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E-Book

Kein Blatt vor dem Mund

AutorJosef Cap
VerlagVerlag Kremayr & Scheriau
Erscheinungsjahr2018
Seitenanzahl192 Seiten
ISBN9783218011372
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis9,99 EUR
Josef Cap lässt in seinem Buch die letzten Jahrzehnte österreichische Zeitgeschichte Revue passieren. Schon als Jugendlicher in der Sozialistischen Jugend engagiert, setzt er 1982 mit seinen 'Drei Fragen an Theodor Kery' einen Paukenschlag. Bei der darauffolgenden Nationalratswahl wird er mit breiter Unterstützung von Kreisen inner- und außerhalb der SPÖ zum ersten direkt gewählten Abgeordneten im Nationalrat. Bis 2017, also 34 Jahre, war er im Hohen Haus tätig, davon zwölf Jahre als Klubobmann. Er hat als Bundesgeschäftsführer der SPÖ viele Höhen und Tiefen seiner Partei erlebt, leitete viele Jahre die Zukunftswerkstatt, die Ideenschmiede der SPÖ, hat mit sieben Vorsitzenden (Bruno Kreisky, Fred Sinowatz, Franz Vranitzky, Viktor Klima, Alfred Gusenbauer, Werner Faymann, Christian Kern) gearbeitet, alle Wahlen der letzten 40 Jahre miterlebt und an ihnen mitgewirkt, war Parlaments-Akteur in allen Regierungskonstellationen der letzten Jahrzehnte. 'Der beste Redner im Parlament', wie er auch genannt wird, erzählt Österreichs Politikgeschichte aus seiner Perspektive, brillant, präzise und persönlich. Er gibt eine Antwort auf die Frage, warum sich die Sozialdemokratie - nicht nur in Österreich - in einer Krise befindet. Und wie sie sich daraus retten kann.

Josef Cap wurde 1952 in Wien geboren. Er besuchte Volksschule und Gymnasium der Piaristen in Wien. Anschließend studierte er Politikwissenschaften und Pädagogik (Promotion 1988, Dr. phil). Cap war u.a. Vorsitzender der sozialistischen Jugend, VSStÖ-Mandatar in der Hochschülerschaft, Bundesgeschäftsführer der SPÖ, über viele Jahre Klubobmann und Vorsitzender des Außenpolitischen Ausschusses.

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Leseprobe

Abgeordneter in Zeiten von Rot-Blau


1983–1986


In der SPÖ gab es auch in den folgenden Wochen viele – allen voran Kery selbst –, die versuchten, meine Fragen ausschließlich aus egoistisch/karrieristischen Motiven zu erklären. In einem ausführlichen Interview mit dem »profil« legte ich noch einmal meinen zentralen Beweggrund dar, die geplante »Weihestunde« des Parteitages zu stören: »Das kollektive Verdrängen von Schwierigkeiten … halte ich für einen großen Fehler. Ich glaube, daß meine Vorgangsweise politisch und moralisch die einzig mögliche war.«

Aber natürlich hatten wir auch die Chancen erkannt, die in meinem unfreiwilligen »Märtyrer-Status« bestanden. Weite Teile der Öffentlichkeit verstanden überhaupt nicht, dass ein Junger bestraft worden war, nur weil er kritische Fragen über einen aus dem Establishment gestellt hatte. Und große Teile der Parteiführung hatten nicht erkannt, dass diese Bestrafung unabhängig von ideologischen Positionen extrem unpopulär war, weil sie von gekränktem Absolutismus zeugte. Nun ging es darum, auch inhaltlich jene Positionen zu stärken, für die ich als Obmann der SJ stand: soziale Gerechtigkeit, Privilegien-Abbau, Kampf für die Friedensbewegung und gegen die Rüstungsindustrie, Weiterentwicklung einer rot-grünen WählerInnenkoalition. In der Partei verstand fast niemand, dass dies auch dazu dienen konnte, den Einzug einer grünen Partei in den Nationalrat zu erschweren und damit den Weiterbestand einer sozialdemokratischen Alleinregierung zu sichern.

