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Gesprächsführung in der Altenpflege

Lehrbuch

AutorMaria Langfeldt-Nagel
VerlagERNST REINHARDT VERLAG
Erscheinungsjahr2017
Seitenanzahl252 Seiten
ISBN9783497603930
FormatPDF/ePUB
KopierschutzDRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis18,99 EUR
Das Gespräch gehört zu den wichtigsten Aufgaben der Altenpflege. Wie kann man sich in alte Menschen einfühlen? Wie geht man mit dementen oder depressiven alten Menschen um? Wie kritisiert man in der Teamarbeit, ohne zu verletzen? Wie lassen sich Konflikte lösen? Wie berät man Angehörige? Die Autorin zeigt, wie Kommunikation trotz Hektik im Pflegealltag gelingt. An Fallbeispielen wird demonstriert, wie sich unterschiedliches Gesprächsverhalten auswirkt und wie man geeignete Strategien von ungeeigneten unterscheiden kann. Die Arbeit im Heim wird ebenso berücksichtigt wie der ambulante Dienst. Ein grundlegendes Lehrbuch für die Altenpflegeausbildung - mit zahlreichen Übungsaufgaben und Anregungen zur Diskussion.

Dr. paed. Maria Langfeldt-Nagel, Frankfurt/Main, ist Diplom-Psychologin und Krankenschwester und lehrte an Fachseminaren für Altenpflege und an der Fachhochschule Köln u.a. "Psychologie des Alters" und "Gesprächsführung"

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Leseprobe

2   Der Mensch in seiner sozialen Umwelt

Auf die Frage, was ein hilfreiches Gespräch sei, wird meistens geantwortet: „Wenn man sich verstanden fühlt.“ Das Verstehen ist eine wesentliche Voraussetzung für eine gelungene Kommunikation. Dafür brauchen wir Wissen über die psychischen Prozesse, die bei den Gesprächspartnern ablaufen. Die Psychologie stellt Wissen bereit, das für eine bewusste Gestaltung unserer Interaktionen nützlich ist. Aber nicht nur Wissenschaftler formulieren Theorien: Jeder Mensch macht sich Gedanken darüber, warum er selbst und andere etwas tun oder auch lassen und steuern damit ihr eigenes Verhalten.

Die Erkenntnisse der Psychologie machen aber auch unsere Beschränkungen deutlich. Wenn zwei Personen eine dritte beurteilen, werden sie immer zu unterschiedlichen Ergebnissen kommen. Das Urteil hängt also auch von der beobachtenden Person ab. Dieses Wissen hilft uns, uns der eigenen Subjektivität bewusst zu werden. Das erleichtert es, die Sichtweise des Gegenübers einzunehmen und ihn besser zu verstehen.

2.1   Verhalten erklären und verändern

Die Psychologie wird als die Wissenschaft vom Verhalten und Erleben bezeichnet. Verhalten ist einer der wichtigsten Begriffe. Jede nach außen gerichtete Aktivität wird Verhalten genannt. Der Mensch verhält sich immer in irgendeiner Weise, z. B. er redet, schweigt, sitzt, fällt hin, schreit, schlägt um sich, streichelt jemanden, geht aus dem Raum usw. Dabei wird keine Aussage darüber gemacht, ob das, was jemand gerade tut, mit Absicht geschieht oder nicht, ob es bewusst geschieht oder nicht. Im Gegensatz dazu wird von Handlung gesprochen, wenn eine Aktivität bewusst, zielgerichtet und gesteuert ist.

Verhalten kann sich ändern. Eine Altenpflegeschülerin wird sich am Ende ihrer Ausbildung anders verhalten als am Anfang. Sie wird geschickter sein, sie hat möglicherweise Ängste abgebaut oder auch neue entwickelt. Diese Veränderungen sind Ergebnisse von Lernprozessen. In diesem Abschnitt sollen Ergebnisse der Lernpsychologie beschrieben werden, um Lernprozesse besser verstehen und beeinflussen zu können.

