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E-Book

Ich liebe die Anfänge!

Von der Lust auf Veränderung

AutorBarbara Salesch
VerlagS. Fischer Verlag GmbH
Erscheinungsjahr2014
Seitenanzahl256 Seiten
ISBN9783104028712
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis9,99 EUR
Juristin, Fernsehstar, Künstlerin - Barbara Salesch weiß, wie befreiend Neuanfänge sein können. Als die Vorsitzende Richterin am Landgericht Hamburg für eine TV-Sendung vorgeschlagen wird, sagt sie spontan zu. Über 12 Jahre prägt sie den Fernsehnachmittag und erhält dafür den Deutschen Fernsehpreis. 2012 beendet sie ihre erfolgreiche Fernsehkarriere, nimmt ein Kunststudium auf und widmet sich ganz ihrer Arbeit als Künstlerin. Mitreißend und überzeugend zeigt Salesch, dass nur Veränderungen uns im Leben weiterbringen und dass es dafür nie zu spät ist!

Barbara Salesch wurde 1950 in Karlsruhe geboren. Nach dem Jurastudium in Freiburg, Hamburg und Kiel begann Salesch 1979 als Richterin in Hamburg. Einige Jahre arbeitete sie auch als Staatsanwältin und als Abteilungsleiterin in der Justizbehörde. 1991 wurde sie zur Vorsitzenden Richterin am Landgericht Hamburg ernannt. Auf Vorschlag der Präsidentin des Landgerichts Hamburg bewarb sie sich 1999 um die Stelle einer Fernsehrichterin und wurde sofort genommen. Im Sommer 2012 beendete Salesch nach fast 2400 Sendungen ihre Fernsehkarriere, um sich ihrer Arbeit als Künstlerin zu widmen.www.galerie-barbara-salesch.de

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Leseprobe

Frauen damals


Von meiner Mutter lernte ich, was Abhängigkeit für eine Frau bedeuten kann. Sie bedauerte ihr Leben lang, nicht aufs Gymnasium gedurft zu haben, obwohl sie eine Einserschülerin gewesen war. Sie hätte gerne studiert und wäre dann vermutlich Lehrerin geworden, aber damals kostete das Gymnasium Geld, und das hatten ihre Eltern nicht. Das heißt, es war nur für eines der drei Kinder da, und das war dann natürlich der Sohn, ihr jüngerer Bruder. Der war unheimlich lustig, und ich mochte deshalb meinen Onkel sehr. Aber er war damals eben auch stinkfaul und flog nach ein paar Jahren vom Gymnasium.

Meine Mutter hat vielleicht gerade deshalb ihre beiden Töchter von Anfang an in Sachen Schule und Bildung voll und ganz unterstützt. Nie haben meine Schwester oder ich gehört, was sich heute noch Mädchen anhören müssen, dass ihre Ausbildung nicht so lange dauern solle, sich alles eh nicht lohne, weil sie sowieso heiraten würden, und dergleichen Unsinn mehr. Mein Vater brachte es in seiner Art auf den Punkt: »Entweder du lernst, machst Abitur und studierst, was immer du willst, oder du wirst Schweinehirt.« Nichts gegen Schweinehirten, aber das war so die Umschreibung dafür, dass man später recht unangenehme Arbeiten machen muss für wenig Geld, wenn man die Schule nicht ernst nahm. Wobei wir nicht Klassenbeste sein mussten. Es hieß immer: »Erstes Drittel genügt.« Und das war für mich mit wenig Aufwand zu leisten.

Meine Mutter war in unserer Familie auch diejenige, die geradezu professionell vermitteln und alles wieder geraderücken konnte. Und das auch oft musste, weil mein Vater keine Lust dazu hatte oder in seiner polternden Art mal wieder Gott und die Welt aufgemischt hatte. Das fing schon damit an, dass mein Vater es hasste, irgendwelche Belege für die Steuer zusammenzutragen. Geduld im Umgang mit den Angestellten hatte er eh keine. Meine Mutter konnte immer wieder sehen, wie sie Konflikte bereinigte. Ich hätte dazu keine Lust gehabt, sie hatte sie auch nicht, aber es war keine Frage der Lust, sondern der Notwendigkeit, damit alles lief.

