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Innere Kritiker, Verfolger und Zerstörer (Leben Lernen, Bd. 260)

Ein Praxishandbuch für die Arbeit mit Täterintrojekten

AutorJochen Peichl
VerlagKlett-Cotta
Erscheinungsjahr2014
ReiheLeben Lernen 260
Seitenanzahl224 Seiten
ISBN9783608104141
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis26,99 EUR
Wie bekommen schwer traumatisierte Menschen ihre inneren Verfolger und Täterintrojekte in den Griff? Das Praxishandbuch bietet eine Fülle von genau erklärten Interventionen zu diesem schwierigsten Part der Traumabehandlung. Es ermöglicht dem Therapeuten ein sicheres Arbeiten mit Persönlichkeitsteilen. Traumatisierte Patienten sind ihren inneren Stimmen meist schutzlos ausgeliefert. Der unbarmherzige innere Kritiker, der rastlose Verfolger oder der Täter im eigenen Kopf beeinträchtigen das Leben noch lange nach der Traumatisierung. Für Psychotherapeuten ist der Umgang mit diesen feindlichen Introjekten der schwierigste Part in einer Traumabehandlung. Im Rahmen seiner »Hypno-analytischen Teilearbeit« legt der Autor hier eine Fülle von ausführlich beschriebenen Interventionen vor, die eine allmähliche Integration der feindlichen Stimmen ermöglichen: - Wie man aus inneren Verfolgern eine Ressource macht - Therapiestrategien zum Täterintrojekt - Integration widersprüchlicher Persönlichkeitsteile - Ein Praxisbuch für die schwierigsten Phasen in der Psychotherapie. Das Buch wendet sich an: PsychotherapeutInnen aller Schulen Fachärzte für Psychotherapie TraumatherapeutInnen »Dem Autor ist es gelungen, ein präzise ausdifferenziertes Verständnis frühkindlicher Beziehungstraumen und ihrer Folgen vorzulegen. In Weiterentwicklung zentraler Konzepte von Luise Reddemann, Gunther Schmidt und anderen Kollegen stellt er darüber hinaus zahlreiche Methoden vor, um das Wirken der malignen Introjekte gemeinsam mit dem Patienten herauszuarbeiten und schließlich konstruktiv zu wandeln ... Dieses Buch ist eine wertvolle Anregung für alle Therapeuten - denn die angetroffenen Phänomene treten ja in allen praktischen Kontexten auf, unabhängig der schulenspezifisch dafür entwickelten Begrifflichkeiten und Verständnisebenen.« Vera Kattermann, Deutsches Ärzteblatt, Oktober 2013

Jochen Peichl, Dr. med., war bis Ende 2010 Oberarzt der Klinik für Psychotherapie und Psychosomatik am Klinikum Nürnberg und ist jetzt in freier Praxis und als Leiter des Institutes für Hypno-analytische Teiletherapie InHAT tätig. Weiterbildung u. a. in Traumazentrierter Psychotherapie und Ego-State-Therapie; aktuelle Arbeitsschwerpunkte in Theorie und Praxis: Borderline -Störungen, Trauma-assoziierte und dissoziative Störungen.www.jochen-peichl.dewww.teiletherapie.de

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Leseprobe

Teil II:
Praxis: Hypno-analytische Arbeit mit maladaptiven bis bösartigen Introjekten


  • Die Arbeit mit Inneren Kritikern bei Patienten mit neurotischer Strukturbildung
  • Die Arbeit mit »persecutory Alters« bei Patienten mit Dissoziativer Identitätsstörung: wie aus einem Verfolger eine Ressource wird
  • Der Umgang mit dem Inneren Entwerter im hypno-systemischen Modell von Gunther Schmidt
  • Mein Hypno-analytischer Werkzeugkasten
    • Methoden der Umfokussierung hin zu Ressourcen
    • Methoden, die in dem Kritiker, Verfolger, Täterintrojekt die originale Stimme und Beurteilung des Täters sehen (Objektanteil der Introjektbildung)
    • Methoden, die in dem Kritiker, Verfolger, Täterintrojekt die Stimme und Beurteilung eines Selbst-Anteiles des Opfers sehen (Selbst-Anteil der Introjektbildung) – Frage nach der guten Absicht
    • Die therapeutische Arbeit mit dem Adressaten der Botschaft
    • Externalisierung und Kontrolle durch Distanzierung
    • Die radikale Akzeptanz nach dem Modell von Ann Weiser Cornell und Marsha Linehan

7. Die Arbeit mit dem Inneren Kritiker


In diesem Kapitel möchte ich zwei Therapiestrategien vorstellen, wie ich sie bei Patienten einsetze, die aufgrund ungelöster heftiger familiärer Konflikte mit Eltern und/oder Geschwistern an Inneren Kritikern, Fehlerzählern und Miesmachern leiden, die sie mit beschuldigenden und beschämenden Botschaften bombardieren. In der Regel sind diese Menschen nicht im eigentlichen Sinne körperlich oder sexuell traumatisiert, leiden aber deutlich an mangelndem Selbstwert, der Fähigkeit, sich von anderen abzugrenzen und sich von den inneren Anforderungen zu distanzieren.

