1.1 Begriffsdefinition und Fragestellungen
In der Mehrsprachigkeitsforschung unterscheidet man zwischen dem Trilinguismus und dem Drittspracherwerb. Der Trilinguismus (3L1) bezeichnet den frühkindlichen und natürlichen Erwerb von drei Muttersprachen, so wie er bei jedem Kleinkind erfolgt. Der Drittspracherwerb bezeichnet den sukzessiven Erwerb einer zweiten Zweit- bzw. Fremdsprache, also einer Sprache, die nach dem Erwerb der Muttersprache (L1) und nach dem Beginn des Erwerbs einer ersten Zweit- oder Fremdsprache (L2) gelernt wird. Der Erwerb einer zweiten Sprache kann nach dem Mutterspracherwerb auf natürliche Weise erfolgen. Dann spricht man von einer Zweitsprache (L2). Die zweite Sprache kann aber auch nach dem Mutterspracherwerb über formalen Unterricht in der Schule erworben werden. In diesem Fall spricht man von einer Fremdsprache (wieder abgekürzt als L2). So zum Beispiel bei einem monolingual deutschen Kind, das in der Grundschule Englischunterricht erhält. Auf der weiterführenden Schule wird der Englischunterricht intensiviert. Ab der siebten Klasse kommt dann die Fremdsprache Französisch hinzu. Diese zweite Fremdsprache wird als Drittsprache (L3) bezeichnet. Diese besondere Bezeichnung setzt voraus, dass es einen Unterschied zwischen dem L1-, L2- und L3-Erwerb gibt. Beim L2-Erwerb steht in der Tat allein die Muttersprache als Stütze zur Verfügung, wenn Kompetenzlücken in der L2 kompensiert werden müssen. Beim L3-Erwerb ist nun die Frage, ob sich der Lerner1 auf die Muttersprache oder auf die L2 stützt. Die unspezifische, nicht die Einzelsprache unterscheidende Bezeichnung 3L1 setzt voraus, dass alle drei Sprachen gleichwertig sind. Doch auch im Fall des simultanen Erwerbs von drei Sprachen wäre denkbar, dass nicht alle Sprachen im Erwerbsprozess gleichwertig sind. Diese Perspektive soll das vorliegende Studienbuch beleuchten.
Bis heute konzentriert sich die Mehrsprachigkeitsforschung auf das simultan bilinguale Kind (Hoffman 1999:16). Montanari (2013:63) nennt als Grund die aufwändige Methode, um den Spracherwerb in drei Sprachen dokumentieren zu können. Oft wird behauptet, dass der gleichzeitige Erwerb von drei Sprachen ein Mehraufwand sei, da der frühkindliche Trilinguismus in der Regel als eine Erweiterung des Bilinguismus angesehen wird (vgl. die kritischen Anmerkungen zu dieser These in Hoffmann 2000). Diese Vorgehensweise ist vermutlich gerechtfertigt, wenn der Wortschatz betrachtet wird. Für die grammatische Entwicklung wird oft davon ausgegangen, dass es keine qualitativen Unterschiede zwischen bilingualen und trilingualen Kindern gibt (vgl. beispielsweise die Verwendung des Begriffs „multilingual“ anstelle von „bilingual“ für Personen, die zwei Sprachen gebrauchen, welche suggeriert, dass die Anzahl der Sprachen bei der Mehrsprachigkeit unbedeutend ist; vgl. Jeßner 1997). Jedoch berichtet Hoffmann (2001) in ihrem Überblicksartikel auch von Unterschieden, welche in eine Definition des Trilinguismus einfließen sollten (vgl. auch Quay 2011a). Die Unterschiede sind sowohl quantitativer als auch qualitativer Natur, so dass die Erforschung der trilingualen Sprachkompetenz ein eigenes Forschungsgebiet darstellen sollte (Hoffmann 2001:1). So wird behauptet, dass trilinguale Kinder im Gegensatz zu bilingualen nicht balanciert sein können und dass es dementsprechend immer eine dominante Sprache mit zwei schwächeren Sprachen gibt. Ferner kommt der Qualität des Inputs (der Sprache, die das Kind in der Umgebung hört) in jeder Sprache sowie sprachinternen Eigenschaften eine entscheidende Rolle dabei zu, wie gut die jeweilige Sprache beherrscht wird, unabhängig von Inputgröße und Inputfrequenzen (Montanari 2013:63). Quay (2011a:3) folgert deshalb, dass „trilingual children need to be considered as speakers in their own right“. Unterschiede zwischen monolingualen und bilingualen Kindern haben im Bereich des Bilinguismus dazu geführt, diesen als eigenständiges Forschungsgebiet zu etablieren (vgl. Grosjean 1985, 1992, 2001 2010): Ein bilinguales Kind ist eben nicht gleichzusetzen mit zwei monolingualen Kindern. Hoffmann definiert die trilinguale Kompetenz folgendermaßen:
