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Lebensqualität produzieren

Ressourcentheorie und Machtanalyse des Wohlfahrtsstaats

AutorAlban Knecht
VerlagVS Verlag für Sozialwissenschaften (GWV)
Erscheinungsjahr2010
Seitenanzahl363 Seiten
ISBN9783531925738
FormatPDF
KopierschutzDRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis42,25 EUR
Über das Konzept der Lebensqualität des Volkswirts und Philosophen Amartya Sen bin ich erst vor einigen Jahren gestolpert. Nachdem mich die Weltfremdheit vieler volkswirtschaftlichen Modelle schon in meinem Studium beschäftigt hatte, fing mich Sens 'neuer' Ansatz, der mit Begriffen wie Fähigkeiten, Handlun- möglichkeiten und eben Lebensqualität hantiert, an zu faszinieren. Tatsächlich waren Sens Gedanken gar nicht mehr so neu, sondern gingen auf die Mitte der 80er Jahre zurück. In Deutschland wurde Sen jedoch erst ab Ende der 90er v- stärkt rezipiert - und zunächst auch nur innerhalb seiner eigenen Fächer Philo- phie und Volkswirtschaft. Ich bekam schon bald den Eindruck, dass der Ansatz von Sen die Chance böte, ökonomische Probleme 'näher am Menschen' und dennoch theoretisch fundiert zu diskutieren, was den Anlass zu dieser Arbeit gab. Eigentlich stellen Lebensqualitätsdissertationen ja ein Paradox dar, da - mindest das Verfassen einer solchen Arbeit meist nur sehr bedingt die Lebe- qualität steigert. Für die Soziologie stellt Sens Werk eine Herausforderung - man könnte auch sagen: eine schwerverdauliche Kost - dar. Viele seiner Ausführungen - schäftigen sich mit volkswirtschaftlichen und philosophischen Detailfragen, die sich nur aus der disziplin-geschichtlichen Entwicklung und dem formalen D- ken dieser Fächer ergeben. Sen selbst hat sein Betätigungsfeld stark gegen die Soziologie abgegrenzt und macht stets Kurven um sie herum - enge Kurven, die aus soziologischer Sicht erstaunen. Selbst wenn er sich auf einem Terrain - wegt, welches die Soziologie schon lange und mit Erfolg beackert, bleibt er den Denkweisen seiner Disziplinen treu.

Alban Knecht ist Lehrbeauftragter der Hochschule München und der Universität München. Seine Forschungsschwerpunkte sind Sozialpolitik, Armut und Soziale Ungleichheit.

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Leseprobe
4 Interventionen zur Produktion von Lebensqualität (S. 213-214)

Was heißt, ein Schiff führen (franz.: gouverner237)? Gewiss heißt es, sich der Seeleute anzunehmen, doch heißt es zugleich, dass Schiff und die Ladung zu übernehmen; ein Schiff zu führen heißt auch, die Winde, die Klippen, die Stürme, die Unbilden der Witterung zu berücksichtigen. Es ist dieses Herstellen einer Beziehung zwischen den Seeleuten und dem Schiff, das gerettet werden, und die Ladung, die in den Hafen gebracht werden muss, und deren Beziehung zu all jenen Ereignissen wie den Winden, den Klippen, den Unwettern, das die Führung eines Schiffs kennzeichnet. (Foucault 2006 [1978]: 146f.)

Während im zweiten Kapitel dieser Arbeit gezeigt wurde, wie der einzelne Mensch Lebensqualität mit Hilfe von Ressourcen und durch die Transformation von Ressourcen produziert, ging es im dritten Kapitel um die Bedeutung der Rahmenbedingungen für die Produktion von Lebensqualität. Kulturelle Überzeugungen und politische Auseinandersetzungen führen zu einem institutionellen Gefüge, das den Lebensverlauf jedes Einzelnen vorstrukturiert. Regime können als Beschreibung von solchen Strukturen verstanden werden.

Der Zusammenhang zwischen diesen Regimen und der individuellen Ressourcenausstattung wurde in der Forschung bisher kaum expliziert. Esping-Andersen bezieht sich in seiner Diskussion der Wohlfahrtsregime zwar auf den schwedischen Level-of- Living-Ansatz und bemerkt, dass sich die einzelnen Regime in der Verteilung der Ressourcen unterscheiden, allerdings vertieft er diesen Gedanken nicht (Esping-Andersen 1990: 57). In der Diskussion der Lebenslaufregime wird dagegen die Bedeutung von Ressourcen wie Bildung und Geld klar gesehen und deren Entwicklung über den Lebensverlauf thematisiert; dies dient dann aber nur dazu Übergänge, wie Berufseintritt, Heiratsalter und das Alter, in dem man Kinder bekommt, zu erklärt, jedoch nicht die Lebensqualität oder Lebenserwartung.

Im Folgenden soll nun auf Basis des im zweiten Kapitel entwickelten Modells der Ressourcentransformation und der im dritten Kapitel beschriebenen politischen und kulturellen Rahmenbedingungen ein Modell entwickelt werden, das es erlaubt, den schwer abzubildenden Zusammenhang zwischen Mikro- und Makroebene, den Mikro-Makro-Link, auf eine umfassende und übersichtliche Weise zu beschreiben. Dabei werden staatliche Interventionen darauf hin untersucht, auf welche Weise und in welchem Umfang sie dem einzelnen Menschen Ressourcen zur Verfügung stellen.