7.1 Die Arbeit mit dem Inneren Kritiker nach dem hypno-analytischen Teilekonzept


Die Grundidee, mit der ich arbeite, stammt aus der IFS von Richard Schwartz. Sein Schüler Jay Earley schreibt dazu: »Wenn Sie die Arbeit mit einem Inneren-Kritiker-Teil beginnen, dann merken Sie schnell, dass es nicht das einzige Teil ist, der aktiviert wird. Wenn Selbst-Verurteilung ein Problem ist, so gibt es einen ganzen Cluster von Teilen, die beteiligt sind.«20

In meinem therapeutischen Vorgehen beziehe ich mich explizit auf meine Darstellung der inneren Choreographie in Kapitel 4.3. Diese Innenteile sind es, mit denen der Patient und/oder wir nun auf der inneren Bühne in unserer Teilearbeit zu tun bekommen. Unser Ziel ist es, die einzelnen Teile im Selbst des Patienten zu aktivieren und an einen Ort einzuladen, an dem in einer geschützten Umgebung Kommunikation möglich ist, dann Schritt für Schritt das »Kritiker-Introjekt« zur Kooperation durch Wertschätzung einzuladen, seine gute Absicht zu erkunden und das »kritisierte Kind« in Sicherheit zu bringen. Weitere Schützer-Teile wie »Innere Fürsprecher«, der »Stolz« und der »Innere Rebell« müssen in den Prozess eingebunden werden.

Nach Jay Earley (2010) sind der Innere Fürsprecher, der Stolz und der Innere Rebell – wie wir in Kapitel 4.3 gehört haben – eine Art Schützer oder Verteidiger, die auf den Plan treten, um das kritisierte Kind vor dem Kritiker zu schützen. Die Beziehung zwischen den Teilen zeigt als Merkvorlage für die Therapie Abbildung 7-1.

Abb. 7-1: Die »Innere-Kritiker-Truppe« – ergänzt nach Jay Earley

Praktische Tipps:
  1. Wie finde ich die »Botschaft des Kritikers oder Verfolgers«?
    1. Wir machen eine leichte Tranceinduktion und bitten den Patienten, an eine schwierige Situation der letzten Zeit zu denken, in der eine innere Stimme mit antreibendem, entwertendem Inhalt zu hören war. Der genaue Wortlaut der Tirade wird schriftlich fixiert.
    2. Sie lassen den Patienten den Kritiker-Test machen. Mit ihm ist es möglich, fünf verschiedene Innere Kritiker zu differenzieren. Der Test wurde von mir aus mehreren, im Internet kursierenden Tests entwickelt und orientiert sich am »Inner Critic Questionaire« von Earley und Weiss 2010. Der Test ist im Anhang des Buches abgedruckt und kann gerne verwendet werden21. Bitte bedenken Sie, er ist von mir »selbstgestrickt« und nicht wissenschaftlich getestet.

In der Therapie haben wir nun zwei Möglichkeiten:

  1. Wir arbeiten ganz gezielt mit einem der Inneren Kritiker und versuchen, seine gute Absicht für das Gesamtsystem zu ergründen. Dadurch bekommt er Anerkennung und so lässt sich die Polarisierung zwischen Innerem Kritiker und den drei protektiven Teilen verringern. Die Grundidee ist: »Ihr wollt doch alle das Gleiche (das System stabilisieren, starke negative Emotionen vermeiden, Liebesbindungen erhalten), nur auf unterschiedlichen Wegen. Lasst uns gemeinsam einen Weg finden!«
  2. Die Überidentifikation zwischen Erwachsenen-Selbst und dem kritisierten Inneren Kind auflösen (Methoden der Dis-Identifikation aus dem Baukasten der Hypnotherapie oder aus dem IFS), dann den Erwachsenen-Anteil stärken, damit er sich vom Kritiker abgrenzen kann. Dazu den kritisierten Kind-Anteil wertschätzen (pacing und leading) und von seiner Aufgabe entlasten, die damals konflikthaften und/oder traumatischen Erinnerungen zu tragen. Das Kind aus der Vergangenheit in die Gegenwart holen.

