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Lebenswelten von Menschen mit Migrationserfahrung und Demenz

VerlagHogrefe AG
Erscheinungsjahr2015
Seitenanzahl222 Seiten
ISBN9783456955469
FormatPDF
KopierschutzWasserzeichen/DRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis21,99 EUR

Demenziell erkrankte Migrantinnen und Migranten sind dem Dreifachrisiko Alter, Demenz und Migration ausgesetzt. Auch ihre pflegenden Angehörigen sind überdurchschnittlich belastet. Migrationsbedingte Hürden wie z.B. mangelnde Deutschkenntnisse verhindern häufig den Zugang zu den Regelleistungen des deutschen Gesundheitssystems. Damit sind sie häufiger von frühzeitiger Pflegebedürftigkeit, sozialer Isolation und Verarmung betroffen. Obwohl es zunehmend Beratungsstellen für demenziell erkrankte Menschen gibt, mangelt es an Angeboten für diese spezielle Personengruppe. Insofern muss nach wie vor die Versorgungslage dieser wachsenden Personengruppe als sehr prekär eingestuft werden. Bezeichnend ist ebenso, dass es keine repräsentativen Untersuchungen zu der Anzahl und Versorgungssituation von demenziell erkrankten Menschen mit Migrationshintergrund gibt. Darüber hinaus sind die Ressourcen und Bewältigungsformen der Erkrankten und der Angehörigen wenig erforscht. Hier setzt das Buch neue Impulse bezüglich Prävention, Gesundheitsförderung, Beratung und Vernetzung.

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Kapitelübersicht
  1. Lebenswelten von Menschen mit Migrationserfahrung und Demenz
  2. 1. Das Fremde verstehen? – Eine theoretische Rahmung
  3. 2. Versorgungsstrukturen für Menschen mit Demenz in der Türkei
  4. 3. Demenzdiagnostik bei Menschen türkischer Herkunft – TRAKULA
  5. 4. Überblick über das Forschungsvorgehen
  6. 5. Ergebnisse der Dokumentenanalyse nach einer Internet-Recherche
  7. 6. Expertinnen über die Lebenswelten demenziell erkrankter ­Migrantinnen und Migranten
  8. 7. «Kontoauszüge im Kühlschrank» – Belastungen und ­Ressourcen von Angehörigen
  9. 8. Häusliche-Pflege-Skala
  10. 9. Einzelfallanalysen –vertiefte Auseinandersetzung mit dem Erleben Angehöriger
  11. 10. Kritische Konklusion
  12. Verzeichnis der Autorinnen und Autoren
  13. Sachwortverzeichnis
Leseprobe

2 Versorgungsstrukturen für Menschen mit Demenz in der Türkei (S. 35-36)

Türkan Yilmaz und Deniz Pamuk1

Einführung

Die Zahl der älteren Menschen nimmt auch in der Türkei zu. Bei einem Vergleich der demografischen Entwicklung mit europäischen Ländern fällt auf, dass die Türkei zwar noch eine junge Bevölkerung hat, betrachtet man aber die Daten des Statistischen Amtes der Türkei, zeigt sich auch, dass ein rapider Anstieg der Älteren zu verzeichnen ist.

