IEINLEITUNG
Jede Geburt ist – so oder so – ein gemeinsamer Anfang. Sie wirkt sich aus, immer.
Unsere individuellen Erfahrungen in diesen so wichtigen Stunden hinterlassen körperlich wie auch psychisch Spuren und prägen die Erlebenswelt jedes Menschen nachhaltig. Heute weiß man, dass die Geburt, ebenso wie die Schwangerschaft, einen stark unterschätzten, prägenden Einfluss für das ganze Leben hat. Sie ist das Fundament für alle sich daraus entwickelnden Denk-, Gefühls-, Handlungs- und Verhaltensmuster.
Harry van der Zee schreibt in der Einleitung seines empfehlenswerten Buchs: „Homöopathie und Geburtstrauma“: „… die Geburt ist eine Erfahrung, die traumatisch sein kann, die aber immer bedeutungsvoll ist für das Individuum, das geboren wird.“ Und: „… ihre Melodie [ist] immer den Themen ähnlich, die sich im späteren Leben wiederholen.“ (v. d. Zee, 2007, S. 11)
Es ist stets erstaunlich, mit welcher Selbstverständlichkeit Symptome oder Verhaltensauffälligkeiten eines Kindes (oder eines Erwachsenen) nicht in Verbindung mit Schwangerschaft oder Geburt gebracht werden, und das gilt nicht nur für Kaiserschnitt-Entbindungen.
Bedenkt man, dass es zum Beispiel bei akutem Sauerstoffmangel mit hoher Wahrscheinlichkeit zu todesnahen Erfahrungen gekommen sein wird, und zwar zum Beginn des Lebens in der Zeit des höchsten Stresses, so ist die Erlebenswelt des Kindes oder des Erwachsenen sehr viel leichter nachvollziehbar.
So ist es dringend notwendig umzudenken und die Perspektive zu erweitern. Jede Anamnese sollte zukünftig Aspekte und Fragen aus prä-, peri- und postnataler Sicht erfassen, und zwar konsequent aus der Perspektive des Kindes und der betroffenen Mutter bzw. im Vorfeld bereits der Schwangeren.
Der Wechsel der Blickrichtung ist sinnvoll, wenn auch unüblich. Selbsterfahrung der eigenen Geburt und Schwangerschaft sind hier unverzichtbar. Nur eine exakte Anamnese birgt, gemeinsam mit der empathischen Einfühlung in das prä- und perinatale Erleben, den Schlüssel für Prävention, Therapie und individuelle Heilungsmuster.
Im Oktober 2013 fand unter der Präsidentschaft von Dr. Sven Hildebrandt in Stolpen bei Dresden der jährliche ISPPM-Kongress (www.isppm.de) mit dem Titel: „Kaiserschnitt zwischen Traum und Trauma, Wunsch und Wirklichkeit“ statt. Diese Tagung war letztlich der Anlass, dieses Buch zu schreiben und das Konzept der Prä- und perinatal basierten Spieltherapie© im Anschluss daran einer breiten Öffentlichkeit vorzustellen. „Kaiserschnitt heilsam verarbeiten“ ist für Betroffene, Eltern und Fachleute gleichermaßen geeignet. Es vermittelt einen therapeutischen Ansatz, der sich in der Praxis sehr gut bewährt hat.
Die Grundsätze der Prä- und perinatal basierten Spieltherapie© gelten selbstredend im gleichen Maße für Erwachsene, lediglich die Übungen oder Spielmittel sind unterschiedlich. Bei der geburtsbezogenen Körperarbeit ist die Anwendung nahezu identisch.
Die eigens geschriebenen Geschichten für Kinder sowie viele Beispiele verdeutlichen Ursprung, Erleben, und sie zeigen einen empathischen therapeutischen Weg zu einer behutsamen Lösung auf. Das kann nur gelingen, wenn man diese persönliche „Grundmelodie“ und Geschichte aus der Perspektive des Menschen erfasst.
Kurzer historischer Abriss der prä- und perinatalenn Psychologie
Die Wurzeln der Pränatalen Psychologie reichen Jahrtausende weit in die Vergangenheit. Vor allem in anderen Kulturen (z. B. Hopi-Indianer, Aborigines, in Ägypten oder Indien) hatten vorgeburtliche Lebenszeit und Geburt einen hohen Stellenwert. In Europa ging dieses wichtige Wissen in Frauenheilkunde und Geburtshilfe durch die Verbrennungen von „Hexen“ und Hebammen verloren und geriet nach dem Mittelalter fast vollständig in Vergessenheit. Mit zunehmendem Einfluss der Naturwissenschaften wurden später andere Forschungsinteressen vorrangig. (Vgl. Heinsohn/Steiger, 2005; Janus, 1994)
Die prä- und perinatale Psychologie beschäftigt sich mit allen psychologischen Aspekten und Prägungsfaktoren von der Zeugung bis zur Geburt. Die Wichtigkeit dieser prägenden Monate im Mutterleib sowie der Erlebnisse unter der Geburt für die menschliche Entwicklung steht heute außer Frage. Ihr großer Einfluss wird allerdings meiner Meinung nach noch immer deutlich unterschätzt.
