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E-Book

Goethe für Eilige

AutorKlaus Seehafer
VerlagAufbau Verlag
Erscheinungsjahr2015
Seitenanzahl220 Seiten
ISBN9783841211019
FormatePUB
Kopierschutzkein Kopierschutz
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis5,99 EUR
Wer möchte nicht gern mitreden, wenn es heißt: 'Schon Goethe sagte ...'? Aber wer kennt überhaupt die Hauptwerke des Dichters, wer erinnert sich der Stationen von Fausts Weltenreise, und wie war das eigentlich mit den Liebesverwicklungen über Kreuz in den 'Wahlverwandtschaften'? Und - Respekt beiseite - lohnt sich die Lektüre überhaupt noch? Pointiert und gutgelaunt präsentiert uns Klaus Seehafer, der bekannte Goethe-Biograph, die Nacherzählungen der großen Dramen und Romane, der Erzählungen und autobiographischen Bücher. Dabei stellt sich heraus, daß die behandelten Stoffe allemal bedenkenswert, meistens unterhaltsam und manchmal von einer Modernität sind, die man dem Altmeister gar nicht zugetraut hätte. Ein Intensivkurs der besonderen Art, der die klassischen Werke aus ihrer leserfernen Entrücktheit befreit.

Klaus Seehafer wurde 1947 in Alsfeld/Hessen geboren und wuchs in Bayern auf. Nach einer Buchhändlerlehre besuchte er die Fachhochschule für Bibliothekswesen in Stuttgart. Seit 1976 ist er Leiter der Stadtbibliothek in Diepholz/Niedersachsen. Er ist Mitglied des Verbandes Deutscher Schriftsteller, Sektion Niedersachsen und Bremen, deren Vorstand er seit 2000 angehört. Neben vielfältigen journalistischen und literarischen Arbeiten, Jugendbüchern und Anthologien hat Klaus Seehafer im Aufbau-Verlag und im Aufbau Taschenbuch Verlag folgende Bücher herausgegeben: Johann Wolfgang Goethe, Mit Seide näht man keinen groben Sack. Kleine feine Gemeinheiten (1999); Wenn ich durch Wald und Fluren geh. Deutsche Naturgedichte der Klassik und Romantik (2000); Ich wandle unter Blumen. Die schönsten Gartengedichte (2000).

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Leseprobe

Faust. Der Tragödie Zweiter Teil


Was in Wahnsinn und Verzweiflung endete, setzt auf anderer, buchstäblich ausgeruhter Ebene neu ein. In einer zeitlos anmutigen Gegend liegt Faust auf einer Wiese voller Blumen. Der Luftgott Ariel befiehlt seinem Geisterkreis, dem Unruhigen zu helfen: »Besänftiget des Herzens grimmen Strauß, / Entfernt des Vorwurfs glühend bittre Pfeile, / Sein Innres reinigt von erlebtem Graus.«

Allmählich löst ein tiefer Heilschlaf Sinn und Glieder des Verzweifelten. Als sich der neue Tag ankündigt, erwacht er gestärkt und spürt: Des »Lebens Pulse schlagen frisch lebendig«. Er ahnt die aufgehende Sonne in seinem Rücken und sieht überm Wasserfall den bunten Regenbogen: »Der spiegelt ab das menschliche Bestreben. / Ihm sinne nach, und du begreifst genauer: / Am farbigen Abglanz haben wir das Leben.« Und farbig verspricht auch die neue Geschichte zu werden, die uns vom Mittelalter zurück in die Antike, dann wieder in Fausts Epoche führt und schließlich dort endet, wo sie einst begann: in himmlischen Gefilden.

Im Thronsaal des jungen Kaisers hat sich der prächtig gekleidete Staatsrat versammelt. Als der Herrscher den Raum betritt, erfährt er gleich das Neueste: Der alte Narr ist tot. »Man trug hinweg das Fettgewicht«. Doch wunderbarerweise sei gleich ein neuer zur Stelle gewesen, mundfertig wie selten einer. Er habe schon seinen Platz zur Linken des Throns eingenommen, so wie der Astrologe zur Rechten steht. Flugs soll er kommentieren, was die Herren Minister vorzubringen haben. Wer den Schalk kennt, wird nicht an dessen Kompetenz zweifeln, ist es doch kein anderer als Mephisto. Ob Kanzler, Marschall, Heer- und Schatzmeister, alle jammern sie, und alles Jammern läuft auf immer dasselbe hinaus: Es fehlt am Geld!

