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Lexikalische und semantische Störungen bei Aphasie

AutorAntje Lorenz, Nicole Stadie, Sandra Hanne
VerlagGeorg Thieme Verlag KG
Erscheinungsjahr2019
ReiheForum Logopädie 
Seitenanzahl240 Seiten
ISBN9783132402119
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis64,99 EUR
Lexikalische und semantische Störungen treten bei Patienten mit Aphasie sehr häufig auf, daher ist ihre Behandlung enorm wichtig. Dieser Band aus der Reihe Forum Logopädie hilft dabei, individuelle Beeinträchtigungen des mentalen Lexikons, die sich beim Verstehen, Sprechen, Lesen und Schreiben von Wörtern zeigen, greifbar zu machen. Das ermöglicht eine patientenorientierte Ableitung von Therapiezielen, eine evidenzbasierte Therapiekonzeption und eine fundierte Evaluation. Das Buch eignet sich perfekt als Nachschlagewerk und Lehrbuch für Logopäden, Sprachtherapeuten und Studierende. Jederzeit zugreifen: Der Inhalt des Buches steht Ihnen ohne weitere Kosten digital in der Wissensplattform eRef zur Verfügung (Zugangscode im Buch). Mit der kostenlosen eRef App haben Sie zahlreiche Inhalte auch offline immer griffbereit.

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Leseprobe

2 Modellvorstellungen zur Wortverarbeitung


Antje Lorenz

Im Folgenden wird zunächst die Wortverarbeitung im Logogen-Modell beschrieben. Das Teilkapitel endet mit einer Übersicht über wichtige, im Text erörterte Begriffe mit ihren Definitionen.

Im Anschluss werden weiterführende Theorien zur Wortverarbeitung mit den empirischen Evidenzen aus der aktuellen Forschung vorgestellt. Dabei werden die verschiedenen sprachlichen Modalitäten, d.h. die auditive Worterkennung, die mündliche Wortproduktion, die visuelle Worterkennung sowie die schriftsprachliche Verarbeitung beim lauten Lesen und Schreiben jeweils getrennt behandelt. Die Forschung zum Aufbau des semantischen Gedächtnisses wird ebenfalls vorgestellt.

2.1 Logogen-Modell


Das Logogen-Modell wurde ursprünglich zur Erklärung der lexikalischen Worterkennung entwickelt ▶ [506], ▶ [507]. Im Anschluss wurde die Wortproduktion (Bildbenennung) sowie das Lesen und Schreiben von Wörtern und Nichtwörtern integriert ▶ [508], ▶ [509], ▶ [551], ▶ [552]. Im Logogen-Modell wird somit die Wortverarbeitung in allen sprachlichen Modalitäten erklärt, d.h. im Verständnis und in der Produktion gesprochener und geschriebener Wörter (vgl. ▶ Abb. 2.1; ▶ [552]). Es handelt sich um ein modulares Verarbeitungsmodell, das auf die Verarbeitung einzelner monomorphematischer Wörter spezialisiert ist. Dabei werden getrennte Repräsentationen und Mechanismen für die Verarbeitung gesprochener und geschriebener Wörter sowie für die Verarbeitung im Verständnis und der Produktion angenommen. Das Logogen-Modell dient – neben ähnlichen Einzelwortverarbeitungsmodellen – häufig als Grundlage für die modellorientierte Diagnostik und Therapie von Wortverarbeitungsstörungen bei Aphasie ( ▶ [676]; für modellorientierte Verfahren in der Diagnostik im deutschsprachigen Raum s. ▶ [71], ▶ [74], ▶ [75], ▶ [678]).

Das Modell beinhaltet verschiedene Komponenten und Routen, bei denen es sich entweder um Wissensrepräsentationen (Lexikon und Semantik) oder um spezialisierte Verarbeitungsprozesse (z.B. auditive Analyse, lexikalischer Zugriff) handelt. Die verschiedenen Komponenten sind modular (auch: autonom), d.h. sie können unabhängig voneinander funktionieren ▶ [235] und sind bei Aphasie selektiv störbar.