In einer ersten Reaktion forderte die Sozialistische Jugend (SJ) für mich einen sicheren Platz auf der Nationalratsliste der SPÖ. Die Wiener Landesorganisation setzte mich aber später nur auf den aussichtslosen 46. Platz. Die ÖVP war etwas lernfähiger: Ihr Jugendobmann Othmar Karas wurde von seiner niederösterreichischen Landespartei ebenfalls auf der aussichtslosen Stelle 24 gereiht, aber von der Bundespartei auf Rang 1 der Reststimmenliste.

Die Vorzugsstimmenkampagne


Die Idee einer Vorzugsstimmenkampagne für mich kam aus Vorarlberg, vom langjährigen SJ-Vorsitzenden Elmar Mayer. Eine bis dahin kaum bekannte Regelung im Wahlrecht besagte, ein Kandidat auf der Wahlliste einer Partei könne direkt in den Nationalrat einziehen, wenn er so viele Stimmen bekomme wie eine Partei für ein Grundmandat benötigt. In Wien – damals ein einziger Wahlkreis – waren das etwa 27.000 Stimmen. So viele Wähler und Wählerinnen mussten also in Wien neben einem Kreuz für die SPÖ meinen Namen dazuschreiben, es wurden schließlich 62.457, also zweieinhalb Mal so viele. Besondere Pikanterie: Auf diese Weise verdrängte ich ausgerechnet ÖGB-Präsident Anton Benya vom ersten Platz der Wiener Liste.

Die Vorzugsstimmenkampagne wurde von mehreren Säulen getragen. Einmal von der SJ und anderen Sympathisanten aus der SPÖ, vom VSStÖ unter Alexander Wrabetz mit Schwerpunkt an den Hochschulen und dann von autonomen Komitees, von der »Aktion kritische Wähler« um Mary Steinhauser, Peter Huemer und Daniel Charim, von zahlreichen Wissenschaftlern und Künstlern, und von den drei zentralen Symbolfiguren André Heller, Lukas Resetarits, Peter Turrini. Alle diese Initiativen wurden in der Partei misstrauisch beobachtet. Erst in der Spätphase des Wahlkampfs, als die absolute Mehrheit der SPÖ ernstlich bedroht schien, gab es versöhnlichere Signale, freilich nur von ganz oben: Nachdem ich bei einer Diskussion im Neuen Institutsgebäude der Wiener Universität unter Leitung des damaligen VSStÖ-Vorsitzenden Alexander Wrabetz den für die Alternative Liste Österreich (ALÖ) kandidierenden Schauspieler Herbert Fux nach Meinung der Hunderten Zuhörer und Zuhörerinnen ziemlich ins Eck gedrängt hatte, rief mich Bruno Kreisky am nächsten Morgen an. Offensichtlich hatte er den Bericht dazu im ORF-»Morgenjournal« gehört. Er brummte in den Hörer, dass er zwar nicht wisse, ob es ihn, Bruno Kreisky, nach der Wahl politisch noch gebe, aber er sei ohnehin dafür, dass ich ins Parlament einziehe. Und neun Tage vor der Wahl formulierte Kreisky auch öffentlich: »Ich bin dafür, dass das österreichische Parlament der Platz ist, wo ein Mann wie Cap hingehört. Das sage ich ganz offen.«

Es gab andererseits Kräfte, vor allem im Gewerkschaftsbereich, die mit Argusaugen darauf schauten, dass kein Groschen der Partei in den Vorzugsstimmenwahlkampf floss. Die SPÖ wollte und konnte nichts finanzieren, das waren alles Privatinitiativen. Es war auch nicht notwendig, viel Geld zu investieren: Die Medien waren von sich aus interessiert, darüber zu berichten, es musste nicht inseriert werden. Die »Kritischen Wähler« haben ganz klein inseriert und das privat bezahlt. Die Künstler hatten ohnehin ihre eigene Öffentlichkeit, das war die günstigste und gleichzeitig effektivste Wahlwerbung. Es zeigte sich also: Du gewinnst Wahlen nicht mit Geld, sondern mit Ideen, mit Glaubwürdigkeit, mit Themen, die von der Bevölkerung unterstützt werden – mit Emotionen, sehr viel Emotionen. Inserate an sich wären nicht nötig gewesen, außer solchen: »Wie wende ich Vorzugsstimmen an?« Die Einrichtung der Vorzugsstimme war mehr oder minder eine Placebo-Geschichte gewesen, niemand dachte bei ihrer Einführung 1971, dass jemals jemand den Einzug in den Nationalrat auf diese Weise schaffen könnte.