Während 2007 die Einwohnerzahl der Türkei bei 70,5 Millionen lag, stieg sie im Jahre 2013 auf 76,5 Millionen an. 2007 lag die Zahl derer, die 65 Jahre und älter waren, bei 5 Millionen, 2013 lag sie bei 6 Millionen In 6 Jahren nahm die Bevölkerung um 6,5 Millionen zu; 1 Million davon machen allein die Menschen aus, die 65 Jahre und älter sind (TÜIK, 2013)2. Der Bevölkerungszuwachs ist demnach nicht auf die Neugeborenen zurückzuführen, sondern auf die Generation 65+. Die 6 Millionen Menschen, die in der Türkei im Jahre 2013 65 Jahre und älter waren, machten 9 % der türkischen Gesamtbevölkerung aus. Da die Bevölkerung insgesamt weiterhin wächst, blieb der «versteckte Alterungsprozess» trotz Anstieg des prozentualen Anteils der alten Menschen an der Gesamtbevölkerung, vorerst unbemerkt. Im Jahre 2050 wird die Gesamtbevölkerung voraussichtlich ca. 86 Millionen Personen betragen. Der Anteil der über 65-Jährigen wird dann aller Wahrscheinlichkeit nach von derzeit ca. 8 % auf ca. 19 % ansteigen (TÜIK, 2013). Alle diese Prognosen zeigen, dass die Türkei im Jahre 2050 mit unter den Ländern sein wird, die die älteste Bevölkerung der Welt haben (Arun, 2014: 3).

Es gibt nur sehr wenige Informationen über die Verbreitung und Verteilung von demenziell erkrankten Menschen in der Türkei. Statistische Daten sind primär über Menschen mit Behinderung zu finden, über die von der Alzheimer-Krankheit und anderen Formen von Demenz betroffenen Personen existiert keine statistische Datenbasis (Tufan, 2011: 19). Auf Landesebene gibt es keine Studien zu diesem Thema. Informationen beruhen auf Arbeiten, die in einigen Städten durchgeführt worden sind und auf deskriptiven Statistiken basieren (Bulut, Ekici, Polat ve digerleri, 2002; Arslantas ve digerleri, 2009; Harmanci ve digerleri, 2003; Keskinoglu ve digerleri, 2006; Gurvit ve digerleri, 2008).

Die Notwendigkeit für ein öffentliches Bewusstsein steigt mit jedem Tag, dennoch sind Bemühungen rund um die ständig wachsenden Bedarfe für Menschen mit Demenz bislang nur von bestimmten Einrichtungen und Verbänden zu verzeichnen. In diesem Kapitel wird vor allem das Erbringen von Pflege und Pflegeleistungen beleuchtet und es werden Projekte dargestellt und wissenschaftliche Untersuchungen analysiert.

Die Begriffe «Alzheimer» und «Demenz» werden in der türkischen Sprache oft synonym gebraucht, obwohl die Alzheimer-Krankheit eine Demenzform ist. In diesem Kapitel wird, sofern nicht explizit differenziert, die synonyme Begriffsverwendung beibehalten.

Demenz in der Türkei: ein Überblick

In der Pressemitteilung vom 21. September 2014 hat die Psychiatrische Vereinigung der Türkei erklärt, dass die Türkei für die erforderlichen Versorgungsbedürfnisse der schnell wachsenden älteren Bevölkerung nicht gerüstet ist. Laut dieser Erklärung wird im Rahmen einer Diagnose die erste Stufe der «Krankheit im Alter» beurteilt, in der fortgeschrittenen Phase von Auffälligkeiten wird dann von «Demenz» gesprochen (TPD3, Abteilung Geriatrische Studien, 2014).