Die Modellstruktur basiert auf psycholinguistischen Experimenten mit sprachgesunden Erwachsenen zum Nachsprechen, Lesen, lexikalischen Entscheiden und Benennen (z.B. ▶ [508], ▶ [510], ▶ [367]). Zahlreiche Daten aus dem neurolinguistischen Bereich, d.h. von Patienten mit erworbenen Sprach- und Schriftsprachstörungen, haben den Aufbau des Logogen-Modells zusätzlich belegt (z.B. ▶ [331], ▶ [347], ▶ [345], ▶ [386], ▶ [528], ▶ [530], ▶ [509], ▶ [508], ▶ [510]).

Abb. 2.1 Logogen-Modell nach Patterson ▶ [552] (APK: auditiv-phonologische Konversion, PGK: Phonem-Graphem-Konversion, GPK: Graphem-Phonem-Konversion).

2.1.1 Wissensrepräsentationen: Wortformen versus Wortbedeutungen


Sowohl für das Verständnis als auch für die Produktion einzelner Wörter ist der Abruf zweier Informationstypen grundlegend. Dabei handelt es sich einerseits um Informationen über die Wortform, d.h. lexikalisches Wissen, und andererseits um Informationen über die Wortbedeutung, d.h. semantisches Wissen. Diese beiden Informationstypen sind im Logogen-Modell in getrennten Komponenten abgespeichert.

Merke

Im Logogen-Modell beinhalten die Lexika ausschließlich Informationen über die Wortformen, aber nicht über die Wortbedeutung. Das semantische System beinhaltet ausschließlich Informationen über die Bedeutung des Wortes, aber nicht über die Wortformen ▶ [508].

Das Logogen-Modell beinhaltet vier getrennte Lexikonkomponenten. Dabei handelt es sich um jeweils ein Lexikon für die rezeptive und produktive Verarbeitung gesprochener und geschriebener Wörter (auch: modalitätsspezifische Lexika). Die Lexika enthalten alle einem Sprecher bekannten Wortformen. Das Wissen über gesprochene Wortformen ist in den phonologischen Lexika verfügbar, die Informationen über geschriebene Wortformen sind in den graphematischen Lexika abgespeichert (vgl. ▶ Abb. 2.1). Die lexikalischen Einträge werden auch als Logogene bezeichnet. Für jedes einem Sprecher bekannte Wort ist jeweils ein modalitätsspezifisches Logogen verfügbar. Für die lexikalische Aktivierung und die Auswahl von Logogenen ist deren Aktivierungsniveau entscheidend (auch: Schwellenwert). Die Höhe des Schwellenwertes wird durch die Häufigkeit des Wortes (Wortfrequenz) bestimmt. Wörter, die häufig gehört, gelesen oder produziert werden, haben niedrigere Schwellenwerte und können somit leichter abgerufen werden als seltene Wörter (z.B. ▶ [506], ▶ [514], vgl. Kap. ▶ 1.6).

Der Zugriff auf die Wortbedeutung erfolgt im semantischen System (auch: kognitives System), einem Langzeitspeicher aller einem Sprecher bekannten Bedeutungskonzepte. Semantisches Wissen ist in einem Netzwerk repräsentiert, in dem jedes Konzept durch verschiedene semantische Eigenschaften (auch: Merkmale) gespeichert ist (z.B. Känguru: belebt, Sack am Bauch, kann springen, bräunliches Fell, lebt in Australien, …). Ursprünglich wurden die Struktur und der genaue Inhalt des semantischen Systems im Logogen-Modell nicht weiter spezifiziert. Es wurde vorgeschlagen, hier alle Informationen zu speichern, die nicht in den Lexika repräsentiert sind (z.B. ▶ [508]). In der hier dargestellten Version des Logogen-Modells ( ▶ Abb. 2.1) wird eine amodale Semantik angenommen, d.h., egal ob ein Wort gelesen oder gehört wird, ob ein Bild benannt oder ein assoziiertes Geräusch verarbeitet wird, es wird auf dieselbe abstrakte Repräsentation der Bedeutung zugegriffen (z.B. ▶ [122]; s. z.B. ▶ [510] für eine andere Annahme).

