Vorwort
Ich komme gerade von einem meiner sehr langen Läufe, so wie ich sie oft am Wochenende mache. Es ist Frühling. Das Jahr hat erst begonnen. Es ist bereits das vierte Jahr als Läufer, und ich laufe noch immer täglich. Und es tut mir noch immer gut. Das Laufen hat mein Leben verändert.
Wie alles 2012 begann, das habe ich in meinem ersten Buch »More Power. Lauf Dich frei« aufgeschrieben. Und damit einiges in Bewegung gesetzt. Bei mir, aber auch – und das ist viel wichtiger – bei vielen tausend Leserinnen und Lesern. Hätte ich geahnt, dass ich tatsächlich in der Lage bin, andere in Bewegung zu bringen, ich hätte nicht so lange damit gewartet. All die wunderbaren Rückmeldungen von glücklichen Menschen, die sich auf den Weg gemacht haben, das gibt mir bis heute unendlich viel. Täglich landen in meiner Mailbox digitale Briefe von Menschen, die losgelaufen sind. Bei denen es heute viel besser läuft. Alle haben unterschiedliche Geschichten zu erzählen. Jeder ist den Weg auf seine Weise gegangen. Aber es gibt eine doch gemeinsame Schnittmenge: Jeden hat das Laufen verändert. Und zwar im durchaus positiven Sinn. Jeder kann von Laufwundern erzählen, von Dingen und Begegnungen, die etwas angestoßen haben. Und genau diese Laufwunder haben Veränderungen angestoßen. Solchen Laufwundern ist dieses Buch gewidmet. Um all denen Motivation zu geben, die noch nicht laufen. Die ihre Laufwunder noch nicht erlebt haben.
Wie in meinem ersten Buch geht es auch dieses Mal nicht um Marathonpläne. Es geht nicht um das Erreichen von besseren Zeiten, und es wird nicht um Superdiäten gehen. Ebenso wird auch dieses Buch nicht das Buch des nächsten Laufexperten sein. Experten – davon bin ich noch immer überzeugt – haben wir genug. Vielleicht sogar zu viele. Es geht nicht um Trainings- oder Selbstoptimierung. Meine Kolumne »So läuft es«, die zuerst bei der »Welt« zu Hause war und seit einiger Zeit in Print und Online beim »Tagesspiegel« veröffentlicht wird, gab mir immer wieder Inspiration für das vorliegende Buch. Im Mittelpunkt all meiner Texte, all meiner Gedanken zum Thema Laufen stehen immer der Körper, die Seele und der Geist. Und immer ist für mich ein Leitsatz entscheidend: »Es ist nicht wichtig, was oder wie viel man beim Laufen leistet. Sondern was leistet das Laufen für mich!? Was macht es mit mir? Was kann es für mich tun?« Jeder Arbeitstag ist eine einzige Herausforderung, eine »Challenge«. Die Arbeitswelt wird von der Ellenbogengesellschaft diktiert. Wer nicht mitmacht, der verliert. Das Alltagsleben dreht sich immer schneller, der Stress nimmt zu. Wir achten immer weniger auf Ernährung und Bewegung, und Zwischenmenschliches findet nur noch zwischen Tür und Angel statt. Wir sind wenig achtsam mit uns selbst. Das Laufen kann und soll ein Tool sein, um sich selbst zu entschleunigen, um wieder zu sich selbst zu finden.
Gut, das ist nicht neu, könnten Sie sagen. Und Sie haben recht. Vielleicht auch deshalb, weil damit oft Tipps einhergehen, wie man denn nun am besten mit dem Laufen beginnt. Und wie die ersten Schritte aussehen müssen. Und schon ist man wieder gefangen in einem dieser langweiligen Ratgeber-Bücher. Ich verspreche Ihnen: Dieses Buch ist ganz anders. Hier geht es um Laufwunder und darum, wie sie unser Leben verändern. Und es sind nicht die Geschichten von Menschen, die ganz besondere Höchstleistungen beim Sport erbringen. Ich will Ihnen gerne von all den kleinen Laufwundern berichten, die jeder von uns erfahren kann, wenn er nur losläuft. Dabei will ich ehrlich zu Ihnen sein. Und ich habe es bereits angedeutet: Durch das Laufen kann man in der Tat auch sein blaues Laufwunder erleben. Denn es wird Menschen geben, geliebte Menschen, die nicht verstehen werden, warum Sie plötzlich »davonlaufen«. Gerade Ehe- oder Beziehungspartner reagieren oft verwundert, wenn der Partner in Bewegung kommt, sich bewegt, sich verändert, in eine andere Richtung läuft. Das macht Angst. Das schafft Unsicherheiten. Gerade vor einigen Tagen schrieb mich eine ehemalige Kollegin an, die beim Jugendradio des SWR arbeitete. Sie war der Sonnenschein bei DASDING, und mir war schon damals klar, dass sie ihren Weg gehen würde. Und dass er nicht beim Radio für sie enden würde. Und so kam es auch. Sie ist heute eine gefragte TV-Moderatorin. Und noch dazu mit einer enormen Ausstrahlung gesegnet. Sie hat den Mann ihrer Träume geheiratet, bekam mit ihm drei Kinder, erfolgreich im Beruf, beliebt. Sie las oft meine Kolumnen, meine Einträge in den sozialen Netzwerken, bis sie ... bis sie eines Tages endlich loslief. Ohne es zu wissen, hatte ich sie mit positiver Laufenergie so lange bespielt, bis sie endlich die Laufschuhe schnürte. Und sie fand Spaß daran, wurde ehrgeizig, und sie wurde viel freier. So frei, dass sie schließlich ausbrach. Aus der gewohnten Welt, die sie sich aufgebaut hatte. In einem Nebensatz erwähnte sie, dass ihr Partner in der Tat sehr irritiert war. Dass ihm ihre neue Entwicklung zu schaffen machte. Er deutete es als eine Art von Weglaufen. Und seine Angst wurde recht deutlich. Anstatt zu erkennen, dass seine Frau ein Laufwunder geworden war, dass sie etwas für sich tat, dass sie glücklicher wurde, dass es ihr besser ging, war er irritiert. Man kann ihm keinen Vorwurf machen. So passiert es beinahe jeden Tag. Und vielleicht ist dieses Buch gerade deshalb wichtig. Um all denen, die von Laufwundern irritiert sind, oder gar verängstigt, zu sagen: Freuen Sie sich über Laufwunder! Es wird auf keinen Fall zu Ihrem Schaden sein. Jeder, der sich in Bewegung setzt, jeder, der sich auf den Weg macht, hat unseren Respekt verdient. Und jeder wird sich auf seine Art verändern. Wir sollten jedoch lernen und endlich akzeptieren, dass Veränderung etwas Gutes ist. Veränderung ist immer eine Chance. Und zwar für alle, die mit dieser Veränderung zu tun haben.
