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Istanbul

Die Biographie einer Weltstadt

AutorBettany Hughes
VerlagKlett-Cotta
Erscheinungsjahr2018
Seitenanzahl940 Seiten
ISBN9783608111064
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis24,99 EUR
Eine historische Reise in eine Stadt mit drei Namen, die über Jahrtausende nichts an Macht und Magie eingebüßt hat und deren Einfluss unsere Welt bis heute prägt. Packende und epische Geschichtsschreibung. In dieser umfassenden neuen Biographie nimmt Hughes uns auf ein überwältigendes historisches Abenteuer mit: von der Jungsteinzeit bis zur Gegenwart, durch die vielen Facetten einer der großartigsten Städte der Welt. Farbig und mit großer Erzählkunst schildert sie, wie Istanbul - die älteste politische Einheit zwischen Ost und West - in den letzten 6000 Jahren ein Mosaik aus Mikrostädten und Kulturen in sich aufgenommen hat. Hughes geht der Frage nach, was eine kosmopolitische Stadt ausmacht, und sie erzählt dabei nicht nur die Geschichte von Kaisern, Wesiren, Kalifen und Sultanen, sondern auch diejenige der Armen, der einfachen Menschen ohne Stimme - von den Frauen und Männern, deren Sehnsüchte und Träume Istanbul immer wieder neu erfunden haben. Das fesselnde, epochenübergreifende Porträt einer einzigartigen pulsierenden Metropole und ihrer Menschen. Packende, direkte, gelehrt erzählende Geschichtsschreibung, die unser Verständnis der modernen Türkei revolutioniert.

Bettany Hughes, geboren 1967, ist preisgekrönte Historikerin, Bestseller-Autorin und Verfasserin von TV-Sendungen. Sie ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am King's College London und lehrt am »University of Cambridge' s Institute of Continuing Education«. Als Anerkennung für ihre Arbeit erhielt sie zahlreiche Preise, unter anderem die »Norton Medlicott Medal for History«.

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Leseprobe

PROLOG


632–718 n. Chr.(10–100 im islamischen Kalender)

Du wirst fürwahr Konstantinopel erobern. Welch wunderbarer Führer wird er sein, und welch wunderbares Heer wird dieses Heer sein!

Traditionelles Hadith, das den Wunsch des Propheten Mohammed formuliert, Konstantinopel zu erobern1

Der Wind des Todes ergriff sie … Die Römer wurden belagert, doch den Arabern erging es nicht besser. Hunger bedrängte sie so sehr, dass sie Leichen aßen, Exkremente und Unrat. Sie waren gezwungen, sich gegenseitig umzubringen, um essen zu können. Ein Modius Weizen war damals zehn Denare wert. Sie hielten Ausschau nach kleinen Steinen und aßen sie, um ihren Hunger zu stillen. Sie aßen Abfall von ihren Schiffen.

Michael der Syrer, Die Eroberung von Konstantinopel, 717 n. Chr.2

Wir kennen den Namen des Boten nicht – doch wir leben mit den fatalen Auswirkungen seiner Botschaft.

In der Mitte des 7. Jahrhunderts n. Chr. herrschte der 25-jährige byzantinische Kaiser Constans II. in seiner Hauptstadt Konstantinopel.3 Da traf die Kunde ein, eine wilde Streitmacht aus Arabern, von denen sich viele als Muslime bezeichneten – »die sich Unterwerfenden«4 –, habe mit einer Kriegsmacht aus rund zweihundert nagelneuen Schiffen die Inseln Zypern, Kos, Kreta und Rhodos angegriffen. Constans und sein christlicher Hof wussten, dass es sich bei diesen Muslimen, Anhängern einer Religion, die noch keine Generation alt war, um ein Wüstenvolk handelte – Männer, die dem Meer gegenüber so reserviert eingestellt waren, dass es in einem arabischen volkstümlichen Sprichwort hieß: »Die Blähungen von Kamelen sind erfreulicher als die Gebete der Fische.«5 Mit einer Seefahrertradition, die bis mindestens bis zur berühmten Gründung der Stadt durch Seefahrer vom griechischen Festland 1400 Jahre zuvor zurückreichte, und einer Mannschaft, die gegenüber den Muslimen in der Überzahl war, stach Constans von seiner glitzernden, goldüberglänzten Stadt aus in See und betete, dass ihm eine rituelle Erniedrigung seines muslimischen Feindes vergönnt sein möge.

Doch schon nach dem ersten Kampftag war Constans der Gedemütigte – als gemeiner Seemann verkleidet, sprang er über Bord und kauerte sich an Deck eines unauffälligen Bootes zusammen. Verzweifelt floh er aus der Schlacht, die zwischen dem heutigen Zypern und der Türkei ausgetragen wurde.6 So viele wurden in diesem arabisch-byzantinischen, muslimisch-christlichen Konflikt getötet, dass es hieß, das Meer habe sich rot gefärbt. Muslimische Quellen bezeichnen den Kampf als die Schlacht der Masten; neue Schiffsmodelle, die Dromonen und shalandiyyāt,7 erzwangen den Nahkampf: Byzantinische und arabische Schiffe wurden aneinander getäut. Und es war für das christliche Konstantinopel höchst verstörend, dass die Anhänger Mohammeds allen Erwartungen zum Trotz als Sieger aus dem Kampf hervorgingen.

