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E-Book

Herrschaft über Syrien

Macht und Manipulation unter Assad

AutorDaniel Gerlach
Verlagedition Körber-Stiftung
Erscheinungsjahr2015
Seitenanzahl392 Seiten
ISBN9783896844798
FormatPDF/ePUB
KopierschutzWasserzeichen/DRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis12,99 EUR
Auch nach Jahren der Tyrannei und des Krieges hält sich das syrische Regime noch immer an der Macht. Aber wer und was ist eigentlich dieses Regime? Welche Kräfte und Narrative halten es im Inneren zusammen? Der Journalist und Orientalist Daniel Gerlach entwirrt die Hintergründe einer Logik der Gewalt und Manipulation, der sich die Herrschenden auch selbst unterworfen haben. Was 2011 als Aufbegehren gegen ein politisch und moralisch bankrottes System begann, eskaliert immer weiter, beschleunigt noch durch die Exzesse des »Islamischen Staates«. Ratlos schaut die Welt zu, kann oder will nicht helfen - zu verworren scheinen die Konfliktlinien, zu groß ist die Sorge, die »falsche Seite« zu unterstützen. Daniel Gerlach beleuchtet das schizophrene Verhältnis der Religionen und Konfessionen in Syrien, das Wirken sichtbarer und unsichtbarer Mächte, die diesen Konflikt so unerbittlich machen. Er beschreibt die Geister der Vergangenheit, erzählt von traumatischen Erfahrungen und ihrer Wirkung auf das heutige Syrien. Klar wendet sich Gerlach gegen die Behauptung, das Regime sei der Garant für Stabilität und den Erhalt eines Staates, den es womöglich längst nicht mehr gibt. Die Lage ist undurchsichtig - auf ihrer Unwissenheit ausruhen können sich die internationalen Mächte nun allerdings nicht mehr.

Daniel Gerlach ist Chefredakteur des Magazins »zenith«, das sich mit Politik, Wirtschaft und Kultur der arabisch-islamischen Welt beschäftigt. Er studierte Geschichte und Orientalistik in Hamburg und Paris und ist als Nahost-Experte regelmäßig Gast in deutschen und internationalen Medien. Gemeinsam mit dem Verfassungsrechtler Dr. Naseef Naeem leitet er die Nahost-Expertengruppe zenithCouncil, die sich mit Fragen von Recht und Staatlichkeit in der Region befasst.

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Leseprobe

Syrien im Dämmerlicht
Eine Einleitung


Alle freien Gesellschaften gleichen einander, jede unfreie ist auf ihre eigene Weise unfrei.

Als Europäer, die das Privileg von Meinungsfreiheit und verhältnismäßiger Rechtssicherheit genießen, neigen wir wohl zu der Annahme, dass repressive Regime mit den Attributen »autoritär« oder »totalitär« ausreichend beschrieben seien. Die einen agieren tyrannisch, interessieren sich aber nicht weiter für das, was ihre Untertanen treiben, sofern es ihren Machterhalt nicht empfindlich stört. Die anderen wollen die Gesellschaft mit einer Ideologie durchdringen, den Menschen verändern. Sie richten sich vortrefflich ein in den Widersprüchen, die aus einem wie auch immer gearteten Interesse am Fortschritt der Allgemeinheit und dem eigenen Zugewinn an Macht und Vermögen resultieren – allerdings um den Preis, dass sie mit der Zeit paranoid werden.

Aber sind dies denn die einzigen Wesenszüge, die ein unterdrückerisches Regime vom anderen unterscheiden? Es lohnt sich, die Herrschaftstechniken immer auch im jeweiligen kulturellen, historischen und politischen Kontext zu betrachten.

In Syrien tobt seit nunmehr vier Jahren ein Krieg. Im August 2014 sprachen die Vereinten Nationen von der »größten humanitären Krise unseres Zeitalters«. Syrien kollabiert, auf seinen Trümmern zeigt sich die hässliche Karikatur eines anderen Staates, der sich »islamisch« nennt. Die Mächte, die von außen in diesen Krieg eingriffen, taten dies mit der gleichlautenden Begründung wie diejenigen, die sich heraushielten: Man müsse Schlimmeres verhindern, nämlich, dass es noch mehr Todesopfer gäbe. Mit dem Fortschreiten der Zeit mehrte sich auch die Anzahl der verpassten Chancen, der Gewalt ein Ende zu bereiten. Große und kleine Möglichkeiten boten sich nicht nur den Weltmächten, sondern auch der Bundesrepublik. Sie blieben ungenutzt – aus Überzeugung, Zweifeln oder Trägheit.

