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Liebe, Schuld und Scham

Sexualität im Islam

AutorRita Breuer
VerlagVerlag Herder GmbH
Erscheinungsjahr2016
Seitenanzahl288 Seiten
ISBN9783451807695
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis19,99 EUR
Das Thema Sexualität prägt in erheblichem Maße Ethik und Rechtslehre im Islam, das gesellschaftliche Zusammenleben und auch den politischen Islam. Koran und Sunna enthalten zahlreiche Hinweise auf ein regelkonformes Sexualverhalten. Auf der einen Seite das Bekenntnis zur grundsätzlich zu bejahenden und zwingend auszulebenden menschlichen Sexualität, auf der anderen das absolute Tabu jeder sexuellen Handlung außerhalb der Ehe. Rita Breuer untersucht die Verwirklichung der islamischen Sexualmoral im gesellschaftlichen Alltag, sie wirft einen Blick auf die Sexualität im islamischen Recht, beschäftigt sich mit den sexuellen Tabus und ihren Folgen, geht dem Zusammenhang von Sexualmoral und Integration auf den Grund und stellt sich der Frage, inwiefern islamische Sexualmoral und Modernisierung vereinbar sind.

Rita Breuer, Dr. phil., geb. 1963, Islamwissenschaftlerin und Volkswirtin, langjährige Entwicklungshilfetätigkeit für den islamischen Kulturraum. Zahlreiche Publikationen, Lehraufträge und Artikel zum Islam und Islamismus in der Gegenwart.