In der Umgangssprache wird unter „Lernen“ meistens „Wissen einspeichern“ verstanden. Man lernt den Stoff des Unterrichts. Man kann auch kochen lernen oder Ski fahren, Klavier spielen oder Thrombosestrümpfe anziehen. Gewöhnlich denkt man beim Lernen an eine Verbesserung von etwas, man weiß nachher mehr oder kann etwas besser. In der Psychologie wird Lernen umfassender definiert. Unter Lernen wird jede Veränderung des Verhaltens verstanden, die durch Erfahrung zustande kommt. Das kann auch Verhalten sein, das nicht erwünscht ist, z. B. störendes Verhalten oder Ängste. Gelernt wird das ganze Leben lang, das Neugeborene lernt und der Hochbetagte noch immer.

Wie im ersten Kapitel beschrieben, wird in der Psychologie nach Erklärungen für psychische Tatbestände gesucht. In der Lernpsychologie werden verschiedene Arten des Lernens formuliert, mit denen Verhalten erklärt werden kann. Eine dieser Lernarten, das „Lernen durch Konsequenzen“, soll hier beschrieben werden. Viele Probleme im Alltag können mit dieser Art des Lernens erklärt werden. Diese Erklärungen helfen, Verhalten zu verstehen und Interventionen zu entwickeln, wenn Verhalten verändert werden soll.

Verhalten hat immer Konsequenzen, die das zukünftige Verhalten beeinflussen – selbst wenn auf ein Verhalten nicht reagiert wird. An den folgenden Beispielen soll das Lernen durch Konsequenzen erklärt werden:

Eine Mutter mit Kleinkind wartet an der Supermarktkasse. Dort sind in Augenhöhe des Kindes Süßwaren gestapelt. Das Kind möchte einen Schokoriegel. Die Mutter will keinen kaufen. Das Kind quengelt und fängt an zu schreien. Die entnervte Mutter kauft schließlich den Schokoriegel. Wenn das Kind wieder einen Schokoriegel haben will, was wird es tun? Es wird quengeln und schreien, denn das letzte Mal bekam es auf dieses Verhalten hin einen Schokoriegel. Das war die angenehme Konsequenz des Schreiens.

Wird die Konsequenz als positiv erlebt, wird das Verhalten häufiger auftreten. Dies wird in der psychologischen Fachsprache „Verstärkung“ genannt. In der Umgangssprache sagen wir „Belohnung“. Belohnt wird ein Verhalten, das als wünschenswert angesehen wird. Belohnungen erfolgen also absichtlich. Von Verstärken wird aber auch dann geredet, wenn gar nicht die Absicht besteht, etwas zu belohnen. Die Mutter hatte in diesem Beispiel keineswegs die Absicht, das Schreien des Kindes zu belohnen. Es kommt aber nicht darauf an, was beabsichtigt wird, sondern wie die Konsequenz erlebt wird. Eine Verstärkung muss nicht immer von außen kommen. Wenn sich jemand eine Aufgabe stellt, sie erfolgreich ausführt und sich darüber freut, wirkt dieses Gelingen auch als Verstärkung.

Es gibt noch weitere Arten von Konsequenzen. Eine Konsequenz kann sein, dass ein Mangelzustand beendet wird. Jemand wacht in der Nacht auf und hat Schmerzen in der Schulter. Er macht einige kreisende Bewegungen, die Schmerzen hören auf. Treten erneut Schmerzen auf, wird er wieder die Arme kreisen. Ein unangenehmer Zustand wird durch ein bestimmtes Verhalten beendet. Auch dies ist eine Verstärkung, denn das Verhalten wird in Zukunft häufiger auftreten. Es gibt also zwei Arten von Verstärkung:

Auf ein Verhalten erfolgt etwas Angenehmes, dies wird Verstärkung 1 genannt.