Zu dem Thema »Den Inneren Kritiker nach der guten Absicht fragen« noch ein paar Hinweise:

Früher wurden Schuld und Scham nur in ihrer maladaptiven Funktion für das Individuum gesehen, und die primäre adaptive Funktion, welche in den letzten Jahren auch durch die neuere Emotionsforschung ins Blickfeld kam, wurde vernachlässigt. Erst die hypno-systemische Therapie von Gunther Schmidt öffnete mir die Augen für eine lösungsorientierte Sicht.

Somit sind diese sogenannten sozialen Gefühle, Scham und Schuld, wichtige Regulationsmechanismen des Selbst in der Beziehung zu anderen. Ich beziehe mich im Weiteren auf die Arbeiten von Cord Benecke und Doris Peham (2007).

Danach lässt sich zur Scham zusammenfassend sagen:

  • emotionspsychologische Sicht: das Selbst wird global schlecht bewertet
  • psychoanalytische Sicht: Spannung zwischen Ich und Ich-Ideal, aber auch nach Hilgers (2006): Wenn intime Bereiche plötzlich und ohne Kontrolle sichtbar werden (nähe zur Körperlichkeit)
  • Phänomenologie: Scham wird sehr schmerzvoll erlebt, mit Gefühlen von Minderwertigkeit, Wertlosigkeit, Bloßstellung, Machtlosigkeit, Inkompetenz, Gefühle, versagt zu haben, und dem Wunsch, sich zu verstecken.

Und zur Schuld:

  • emotionspsychologische Sicht: die Handlung, die man tut/tat, wird schlecht bewertet
  • psychoanalytische Sicht: Spannung zwischen Ich und Über-Ich
  • Phänomenologie: Weniger schmerzhaft, da die eigene Identität im Kern nicht so angegriffen wird, mehr Spannung und Reue über das Fehlverhalten, Wunsch nach Wiedergutmachung. Damit verbunden die Angst, die aus der Angst vor und nach Regelübertretung stammt, d.h. eine Angst vor Beziehungsverlust und sozialem Ausschluss; daraus eine größere Motivation zu aktiven sozialen Strategien im Gegensatz zur Scham.

Wie könnte nun die adaptive Funktion der Scham und der Schuld aussehen, die wir bei der Suche nach der guten Absicht eines scham- oder schulderzeugenden Inneren Kritikers ins Kalkül ziehen müssen?

Die adaptive Funktion der Scham:

Es sollen Selbst- und Intimitätsgrenzen wiederhergestellt und geschützt werden, Selbstkonzepte überprüft werden. Scham ist ein regulativer Affekt des Selbstsystems nach Günter Seidler (2001).

Scham erhöht die Selbst- und Objektdifferenzierung: Ich erlebe, dass ich vom anderen (schmerzlich) getrennt bin, da ich etwas bei mir negativ bewerte. Daraus könnte ein Entwicklungsimpuls kommen, das äußere Ideal, das der andere repräsentiert, zu erfüllen und es so zu meinem Ideal zu machen. Damit könnte ich mir die Anerkennung und Aufgehobenheit in der Beziehung zum anderen sichern.

Ein beschämender Innerer Verfolger wäre also ein Wächter darüber, dass sich der Klient nicht zu weit von der Herde entfernt und damit die Gefahr bannt unterzugehen. Er mahnt mit seinem »schäme dich« vor Vereinsamung und Isolation, lädt zur Identifikation ein.

Die adaptive Funktion der Schuld:

Sie dient der Förderung spezifischer zwischenmenschlicher Verhaltensweisen, wie z.B. der Entwicklung von Verantwortungsgefühl, Bejahung kooperativen Handelns sowie der Reduktion aggressiven Verhaltens. Ein weiterer wichtiger Punkt: Ich bleibe das Zentrum des Handelns: Wenn ich schuldig bin, habe ich die Ursache meines Leidens in meiner Hand. Ich kann etwas tun, bewirken, z.B. durch Sühne. So bleiben die anderen Menschen, auf die ich mich wieder stützen kann, wenn ich es brauche, ich zerstöre die Beziehung durch Schuldzuweisung nicht. Somit wird Bindung aufrechterhalten!

Ein beschuldigender Innerer Verfolger bedeutet also: Wenn du dich schuldig fühlst, dann entsteht Druck in dir und du wirst etwas tun, um die Beziehung zu den anderen wieder zu verbessern und die Bindung an die Gemeinschaft zu festigen, was eine erhöhte Überlebensmöglichkeit schafft.

Beide Gefühle – Scham und Schuld – zielen darauf ab, die Bindung zu den anderen zu verbessern, auch zum Täter als einzigen Überlebensgaranten bei schwer grenzverletzender Traumatisierung.

7.2 Schurkenschrumpfen


Diese zweite...

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