In der Firma waren sie beide die Chefs, nur mit unterschiedlichen Funktionen. Auch was ihre Handlungsbefugnis und Unterschriftsberechtigung anging, waren sie gleichberechtigt. Ungewöhnlich für eine Zeit, in der Frauen noch nicht einmal ohne Erlaubnis arbeiten durften. 1949 war die Gleichstellung von Mann und Frau zwar schon ins Grundgesetz aufgenommen worden, aber zwischen gesetzlich Verankertem und tatsächlicher Handhabe lagen noch Welten. Frauen waren nach wie vor in nahezu jedem Lebensbereich beschränkt. Das galt sogar für die Kindererziehung. Selbst diese vermeintlich typisch weiblichen Aufgaben überließ man ihnen nicht allein, und so hatte der Mann auch da das letzte Wort. Bei einem Streit zwischen Geschwistern musste der Vater schlichten, und auch bei wichtigen Entscheidungen der Familie galt immer das, was er für richtig hielt. Eine Frau durfte bis 1977 keinen Arbeitsvertrag allein unterschreiben, denn der wurde erst mit schriftlicher Genehmigung des Ehemannes wirksam. Wenigstens durfte ein Mann das Arbeitsverhältnis seiner Ehefrau seit 1957 nicht mehr fristlos kündigen, weil in jenem Jahr das Gleichberechtigungsgesetz in Kraft trat. Damit fiel die Entscheidungshoheit zumindest teilweise weg, die der Ehemann bis dahin in vollem Umfang über seine Frau gehabt hatte. Von dieser Rechtslage habe ich erst im Studium und Beruf erfahren. Ich hätte bis dahin nicht geglaubt, was trotz Artikel 3 Grundgesetz noch so alles in den Gesetzen stand. Hätte ich das gewusst – so eine schreiende Ungerechtigkeit –, wäre ich schon viel früher auch in diesem Bereich auf die Barrikaden gegangen und nicht nur bei den Notstandsgesetzen.

In den fünfziger und sechziger Jahren heirateten übrigens so viele Paare wie nie zuvor. Die Ehe bedeutete für die Frauen damals eine materielle Absicherung, und das war für viele auch das Ziel. Ihre eigene berufliche Tätigkeit wurde aufgegeben oder der Familienversorgung zumindest untergeordnet. Damit zementierten die Frauen natürlich auch selbst das traditionelle Rollenbild, das ihnen heute die niedrigen Renten beschert, obwohl sie immer für alle gearbeitet haben. Übrigens waren sie auch noch weitverbreitet der Meinung, dass es nicht Aufgabe des Mannes sei, im Haushalt mitzuhelfen. Die Veränderungen, die in den fünfziger Jahren bei den Frauenrechten von Frauenrechtlerinnen und durch Gesetzesänderungen angestoßen wurden, kamen bei den Frauen selbst erst einmal nur sehr langsam und zögerlich an.

Meine Mutter war zwar im beruflichen Bereich und nach außen hin voll emanzipiert; sie wurde auch immer und überall respektvoll behandelt und voller Achtung gegrüßt. Aber zu Hause gegenüber meinem Vater war sie noch sehr nachgebend, eher dem alten Rollenbild verhaftet, und überließ ihm die Patriarchenstellung. Ich hätte – in der Theorie – gern jemanden wie meine Mutter zur Seite, der mir all das abnimmt, wozu ich keine Lust habe. Mein Vater hatte jedenfalls in dieser Hinsicht das Paradies auf Erden, finde ich. Er hat meiner Mutter alles ihm Unangenehme überlassen und sich auch noch beklagt, wenn irgendetwas nicht so erledigt wurde, wie es ihm gefiel. Das empfand ich schon damals als große Ungerechtigkeit, und ich verstand meine Mutter nicht, dass sie sich ihm gegenüber nicht mehr zur Wehr setzte. Aber das wäre bei diesem Ehemann wohl nicht lange gutgegangen. Ein Freund von mir hat meinen Vater immer den »ostpreußischen Halbwolf« genannt, weil einer aus seiner Familie einen Wolf mit einem Holzscheit erschlagen hatte. Dieses Archaische entsprach sehr dem Temperament meines Vaters. Jedenfalls war die Ehe meiner Eltern für mich schon als Jugendliche kein Vorbild. Diese nachgebende Art meiner Mutter war mir fremd. Und wie mein Vater mit ihr im Alltag umging, lehnte ich schon damals ab. Insoweit sah ich die Gleichberechtigung für eine Frau in einer Ehe als nicht erreichbar an. Ich kannte auch keine Eltern von Freunden, deren Ehe mich vom Gegenteil überzeugt hätte.

