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E-Book

Komik und Humor

Vollständige Ausgabe

AutorTheodor Lipps
VerlagJazzybee Verlag
Erscheinungsjahr2012
Seitenanzahl273 Seiten
ISBN9783849630829
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis0,99 EUR
Theodor Lipps war ein deutscher Philosoph und Psychologe des späten 19. Jahrhunderts. Er galt als einer der Hauptvertreter des Psychologismus in Deutschland. Diese tiefgründige Analyse beschäftigt sich mit Ursache und Wirkung sowie den Prinzipien hinter Komik und Humor.

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Leseprobe

DAS KOMISCHE "LEIHEN".

 

Unser bisheriges Ergebnis ist dies. Das Gefühl der Komik entsteht, indem
ein—gleichgültig ob an sich oder nur für uns—Bedeutungsvolles oder
Eindrucksvolles für uns oder in uns seiner Bedeutung oder
Eindrucksfähigkeit verlustig geht.

 

Das zur Feststellung dieses Satzes Vorgebrachte bedarf aber noch der Ergänzung oder der näheren Bestimmung. Diese wollen wir in der Weise gewinnen, dass wir zugleich solche andere Theorien, die gleichfalls auf jener Grundanschauung beruhen, oder wenigstens Elemente derselben in sich schliessen, mit in die Diskussion hereinziehen.

 

Schon Lessing war mit dem Kontrast—zwischen Vollkommenheiten und
Unvollkommenheiten—wie ihn die Wolff'sche Schule der Komik zu Grunde
gelegt hatte,—nicht zufrieden, sondern forderte, dass die
Kontrastglieder sich verschmelzen lassen müssen.

 

Dies wiederum genügt Vischer nicht. Der Kontrast, so erklärt er, muss zum Widerspruch werden; der komische Widerspruch aber ist erst vorhanden, wenn dasselbe Subjekt "in demselben Punkte zugleich als weise oder stark und als thöricht oder schwach" erscheint. Dieser Widerspruch ist "in seiner ganzen Tiefe gesetzt" "Widerspruch des Selbstbewusstseins mit sich". Das Subjekt muss "erscheinen als um seine Verirrung wissend und sich in demselben Momente dennoch verirrend, oder als bewusst und unbewusst zugleich".

 

Thatsächlich freilich weiss das komische Subjekt nicht um seine Verirrung oder braucht nicht darum zu wissen. Dann "leihen" wir ihm nach Vischer dies Wissen oder schieben es ihm unter. Diesen Begriff des Leihens entnimmt Vischer von Jean Paul und er findet darin eine bedeutende Entdeckung desselben. Der Sinn des fraglichen Begriffes wird am einfachsten deutlich aus dem Jean Paul'schen Beispiel, dass auch Vischer citiert: "Wenn Sancho eine Nacht hindurch sich über einem seichten Graben in der Schwebe erhielt, weil er voraussetzte, ein Abgrund klaffe unter ihm, so ist bei dieser Voraussetzung seine Anstrengung recht verständig und er wäre gerade erst toll, wenn er die Zerschmetterung wagte. Warum lachen wir gleichwohl? Hier kommt der Hauptpunkt: wir leihen seinem Bestreben unsere Einsicht und Ansicht und erzeugen durch einen solchen Widerspruch die unendliche Ungereimtheit."

 

Dieses Leihen bestreitet Lotze, und mit gutem Rechte. Schieben wir dem zweckwidrig Handelnden unsere ihm verborgene Kenntnis der Umstände unter, so wird seine Handlungsweise für uns "in ihrer Dummheit unbegreiflich". Da andrerseits Jean Paul recht hat, wenn er die Handlungsweise Sancho's unter der Voraussetzung, der Abgrund klaffe wirklich unter ihm, recht verständig nennt, so folgt, dass wir das Verhältnis zwischen Wissen und Handeln überhaupt nicht für die Komik dieses Falles verantwortlich machen dürfen. In der That geht dies auch nach Vischers Theorie nicht an. Vischer fordert den Widerspruch, aber dass ich meiner Einsicht entgegen handle, ist kein Widerspruch. Ein solcher besteht nur zwischen Wissen und Nichtwissen, Handeln und Nichthandeln, überhaupt zwischen Sein und Nichtsein Desselben.

 

Wie nun dieser wirkliche Widerspruch zu stande kommen könne, darauf führt uns Lotze's Erklärung: "Nicht die Kenntnis dieser bestimmten Lage der Umstände schreiben wir ihm"—nämlich dem komischen Subjekte—"zu, sondern das gravitätische Bewusstsein, ein Wesen zu sein, welches überhaupt Absichten zu fassen und diese unter beliebigen Umständen passend und angemessen zu verwirklichen die allgemeine, bleibende, immer gegenwärtige Befähigung habe". Ich betone hier mit Lotze das "überhaupt". Sancho ist ein Mensch; wir beurteilen ihn darum, zunächst wenigstens, wie wir Menschen überhaupt zu beurteilen pflegen. Menschliche Handlungen nun erheben als solche, ganz allgemein und abgesehen von besonderen störenden Bedingungen, den Anspruch auf eine gewisse Zweckmässigkeit; sie erheben ihn in unserer Vorstellung, wir, unser Vorstellen "leiht" ihnen den Anspruch. Wir leihen ihn insbesondere auch der Handlung Sancho's. Diesem Leihen aber widerspricht der Augenschein; die Handlung ist, objektiv betrachtet, also wiederum abgesehen von der Besonderheit der Person, unzweckmässig. Daraus entsteht in diesem Falle die Komik.