Nachdem der Teufel reichlich Gebrauch gemacht hat von der Freiheit des Narren und den hochmögenden Herren seine gepfefferten Wahrheiten in den Nasen jucken, kommt er mit einem erstaunlichen Vorschlag: Hat nicht vor jedem Krieg und in allen Notzeiten das Volk seine Schätze in der Erde vergraben? Und wem gehört die? »Der Boden ist des Kaisers, der soll’s haben.« Man brauche also nur noch Papiergeld zu drucken, schließlich sei es durch die Boden-Schätze gedeckt.

Zunächst aber ist Karneval, da will sich der Kaiser nicht weiter den Kopf über fehlende Mittel zerbrechen. Aschermittwoch kommt früh genug. Und auf geht’s zum Maskenball, der in einem weitläufigen Saal mit vielen Nebengemächern gefeiert wird. Blumen- und Früchtemasken tauchen auf, Gärtner, Fischer und Vogelsteller, Trunkenbolde, Parasiten, die Parzen und die Furien, Furcht und Hoffnung, ein nicht enden wollender Zug symbolischer Gestalten. Zwischen den vielen aber: Faust als Gott des Reichtums, und Mephisto gibt den Geizkragen dazu. Noch einmal spielt der Teufel – wie damals vor den Leipziger Studenten – sein »Flammengaukelspiel«. Diesmal ist es der Kaiser, der scheinbar in Flammen aufgeht, und die zu Hilfe Eilenden fangen ebenfalls Feuer. Aber so viel Zauberkunst hat Faust nun auch schon gelernt, um dem Spuk ein schnelles Ende zu bereiten – und dem Kaiser einen pyrotechnischen Jux, den dieser ausgesprochen genießt.

Als die Morgensonne abermals aufgeht, ist das bunte Fest zwar vorbei, dennoch ist von Katzenjammer nichts zu merken. Der Hofstaat, zu dem nun auch die beiden unbekannten Magier gehören, ist sogar ausgesprochen guter Laune. Der Marschall hat alle Schulden des Staates begleichen, der Heermeister den Soldaten ihren Lohn aushändigen können. Woher stammt das ganze Geld? Der Kanzler liest dem Herrscher jenes schicksalsschwere Blatt vor, womit alles zum Guten gewendet worden sei: »Zu wissen sei es jedem, der’s begehrt: / Der Zettel hier ist tausend Kronen wert. / Ihm liegt gesichert, als gewisses Pfand, / Unzahl vergrabnen Guts im Kaiserland.« Unterschrift: Der Kaiser! Der kann sich nicht erinnern, so etwas gestern nacht unterschrieben zu haben, bezweifelt auch die Wirksamkeit. Aber Mephisto beruhigt ihn: »Ein solch Papier, an Gold und Perlen Statt, / Ist so bequem, man weiß doch, was man hat, / Man braucht nicht erst zu markten noch zu tauschen«.

Kaum ist diese Aufgabe gemeistert, wird schon die nächste Forderung an Faust gestellt, dem man – da er nun als der wundersame Geldvermehrer gilt – noch viel mehr zutraut: »Der Kaiser will, es muß sogleich geschehn, / Will Helena und Paris vor sich sehn; / Das Musterbild der Männer so der Frauen / In deutlichen Gestalten will er schauen.« Also drängt der Doktor den Teufel, obwohl ihn diese Narretei peinlich berührt: »Du hast, Geselle, nicht bedacht, / Wohin uns deine Künste führen; / Erst haben wir ihn reich gemacht, / Nun sollen wir ihn amüsieren.«

Selbst Mephisto ist die Sache diesmal nicht geheuer, weil er weiß, daß es zur Erfüllung dieses Wunsches eines viel stärkeren und gefährlicheren Zaubers bedarf als für einen feurigen Karnevalsspaß: Faust muß ins Reich der Mütter! »Ins Unbetretene, / Nicht zu Betretende; ein Weg ans Unerbetene, / Nicht zu Erbittende. Bist du bereit?« Was immer Faust mit dem Wort »Mütter« auch verbindet, bei solcher Wegbeschreibung sträuben sich ihm die Haare. Am Ziel wird er auf einige Wahrsagerinnen des Altertums treffen und ihren glühenden Dreifuß mit Hilfe eines Zauberschlüssels entführen müssen.

Schon will Mephisto dem Doktor zynisch kommen, da bricht in diesem die Neugierde des wahren Wissenschaftlers durch: »Doch im Erstarren such ich nicht mein Heil, / Das Schaudern ist der Menschheit bestes Teil; / Wie auch die Welt ihm das Gefühl verteure, / Ergriffen, fühlt er tief das Ungeheure.« – Da schau her: Faust als Erfinder der Erlebnisforschung!

