regelrechten Investitionsboom. In Summe konnten in den letzten fünf Jahren FDI von geschätzten 10 Milliarden USD vorgewiesen werden (vgl. Barring Asset Management, 2014, o. S.). Der rasante Aufschwung in Vietnam lässt sich auch in Zahlen belegen. So stieg das Bruttoinlandsprodukt inflationsbereinigt seit dem Jahre 2006 jährlich mindestens um 5,2 % an, so dass die vietnamesische Industrie in der Weltwirtschaft zunehmend an Bedeutung gewinnt. Um das selbst gesteckte Ziel der „Erreichung des Status eines Industrielandes“ bis zum Jahre 2020 umsetzen zu können, sind jedoch noch eine Reihe von Strukturproblemen wie zum Beispiel die hohe Luftverschmutzung oder auch die mangelhafte Wasserversorgung im Land zu lösen (vgl. AHK Vietnam, 2012, S. 35).
Die Attraktivität des Standortes Vietnam für FDI aus Investorensicht liegt zweifelsfrei vor allem in den vergleichsweise niedrigen Lohnkosten (vgl. German Trade & Invest, 2013, o. S.) und der relativen politischen Stabilität. Positive Aspekte, die Vietnam durch FDI verzeichnen kann, sind zum Beispiel die Schaffung von Arbeitsplätzen sowie der Transfer von Know-how und Technologien. Als negativer Aspekt ist aber auch die Verstärkung sozialer Ungleichheiten zu sehen. Ferner besteht die weitverbreitete Kritik an FDI, dass Investitionen vorrangig in Ländern mit geringen Arbeits-, Umwelt- und Sozialstandards getätigt werden, um Kosten zu senken und den Profit zu steigern. In Vietnam herrscht insbesondere ein großer Mangel an qualifizierten Fachkräften. Ferner hat das Land mit der schlechten Infrastruktur (Transportineffizienz), Stromausfällen und Korruption zu kämpfen. Auch Themen wie Menschenrechte, Umweltschutz oder auch Arbeitspraktiken entfachen immer wieder neue Diskussionen. Aus FDI-Empfangslandperspektive hingegen ist es bedeutsam, dass die FDI auch nachhaltig sind. Unter Nachhaltigkeit wird die Sicherstellung und Verbesserung der ökonomischen, ökologischen und sozialen Aspekte verstanden. Dazu gehört auch, das „Race-to-the-Bottom“ zu vermeiden, das als „Korrektur“ u. a. der Umweltstandards nach unten verstanden wird, um im Wettbewerb um ausländische Investoren, FDI für das eigene Land zu gewinnen. Gesetzliche Rahmenbedingungen, die Mitarbeiter schützen und Unternehmen auferlegt werden, müssen daher gut „ausbalanciert“ sein, um die (potenziellen) Investoren nicht aus dem Land zu vergraulen, da die Investoren ihr oberstes Unternehmensziel „Gewinnmaximierung“ als gefährdet sehen können. Diesbezüglich stecken FDI-Empfängerländer dementsprechend in der Zwickmühle. Interessenkonflikte sind vorprogrammiert.
Die der vorliegenden Arbeit zugrunde liegende Forschungsfrage konzentriert sich auf eine Verbindung des theoretischen Diskurses über FDI mit dem Praxisfeld Vietnam.
Problemstellung
Im Vordergrund steht die folgende Frage, die durch weitere Unterfragen vervollständigt und spezifiziert wird:
Relevante Unterfragen zur obigen Fragestellung sind hierbei:
Welche positiven und negativen Auswirkungen haben FDI auf die ökonomischen Aspekte in Vietnam?
Welche positiven und negativen Auswirkungen haben FDI auf die ökologischen Aspekte in Vietnam?
Welche positiven und negativen Auswirkungen haben FDI auf die sozialen Aspekte in Vietnam?
Welche positiven und negativen Auswirkungen haben FDI auf die kulturellen Aspekte in Vietnam?
Inwiefern kann die nachhaltige Balanced Scorecard als Managementinstrument einen Beitrag zur nachhaltigen Entwicklung in Vietnam leisten?
Wenngleich der Zusammenhang zwischen FDI und der ökonomischen Nachhaltigkeit des Empfängerlandes in zahlreichen empirischen Studien bereits nahezu erschöpfend analysiert wurde, kann diese Arbeit neue Erkenntnisse vermitteln, da sie im Gegensatz zur bereits vorhandenen Fachliteratur auch die ökologische, soziale und kulturelle Nachhaltigkeit von FDI des Empfängerlandes verstärkt untersucht. Bereits 2013 formulierte die Organisation Batik International die Notwendigkeit eines Entwicklungsmodells unter Berücksichtigung der wirtschaftlichen Entwicklung, der Verbesserung von sozialen Gegebenheiten und der Nachhaltigkeit der Umwelt für Vietnam, um möglichen Problemen in der Zukunft entgegenzuwirken (vgl. Batik International, 2013, S. 8). Des Weiteren kritisierte Goyal (2006), dass der Zusammenhang zwischen FDI und der ökologischen, sozialen und kulturellen Nachhaltigkeit oft vernachlässigt wurde (vgl. Gonzalez-Perez et al., 2011, S. 46; Goyal, 2006, S. 146 f.). Bereits 2009 wies die Unternehmensberatung „Deloitte“ darauf hin, dass durch die Integration von Corporate Social Responsibility (CSR) in die Strategie von Mergers & Acquisitions (M&A) die Wahrscheinlichkeit eines erfolgreichen FDI erhöht wird (vgl. Deloitte, 2009, S. 1 f.). In einer weiteren Studie mit dem Titel „Sustainable Finance – The Risks and Opportunities that (some) CFOs are overlooking“ von Deloitte wurden 208 CFOs aus internationalen Unternehmen in zehn Ländern befragt, wie sie die Rolle der Nachhaltigkeit innerhalb der Unternehmensstrategie sehen. So glaubten nur 29 % der befragten CFOs, dass M&A-Transaktionen von der Nachhaltigkeit des Projektes beeinflusst werden (vgl. Deloitte, 2011, S. 4). Ziel dieser Arbeit ist es, daher sowohl einen Beitrag zur wissenschaftlichen Diskussion zu leisten, um die Auswirkungen von FDI auf die ökonomische, ökologische, soziale sowie kulturelle Nachhaltigkeit in Vietnam aufzuzeigen, als auch eine Handlungsoption mittels einer nachhaltigen Balanced Scorecard zu bieten, in der die Wechselwirkungen zwischen den unterschiedlichen Aspekten messbar gemacht werden. Diese können von der Unternehmensführung dazu genutzt werden, um positive Aspekte zu stärken und negative Auswirkungen zu reduzieren.
Die vorliegende Arbeit ist in sechs Kapitel gegliedert.
In Kapitel 1 erfolgt eine Einleitung in die FDI und deren Bedeutung für Vietnam. Im Anschluss daran wird die Motivation sowie der Aufbau der Arbeit dargelegt.
In Kapitel 2 erfolgt zunächst eine Definition der wichtigsten Begriffe. Um ein Trennschärfeproblem zu vermeiden, werden in diesem Kapitel die Begriffe...