Durch ein bestimmtes Verhalten hört ein unangenehmer Zustand auf. Dies wird Verstärkung 2 genannt.

Eine Konsequenz kann auch unangenehm sein, dann handelt es sich um eine „Strafe“. Ein Verhalten, das eine unangenehme Konsequenz zur Folge hat, tritt seltener oder gar nicht mehr auf. Wenn ein Kind auf eine heiße Herdplatte fasst, tut es sich weh. Das Verhalten „auf die Herdplatte fassen“ zieht eine unangenehme Konsequenz nach sich, wird also bestraft. Verhalten wird damit gehemmt.

Schließlich kann es vorkommen, dass auf ein Verhalten gar nichts erfolgt, es zieht keine Konsequenz nach sich. Ein Kind hat in der Schule immer etwas vergessen und wird vom Lehrer ermahnt. Als es alles mitbringt, sagt der Lehrer gar nichts, denn für ihn ist es selbstverständlich, dass die Schüler ihre Sachen dabei haben. Auf das Verhalten „alle Sachen dabeihaben“ erfolgte gar nichts, es zog keine Konsequenzen nach sich. Verhalten, dem keine Konsequenzen folgen, tritt in Zukunft seltener auf. Dies wird „Löschung“ genannt. Das Verhalten des Kindes wird gelöscht, obwohl dies keineswegs im Sinne des Lehrers war.

Wir haben also vier Formen des Lernens durch Konsequenzen: Zwei dienen dazu, Verhalten aufzubauen, zwei führen zum Abbau von Verhalten (siehe Tabelle 1).

Manches Verhalten der betreuten alten Menschen lässt sich durch Lernen durch Konsequenzen erklären.

Tab. 1: Lernen durch Konsequenzen

AufbauAbbau
Verstärkung 1
(angenehme Konsequenz)
Bestrafung
(unangenehme Konsequenz)
Verstärkung 2
(unangenehmer Zustand wird beendet)
Löschung
(keine Konsequenzen)

Verstärkung 1: Frau Metzinger kann aufstehen, muss aber zur Toilette gebracht werden. Mit ihren Bemühungen um soziale Kontakte hatte sie bisher wenig Erfolg. Wenn sie eine Altenpflegerin ansprach, war diese gerade in Eile, es war gerade ein ungünstiger Moment; man hat sie auf später vertröstet. Wenn Frau Metzinger jedoch sagte, sie müsse zur Toilette, wurde prompt reagiert. Inzwischen bittet sie jede halbe Stunde, zur Toilette gebracht zu werden. Frau Metzinger erlebt, dass die Äußerung „ich muss zur Toilette“ eine positive Konsequenz nach sich zieht, sie sagt es also häufiger.

Verstärkung 2: Frau Andresen kann nicht mehr aufstehen. Sie liegt den ganzen Tag im Bett. Sie klingelt und klingelt. Mal soll das Bett höher, mal niedriger gestellt werden, mal soll das Fenster auf-, mal zugemacht werden, mal will sie dieses, mal jenes gereicht bekommen. Alle Mitarbeiter sind gereizt. Es wurde versucht, an Frau Andresens Einsicht zu appellieren, ohne Erfolg. Es wurde mit ihr geschimpft, auch das hat nichts genützt. Die Altenpflegerinnen machen kein freundliches Gesicht mehr, wenn sie das Zimmer betreten. Frau Andresen klingelt weiter. Frau Andresen liegt den ganzen Tag im Bett, es passiert stundenlang nichts. Das ist schwer zu ertragen. Wenn sie aber klingelt, kommt jemand, und gleichgültig, wie sich die Altenpflegerin verhält, der unangenehme Zustand der Langeweile wird unterbrochen. Die Konsequenzen, die auf das Klingeln erfolgen, werden von Frau Andresen als positiv erlebt.