Jedenfalls tut er, wie ihm geheißen, und ist am Abend wieder zurück von seiner Reise ins »Unbetretene, / Nicht zu Betretende«. Kaiser und Hof erhoffen sich im großen Rittersaal des Schlosses ein einzigartiges Spektakel. Faust steigt aus der Tiefe empor. Melodisch tönendes Gewölk senkt sich aus der Höhe. »Ein schöner Jüngling tritt im Takt hervor. / Hier schweigt mein Amt, ich brauch ihn nicht zu nennen, / Wer sollte nicht den holden Paris kennen!« Die Damen reißt es förmlich von den Stühlen, so entzückt sind sie über die Anmut seiner Bewegungen, die Frische seiner Jugend. Die Herren dagegen ziehen es vor, sich auf die Bank der Spötter zu setzen und eifersüchtelnde Bemerkungen über den halbnackten Schäferknecht zu machen, der, bekleidet mit einem anständigen Harnisch, vermutlich keine so gute Figur machen würde.

Helena tritt auf, und nun sind die Herren ganz hin: »Fürstinnen hab ich dieser Art gesehn, / Mich deucht, sie ist vom Kopf zum Fuße schön.« Als sie jedoch vor den Augen des gesamten Hofadels Paris einen Kuß auf den Mund gibt, geht das Gegacker ihrer Konkurrentinnen los: »Das Kleinod ist durch manche Hand gegangen«, heißt es, und von dem Jüngling: »In solchem Fall sind alle Männer dumm, / Er glaubt wohl auch, daß er der erste wäre.« Pikierte Reaktionen, als ein Ritter zur Antwort gibt: »Gelegentlich nimmt jeder sich das Beste; / Ich hielte mich an diese schönen Reste.«

Selbst der Doktor läßt sich von der erotischen Strahlkraft seines »Fratzengeisterspiels« derart hinreißen, daß er nach Helena greifen will. In diesem Augenblick schleudert ihn eine gewaltige Explosion zu Boden. Die Erscheinungen gehen in Dunst auf, und unter den Anwesenden entsteht Tumult. Mephisto hebt sein wahrlich mitgenommenes Menschlein auf die Schulter und fliegt davon. »Da habt ihr’s nun! Mit Narren sich beladen, / Das kommt zuletzt dem Teufel selbst zu Schaden.« Schimpfend lädt er den Ohnmächtigen daheim, in dessen wohlvertrautem Bett, ab.

In Fausts enger gotischer Studierstube hat sich, obwohl geraume Zeit vergangen ist, nichts verändert. Aus dem einst von Mephisto genasführten Schüler ist ein Baccalaureus geworden, der meint, er brauche keinen Rat mehr, sondern könne ihn selbst erteilen. Ach Gott, ja, diese Professoren von gestern! »Aus den alten Bücherkrusten / Logen sie mir, was sie wußten, / Was sie wußten, selbst nicht glaubten, / Sich und mir das Leben raubten.« Als Mephisto noch einmal sein altes Lehrerspielchen mit ihm treiben will, bekommt er stolz zu hören: »Seht anerkennend hier den Schüler kommen, / Entwachsen akademischen Ruten. / Ich find Euch noch, wie ich Euch sah; / Ein anderer bin ich wieder da.« Und empfahlen später die 68er-Studenten »Trau keinem über Dreißig«, geht er sogar noch weiter: »Hat einer dreißig Jahr vorüber, / So ist er schon so gut wie tot. / Am besten wär’s, euch zeitig totzuschlagen.« Mephisto verkneift sich, ihn etwa mit der Einsicht zu kränken: »Wer kann was Dummes, wer was Kluges denken, / Das nicht die Vorwelt schon gedacht?« Einer wie er ist natürlich alt genug, um es besser zu wissen: »Wenn sich der Most auch ganz absurd gebärdet, / Es gibt zuletzt doch noch e’ Wein.«

Wagner ist mittlerweile selber Doktor geworden und hat einen eigenen Famulus. Wie früher Faust, so forscht und experimentiert er nun die Nächte hindurch. Gerade erschafft er in seinem Laboratorium aus Hunderten von Ingredienzien ein Menschlein, einen Homunculus. Kaum in seiner Phiole zu Leben erwacht, erkennt der künstlich Geschaffene auch schon seinen Vater, pflaumt ihn an (»Nun Väterchen! wie steht’s?«) und nennt Mephisto seinen Vetter, der ihm gewiß helfen werde, all seine Pläne rasch voranzubringen. Dann schwebt er in seinem Fläschchen hinüber zu Faust, als wolle er sagen: Zu dem gehör ich wirklich.

Homunculus hat ein paar wunderbare Eigenschaften, von denen im Augenblick die wichtigste ist, daß er Fausts Träume lesen kann. Und der träumt Klassisches, was heißen will: Wenn er jetzt in seinem gotischen Stübchen aufwachte, würde er das nicht...

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