Und allenthalben, auch von ausgewiesenen Nahost-Experten, war zu hören, die Lage in Syrien sei einfach zu verzwickt. Einige verstiegen sich sogar in die zynische Conclusio, man müsse den Konflikt »ausbluten lassen«.

Als ein Journalist des Boston Review 2014 dem aus der syrischen Stadt Rakka stammenden Intellektuellen Yassin Haj Saleh sagte, der Westen finde die Situation in Syrien »verwirrend«, konterte dieser, er finde es »verwirrend, dass der Westen unsere Situation in Syrien verwirrend findet«.

Haben wir also vier Jahre lang berichtet, analysiert, uns den Kopf zerbrochen und internationale Konferenzen abgehalten, um nun, 200.000 Tote später, zu dem Schluss zu kommen, dass das alles »viel zu kompliziert« sei? Sind wir so müde, dass wir gar nicht mehr verstehen wollen, was in Syrien geschieht? Und gibt es nicht ohnehin immer so viele Wahrheiten in Kriegen, dass man am Ende gar nichts glauben kann? Für die Politik und diejenigen, die sie beraten, ist das eine denkbar schlechte Ausrede. Und obendrein stimmt es nicht einmal. Nicht alles ist relativ und zur schieren Ansichtssache degradierbar.

Natürlich existieren sehr unterschiedliche Narrative – nicht nur, weil sie zum Zwecke politischer Propaganda fabriziert werden, sondern auch, weil die Menschen im Krieg sehr unterschiedliche Erfahrungen machen. Das gilt ebenso für das politische System dieser »Arabischen Republik«. Oft schien es, als könne man von jeder Aussage, die über Syrien gemacht wurde, auch immer das Gegenteil belegen: Syrien war eine Diktatur mit brutalem Sicherheitsapparat? – Ja. Dennoch konnte man in diesem Land Gerichtsprozesse gegen Verwandte des Herrscherclans führen – und sie sogar gewinnen.

Syrien war ein Staat mit einer fast beispiellosen Vielfalt an Religionsgemeinschaften, die friedlich miteinander lebten? – Vordergründig ja, aber hintergründig zehrte das Regime von Hass und Misstrauen zwischen den Konfessionen.

Es handelt sich um einen Volksaufstand gegen eine Diktatur? – Ja, aber Syrien ist ein Land vieler Völker, die sich diesem Aufstand nicht sämtlich angeschlossen haben.

Wir müssen feststellen, dass diese landläufigen Thesen zutreffen und sich – obwohl sie in der Diskussion meist gegeneinander ins Feld geführt werden – nicht notwendigerweise widersprechen.

Die Syrer waren und sind Meister darin, grausame Wahrheiten schlichtweg auszublenden, was das Leben in ihrem Land wohl oft viel angenehmer machte: eine zur Mentalität gewordene Überlebensstrategie.

Viele Syrer können glaubhaft versichern, dass es ihnen immer einerlei gewesen sei, ob ihr Arbeitskollege Sunnit, Druse oder Alawit war. Andere richteten sich in Hass und Ressentiments ein und vererbten diese an spätere Generationen weiter. Die Erfahrungsmöglichkeiten in einem diktatorischen Regime scheinen manchmal ungleich individueller, variabler und persönlicher als die in einer Demokratie. Das syrische System konnte für manche Menschen ein erfülltes Leben bereithalten, für andere aber nichts weniger als die Vorstufe zur Hölle: Die einen sangen in Kirchenchören, turnten in Sportvereinen, küssten ihre erste Liebe unter Kirschbäumen und im Schatten malerischer Burgen. Die anderen verbrachten ihre halbe Jugend im Militärgefängnis von Tadmor, weil ihr Bruder oder Vater bei den Muslimbrüdern war.

Man kann diese Vielfalt der Narrative nicht vereinheitlichen. Aber wenn eine Macht sie aus politischen Interessen gegeneinander ausspielt, empfiehlt es sich, genauer hinzusehen, um ihr nicht auf den Leim zu gehen.

Zweifel, Konfusion und das Unausgesprochene, das Implizite, bilden, wie wir in den folgenden Kapiteln sehen werden, den Nährboden, auf dem sich das syrische Regime zu jener monströsen Gestalt auswuchs, die heute noch vor uns steht. Womöglich entstand aus einem solchen Amalgam sogar sein eigentliches Wesen.