Inhaltsverzeichnis
Lebenswelten von Menschen mit Migrationserfahrung und Demenz4
Inhaltsverzeichnis6
Vorwort12
Danksagung14
Einleitung16
1. Das Fremde verstehen? – Eine theoretische Rahmung20
1.1 Einleitung20
1.2 Lebensweltbegriffe21
1.2.1 Der Lebensweltbegriff bei Husserl21
1.2.2 Der Lebensweltbegriff bei Schütz und Luckmann22
1.2.3 Der Lebensweltbegriff bei Habermas23
1.2.4 Fazit24
1.3 Das Konzept der Transkulturalität (Welsch)25
1.4 Transkulturalität aus (wissens-)soziologischer Perspektive30
1.5 Transkulturalität, Lebenswelt und Demenz32
1.6 Methodische Implikationen33
2. Versorgungsstrukturen für Menschen mit Demenz in der Türkei36
2.1 Einführung36
2.2 Demenz in der Türkei: ein Überblick37
2.3 Versorgung von Menschen mit Demenz39
2.4 Entwicklungen und (Bildungs-)Projekte44
2.5 Kritisches Fazit46
3. Demenzdiagnostik bei Menschen türkischer Herkunft – TRAKULA52
3.1 Einleitung52
3.2 Ältere Menschen mit Migrationshintergrund in Deutschland54
3.2.1 Aspekte des Migrationserlebnisses55
3.2.2 Lebensumstände türkischstämmiger Migrantinnen und Migrantenin Deutschland56
3.2.3 Bildungsspezifische und kulturelle Besonderheiten der türkischstämmigen Menschen57
3.3 Demenz und Demenzdiagnostik59
3.3.1 Aspekte der Demenzdiagnostik61
3.3.2 Probleme der Demenzdiagnostik bei Menschen mit Migrationshintergrund67
3.3.3 Etablierung von EASY, einem kulturfairen Screening-Verfahren68
3.3.4 Nonverbal testen mit dem TRAKULA69
3.3.4.1 Anwendungsbereich des TRAKULA71
3.3.4.2 Beschreibung der TRAKULA-Subtests72
3.3.4.3 Figuren-Rekognitionstest72
3.3.4.4 Labyrinth-Test73
3.3.4.5 Figuren-Legen73
3.3.4.6 Paarassoziationslernen73
3.3.4.7 Konzept-Erkennen74
3.3.4.8 Uhren-Zuordnungstest74
3.3.4.9 Figur-Farbe-Test75
3.3.4.10 Objekt-Symboltest75
3.3.5 Empirische Ergebnisse und Validität des TRAKULA77
3.3.6 Weiterer Forschungsbedarf82
4. Überblick über das Forschungsvorgehen90
4.1 Zum Stand der Forschung90
4.2 Projektentwicklung94
4.3 Forschungsdesign95
4.4 Dokumentenanalyse96
4.5 Expertinnen-Interviews97
4.6 Interviews mit (pflegenden) Angehörigen türkischer Herkunft98
4.7 Einzelfallanalysen99
4.8 Analyse von Beratungssituationen mittels teilnehmender Beobachtung100
5. Ergebnisse der Dokumentenanalyse nach einer Internet-Recherche104
5.1 Einleitung104
5.2 Deutschsprachige Dokumentenanalyse105
5.2.1 Internet105
5.2.2 Radiosender109
5.2.3 Fernsehsender110
5.2.4 Informations- und Schulungsmaterial111
5.3 Türkischsprachige Dokumentenanalyse111
5.3.1 Internet111
5.3.2 Fernsehsender112
5.4 Methodenkritik113
6. Expertinnen über die Lebenswelten demenziell erkrankter ­Migrantinnen und Migranten116
6.1 Einleitung116
6.2 Die Untersuchungsgruppe116
6.3 Methodik117
6.4 Beispiel für die Lebenswelt einer Expertin118
6.5 Ergebnisse119
6.5.1 Die zweite Generation pflegt die erste Generation119
6.5.2 Biografischer und beruflicher Hintergrund der Expertinnen120
6.5.3 Betreuungsformen aus Sicht der Expertinnen120
6.5.4 Zusammenfassung123
6.6 Die Lebenswelt der Menschen mit Demenz und ihrer Angehörigen124
6.6.1 Familiärer Bereich124
6.6.2 Altersbild126
6.6.3 Überforderung pflegender Angehöriger und professionelle Unterstützung128