Unter anderen gesellschaftlichen Bedingungen hätte ich mir durchaus vorstellen können, eine Familie mit Kindern zu haben. Ich mag Kinder sehr, fördere sie, wo ich kann, und bin bei den Kindern meiner Schwester und denen meiner Freundinnen und Freunde immer beliebt gewesen – und bin es auch noch heute. Keine Zugfahrt zu meiner Schwester nach Heidelberg, ohne dass ich ihren Kindern nicht meine großartigen Bahnfahrterlebnisse schildern musste. Schon an der Tür riefen sie: »Barbara, Barbara, was hast du alles im Zug erlebt?« Ich hielt als eine Art Superwoman auseinandergebrochene Züge zusammen, schwang mich durch die Fenster in die einzelnen Abteile, bremste abrupt oder gab Vollgas zur Vermeidung von Zusammenstößen, stand mit Weichen oder Hochspannungsleitungen auf Du und Du und erzählte zudem die schönsten Liebesgeschichten von Männern mit blauen Augen, die außen an den Waggons in Körben mitreisten und die ich mit Schokolade fütterte. Zwar kam mit den Jahren eine gewisse Skepsis bei meinen beiden Zuhörern auf: »Das glauben wir dir nicht. Das stimmt doch nicht, oder?« Aber wenn ich dann traurig sagte: »Wenn ihr mir nicht glaubt, dann erzähle ich meine Erlebnisse halt nicht mehr«, hieß es sofort im Chor: »Doch, doch, wir glauben alles«; zuletzt musste ich meiner Nichte noch auf Badisch eine vielseitige Bahngeschichte ins Poesiealbum schreiben. Nach Tagen als Supertante saß ich dann erschöpft im Zug nach Hamburg und überließ die Rückerziehung der beiden meiner Schwester.

Im Sommer kamen auch die halbwüchsigen Kinder von Freundinnen und Freunden zu mir nach Hamburg und quartierten sich für zwei bis drei Wochen im Wohnzimmer meiner Zweizimmerwohnung ein. Einzige Voraussetzung der Aufnahme bei mir war, dass sie mindestens drei Gerichte kochen können mussten. Diese haben sie noch zu Hause zur Freude ihrer Mütter gelernt: Nudelauflauf, Nudelauflauf und Nudelauflauf. Und Salatsauce, aber nur aus Fertigsaucentüten, die sie zur Sicherheit mitbrachten. Egal. In diesen Wochen kam ich Punkt sechzehn Uhr vom Büro nach Hause. Dann mussten sie das Essen auf dem Tisch stehen haben. Wir haben alle reingehauen, und sie haben anschließend noch die Küche aufgeräumt. Dann startete unser Freizeitprogramm mit Radtouren, Schiffsfahrten, Jazzkonzerten und, und, und. Bei mir durften sie immer etwas mehr, als zu Hause erlaubt war.

Es war aber letztlich nie der normale Familienalltag, den ich mit Kindern gelebt habe. Den hätte ich nicht geschafft. Das Muttersein hätte ich mir, wenn überhaupt, dann nur sehr anteilig vorstellen können, also mit einem Partner, der sich an der Kindererziehung und dem gesamten Haushalt wirklich gleichverantwortlich beteiligt hätte. Die Männer meiner Generation waren aber noch sehr der alten Rollenverteilung zugetan. Es waren diese Wochenendväter, die von morgens früh bis spät abends arbeiteten, samstags ein super Familienprogramm veranstalteten, um sonntags wieder ins Büro zu können, und die sich aus allen alltäglichen Pflichten und der Erziehung heraushielten.

Meine Mutter weigerte sich nach der Geburt meiner Schwester, weiter auch noch den Haushalt zu machen. Dafür waren ab dann unsere Hausmädchen da. Einzige Ausnahme: Meine Mutter machte jeden Tag »ihr Schlafzimmer«, wie sie das gemeinsame nannte, immer begleitet von dem Spruch meines Vaters: »Mach mein Bett mit.« Blumenfenster und Garten betrachtete sie als Ausgleich zum Schreibtisch, den sie selten genug vor zehn Uhr abends verließ. Auch wenn mein Vater in späteren Jahren dann schon längst am Fernseher saß. Fernsehen bekamen wir übrigens erst, als ich elf Jahre alt war. Wir Kinder durften wenig schauen. Grzimeks Tiersendungen und mittags mal...

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