Neben direkten Ressourcenzuteilungen und -umverteilungen wird dabei auch betrachtet, inwieweit der Staat in jene Ressourcenverteilungen eingreift, die außerhalb der Sphäre direkter staatlicher Interventionen liegen. Mit Bezug auf den Ansatz von Amartya Sen stellt sich die Frage, inwieweit staatliche Interventionen neben der Zuteilung von Ressourcen die Entwicklung der Fähigkeiten (functionings) und der Handlungsspielräume (capabilities) ihrer Bürgerinnen und Bürger beeinflussen.

Es wird nun zuerst ein Mehrebenenmodell der Ressourcenzuteilung und Lebensqualitätsproduktion – als zweiter Baustein der Ressourcentheorie – entwickelt (Kap. 4.1.1). Verschiedene Interventionsarten werden systematisiert (Kap. 4.1.2) und die Zuteilung der einzelnen Ressourcen wird dargelegt (Kap. 4.2). In Kapitel 4.3 werden dann verschiedene Trends der Wohlfahrts- und Lebensqualitätspolitik aus der Perspektive der Ressourcentheorie betrachtet.
Inhaltsverzeichnis
Inhaltsverzeichnis5
Verzeichnisse8
1 Einleitung10
1.1 Fragestellung und Methode11
1.2 Aufbau11
2 Messung und Beschreibung von Lebensqualität14
2.1 Konzepte zur Messung von Wohlfahrt und sozialer Ungleichheit15
2.1.1 Das Konzept Lebensqualität15
2.1.2 Das Konzept Lebenslage27
2.1.3 Das Konzept Lebensstandard37
2.2 Ressourcentransformation und Lebensqualitätsproduktion bei Sen40
2.2.1 Sens Kritik am Nutzenkonzept40
2.2.2 Sens Kritik am Einkommenskonzept42
2.2.3 Transformationen, functionings und capabilities46
2.2.4 Operationalisierung und Formalisierung von Sens Theorie55
2.2.5 Sens Konzept des well-being58
2.2.6 Kritik am Ansatz von Sen65
2.3 Vergleich der Ansätze69
2.4 Lebensqualität und gesundheitliche Ungleichheit73
2.4.1 Lebensqualität: Unterschiede in Mortalität und Morbidität74
2.4.2 Drei Beispiele zur Lebensqualitäts-Analyse78
2.4.3 Die Komplexität der Übertragungswege91
2.4.4 Transformation, Lebensphasen, Bedeutung der Kindheit95
2.4.5 Fazit: Die Produktion von Lebensqualität103
2.5 Ableitung eines Modells der Ressourcentransformation106
2.5.1 Ressourcen und Ressourcentransformation106
2.5.2 Eigenschaften von Ressourcen111
2.5.3 Formalisierung118
2.6 Fazit123
3 Rahmenbedingungen der Produktion von Lebensqualität125
3.1 Lebensqualität als Ziel staatlichen Handelns126
3.2 Sozialpolitik zwischen Befriedungs- und Befriedigungspolitik131
3.2.1 Historischer Rückblick: Das Werden des Sozialstaats131
3.2.2 Claus Offe: Das Kräftemessen in der Gesellschaft144
3.3 Diskurs und Kultur als Rahmenbedingungen154
3.3.1 Der Diskurs zu Wohlfahrt und Lebensqualität154
3.3.2 Wohlfahrtskultur und Kultur der Lebensqualität170
3.3.3 Die Subjektivierung von Lebensqualität182
3.4 Vom Wohlfahrtsregime zum Lebenslaufregime185
3.4.1 Ländervergleichende Strukturanalyse und Wohlfahrtsregime186
3.4.2 Das Lebenslaufregime197
3.5 Fazit: Rahmenbedingungen der Lebensqualitätsproduktion202
3.5.1 Die drei Zugänge zur Lebensqualitätsproduktion202
3.5.2 Das Wohlfahrtsdispositiv und die Subjektivierung von Lebensqualität206
3.5.3 Sen und die Produktion von Lebensqualität210
4 Interventionen zur Produktion von Lebensqualität213
4.1 Modell der Ressourcenzuteilung und Lebensqualitätsproduktion214
4.1.1 Das Mehrebenenmodell215
4.1.2 Systematisierung der Interventionen221
4.2 Die Interventionen im Detail227
4.2.1 Die Ressource Geld227
4.2.2 Die Ressource Gesundheit233
4.2.3 Die Ressource Bildung240
4.2.4 Psychische Ressourcen245
4.2.5 Soziale Ressourcen250
4.2.6 Transformationen verbessern: Fähigkeiten enwickeln252
4.2.7 Strukturen ändern: Sozial-ökologische Interventionen255
4.2.8 Fazit257
4.3 Aktuelle politische Leitbilder – ressourcentheoretisch gedacht260
4.3.1 Der Aktivierungsstaat261
4.3.2 Der Sozialinvestitionsstaat267
4.3.3 Der pädagogische Früh-Förderstaat272
4.3.4 Die Leitbilder und der Befähigungsstaat – ein Fazit279
5 Zusammenfassung, Ausblicke283
5.1 Zusammenfassung283
5.1.1 Überblick283
5.1.2 Das Mehrebenenmodell in Kürze286
5.2 Ausblicke287
5.2.1 Anwendungen287
5.2.2 Eine Anmerkung zum reduktionistischen Fehlschluss294
Bibliographie297

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