6.6.4 Zugangswege zum deutschen Versorgungssystem129
6.6.5 Hürden beim Zugang zu gesundheitsorientierten Angeboten130
6.6.6 Ressourcen und positive Krankheitsbewältigung131
6.6.7 Kritik an der jetzigen Situation und Veränderungswünsche der Expertinnen132
6.6.8 Zusammenfassung133
7. «Kontoauszüge im Kühlschrank» – Belastungen und ­Ressourcen von Angehörigen136
7.1 Einleitung136
7.2 Gewinnung von Gesprächspartnerinnen und -partnern: Anfragen und Überlegungen138
7.3 Durchführung der Interviews, Interviewgruppe139
7.4 Migrationsmotivation und Migrationserfahrungen141
7.5 Die Emigration – Vorstellungen und Veränderungen141
7.6 Familientrennung, Familienzusammenführung142
7.7 Ende gut, alles gut?143
7.8 Emigration als Problemlösung144
7.9 Demenz: unbekannt, verdrängt, offenkundig, annehmbar145
7.10 Symptomatik und Diagnose147
7.11 Am Limit: Wenn sich Lebens- und Wohnsituation ändern müssen150
7.12 Daheim, kein Heim154
7.13 Belastungen155
7.14 Problemfelder «Finanzen» und «Behörden»157
7.15 Problemfeld «innerfamiliäre Unterstützung»158
7.16 Ressourcen und Entlastungen159
7.16.1 Soziale Ressourcen160
7.16.2 Versorgungsressourcen162
7.17 Zusammenfassung164
8. Häusliche-Pflege-Skala166
9. Einzelfallanalysen –vertiefte Auseinandersetzung mit dem Erleben Angehöriger168
9.1 Einleitung168
9.2 Die pflegende Tochter eines erkrankten Vaters169
9.2.1 Die Situation der Beteiligten170
9.2.1.1 Die Situation der pflegenden Tochter170
9.2.1.2 Die Situation des erkrankten Vaters171
9.2.1.3 Die Situation der Ehefrau des erkrankten Mannes172
9.2.1.4 Die Rolle der Geschwister der pflegenden Tochter173
9.2.2 Die Bedeutung der Vater-Tochter-Beziehung173
9.2.3 Die Bedeutung von Kultur und Religion175
9.2.4 Die «Patientenkarriere» des Vaters176
9.2.5 Handlungsempfehlungen177
9.3 Die pflegende Tochter einer erkrankten Mutter178
9.3.1 Die Situation der Beteiligten179
9.3.1.1 Der familiäre Kontext der pflegenden Tochter179
9.3.1.2 Die psychosoziale Situation der Tochter180
9.3.1.3 Die Situation der Mutter181
9.3.2 Die Migrationsgeschichte der Familie183
9.3.3 Handlungsempfehlungen184
9.4 Die pflegenden Töchter – ein Vergleich184
9.5 Die Expertin in der Tagespflege185
9.5.1 Das Konzept der Tagespflege186
9.5.2 Ein Leben zwischen zwei Kulturen186
9.5.3 Sprachkompetenz der Mitarbeitenden187
9.5.4 Die psychosoziale Situation der Angehörigen187
9.5.5 Überforderung der Angehörigen187
9.5.6 Beratung der (pflegenden) Angehörigen189
9.6 Die Einzelfallanalysen – eine Annäherung190
9.7 Schlussfolgerungen191
9.8 Teilnehmende Beobachtungen – Zwischen Belastungen und Ressourcen192
9.8.1 Beratung von zwei Töchtern193
9.8.2 Beratung einer Tochter195
9.8.3 Die Ehefrau des erkrankten Mannes196
9.8.4 Schlussfolgerungen197
9.9 Fazit198
10. Kritische Konklusion200
10.1 Einleitung200
10.2 Ressourcen und Belastungen201
10.3 Familie202
10.4 Die Rolle der pflegenden Angehörigen204
10.5 Bildung und Bildungskarrieren204
10.6 Glaube205
10.7 Methodische Reflexion205
10.8 Zugangshürden207
10.9 Handlungsempfehlungen für Praxis, Entscheidungsträgerinnen und Forschung210
Verzeichnisder Autorinnen und Autoren214
Sachwortverzeichnis220

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