 

Fassen wir das Leihen mit Lotze in diesem allgemeinen Sinne, bestimmen wir zugleich den komischen Widerspruch in jenem Beispiel in Übereinstimmung mit unserer obigen Anschauung als Widerspruch zwischen dem geliehenen Anspruch auf Zweckmässigkeit und der thatsächlichen Unzweckmässigkeit, dann erscheint auch uns Jean Paul's "Entdeckung" in hohem Masse wertvoll. Es bleibt an Vischer und Lotze dann nur noch auszusetzen, dass sie das "Leihen" und damit die Komik auf die Persönlichkeit beschränken. Wie wir sahen, ist für Vischer der komische Widerspruch ein Widerspruch des Selbstbewusstseins mit sich; Lotze weist diesen lediglich intellektuellen Widerspruch zurück, stimmt aber der Definition St. Schütze's bei, das Lächerliche sei die Wahrnehmung eines Spieles, das die Natur mit dem Menschen treibe; durch dies Spiel komme seine vermeintliche Erhabenheit zu Fall. Der Kontrast zwischen dem Erhabenen und Kleinen der Ausdehnung wird von Vischer sogar ausdrücklich aus der Reihe der komischen Kontraste gestrichen.

 

Aber auch bei der Erhabenheit der Person kommt es nicht darauf an, dass sie Erhabenheit der Person, sondern nur darauf, dass sie erwartete, vorausgesetzte, beanspruchte, kurz geliehene Erhabenheit ist, die angesichts der Wahrnehmung oder in unserem Denken sofort wiederum in Nichts zergeht. Die Komik muss darum entstehen, wo immer wir ein Erhabenes, das heisst zur Erzeugung eines Eindruckes Befähigtes erwarten oder voraussetzen, und ein relativ Nichtiges an die Stelle tritt und seine Rolle spielt, die Erhabenheit oder Eindrucksfähigkeit mag bestehen, worin, oder sich gründen, worauf sie will. Sie muss überall entstehen genau aus demselben Grunde, aus dem sie bei der Persönlichkeit entsteht. Dieselben psychologischen Ursachen müssen überall denselben psychologischen Erfolg haben.

 

Freilich ist ja zuzugeben, dass es keine wirkliche oder geliehene Erhabenheit giebt, die höher steht als die der Person. Andrerseits ist sicher, dass wir überall der Neigung unterliegen, Ausserpersönliches und Aussermenschliches zu vermenschlichen; und es ist ein grosses Verdienst Vischer's und Lotze's, auf diese Vermenschlichung so eindringlich hingewiesen haben. Auch das kleine Häuschen in der Reihe der Paläste oder das unbedeutende Geräusch, das an die Stelle des erwarteten lauten Getöses tritt, wird unserer Phantasie nach Analogie eines menschlichen Wesens erscheinen, das zu sein glaubt, oder gerne sein möchte, was es nicht ist. Damit erhöht sich der Eindruck der erwarteten Erhabenheit, und der gegensätzliche Eindruck der Nichtigkeit; es verstärkt sich zugleich das Gefühl der Komik. Darum entsteht doch die Komik nicht erst aus der Vermenschlichung.

 

Damit ist die oben vorgetragene Anschauung gegen Lotze und Vischer gerechtfertigt. Wir haben sie aber noch weiterhin zu rechtfertigen.

 

Ich denke hierbei speziell an die Bemerkungen, die Heymans in der Zeitschrift für Psychologie etc. Bd. XII meiner Theorie der Komik hinzufügt. Diese Bemerkungen schliessen durchweg Berechtigtes in sich. Sie sind mir darum ein besonders erwünschter Anlass gewisse Momente der fraglichen Theorie genauer zu bestimmen.

 

"SELBSTGEFÜHL IN STATU NASCENDI". KOMIK UND LACHEN.

 

Zunächst begegnen wir hier noch einmal der Identifizierung des Gefühls der Komik mit dem gesteigerten Selbstgefühl. Doch ist dies "gesteigerte Selbstgefühl" Heymans' besonderer Art. Es ist genauer befreites Selbstgefühl. Von diesem Begriffe meinte ich schon oben, er könne in gewissem Sinne auf die Komik angewendet werden. Es fragt sich, ob Heymans ihn in zulässiger Weise verwendet.

 

Zunächst habe ich Folgendes gegen Heymans zu bemerken. Idioten, sagt Heymans, lachen aus befriedigter Eitelkeit. Nun ist die Erkenntnis dessen, was in Idioten innerlich vorgeht, nicht immer eine sehr einfache Sache. Aber Heymans mag mit seiner Behauptung recht haben. Dann ist doch zu bedenken, dass es uns hier nicht auf das Lachen, sondern auf die Komik ankommt. Die Komik ist ein eigenartiges Gefühl, oder eine eigenartige Beschaffenheit von psychischen Erlebnissen, die ein solches eigenartiges Gefühl zu stande kommen lassen. Dies Gefühl kann im Lachen sich kundgeben. Ich kann aber auch das Lachen unterdrücken. Andererseits kann das Lachen andere Gründe haben; bei "Idioten" vielleicht die befriedigte Eitelkeit. Solange aber damit kein Gefühl der Komik sich verbindet, gehört dies Lachen nicht hierher.

 

Nur im Vorbeigehen möchte ich hier die Zweckmässigkeit der Umfrage bezweifeln, die Stanley Hall und Allin zufolge einer Mitteilung des American Journal of Psychology vol. XI, 1 angestellt haben. In dieser Umfrage werden Beobachtungen über Bedingungen und Arten des Lachens gefordert. Dagegen ist nichts einzuwenden. Aber die Urheber der Umfrage scheinen davon unmittelbar einen Aufschluss über die Bedingungen der Komik zu erwarten. Vom Lachen, diesem äusseren Vorgang her, scheint die Komik verbindlich werden zu...

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