Aber – wissen Sie was? Sollte Sie das Laufen und all die Laufwunder, die Sie erfahren werden, verändern – keine Bange! Sie sind in guter Gesellschaft. Auch mich hat der Sport verändert. Auch mit mir hat er Dinge angestelllt, auf die ich im Leben nicht gekommen wäre. Er hat zum Beispiel sehr besondere Freundschaften geschaffen. Freundschaften, die durch das Laufen überhaupt erst entstanden sind. Und diese Verbindungen haben eine ganz andere Qualität als früher. Sie sind in der Tat inniger, aufrichtiger, klarer, sensibler, vertrauensvoller. Eine von diesen neuen Freundschaften ist die zwischen Peter Tauber, dem Generalsekretär der CDU, und mir. Als rechte Hand der Kanzlerin hat Peter keinen wirklich einfachen Job. Aber er liebt ihn, ohne Wenn und Aber. Was ihm jedoch ebenso wichtig ist, sind Freundschaften. Ähnlich wie ich hat er nicht viele davon. Aber die, die er hat, die pflegt er. Und für Freunde ist Peter immer da. Wir haben uns kennengelernt, als der Spiegel, BILD und Focus über ihn herfielen und öffentlich die Frage stellten: »Kann Merkels General laufen, seine Ergebnisse twittern und bei Facebook posten, und noch seinen Job gescheit machen?« Mich regte diese Kampagne derart auf, dass ich ihn einfach anmailte. Um ihm unter Läufern zu sagen, was ich von dieser Kampagne halte. Nämlich nichts. Man stelle sich das einmal vor: Wir wollen Politiker, die man greifen kann. Wir wollen Politiker, die transparent und erreichbar sind. Mit denen man diskutieren kann. Und gibt es einen davon, ist es auch wieder nicht in Ordnung. Ja, man stellt sogar seine Kompetenz in Frage. Ob man die Partei nun mag oder nicht, das ist völlig nebensächlich. Peter Tauber stellt sich den Diskussionen. Man erreicht ihn bei Facebook und bei Twitter, und er hat seine eigene Laufgruppe, die man in den sozialen Netzwerken unter #laufpeter erreicht. Er lädt immer wieder persönlich zu gemeinsamen Läufen in Berlin ein. Und während der Läufe spricht er mit jedem, der will, über Politik. Und über das Laufen. Natürlich. Über die ursprüngliche Negativkampagne der Medien ist eine Freundschaft entstanden. Der erste Lauf mit Peter Tauber in Berlin hat uns beide in gewisser Weise verändert. Wir konnten uns als Peter und Mike begegnen, ganz offen, ohne große Distanz. Wir spürten die vielen Kilometer gar nicht, die wir abspulten. Weil wir uns viel zu sagen hatten. Es entstand so etwas wie Nähe und Vertrautheit, ohne dass wir uns wirklich kannten. Ein Laufwunder, das bis heute immer wundersamer geworden ist, und das ist sehr positiv gemeint. Wir sehen uns oft zum gemeinsamen Lauf. Wir reden über Politik, die Menschen hinter der Macht. Wir reden über unsere Sorgen, über Frauen, über Liebe. Wir reden über Ängste und das, was uns bewegt. Wir machen gemeinsame Läufe, wie den Brüder-Grimm-Lauf in Peters Heimat Gelnhausen. Und kochen bei ihm zu Hause Nudeln. Wir wissen: Es ist nicht selbstverständlich, dass sich zwei Männer derart nahekommen können, ohne dass sie eine Beziehung führen. Dass ich so etwas erleben darf, das ist für mich ein Laufwunder. Und ich lerne derart viel durch diese Freundschaft. Und kann viele Gedanken und Anregungen stets mit in meinen Alltag nehmen, wenn sich Peters Wege und meine für eine Zeit trennen. Und ich freue mich bei der Verabschiedung bereits auf ein Wiedersehen. Auf den Espresso in seinem Büro im Konrad-Adenauer-Haus.
So gibt es unzählige Begegnungen und Laufwunder, die mich verändert haben. Meine Einstellung zum Leben und zu den Menschen. Aber auch meine Sicht und Einstellung zu Emotionen, zur Liebe, zum Umgang mit meinem Umfeld. Es gibt Veränderungen, die die Menschen um mich herum spüren oder gar direkt mitbekommen. Es gibt jedoch auch Veränderungen, die nur mir gehören. Die nur ich sehen und spüren kann. Und gerade die sind besonders wichtig. So hat sich unter anderem mein Verhältnis zu meinem Vater sehr verändert. Dad ist ein 68er-Revoluzzer....