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Halt, stehenbleiben! Polizei!

Aus dem Leben eines Ermittlers - Über 40 authentische Fälle

AutorRichard Thiess
Verlagdtv Deutscher Taschenbuch Verlag
Erscheinungsjahr2012
Seitenanzahl224 Seiten
ISBN9783423415026
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis7,99 EUR
Kommissar Thiess ermittelt wieder Nach seinem Bestseller >Mordkommission< gibt Richard Thiess hier einen spannenden Einblick in die Arbeit der Kriminalpolizei und ihre Ermittlungsmethoden. Neben skurrilen, tragischen, absurden Fällen stehen anrührende und auch komische Episoden. Thiess spezialisiert sich zunächst auf Jugend- und Bandenkriminalität, er bringt u. a. die Münchner Marienplatzrapper zur Strecke, die größte Jugendbande, die bis dato in Deutschland ihr Unwesen trieb und sich sogar »Sklaven« hielt. Wir begegnen raffinierten Serien- wie Einzeltätern, aber auch grenzenlos naiven Zeitgenossen, die einen Diebstahl geradezu provozieren, und unerschrockenen »Miss Marples«. Es geht um Betrug und Erpressung, Dreistigkeit, Arglist, Gier - und um Besessenheit. Doch das Leben ist schillernd und hält immer wieder Überraschungen bereit, und so flicht Richard Thiess mit hintergründigem Humor auch so manch kuriose Episode ein. 

Richard Thiess, geboren 1952, arbeitete als Kaufhausdetektiv, bevor er sich bei der Polizei bewarb und ein Studium für den gehobenen Kriminaldienst absolvierte. Als Spezialist für Jugend- und Bandenkriminalität reiste er im Auftrag des bayerischen Innenministeriums nach Moskau und Lettland. Vor seinem Wechsel in die Mordkommission 2001 war er zuletzt für Eigentumsdelikte zuständig. Als Erster Kriminalhauptkommissar leitete er bis Sommer 2014 die Mordkommission V im Münchner Präsidium und war stellvertretender Leiter des Mordkommissariats.

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Leseprobe

Die Münchner Marienplatzrapper


Als ich im September 1989 das Schreiben eines Kaufhausdetektivs mit der »Mitteilung über eine verdächtige Wahrnehmung« in meiner Post fand, konnte ich nicht ahnen, dass es ein Ermittlungsverfahren in Gang setzen würde, zu dem es bis dato in der bundesdeutschen Kriminalgeschichte nichts Vergleichbares gab. Zwanzig Monate später, im Mai 1991, waren die Ermittlungen beendet und eine Jugendbande mit »für deutsche Verhältnisse beispielloser Energie« hatte aufgehört zu existieren. Zu diesem Ergebnis kam eine umfangreiche Studie durch Professor Dr. Siegfried Lamnek, Lehrstuhl für Soziologie an der Universität in Eichstätt.

Dem Detektiv war im Bereich des Münchner Marienplatzes eine ständig größer werdende Zahl von Jugendlichen aufgefallen, die dort offensichtlich ohne geregelte Arbeit herumhingen und immer wieder Ladendiebstähle in den umliegenden Kaufhäusern und Geschäften verübten. Auch in dem Kaufhaus, für dessen Sicherheit er verantwortlich war, waren schon mehrere der jungen Männer bei Diebstählen von hochwertiger Unterhaltungselektronik erwischt worden. Besonders einer hatte sich in den letzten drei Monaten wiederholt durch Diebstähle teurer Videokameras hervorgetan. Er war zwar jedes Mal angezeigt worden, was ihn aber nicht sonderlich zu beeindrucken schien, da er munter weiterklaute. Dieser junge Mann war offenbar eine Art Anführer, zumindest genoss er großes Ansehen bei seinen Freunden. Der Detektiv, der mich von früheren Ermittlungen her persönlich kannte, nannte die Personalien dieses Ladendiebs und zweier Mittäter und bat, mich der Sache anzunehmen. Obgleich »normale« Ladendiebstähle in den Zuständigkeitsbereich der Schutzpolizeiinspektionen gehören, weckte das Schreiben sofort mein Interesse. Bereits früher hatten sich Mitteilungen dieses Detektivs immer als zutreffend herausgestellt. Als Erstes studierte ich die Kriminalakten der drei jungen Männer. Ich staunte nicht schlecht. Denn bereits die Auswertung der ersten Akte eines gerade mal fünfzehn Jahre alten Täters ergab, dass er in einem Zeitraum von knapp einem Jahr zehn Mal bei Diebstählen mit wechselnden Mittätern ertappt worden war. Besonders verwunderlich fand ich, dass die Staatsanwaltschaft sieben Verfahren, in denen es immerhin um einen Gesamtschaden von rund achttausend Euro ging, ohne nennenswerte weitere Sanktionen eingestellt hatte. Aktuell liefen drei weitere Anzeigen gegen den Burschen, wobei die Entscheidung der Justiz noch ausstand.