Über ein langes halbes Jahrhundert war die Stadt Konstantinopel, die als Gottes irdische Heimstätte galt, sowohl physisch als auch psychologisch belagert: eine Stadt, die von sich glaubte, sie sei von Gott bevorzugt worden und könne bis zum Weltenende nicht erobert werden. Nur ein Jahrhundert zuvor war dieses Neue Rom – die reichste Stadt weltweit – die christliche Hauptstadt eines Reichs, das sich über zweieinhalb Millionen Quadratkilometer erstreckte. Die Bewohner Konstantinopels hatten solches Vertrauen in ihre Beschützerin, die Jungfrau Maria, dass die Gottesmutter den Beinamen »oberste Kriegsherrin« trug.

Nach seiner Flucht kehrte der byzantinische Kaiser Constans zunächst nach Konstantinopel zurück, begab sich aber schließlich nach Sizilien in Sicherheit und ließ seine Mutterstadt schutzlos hinter sich. Die Menschen, die im historischen Zentrum der Stadt über der ehemaligen antiken griechischen Akropolis, die auf das Marmarameer hinausblickte, zurückgeblieben waren, oder zersprengt an den Ufern des Bosporus und des Goldenen Horns saßen, waren außerstande, auch nur annähernd eine geschlossene Front zu bilden. Einigen schien die Eroberung durch die Araber unausweichlich zu sein. Innerhalb nur weniger Jahre nach dem Tod des Propheten Mohammed im Jahr 632 n. Chr. (dem Jahr 10/11 im islamischen Kalender) sah es ganz so aus, als würden die Muslime die Herrschaft über die gesamte damals bekannte Welt übernehmen. 632 hatten arabische Streitkräfte das byzantinische Syrien erobert, 636 wurde in Jarmuk ein byzantinisches Heer zurückgeschlagen, 640 hatte die Einnahme von Heliopolis das Vorrücken ins byzantinische Ägypten ermöglicht, 641 war Alexandria gefallen, 642/643 wurde Tripolis eingenommen, und nun wurde der Vormarsch in Richtung Norden fortgesetzt. Wenn die Dinge sich ihrem natürlichen Gang entsprechend weiterentwickelt hätten, wäre Istanbul vor fünfzehn Jahrhunderten Kalifensitz geworden.

Doch unmittelbar nach der Schlacht der Masten trat eine Kampfpause ein. Das noch unerfahrene muslimische Gemeinwesen war infolge einer Nachfolgekrise und interner Streitigkeiten geschwächt – diese führten später, ab dem Jahr 661, zu der das Angesicht der Erde prägenden Kluft zwischen Schiiten- und Sunnitentum, die bis auf den heutigen Tag anhält.8 In Konstantinopel ging das Leben, wenn auch nicht ohne gewisse Befürchtungen, weiter. Viele verließen die Stadt, weil sie nicht sicher waren, ob sie hier auch weiterhin Nahrung und Schutz erhalten würden. Die Dynastie des Kaisers hatte kurz zuvor eine entstellende Form der Bestrafung eingeführt, die sogenannte Rhinotomie, bei der die Nase von in Ungnade gefallenen Kaisern (sowie die Zunge von deren Frauen) aufgeschlitzt wurde. Die Nasenbedeckung aus Gold wurde zum bezeichnenden Merkmal im byzantinischen Kaiserpalast und an Verbannungsorten. In abgelegenen Gegenden hielten sich byzantinische Bevölkerungsgruppen in befestigten Siedlungen wie Monembasia auf der Peloponnes versteckt, oder sie gruben sich selbst, ihre Häuser, ihre Kirchen und Getreidespeicher in den weichen Fels des kleinasiatischen Kappadokien. Kaiser Constans hatte sogar einen Vorstoß gemacht, die Hauptstadt nach Syrakus auf Sizilien zu verlegen.

Die Sorge war berechtigt: Zuerst im Jahr 6679 und erneut 668 und 669 kamen die Araber zurück und rückten mit ihren Truppen bis zu Konstantinopels Goldenem Tor vor. Sie benutzten nach wie vor die griechisch-römischen Schiffe und jene griechisch-ägyptischen Seeleute, die sie nach der Eroberung der Hafenstadt Alexandria im Jahr 641 in ihren Dienst gezwungen hatten. Die muslimischen Araber gingen bei der Siedlung Chalkedon an Land, gerade einmal tausend Meter von Konstantinopel entfernt auf der anderen Seite der Meerenge des Bosporus und in Sichtweite der Stadt, und sie provozierten und bedrohten diejenigen, die im »Sehnen der Welt« wie in einer Falle gefangen saßen.10 Man hatte es hier nun definitiv mit einer neuen Seemacht zu tun. In jedem Frühling griffen die Araber von Kyzikos an der kleinasiatischen Küste aus an. Das einzige, was sie in Schranken halten konnte, war Griechisches Feuer, Konstantinopels teuflische Geheimwaffe, die aus einer Mischung aus kaukasischem Erdöl, Schwefel, Pech und Ätzkalk hergestellt wurde und einen ähnlichen Effekt wie Napalm hatte, sowie die Feuergewalt einer Kriegsflotte aus fünfhundert Schiffen, die Constans während seiner Abwesenheit in Sizilien hatte bauen lassen.11 Neuere Untersuchungen syrischer und muslimischer Quellen lassen vermuten, dass wir uns diese frühen arabischen Attacken eher als übergriffige Nadelstiche vorstellen sollten und nicht so sehr als schlüssig ausgearbeitete Belagerungsstrategie.

Im Jahr 717 n. Chr. veränderte sich die Situation dann grundlegend.

Die Muslime wurden durch Konstantinopels Mauern und...

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