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E-Book

Haben Sie diese Pille auch in Grün?

Risiken und Nebenwirkungen einer Apothekerin

AutorPharmama
VerlagRowohlt Verlag GmbH
Erscheinungsjahr2013
Seitenanzahl336 Seiten
ISBN9783644492813
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis9,99 EUR
Ältere Damen, die eine rotweiße Kapsel vorzeigen und «die gleiche in Grün» möchten, oder Mütter, die Hustenbonbons mit Fieberzäpfchen verwechseln: Apotheker sind für ihre Kunden eine Mischung aus medizinischem Notdienst, wandelndem Lexikon und seelischem Mülleimer. Die Pharmama steht seit vielen Jahren hinterm Tresen und hat schon unzählige skurrile, witzige und auch sehr seltsame Geschichten in ihrer Apotheke erlebt; davon erzählt sie nun ihrem Buch.

Pharmama, 1973 geboren, ist Apothekerin in der Schweiz. Sie bloggt sehr erfolgreich über ihren Arbeitsalltag unter www.pharmama.ch.

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Leseprobe

Das falsche Medikament


Man kann Medikamente nicht nur falsch anwenden, indem man sie zur falschen Zeit nimmt oder gar nicht oder indem man den falschen Weg wählt (oral, also durch den Mund, statt anal, also hinten einführen). Man kann auch das falsche Mittel nehmen.

Folgendes Gespräch habe ich genau so in der Apotheke mit einer Kundin geführt:

«Eine Packung Fluimucil und ein Resyl plus bitte.»

Ich hole die beiden Medikamente und stelle sie vor die Kundin.

«Man soll die beiden aber nicht gleichzeitig nehmen, das wissen Sie? Das Fluimucil ist ein Schleimlöser, und wenn man das zusammen mit dem Hustendämpfer Resyl plus nimmt, dann bleibt der gelöste Schleim einfach liegen und bildet einen schönen Nährboden für Bakterien.»

«Ja, ich weiß schon. Ich nehme es nicht zusammen. Ich nehme das Resyl plus am Tag und das Fluimucil für die Nacht.»

«Für die Nacht? Normalerweise macht man es genau umgekehrt: Tagsüber zwei- bis dreimal den Schleimlöser und den Hustendämpfer nachts, damit man schlafen kann.»

«Aber wenn ich den Schleimlöser am Tag nehme, dann huste ich doch dauernd!»

«Nur, bis der Schleim jeweils draußen ist. Außerdem: Nachts beim Schlafen husten Sie ja auch nicht. Wenn Sie ihn dann nehmen, bleibt der Schleim doch auch einfach liegen.»

«Aber ich huste nicht gerne die Leute an!»

«Das ist löblich, aber ich denke auch, wenn Sie es so nehmen, wie Sie gesagt haben, könnte es um einiges länger dauern, bis der Husten wieder weg ist.»

«Ach, geben Sie es mir einfach.»

«Und wie wäre es, wenn Sie tagsüber bei Hustenreiz einfach ein Hustenbonbon lutschen würden?»

 

Ein Kunde kommt ziemlich aufgewühlt in die Apotheke:

«Sterbe ich jetzt, wenn ich versehentlich das hier benutzt habe, statt meinem normalen Mundspray?»

«Das hier» war eines dieser Sprays, die man in Toiletten an die Wand kleben kann und die dann bei Betätigung den Raum zuduften (Airwick oder so). Nach einem Telefonat mit einer Toxikologin (die das ziemlich lustig fand), konnte ich dem Patienten sagen: «Nein, solange Sie es nicht inhalieren, wird Ihnen nichts passieren.»

Irgendwie erinnert mich das an ein Ferienerlebnis, als mein Papa in einer Lodge in Südafrika statt des Mückensprays (essenziell, wenn man draußen essen will) den Raumduft erwischt hat. Er fand, der riecht besser als der andere – blöd nur: Die Mücken waren derselben Meinung!

 

Ein ziemlich gestresster Mann kommt in die Apotheke:

«Ähh. Meine Schwiegermutter hat ziemlich schweren Durchfall, und ich hab gerade realisiert, dass ich ihr das Falsche gegeben habe. Also, wenn ich ihr eine doppelte Dosis Dulcolax gegeben habe, hilft dann eine vierfache Dosis Imodium dagegen?»

