2. Supervision und Coaching
Im Folgenden beschäftigen wir uns schwerpunktmäßig mit grundlegenden Fragestellungen zu den Beratungsangeboten Supervision und Coaching. In der Einführung dieser Begriffe zeigte sich bereits, dass es nicht so einfach ist, klare Grenzen zwischen beiden Ansätzen zu ziehen. Wir haben in unserer Arbeit und folglich auch in diesem Buch schließlich darauf verzichtet, grundsätzlich auf Abgrenzung zu bestehen, da wir den Eindruck haben, dass dies in der aktuellen Marktsituation vor allem aufgrund der häufig bestehenden Konkurrenz geschieht.
Auf der Internetseite des Berufsverbandes Deutscher Psychologen (BDP) wird seit Kurzem ein identisches Vertragsmusterformular für die vom BDP zertifizierten Supervisorinnen und Coaches bereitgestellt. Die rechtlichen Grundlagen der beiden Beratungsformen sind identisch. Das betrifft insbesondere die Regelung zur Schweigepflicht nach § 203 des Strafgesetzbuches und die Abgrenzung von Supervision und Coaching zur heilkundlichen Behandlung der Psychotherapie.
Das fachliche Fundament für berufliche Beratung, das wir hier darstellen, kann in beiden Formen gleichermaßen Anwendung finden. Um mit diesen Angeboten professioneller Beratung – ob nun separat oder in Kombination – zu arbeiten, ist es dennoch wichtig, sie im Kontext ihrer Rahmenbedingungen mit den als typisch herauskristallisierten Arbeitsweisen und Zielstellungen in ihren Verbindungslinien, Gemeinsamkeiten und Unterschieden zu betrachten. Das folgende Kapitel gibt Ihnen die Gelegenheit dazu.
2.1 Verbindungslinien und Abgrenzungsmöglichkeiten von Supervision und Coaching: Kriterien zur Auswahl der Angebote
Supervision und Coaching als Beratungsformen sind Konzepte und Konstrukte, die in einer bestimmten zeitgeschichtlichen Situation Bedeutung erlangen. Einige soziologische Theorien gehen davon aus, dass die steigende Nachfrage an persönlichen Beratungsangeboten eine Folge der immer stärker gewordenen Konzentration auf das Individuum und dessen Interessen seit der Aufklärung ist. Andere Erklärungen beziehen sich auf den zunehmenden Leistungsdruck mit Folgeproblemen wie die verstärkt empfundene Bedrohung durch Mobbing, Kündigung, Burn-out und deklarieren den Einsatz von Supervision als Angebot zur sogenannten Psychohygiene für den sozialen Arbeitsbereich. Gleiches gilt dann für Coaching im Bereich von Wirtschaft. Einige Beobachterinnen formulieren, Coaching sei schlicht die männliche Form von Supervision oder so etwas wie „Supervision im Nadelstreifenanzug“. Wenn man den freien Markt aktueller Beratungsangebote genauer betrachtet, fällt auf, dass zahlreiche Angebote sowohl Coaching als auch Supervision umfassen. Im Hintergrund stehen dieselben professionellen Gesprächstechniken.
Überblick Supervision und Coaching
Die Frage, die sich beim Einsatz von Supervision und Coaching stellt, ist also bei näherer Betrachtung: Wer definiert, was welche Beratungsform ist und wie im Diskurs die Abgrenzung entsteht? Schließlich „fällt“ beides nicht sprichwörtlich „vom Himmel“. Sondern verschiedene Interessen führen letztlich zur Etablierung einzelner Angebote auf dem Markt. Für potenzielle Nutzer der Angebote ist dieser Prozess allerdings meist nicht leicht durchschaubar. Sie brauchen Kriterien, nach denen es ihnen möglich ist, ein bestimmtes Beratungsformat anzufragen. Hier geht es darum, diese Kriterien überblicksartig zusammenzufassen.
Abb. 3: Überblick Supervision und Coaching
2.1.1 Der Auftrag
Supervision bedeutet sprachlich so viel wie „darüber hinaussehen“, „von oben draufgucken“ und möchte den Teilnehmenden Raum geben, die Dynamik innerhalb von Arbeitsbeziehungen bewusst wahrzunehmen. Ob nun in der Supervision mit einer einzelnen Person oder einem Team: Es geht um die Bearbeitung beruflicher Fragen und dabei auch um Problematiken emotionaler, innerpsychischer und interpersonaler Themen.
In Organisationen und Institutionen, die in ihrem Arbeitsangebot gesellschaftliche Missstände oder andere Notlagen aufgreifen, wie soziale Probleme, häusliche Gewalt, Krankheit und Sterben, ist es zur Erhaltung der Arbeitsfähigkeit der dort beschäftigten Menschen wesentlich, dass sie die Möglichkeit erhalten, eigene mit diesen Missständen oder existenziellen Problemen verbundene Gefühlslagen und Dilemmata zu reflektieren und zu bearbeiten. Das ermöglicht ihnen, in jedem Gespräch die belastenden Gefühle ihrer Klienten im Wortsinn dienst-leistend anzuhören und hilfreich damit umzugehen. Haben sie diese Möglichkeit der Bearbeitung in der Supervision nicht, so steigt die Frustrationsrate durch die Arbeit mit Thematiken, denen die meisten Menschen aus ihrem Selbsterhaltungstrieb heraus lieber aus dem Weg gehen.