Dieses Buch ist ein Versuch, die Techniken und Methoden der Herrschaft über Syrien zu beschreiben. Es sind Techniken, denen sich die Herrschenden, die sie gebrauchen, auch selbst unterworfen haben. Dabei gilt es vor allem, eine Frage nicht aus dem Blick zu verlieren, von deren Beantwortung auch in Zukunft noch viel abhängen wird: Wer oder was ist eigentlich das syrische Regime?

Angesichts der Schrecken des »Islamischen Staates« mehren sich im Westen, insbesondere aber in Deutschland, jene Stimmen, die fordern, das Regime als Verbündeten im Kampf gegen die Dschihadisten aufzuwerten. Man kann so etwas zur Debatte stellen. Nur empfiehlt es sich, einen Schritt zurückzugehen und sich genau anzuschauen, mit wem man es dann zu tun bekäme.

Dieses Buch ist kein wissenschaftliches, es soll aber einer wissenschaftlichen Überprüfung der Quellen und Argumente standhalten können – sofern die Wissenschaft einmal Worte und Kriterien für das findet, was heute in Syrien geschieht. Manche Überlegungen darin sind schlechterdings nicht beweisbar. Man beurteilt die Mächte und Akteure ja gemeinhin nach der »Aktenlage«: nach dem, was sie sagen, schreiben und was von ihnen berichtet wird. Zu erfassen, was sie nicht verbalisieren, fällt schwer. Jeder Versuch, die mitunter verheerende Wirkung jenes Impliziten, Unausgesprochenen, Unsichtbaren zu beschreiben, das Teil der Konfliktdynamiken, vor allem aber der Methode der Macht dieses Regimes wurde, ist angreifbar und setzt sich dem Vorwurf der Spekulation aus.

Das soll uns aber nicht von diesem Versuch abhalten. Letztendlich müssen sich ja auch die Naturwissenschaften eingestehen, dass sie manche subatomaren Teilchen nie gesehen haben, man aber aus ihrer Wirkung schließen muss, dass es sie gibt.

Dieses Buch ist keine Chronik des Aufstandes, noch soll es lückenlos den Hergang der Ereignisse rekonstruieren und dabei alle Akteure gleichermaßen behandeln. Das Augenmerk liegt hier auf der Natur, den Verhaltensweisen und Erscheinungsformen des Regimes sowie jener Kräfte, die es bis heute fortbestehen lassen. Die Opposition, ob im Feld kämpfend oder im Ausland tagend, kommt nur am Rande vor. Ausländische Mächte wie die Türkei, Saudi-Arabien, Katar oder der Westen, die in den vergangenen Jahren mehr oder weniger entschlossen auf einen Sturz des Regimes hinwirkten, sind ebenfalls nicht Gegenstand – was nicht bedeuten soll, dass man ihre Rolle deshalb vernachlässigen könne.

Auch die Kurden kommen nicht vor. Die Geschichte dieser bemerkenswerten Minderheit und ihrer politisch-militärischen Organisationen, ihre symbolträchtigen Schlachten, ihr Autonomieprojekt und ihr ambivalentes Verhältnis zum Regime werden noch Thema für andere, berufene Autoren sein.

Die folgenden Kapitel sollen nicht nur ein Schlaglicht auf das aktuelle Geschehen werfen, sondern auch auf historische Erfahrungen, die nie aufgearbeitet wurden und deshalb bis heute die kollektive Psyche der Syrer heimsuchen – wenn man diesen nicht unumstrittenen Begriff gebrauchen will. Sie prägen die Gesellschaft, ihre Reflexe, Ängste und Erwartungshaltungen. Über sie gelangen wir aber auch auf die Spuren der Logik des Regimes: Denn sie lassen uns seine Entstehungsgeschichte und seine inneren Kohäsionskräfte verstehen.

Andere Autoren mögen zu anderen Schlüssen kommen. Und oft verdankt man ja gerade denen, die die eigene Analyse eher kritisch bewerten, ganz besonders viel. Da wären zunächst Ghiath Bilal und sein Team mit ihren erstklassigen Studien zu Syrien und dem Phänomen »Islamischer Staat«. Wer hätte gedacht, dass es so eine Freude sein kann, mit einem studierten Ingenieur zu arbeiten!

Für Erkenntnisse zum regionalen Kontext danke ich Walter Posch von der Landesverteidigungsakademie in Wien. Was seine...

Blick ins Buch

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