Uh, oh. Nein! Erklärung für Patienten und andere Laien: Dulcolax = Mittel gegen Verstopfung, Imodium = Mittel gegen Durchfall. Das … muss sie jetzt aussitzen.

 

Und wenn ich schon Imodium höre, muss ich immer an die Frau denken, die gefragt hat: «Haben Sie andere Schmerztabletten? Die ich meiner Mutter gegeben habe, wirken nicht.»

«Welche haben Sie denn probiert?»

«Imodium lingual.»

«Imodium? Aber das ist gegen Durchfall, das sind doch keine Schmerztabletten!»

«Das steht aber drauf: Schmerztabletten.»

Nein … da steht drauf SchmeLztabletten. Die sind zum Auflösen auf der Zunge.

 

Ein Mann mit Lederjacke und Jeans stapft an die Theke. Ich wittere Ärger. Das ist auch keine Kunst, es strömt bei ihm praktisch aus allen Poren.

«Wo ist die Apothekerin?!», sagt er laut genug, dass ich es höre, aber ich bin ja schon längst auf dem Weg.

«Das bin ich.»

«Wegen Ihnen habe ich einen Strafzettel bekommen und darf jetzt ein paar Monate nicht mehr Autofahren – und was mich das an Versicherung kostet, da darf ich gar nicht dran denken!»

«Was ist denn passiert?»

«Das ist passiert: Wegen einem Medikament, das ich von hier bekommen habe, hat mein Auto jetzt einen Totalschaden!»

«Oh.» Wir neigen zwar dazu, bei den wirklich gefährlichen Medikamenten darauf hinzuweisen, dass sie müde machen können, aber es gehört nicht zur Standardprozedur, auf alle Nebenwirkungen aufmerksam zu machen. Ein Patient hat auch eine Eigenverantwortung. Es kann also durchaus sein, dass er «wegen» eines Medikaments nicht mehr so fahrtüchtig war. Allerdings haben weder das Medikament noch wir den Unfall gebaut …

«Ja. Ich weiß nicht mehr, was das für Tabletten gewesen sind, aber ich habe sie von hier. Die hat mir der Arzt verschrieben. Das war eine weiße Packung mit Grün oder Blau. Am Mittag habe ich eine von denen genommen. Gegen sechs Uhr abends hatte ich dann mit Freunden ein, zwei Bier getrunken – das ist normalerweise kein Problem –, aber wegen den Tabletten … Jedenfalls habe ich auf der Rückfahrt mit dem Auto einen Totalschaden gemacht! Ich will jetzt von Ihnen wissen: WAS waren das für Tabletten?»

«Lassen Sie mich einen Blick in Ihr Dossier werfen …» Gut, dass wir über alle abgegebenen rezeptpflichtigen Medikamente «Buch» führen, also im Computer Patientendossiers haben. «Hmmm … Sie hatten da vor einiger Zeit Codein-Tabletten verschrieben bekommen. Gegen nächtlichen Husten. Das sind diese hier.» Ich zeige sie ihm. Er schaut sie etwas zweifelnd an. «Aber Sie haben gesagt, die Packung der Tabletten, die Sie verdächtigen, wäre mit Blau oder Grün gewesen? Die hier ist rot. Es ist durchaus möglich, dass dieses Medikament Einfluss hat auf die Fahrtauglichkeit.» Ich schaue weiter. «Da ist noch ein Medikament in Ihren Unterlagen, das in Frage kommt. Sirdalud-Tabletten. Das ist ein muskelentspannendes Mittel. Das halte ich für etwas wahrscheinlicher. Die machen an sich schon mehr müde – und da steht auch ausdrücklich in der Packungsbeilage, dass ‹in Kombination mit Alkohol die Fahrtüchtigkeit beeinträchtigt ist›. Außerdem (ich hole die Packung), das wäre eine grüne Packung.»

Der Patient schaut sich die beiden Medikamente an und runzelt die Stirn.

«Das war aber nicht die Packung, die ich hatte.»