Der durch Wolfgang Schmidbauer geprägte Buchtitel „Hilflose Helfer“ fasst diese Problematik in ihren Grundzügen zusammen und ist inzwischen sprichwörtlich für in der sozialen Arbeit tätige Menschen und deren hohes Arbeitsrisiko in Bezug auf die Burn-out-Symptomatik. Supervision wirkt hier vor allem vorbeugend. Wenn Mitarbeitende bereits an einem Burn-out-Syndrom leiden, so hat dies Krankheitswert und ist mit einer Psychotherapie zu behandeln.38
Man kann sagen, dass in sogenannten herausfordernden Institutionen, wie in Gefängnissen oder Krankenhäusern, Supervision bezahlt wird, damit die Arbeitnehmer in dieser schwierigen Situation arbeitsfähig bleiben. Es gehört, wie in jeder psychosozialen Arbeit, zu den nicht lösbaren Widersprüchen, dass diese Hilfe immer auch systemstabilisierend ist. Auch Coaching, zumindest wenn es von der Institution bezahlt wird, ist in der Regel mit den Zielen der Institution, in der es stattfindet, konform.
Supervision wird nicht nur im psychohygienischen Sinne, sondern ebenso als Mittel der Qualitätssicherung genutzt. Die Mitarbeitenden bekommen dadurch Raum, Persönliches innerhalb ihres professionellen Daseins zu thematisieren. Supervision ist in hohem Maße sinnvoll, damit Konfliktpotenzial und -material bearbeitet und ein wesentlicher Beitrag zur Erhaltung der Arbeitsatmosphäre und -qualität geleistet werden kann. So braucht beispielsweise ein Team der Telefonseelsorge regelmäßig einen Raum zur Supervision, auch wenn alles, was organisatorisch an dieser Arbeit hängt, perfekt gestaltet ist. Wenn man das Angebot der Telefonseelsorge verdoppeln wollte, dann könnte ein Coach der geeignete Berater sein. Coaching dient der Leistungsoptimierung und -steigerung, kann unter dieser Zielstellung aber auch all das beinhalten, was wir gerade zur Supervision beschrieben haben.
2.1.2 Auftraggeber
Maßgeblich für die Antwort auf die Frage danach, was genau Supervision, Coaching oder ein weiteres Beratungsformat ist, ist, wer das Ganze bezahlt. In Situationen, in denen sich eine Einzelperson aus ihrer eigenen Tasche Supervision oder Coaching leistet, können Arbeitsbündnisse problemlos angemessen verändert werden, während bei Dreieckskontrakten die Interessen der Firmenleitungen mit den jeweiligen Änderungen der Gegebenheiten ausbalanciert werden müssen. Lassen Sie uns in Anknüpfung an unsere anfängliche Darstellung der geschichtlichen Entwicklung der unterschiedlichen Angebote professioneller Kommunikation (siehe Abschnitt 1.2) den folgenden Vergleich anstellen:
In der medizinischen Heilkunst haben sich Spezialisierungen von Fachärzten ergeben. Nun kann es durchaus passieren, das eine Patientin beim Ohrenarzt anfängt zu weinen, weil ihr Sohn sie nicht besucht. Hier konfrontiert die Patientin den Arzt mit einem Thema, das eigentlich nicht zu seinem engeren Auftrag gehört. Ebenso kann es passieren, dass bei einem Firmencoaching ein mittlerer Angestellter nicht über sein aktuelles Firmenprojekt spricht, sondern über seine Eheprobleme. Die Kunst des Arztes und auch des Coaches würde dann darin bestehen, vom eigentlichen Arbeitsauftrag abweichende Themen sinnvoll in den eigenen Heilungs- bzw. Beratungsprozess zu integrieren und eben nicht nur Spezialist, sondern immer auch etwas Generalist sein zu können. Trotzdem ist es natürlich sinnvoll, mit Ohrenschmerzen zu Ohrenärzten zu gehen.
In Bezug auf Supervision und Coaching kann man sagen, dass, wie es sich heute entwickelt hat, Supervision eher der Qualitätssicherung und der Erhaltung der Arbeitsfähigkeit der Mitarbeitenden dient, Coaching dagegen instrumentalisiert auf ein bestimmtes (Firmen-)Ziel hinarbeitet.39 Beide Angebote unterscheiden sich also vor allem in Bezug auf die Rolle und das jeweilige Verhältnis zwischen Klient und Berater.
Eine Führungkraft in einer sozialen Einrichtung oder Firma, die für Mitarbeiterinnen Supervision oder Coaching oder Organisationsberatung bezahlen soll, wird sich fragen, was genau dabei herauskommen soll. Hier kann sehr zufällig die Bekanntschaft mit einer Beratungsperson oder eine Empfehlung den Ausschlag für einen Auftrag geben. Es kann auch sehr variieren, ob sich eine Beraterin, die eine der drei Qualifikationen hat, automatisch alle drei Beratungsformen zutraut oder ob sie sehr klar begrenzte Angebote macht. Auf jeden Fall sind die Segmente auf dem Markt der beruflichen Beratung heute noch nicht so präzise voneinander abgegrenzt, wie die oben erwähnten Fachärzte es sind. Allerdings ist anzunehmen, dass sich Personen, die Coaching suchen, eher als „Kunden“ sehen und Beratung eher als „Dienstleistung“ wahrgenommen wird.
2.1.3 Rollenverständnis von Supervisoren und Coaches
Als Qualifikationsmerkmale von Supervisorinnen und Coaches unterscheidet man Feldkompetenz und Beratungskompetenz. Wenn zum Beispiel jemand in einem Krankenhaus als Supervisorin oder Coach arbeitet, so ist es selbstverständlich von Vorteil, wenn...