Trilingual language competence can thus be said to contain the linguistic aspects, i.e. vocabulary and grammar, from the three language systems, and the pragmatic component, consisting of sociolinguistic, discourse and strategic competences pertaining to the languages involved, as well as competences which enable the speaker to function in bilingual or trilingual contexts. (Hoffmann 2008:88)
Die große Forschungsfrage, die sich für den Bereich des frühkindlichen Erwerbs von drei (oder mehr) Sprachen stellt, ist also die, ob es Unterschiede zum simultanen bilingualen Spracherwerb bzw. zum monolingualen Erwerb gibt. Bevor wir die kaum ausreichende Literatur zum frühkindlichen Trilinguismus zu dieser Frage vorstellen, wollen wir uns den Modellen widmen, die für den sukzessiven Erwerb von drei Sprachen diskutiert werden, da der sukzessive Erwerb einer dritten Sprache besser untersucht ist und sich hier Forscher mit der Frage befasst haben, welche der Sprachen, A oder B, die Sprache C beeinflusst. Spracheneinfluss wird als entscheidender Faktor im Drittspracherwerb vorausgesetzt. Für den frühkindlichen Erwerb von mehreren Sprachen wird dagegen bis heute kontrovers diskutiert, ob der Spracheneinfluss stattfindet.
Trilinguismus: Der Erwerb von drei Muttersprachen. Im Idealfall erfolgt der Erwerb gleichzeitig.
Drittspracherwerb: Der Erwerb einer dritten Sprache im Anschluss an den Erwerb einer Muttersprache und einer Zweit- bzw. Fremdsprache. Der Erwerb erfolgt sukzessiv.
Eine der ersten Arbeiten, in der die Frage nach einem Unterschied zwischen dem Zweitspracherwerb und dem Drittspracherwerb gestellt wird, ist die Studie von Klein (1995). Die Verfasserin geht von der Hypothese über das lexikalische Lernen (Clahsen 1992) aus. Das bedeutet, dass der Syntaxerwerb (das Setzen von Parametern, vgl. Gabriel, Müller & Fischer 2018:16ff.) mit dem Erwerb von lexikalischen Einheiten verbunden ist. Hiernach löst der Erwerb von lexikalischen Einheiten den von syntaktischen Eigenschaften aus. Dies wird auch als triggering bezeichnet. Die zentrale Forschungsfrage lautet, ob sich sogenannte unilinguale (UL, Personen, die eine L2 erwerben) oder multilinguale Personen (ML, Personen, die zwei Zweitsprachen hintereinander erwerben, also eine L2 und eine L3) mit Wissen aus ihren Sprachen behelfen und wenn dies der Fall ist, aus welcher sie dies tun.
Klein (1995:429,431) untersucht die folgenden Strukturen mit Hilfe von Grammatikalitätsurteilen und der Korrektur von ungrammatischen Sätzen. Im Beispiel (1) darf die Präposition for von ihrem Komplement what getrennt werden; sie verbleibt oder strandet in der für das Objekt (vgl. Gabriel et al. 2018:91) üblichen Position. In der Rattenfängerkonstruktion (2) nimmt das Fragewort whom die Präposition mit an den Satzanfang, wo im Englischen normalerweise Fragewörter stehen. Das Beispiel (3) ist ungrammatisch, gekennzeichnet durch den Asterisk; hier ist die Präposition nicht phonetisch realisiert oder phonetisch leer.
1. | What are the boys waiting for? (engl. preposition stranding) |
2. | For whom are the girls waiting? (engl. pied-piping of entire PP) |
3. | *Who are the girls waiting? (engl. null-preposition) |
Zusätzlich wurde das Wissen über subkategorisierte Präpositionen getestet (Klein 1995: 432). Solche Präpositionen werden von einer anderen Kategorie, im Beispiel (4) und (5) vom Verb, ausgewählt und sind entsprechend nicht frei wählbar...