Auch die beiden anderen hoffnungsvollen Knaben, fünfzehn bzw. siebzehn Jahre alt, hatten schon in großem Umfang »bei uns arbeiten lassen«. Doch o Wunder: Auch sie hatten es bislang geschafft, frei von spürbaren juristischen Sanktionen zu bleiben. Dies war vor allem deshalb erstaunlich, weil sie die Taten zumeist mit anderen begangen hatten, die Schadenshöhe beträchtlich war und die Diebstähle in immer kürzeren Abständen verübt worden waren. Die Unterlagen machten jedenfalls eines deutlich: Am Marienplatz schien sich etwas zusammenzubrauen!

Ich besorgte mir nun die Akten der weiteren Mittäter, um festzustellen, dass auch diese Jungs bereits mit zahlreichen Delikten bei uns in Erscheinung getreten waren, überwiegend Diebstähle, aber auch wegen Körperverletzung. Mit jeder Kriminalakte, die ich studierte, verdichtete sich die Erkenntnis, dass die meisten Delikte einen Bezug zur Jugendszene am Marienplatz aufwiesen. Es dauerte fast zwei Monate, bis ich die Aktenauswertung abgeschlossen hatte. Dabei ergab sich der Verdacht, dass sich rund hundert zumeist Jugendliche und Heranwachsende zu einer Bande zusammengeschlossen hatten, um vom Marienplatz aus gemeinsam Straftaten zu verüben. Nun informierte ich die Staatsanwaltschaft, wo sämtliche Ermittlungen gegen die Gruppe einem einzigen Referat zugeteilt wurden. Dies war eine wichtige Maßnahme, hatte sich doch aus dem Aktenstudium ergeben, dass die bisherigen Ermittlungen bei mehr als fünfundzwanzig Polizeidienststellen geführt worden waren. Da auch bei der Staatsanwaltschaft unterschiedliche Referate zuständig gewesen waren, waren die Aktivitäten der Gruppe über einen Zeitraum von rund drei Jahren unentdeckt geblieben.

Zur Bearbeitung des Falles wurde im November 1989 eine Sonderkommission gegründet, die »Soko Rapper«. Zur Unterstützung wurden mir drei Beamte anderer Dienststellen zugewiesen und bald darauf bezogen wir Räume in einem Kommissariat, dessen stellvertretender Leiter zunächst die Führung unserer Soko übernahm. Es war ihm ein Anliegen, bei der Ermittlung mitzuwirken. Seine Dienststelle hatte vor nicht allzu langer Zeit selbst einen Hinweis erhalten, war aber zu dem Ergebnis gelangt, dass es keine Bande gäbe. Nun wollte man diese Scharte wieder auswetzen.

Wir hatten für unsere Soko die Bezeichnung »Rapper« gewählt, weil wir herausgefunden hatten, dass eine wesentliche Gemeinsamkeit der Bandenmitglieder ihre Vorliebe für Rapmusik war und sie sich an dem Vorbild amerikanischer Streetgangs orientierten. Die Marienplatzgruppe propagierte und lebte eine Ideologie der nackten Gewalt nach Muster der hochkriminellen Streetgang der »Los-Angeles-Bloods-and-Crips«. Da sich die Gruppe am Marienplatz im Kern aus einer Sendlinger »Jugendblase« rekrutiert hatte, nannte die Gruppe sich die »Sendling-Bronx-and-Bloods-and-Crips«; es war ihr erklärtes Ziel, Zustände wie in L.A. auch in München zu etablieren. Sie gingen dazu über, Baseballschläger als Waffen mitzuführen und sich mit sogenannten Arafat-Tüchern zu vermummen. Dies war der Stand, als wir mit den gezielten Ermittlungen begannen.

