2 Klassifikation
Stephan Lang
2.1 Einleitung
Die im Rahmen einer Wiederherstellungsoperation notwendigen Verfahren zum Defektverschluss folgen dem Prinzip der sog. rekonstruktiven Leiter: Schwierigkeitsgrad und technischer Aufwand nehmen in der abgebildeten Reihenfolge zu ( ▶ Abb. 2.1).
Rekonstruktive Leiter.
Abb. 2.1 Schematische Darstellung der Verfahren zum Defektverschluss.
Mehr als ⅔ der Patienten mit einem Plattenepithelkarzinom des Kopf-Hals-Bereichs weisen bei Erstdiagnose die von der Union internationale contre le Cancer definierten fortgeschrittenen Krankheitsstadien UICC III oder IV auf. Diese Tatsache impliziert, dass infolge der Tumorresektion oftmals Defekte entstehen, die zum einen nicht primär verschlossen werden können und zum anderen auch die jeweilige Organfunktion kompromittieren. Damit haben alle rekonstruktiven Maßnahmen sowohl den Verschluss des Defekts an sich als auch die weitestgehende Wiederherstellung der Funktion zum Ziel. Bei ausgedehnten Resektionen kommen dazu gemäß der rekonstruktiven Leiter (s. ▶ Abb. 2.1) im Regelfall 2 Verfahren zum Einsatz:
Gestielte Lappen: Diese werden über eine Gewebebrücke bzw. einen definierten Gefäßstiel versorgt.
Mikrochirurgisch revaskularisierte Transplantate: Deren ernährende Gefäße werden im Rahmen der Entnahmeoperation durchtrennt und im Empfängerbett neu angeschlossen.
Bei der Auswahl des am besten geeigneten Lappens bzw. Transplantats müssen verschiedene Bedingungen berücksichtigt werden:
zu erwartende Defektgröße bzw. -tiefe
Gewebezustand der Empfängerregion (vorbestrahlt, infiziert, minderdurchblutet)
Spenderregion einschließlich des Hebedefekts
2.2 Kriterien zur Klassifikation
Die Fülle unterschiedlicher Lappen und Transplantate macht es – nicht zuletzt vor dem Hintergrund sich ständig weiterentwickelnder plastisch-rekonstruktiver Möglichkeiten – schwierig bis unmöglich, alle Varianten unter einer einheitlichen Klassifikation zu subsumieren. Anhand nachfolgend genannter Kriterien gelingt gleichwohl eine entsprechende Zuordnung bzw. die Etablierung einer sinnvollen und verständlichen Nomenklatur:
Lokalisation der Entnahmestelle zum Defekt
Methode der Gewebeübertragung
zugrunde liegende Gefäßversorgung
Gewebezusammensetzung
2.2.1 Lokalisation der Entnahmestelle zum Defekt und Methode der Gewebeübertragung
Die beiden erstgenannten Merkmale bzw. Gesichtspunkte erlauben in Anlehnung an die rekonstruktive Stufenleiter (s. ▶ Abb. 2.1) die Differenzierung zwischen an den Defekt angrenzenden Nahlappen (beispielsweise Gleit-, Verschiebe-, Rotations- und Transpositionslappen), nicht an den Defekt angrenzenden, gestielten Fernlappen sowie freien, mikrochirurgisch revaskularisierten Transplantaten. Entscheidend für das chirurgische Verständnis und für den Erfolg ausgedehnter plastisch-rekonstruktiver Maßnahmen sind jedoch die beiden letztgenannten Kriterien.
2.2.2 Zugrunde liegende Gefäßversorgung und Gewebezusammensetzung
Die Versorgung der jeweiligen Haut- bzw. Gewebeschichten und der damit verbundenen Lappen- bzw. Transplantatkomposition erfolgt durch damit korrelierende, in mehreren Horizontalebenen angeordnete Gefäßplexus, die untereinander über vertikale Gefäße verbunden sind ( ▶ Tab. 2.1 und ▶ Abb. 2.2).
Tab. 2.1 Gefäßversorgung von Haut- und Gewebeschichten.
Gefäßplexus | Gewebeschichten |
subepidermaler Gefäßplexus | Epidermis |
dermaler Gefäßplexus | Dermis |
subdermaler Gefäßplexus | Subdermis |
subkutaner Gefäßplexus | Subkutis |
epifaszialer Gefäßplexus | epifasziale Schicht |
Vaskularisation der Hautschichten durch korrelierende, horizontal angeordnete Gefäßplexus.
Abb. 2.2 Schematische Darstellung.
Für Nah- und Fernlappen galt über viele Jahrzehnte das Dogma, dass deren Überleben von einem definierten Verhältnis von Lappenlänge zu -breite, also zur Lappenbasis, abhängt, um die Blutversorgung nicht zu gefährden. Dieses Verhältnis beträgt im Bereich des Rumpfes in der Regel 1:1 bzw. 2:1, im Gesicht auch bis zu 4:1.
Ende der 1960er-Jahre belegte Milton u.a. durch seine Studien an Hautlappen von Schweinen, dass unabhängig von einem definierten Längen-zu-Breiten-Verhältnis das Vorhandensein einer definierten Gefäßachse das Lappenüberleben determiniert ▶ [28]. In weiterführenden Arbeiten prägten McGregor und Morgan für kutane Lappen den Begriff „Axial Pattern Flaps“, die durch eine definierte Gefäßversorgung gekennzeichnet sind, sowie die Bezeichnung „Random Pattern Flaps“ im Sinne einer zufallsverteilten Lappendurchblutung ▶ [25].
2.3 Weiterführende Nomenklatur
2.3.1 Axial Pattern Flaps
Bei diesen Lappen liegt eine definierte Gefäßversorgung durch eine identifizierbare, namentlich benannte Arterie und Vene vor, die in horizontaler Lage in der Subkutis axial zur Lappenachse verlaufen. Die beiden Gefäße werden aus intramuskulären, subfaszialen oder septalen Gefäßen gespeist und versorgen die darüber liegenden Gefäßplexus ( ▶ Abb. 2.3) ▶ [17] ▶ [25].
Axial Pattern Flap.
Abb. 2.3 Schematische Darstellung.
Dies erlaubt die Präparation deutlich längerer Lappen unter Aufhebung der Längen-zu-Breiten-Restriktion. Einige dieser Lappen eignen sich auch zum mikrochirurgischen Gewebetransfer.
Wichtige Vertreter der Axial Pattern Flaps sind u.a. folgende Lappen:
M.-pectoralis-major-Lappen (A. thoracoacromialis)
Deltopektorallappen (A. thoracica interna)
medianer und paramedianer Stirnlappen (A. supratrochlearis, A. angularis, A. supraorbitalis)
M.-latissimus-dorsi-Lappen (A. thoracodorsalis)
2.3.2 Random Pattern Flaps
Diese Lappen erhalten ihre Blutversorgung über zufallsverteilte, kleine Gefäße und Kapillaren aus dem horizontalen dermalen und subdermalen Plexus, die als Perforansgefäße aus dem darunter liegenden Muskel vertikal aufsteigen ( ▶ Abb. 2.4). Damit ist das Längen-zu-Breiten-Verhältnis der Lappen limitiert ▶ [17] ▶ [25].
Random Pattern Flap.
Abb. 2.4 Schematische Darstellung.
Der Begriff „Random Pattern“ ist in diesem Zusammenhang unglücklich gewählt, da er ein zufallsverteiltes Gefäßmuster nahelegt, die Autoren jedoch auf die nicht vorhandene direkte Gefäßversorgung...