Wir glaubten auch diesmal nicht wirklich an einen Erfolg, trotz des hohen Einsatzes meinerseits und von meinen UnterstützerInnen: Von Jahresbeginn 1983 bis zur Wahl absolvierte ich 20 Veranstaltungen in Wien (neben der bereits geschilderten mit Herbert Fux an der Universität ist mir noch eine ebenso große mit Lukas Resetarits im Panorama-Studentenheim in Erinnerung) sowie 44 in den Bundesländern (aus propagandistischen Zwecken warb ich auch dort, auch ohne mögliche Auswirkungen auf einen Einzug ins Parlament). Bei Stellungnahmen im Fernsehen formulierte ich immer als Ziel: »Möglichst viele Vorzugsstimmen für möglichst viel Unterstützung für möglichst viele der Themen, für die wir stehen.« Dazu schrieb ich kurz vor der Wahl in der »Zukunft«, dem sozialdemokratischen Diskussionsmedium, auch noch ein Manifest »Für ein kritisches Ja zur SPÖ«. Dort begründete ich noch einmal, welche Vorteile für Österreich eine neuerliche absolute Mehrheit für die SPÖ hätte, ohne Konkurrenz einer eigenen grünen Partei im Hohen Haus.

»Es ist einfach leichter, in einer SPÖ-Regierung mit 51 Prozent Mehrheit Forderungen – beispielsweise der Umweltschutz-, Friedens- und Frauenbewegung – durchzusetzen als in einer satten parlamentarischen Koalitionsmehrheit, die von der Beweglichkeit eines Grabsteines ist und die den Verlust der absoluten Mehrheit nicht zu fürchten hat, wenn sie die Forderungen der neuen sozialen Bewegungen unberücksichtigt lässt. Eine Koalitionsregierung bedeutet sicher auch weniger Arbeitsplatzsicherung, Inbetriebnahme des AKW Zwentendorf, Einkommensunterschiede, keine gesteigerte Lust zur Aufdeckung von Korruption, keinen Privilegienabbau, noch weniger Umweltschutz, Gefährdung der Abtreibungsmöglichkeit, Sozialabbau, Expansion der Rüstungsindustrie, ein weniger liberales Kulturklima, Reformstopp und eine Außenpolitik, die ihren bisherigen entspannungsfreundlichen, unabhängigen Charakter verlieren würde. Ein Erfolg der ALÖ könnte sich gesamtgesellschaftlich als politischer Bumerang erweisen. Die ökonomische, ökologische und moralische Krise ist eine Systemkrise. Ihre Überwindung ist keine Frage der politischen Kosmetik, sondern der Strukturreformen. Die politische Arbeit in der SPÖ ist daher kein kleineres Übel, sondern eine prinzipielle Frage, um mögliche sozialistische Veränderungen auch optimal umzusetzen. Die soziale, materielle und ökologische Sicherheit der arbeitenden Menschen in Österreich kann kein Gegenstand politischer Taktik sein. Daher bleibt die einzige Alternative – man kann es drehen und wenden, wie man will – die absolute Mehrheit der SPÖ!«

Am Nachmittag des Wahltages, am 24. April 1983, glaubte ich erstmals wirklich an einen Erfolg. Ich bekam einen Telefonanruf von der späteren Parlamentspräsidentin Doris Bures aus ihrem Heimatbezirk Liesing. Sie berichtete, dass in Alt-Erlaa 33 Prozent der SPÖ-Stimmen mit einer Vorzugsstimme für mich gekennzeichnet seien. In dem Moment hatte ich das Gefühl: Das wird wahrscheinlich funktionieren. Und so war es dann auch. Besonders bei den bürgerlichliberalen WählerInnen bekam ich viel Unterstützung.

Am Abend des Wahltages überwog bei mir aber die Trauer: Wir hatten die absolute Mehrheit um zwei Mandate verfehlt. Und damit stand fest: Kreisky wird gehen. Diese Stimmung teilte ich im Parteihaus mit vielen MitarbeiterInnen, von denen sich der Kanzler verabschiedete. Ich hätte mir bei allen Differenzen gewünscht, unter und mit ihm arbeiten zu können, nun als Abgeordneter. Denn am nächsten Tag, nach der Auszählung aller...

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