Da zu diesem Zeitpunkt bereits der dringende Verdacht auf Bildung einer kriminellen Vereinigung und schweren gewerbsmäßigen Bandendiebstahl bestand, wurden auch Telefone überwacht. Nachdem die ersten Überwachungsmaßnahmen an einem Samstag eingerichtet worden waren, hörte ich gleich eine Leitung ab. Und traute meinen Ohren nicht. Da sprachen zwei Personen darüber, wie es sein könne, dass einer der Hauptbeschuldigten in den letzten Wochen drei Mal auf frischer Tat festgenommen worden war: »Glaubst du, die hören unsere Telefone ab?« »Nein, aber ich kann ja trotzdem am Montag mal nachschauen – der Raum, in dem die Leitungen angezapft werden, liegt direkt neben meinem Büro!« Das saß! Offenbar war einer der beiden Angehöriger der Deutschen Post (die in jener Zeit auch für Telekommunikation zuständig war). Ich kam mir an diesem Nachmittag wie der berühmte Buchbinder Wanninger vor, bis es mir endlich gelungen war, einen leitenden Angestellten der Post telefonisch aufzutreiben. Mit Hilfe eines Technikers gelang es, noch am Wochenende die überwachten Leitungen so zu modifizieren, dass in dem besagten Raum nichts, aber auch gar nichts mehr auf die Überwachungsaktivitäten hindeutete. Tatsächlich war am Montag bei einem weiteren Gespräch auf den überwachten Leitungen die »Entwarnung« zu hören: »Unsere Leitungen sind hundertprozentig sicher – sie werden garantiert nicht überwacht!« Ich wollte mir lieber nicht ausmalen, welche Folgen es für die Ermittlungen gehabt hätte, wenn mich das Jagdfieber nicht schon am Samstag gepackt hätte. So aber konnten letztlich allein durch die Telefonüberwachung Hunderte Straftaten geklärt werden, da die Burschen völlig offen sprachen.

Nach drei Monaten wurden bei einer ersten Festnahme- und Durchsuchungsaktion fünf Haftbefehle vollstreckt, vierundzwanzig Vorführbefehle vollzogen und dreißig Objekte durchsucht. An der Aktion waren mehr als zweihundert Beamte beteiligt. Anschließend wurde die Soko kurzfristig verstärkt. Bald darauf waren so insgesamt fünfunddreißig Beschuldigte vernommen und neunundachtzig Straftaten geklärt. Damit – so befand der damalige Sokoleiter – sei die Arbeit der Soko beendet. Er löste sie auf.

Allerdings war dies ohne Absprache mit der Staatsanwaltschaft erfolgt, die daraufhin anordnete, die weiteren Ermittlungen unter meiner Leitung fortzusetzen. Ich zog zusammen mit einem Kollegen, den ich zur Unterstützung behalten konnte, zurück in mein eigenes Büro. Trotz der verfrühten Aktion gegen nur einen Teil der Bande gelang es uns, weitere fünfzig Beschuldigte zu ermitteln und schließlich den Nachweis für mehr als eintausend Straftaten zu erbringen. Bei einundzwanzig Durchsuchungen konnten wir umfangreiches Beweismaterial sicherstellen.

Als besonders ermittlungsintensiv erwies sich dabei die Beschlagnahme mehrerer Hundert teils hochwertiger Schmuckstücke bei einem Juwelier, der im Verdacht der Hehlerei stand. Im Schlafzimmer seiner Wohnung stand ein deckenhoher, alter und angeblich leerer Tresor, dessen Schlüssel vor Jahrzehnten verlorengegangen war, wie er uns glauben machen wollte. Erst auf meine Ankündigung hin, den Tresor aufschweißen zu lassen, besann er sich eines Besseren. »Warten Sie, vielleicht finde ich den Schlüssel ja doch noch – ich schau mal nach.« »Wie wär’s denn, wenn Sie mit der Suche gleich in Ihrer Rocktasche anfingen, dort, wo Ihr Schlüsselbund die Tasche so ausbeult?« Und was soll ich sagen: Zum grenzenlosen Erstaunen des Mannes hatte tatsächlich der große, schwere Doppelbartschlüssel des Tresors unbemerkt all die Jahre an seinem Schlüsselbund gehangen.

Als die schwere Tür des Tresors offenstand, war es an uns, zu staunen: Der gesamte Innenraum, vom Fußboden bis zur Decke, war bis auf den letzten Kubikzentimeter vollgestopft mit Perlenkolliers, Brillantschmuck, uralten Taschenuhren aus reinem Silber, Edelsteinen aller Couleur, Diamantbroschen und weiterem Geschmeide – Schmuck im Wert von mehreren Hunderttausend Euro. Jetzt war ich auf die Erklärung des Mannes gespannt, woher...

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