Strafen. Man wird man einwenden, dass in der Altenpflege keine Strafen verhängt werden. Auch hier ist es wieder so, dass es nicht auf die Absichten ankommt, sondern darauf, wie etwas erlebt wird. Eine Bewohnerin sollte nicht allein aufstehen, sie hat es trotzdem getan und ist gestürzt. Die Altenpflegerin, die darüber sehr erschrocken war, hat ihr Vorhaltungen gemacht. Das Verhalten „allein aufstehen“ ist doppelt bestraft worden, zum einen durch den Sturz, zum anderen durch die Vorhaltungen. Wenn die Bewohnerin später allein aufstehen soll, wird sie es ungern und nur mit Widerstand tun.

Löschung. Wenn auf ein Verhalten überhaupt nichts erfolgt, wenn...

Blick ins Buch
Inhaltsverzeichnis
Inhalt5
Vorwort9
1 Altenpflege: Unterstu?tzung bei der Bewältigung des Alters11
1.1 Alltägliche Gespräche und alltägliche Probleme11
1.2 Menschenbilder12
1.3 Das Alter leben17
1.4 Aufgaben der Altenpflege20
1.5 Psychologie als wissenschaftliche Grundlage24
2 Der Mensch in seiner sozialen Umwelt26
2.1 Verhalten erklären und verändern26
2.2 Selbststeuerung durch Erklären35
2.3 Personen wahrnehmen39
3 Miteinander in Beziehung treten: Kommunikation45
3.1 Die Gestaltung der Welt durch die Sprache45
3.2 Die Sprache der Pflegenden47
3.3 Sprache und Gesprächsthemen alter Menschen52
3.4 Nonverbale Kommunikation55
4 Gespräche analysieren59
4.1 Der Kommunikationsprozess59
4.2 Modell einer Kommunikationsanalyse61
4.3 Wie Gespräche behindert werden können77
5 Basiskompetenzen85
5.1 Zuhören85
5.2 Verstehen88
5.3 Humor94
5.4 Sich mitteilen97
5.5 Argumentieren101
6 Probleme bearbeiten106
6.1 Problem beschreiben106
6.2 Ziele festlegen109
6.3 Ursachen klären110
6.4 Lösungen entwickeln111
6.5 Umsetzen in die Praxis112
6.6 Bewerten113
6.7 Der Problemlöseprozess im Überblick114
7 Konflikte bewältigen115
7.1 Konfliktarten115
7.2 Effektive und ineffektive Konfliktlösungsstrategien117
7.3 Konflikte auf die Sachebene bringen126
8 Unterstu?tzung geben130
8.1 Informieren130
8.2 Ru?ckmeldung geben133
8.3 Anleiten136
8.4 Beraten142
8.5 In Krisen beistehen146
9 Gespräche mit alten Menschen151
9.1 Informieren151
9.2 Aufnahme in eine Einrichtung der Altenpflege153
9.3 Biografiearbeit157
9.4 Umgang mit Menschen mit Demenz161
9.5 Umgang mit alten Menschen mit Depression175
9.6 Umgang mit aggressivem Verhalten182
10 Gespräche mit Angehörigen188
10.1 Angehörige und professionelle Pflegekräfte188
10.2 Informieren190
10.3 Anleiten192
10.4 Emotionale Unterstu?tzung194
10.5 Familienbeziehungen198
10.6 Gewalt durch Angehörige201
11 Gespräche im Team206
11.1 Miteinander im Team206
11.2 Informieren213
11.3 Anleiten217
11.4 Teambesprechungen221
11.5 Gewalt in der Altenpflege227
11.6 Supervision232
12 Grenzen der Machbarkeit235
12.1 Die Persönlichkeit des alten Menschen235
12.2 Altern, Sterben und Tod237
12.3 Reflexion des beruflichen Handelns: Die eigenen Grenzen240
Literatur245
Sachverzeichnis250

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