«Das sind die einzigen Verdächtigen, die ich bei Ihnen in den Unterlagen finden kann. Und beide Medikamente haben Sie schon vor Monaten bei uns bezogen – hatten Sie denn Husten oder wieder Schmerzen, dass Sie eine davon genommen hätten?»

«Nnnneinn …»

Außerdem hatten wir bei beiden Medikamenten die Dosierung auf die Packung geschrieben – beide waren für die Nacht zu nehmen. Die Sirdalud eben, weil sie müde machen – und die Codein-Tabletten als Hustendämpfer, dass er schlafen konnte.

Dann geht dem Kunden ein Licht auf: «Der Name war auch irgendetwas mit S… Si… Stimox?»

«STILNOX?», frage ich ungläubig. Ich hole die Packung aus der Schublade und lege sie zu den anderen beiden. Die ist leicht blau … und weiß. Und die Tabletten sind auch weiß.

«Ja, DAS ist die Packung!»

«Das … haben Sie aber nicht von uns bekommen.»

«Nein … warten Sie mal. Ich glaube, die hat mir der Arzt direkt gegeben!»

«Wissen Sie, was das ist?»

«Etwas zum Beruhigen?»

«Ein bisschen mehr als das. Das ist ein ziemlich starkes Schlafmittel. Und eines der Medikamente, zu denen ich ganz sicher etwas sagen würde. So etwas wie ‹Gehen Sie nach der Einnahme gleich ins Bett. Laufen Sie nicht mehr herum› – und ganz sicher fährt man damit nicht mehr Auto.»

Der Mann sieht aus, als wolle er jetzt auch noch seinem Arzt einen Besuch abstatten. Aber was bringt es? Laut Gesetz gibt es bei Medikamenten im Gegensatz zu Alkohol keine Grenzwerte, was noch erlaubt ist. Es gilt die Eigenverantwortlichkeit.

Problematische Medikamente sind unter anderem: Schmerzmittel, Hustenmittel, Schlaf- und Beruhigungsmittel, Antiallergika, Psychopharmaka, Muskelrelaxantien, außerdem Mittel gegen Bluthochdruck (vor allem zu Beginn der Einnahme), Diabetes (wegen der Unterzuckerungsgefahr), Augentropfen (wenn sie die Sehstärke herabsetzen).

Andererseits ist es oft ebenso problematisch, die Medikamente nicht zu nehmen.

Darum sage ich dem Mann noch, bevor er geht: «Sie sollten unbedingt schauen, wofür das Mittel ist, bevor Sie es nehmen. Und bitte schauen Sie vor dem Autofahren, ob bei den Medikamenten speziell etwas steht von wegen Fahrtüchtigkeit. Und auf jeden Fall müssen Sie auf die Kombination mit Alkohol verzichten!»

Wütend stapft er wieder raus. Nur habe ich diesmal das Gefühl, dass er mehr sauer auf sich selbst ist als auf uns.

 

Am Telefon ist eine beunruhigt klingende Frau:

«Sind Sie die Apothekerin? Ich habe da eine wichtige Frage.»

«Ja, um was geht es denn?»

«Also mein Sohn, er ist 19 Jahre alt, hat letzthin bei seiner Freundin übernachtet …»

«Jaaa?», frage ich vorsichtig.

«Und da hat er eine Dummheit gemacht.»

Noch vorsichtiger: «Jaa?» Ich denke: Uh, oh. Was kommt wohl jetzt? Ungeschützter Geschlechtsverkehr? Drogen? Was?

«Er hat sich nämlich erkältet: Schnupfen, etwas Fieber …» Okay, das habe ich jetzt nicht unbedingt erwartet. «Und da hat seine Freundin ihm am Morgen einfach eine Antibiotikum-Tablette gegeben, die sie noch daheim hatte.»

«Ah.»

«Ja, und das ist doch ganz schlecht!», sagt sie aufgebracht. «Ich meine, wie kann sie nur

«Ist er denn allergisch dagegen?»

«Nein, aber man soll doch nicht einfach Antibiotika nehmen … und wenn er jetzt aufhört, ich habe gehört, das ist auch nicht gut, wenn man zu früh aufhört, das zu...

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