2.1.2 Verarbeitungskomponenten: Analysesysteme und Arbeitsspeicher


Für die rezeptive Verarbeitung gesprochener und geschriebener Wörter sind jeweils sowohl Analysesysteme als auch Arbeitsspeichersysteme (auch Buffer) notwendig. Das auditive Analysesystem leistet den ersten sprachspezifischen Verarbeitungsschritt im Verständnis gesprochener Wörter, das visuelle Analysesystem ist für die prälexikalische (auch vor-lexikalische) Verarbeitung geschriebener Wörter zuständig. Die Input-Buffer speichern die in den Analysesystemen enkodierte Information kurzzeitig, um sie anschließend an die Lexikonkomponenten weiterzugeben. Die Funktionsfähigkeit der Analysesysteme und Input-Buffer ist eine notwendige Voraussetzung für die erfolgreiche lexikalische und semantische Wortverarbeitung im Verständnis.

Für die mündliche und schriftliche Produktion von Wörtern sind ebenfalls modalitätsspezifische Arbeitsspeicher nötig, die die von den Lexika abgerufene Information zwischenspeichern, bevor ein Stimulus (Wort oder Nichtwort) artikuliert bzw. aufgeschriebenen werden kann (auch: Output-Buffer). Es kann davon ausgegangen werden, dass in den Bufferkomponenten – neben der reinen Zwischenspeicherung von Information – auch sprachspezifische Enkodierungsleistungen, wie z.B. die phonologische Enkodierung von Wörtern ▶ [72] und der Zugriff auf motorische Programme beim Sprechen und Schreiben, vorbereitet werden.

2.1.3 Abbildung sprachlicher Aktivitäten im Logogen-Modell


2.1.3.1 Hörverständnis

Beim Verständnis gesprochener Wörter kommen die in ▶ Abb. 2.2 dargestellten Komponenten zum Einsatz. Zunächst erfolgt in der auditiven Analyse die frühe akustisch-phonetische Analyse, die eine Segmentierung des Sprachsignals in kleinere Einheiten (z.B. Phoneme) ermöglicht. Der auditive Input-Buffer ist ein Arbeitsspeichersystem, das die in der auditiven Analyse enkodierte phonetisch-phonologische Information kurzzeitig zwischenspeichert, bevor der Zugriff auf das Wort im phonologischen Input-Lexikon erfolgen kann (auch: lexikalischer Zugriff). Dabei werden zunächst neben dem Zielwort auch phonologisch ähnliche Wörter parallel aktiviert (z.B. für das Zielwort „Schnecke“ Schecke, Schneise). Das Zielwort kann abgerufen werden, wenn es überschwellig aktiviert wurde. Sobald im phonologischen Input-Lexikon Einträge aktiviert werden, d.h. bereits vor dem lexikalischen Abruf, erhält auch das entsprechende Bedeutungskonzept im semantischen System Aktivierung. Die abgerufene Bedeutungsinformation trägt so ebenfalls zum erfolgreichen lexikalischen Abruf bei, da es zwischen dem semantischen System und dem phonologischen Input-Lexikon eine Rückkopplung gibt. Die lexikalische Worterkennung ist jedoch auch ohne semantische Information möglich, wenn ein gehörter Stimulus zwar als existierendes Wort erkannt, jedoch nicht mit seiner Bedeutung verknüpft werden kann. Bei unbekannten Wörtern bzw....

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