Es gab einige sehr bedeutsame Veröffentlichungen, z. B. von Otto Rank (1988) und Gustav Hans Graber (1974), aber erst bildgebende Verfahren (vgl. Nilsson, 1995), wie z. B. der Ultraschall, machten das vorgeburtliche Baby in den sechziger Jahren sichtbar. Es weckte naturgemäß großes Interesse.
Mit Gründung der ISPPM (Internationale Studiengemeinschaft für Pränatale Psychologie und Medizin, www.isppm.de) 1971 wurden Forschung und Wissenschaft gebündelt. Unter der Präsidentschaft von Dr. Sven Hildebrandt bietet sie mit Fachtagungen, internationalen Kongressen und einer Fachzeitschrift eine interdisziplinäre und wissenschaftlich stets aktuelle Plattform.
Viele Studien und Erkenntnisse führten zu einer Haltungsänderung. Dank des Schmerznachweises bei Ungeborenen gibt es heute keine Operationen ohne Betäubung, wie sie noch vor Jahrzehnten durchgeführt wurden. (Vgl. Janus, 1993; Brosch/Rust zit. in: Janus, 1993)
Bereits 1981(!) beschreibt Thomas Verny das Ungeborene als ein fühlendes, agierendes und reagierendes Wesen, das durch sein Erleben, den emotionalen Kontakt zur Mutter und die bis dahin gefühlten emotionalen Erfahrungen bereits vor und durch die Geburt geprägt wird. Er befasst sich auch mit den möglichen Folgen von Kaiserschnitt-Entbindungen. (Vgl. Verny, 1981)
William Emerson, Begründer der prä-, peri-, und postnatalen „somatotropen“ Trauma-Therapie, erforscht ebenfalls das prä- und perinatale Erleben und die lebenslangen Folgen geburtshilflicher Eingriffe und vom Kaiserschnitt. (Emerson in: Janus/Haibach, 1997 sowie 2012) Seine körpertherapeutische Methode basiert darauf, dass jeder Mensch seine Erlebnisse während Schwangerschaft und Geburt neuronal speichert und sie über Körpersprache, Handlungs- und Denkmuster ausdrückt.
Wenn es also gelingt, diese Sprache zu übersetzen und mit einer genauen Anamnese zu kombinieren, lassen sich oft bereits klare Rückschlüsse auf die vorgeburtliche Lebenszeit sowie auf den Geburtsablauf herstellen und so individuelle Lösungs- und Heilungswege finden.
Interdisziplinäre Umsetzungen in die Praxis
Die Wissenschaft der prä- und perinatalen Psychologie ist inzwischen ebenso anerkannt wie ihre Studien und Forschungsergebnisse. (Vgl. Evertz/Janus/Linder [Hrsg.], 2014) Notwendig sind nun sowohl die Sensibilisierung der Fachleute als auch die Erweiterung in den Lehrplänen der jeweiligen Ausbildungen. Noch mangelt es bei den meisten Berufsgruppen an detailliertem Fachwissen, an Selbsterfahrung und an der konsequenten Umsetzung und Integration in die eigene Arbeit. Das beginnt bereits bei der medizinischen, nicht aber zwingend psychologischen Schwangerenvorsorge der Frauenarzt-Praxen. Selbst in von Hebammen geleiteten Geburtsvorbereitungskursen bleibt aufgrund der Krankenkassenpolitik kaum Zeit für die prä-, peri- und postnatale Psychologie. Auch die Geburtsbegleitung in der Klinik verändert sich ständig mehr zum Nachteil von Mutter, Vater und Kind.
Der Weg der Wissensweitergabe und damit verbunden eine mögliche positive Einflussnahme auf die Eltern verläuft, je nach Bedarf, über Osteopathen, Physio- und Ergotherapeuten, später Logopäden und geht über an alle Berufsgruppen, die Kinder bis zur Schule begleiten. Lehrer und Therapeuten runden die Begleitung des Kindes ab.
Wie hilfreich könnte beispielsweise eine Erzieherin sein, die bei einem Kaiserschnitt-Kind bestimmte Angstmuster oder bei der Mutter die noch nicht glücklich vollzogene psychologische Abnabelung sicher erkennt, diese anspricht und damit den Weg öffnet, dass die Kaiserschnitt-Geburt heilsam verarbeitet werden und eine Loslösung leichter gelingen kann.
Dafür ist einerseits Grundwissen aus der Embryologie erforderlich, andererseits ist es wichtig, dass Symptome mit ihren prä- und perinatalen Ursachen und möglichen äußeren Auslösern in Verbindung gebracht und bei der Diagnose und späteren Therapie berücksichtigt werden.
Wichtig ist beispielsweise die Kenntnis über die enge Verknüpfung körperlicher und emotionaler Vorgänge (vgl. Gross, 1982), über das Einüben von Bewegungsmustern im Uterus oder auch, dass Handlungs- und Bewegungsabläufe aufeinander aufbauen und damit therapeutisch nachgeholt werden können. Dieses Prinzip gilt besonders nach einer Schnitt-Entbindung. Die körperliche Erfahrung des Durchquerens des Geburtskanals inklusive der...