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Leseprobe
2. Nähert euch nicht der Unzucht – grundlegende Aspekte islamischer Sexualmoral
Ohne Sex geht es nicht!
Es gibt Menschen, die auch nach Erreichen der Geschlechtsreife langfristig oder sogar auf Dauer ohne Sex leben. Es können dies beispielsweise Priester, Ordensleute, buddhistische Nonnen und Mönche sein, Personen, die aus religiösen Gründen ein solches Leben wählen. Es können Menschen sein, denen einfach nicht der richtige Partner bzw. die richtige Partnerin begegnet ist und die deshalb allein leben. Betroffen hiervon sind neben vielen Einzelfällen auch beispielsweise Frauen der Nachkriegsgeneration in großer Zahl, in der die Männer einer bestimmten Altersgruppe stark dezimiert waren. Und schließlich gibt es Menschen, die sich selbst als asexuell empfinden und beschreiben, die kein Verlangen nach Sex haben oder die Vorstellung gar unangenehm oder bedrohlich finden. Die Antwort des Islams ist in all diesen Fällen fast unisono ablehnend.
Ein freiwilliger oder erzwungener Verzicht auf gelebte Sexualität erscheint als widernatürlich und Verstoß gegen die göttliche Schöpfungsordnung. Menschen, die ohne Sex leben, begegnet man mit einer Mischung aus Argwohn, Skepsis und Mitleid. Im Koran wird das Mönchtum, womit hier der Zölibat gemeint ist, ein einziges Mal erwähnt und als menschliche Erfindung eingeordnet, die sich in der Praxis nicht durchhalten lässt:
»Hierauf ließen wir hinter ihnen her unsere (weiteren) Gesandten folgen. Und wir ließen Jesus, den Sohn der Maria, folgen und gaben ihm das Evangelium, und wir ließen im Herzen derer, die sich ihm anschlossen, Milde Platz greifen, Barmherzigkeit und Mönchtum. Sie brachten es (von sich aus) auf. Wir haben es ihnen nicht vorgeschrieben. (Sie haben es) vielmehr (von sich aus) im Streben nach Allahs Wohlgefallen (auf sich genommen). Doch hielten sie es (nachdem sie es erst einmal auf sich genommen hatten) nicht richtig ein. – Und wir gaben denjenigen von ihnen, die (an die Wahrheit der ihnen übermittelten Offenbarung) glaubten, ihren Lohn. Aber viele von ihnen waren Frevler.«2 
Dieser Koranvers nimmt ganz offensichtlich Bezug auf die ehelos lebenden christlichen Mönche in Mohammeds Umfeld. Ihm, der den Frauen so außerordentlich zugetan war, war diese Form der Enthaltsamkeit fremd und möglicherweise geradezu unheimlich. Und so prägte er den berühmten Ausspruch: »Es gibt kein Mönchtum im Islam.« Konkret soll dies die Antwort auf die Klage einer Frau gewesen sein, die sich beim Propheten über die übertriebene sexuelle Zurückhaltung ihres Mannes beschwerte. Doch werden die Worte ganz generell als Absage an grundsätzliche sexuelle Enthaltsamkeit mit dem Ziel der totalen und ausschließlichen Gotteshingabe gewertet. Abweichende Einzelmeinungen sind ausgesprochen selten, insbesondere, wenn es um das Leben der Muslime selber geht. Vereinzelt gab es unter den Mystikern auch Personen und Strömungen, die die Ehelosigkeit als Teil ihres spirituellen Lebens betrachteten, so die berühmte Mystikerin Rabia, die im 8. Jahrhundert ihre Verheiratung ablehnte, um sich ganz auf Gott konzentrieren zu können. Von der Orthodoxie wurde dies stets als widernatürlich und dem göttlichen Schöpfungsauftrag konträr abgelehnt. Ordensstand und Zölibat als christliche Formen Gott geweihter Keuschheit wird mit Skepsis, teils aber auch mit einer gewissen Achtung begegnet. Dort, wo das interreligiöse Klima noch nicht durch den politischen Islam vergiftet ist, bewundern viele Muslime die große Hingabe und Selbstaufopferung von Priestern und Ordensleuten, die häufig in den Feldern von Gesundheit und Bildung auch im Dienste der Muslime tätig sind und hier vielfältige Berührungspunkte haben. Unterstellungen, sie würden diesen Lebensstil nur vorgeben und in Wahrheit gar nicht durchhalten, hört man hier eigentlich nicht. Gegenüber den eigenen Glaubensbrüdern und Schwestern allerdings, die allein, das heißt getrennt von Herkunftsfamilie ohne Ehepartner, leben wollen, ist man da deutlich skeptischer. Dass diese sich ohne die stete Kontrolle durch das familiäre Umfeld der moralischen Anfechtungen erwehren und – vorübergehend bis zur Ehe – ein Leben ohne Sex führen könnten, erscheint quasi unmöglich. Es ist dies der sehr einfache Grund, warum das Alleinleben insbesondere von jungen Erwachsenen bis heute kaum akzeptiert wird und nur äußerst selten vorkommt.
Die Sexualität im Rahmen einer Ehe auszuleben ist als natürliche Bestimmung des Menschen ein Recht und – mehr noch – eine Pflicht. So kann und darf es aus muslimischer Sicht diejenigen Menschen, die ohne Sex leben, weil sie einfach nicht den richtigen Partner gefunden haben, nicht geben. So etwas kann passieren, wenn man die Partnersuche dem Zufall oder der individuellen Verantwortung überlässt. Die Wahl des richtigen Ehepartners, den Gott für jeden Menschen bereithält, wird also aus gutem Grund als familiäre und gemeinschaftliche Aufgabe angesehen, und die Gemeinschaft lässt diesbezüglich niemanden zurück. Gelegentlich zieht dieses Versprechen auch junge Konvertitinnen und Konvertiten an, die Probleme haben, mit dem anderen Geschlecht in Kontakt zu kommen und den passenden Partner zu finden. Haben sie erst den Islam angenommen, bereitet die Gemeinschaft ihrem Alleinsein ein Ende. Und dort, wo beispielsweise nach Kriegen die weibliche Bevölkerung deutlich zahlreicher ist als die männliche, schafft die Polygamie einen Ausweg, durch den niemand ohne Ehe, Sex und Nachkommen bleiben muss. Dass hierzulande so viele inzwischen hoch betagte Frauen infolge des Krieges unverheiratet blieben und heute allein und kinderlos alt werden, ist aus dieser Perspektive eine Folge der westlichen Verweigerung der Polygamie. Ihr gottgegebenes Recht auf Ehe, Sex und Kinder wurde ihnen vorenthalten; stattdessen waren sie beständig der Gefahr der Unzucht ausgesetzt.
Und was ist mit denjenigen, die kein Verlangen nach Sex empfinden? Vereinzelt wenden sich auch zu diesem Thema Betroffene an die Gelehrten und offenbaren ihre Not in einer Gesellschaft, die ein Leben ohne Sex nicht akzeptiert. Einer jung verheirateten Frau, die den Geschlechtsverkehr mit ihrem Mann als lustlos erlebt, wird empfohlen: »Der Geschlechtsverkehr und der Geschlechtstrieb gehören zur natürlichen Veranlagung der meisten Menschen – ja sogar der Tiere –, um die Nachkommenschaft und die Menschheit – sowie das Tierreich – zu erhalten. Wer sich davon abwendet und sich zurückhält, ist vielleicht krank. So sollte sie sich behandeln lassen und nach Heilung suchen. Für jede Krankheit gibt es ein Heilmittel. Allah sandte für jede Krankheit ein Heilmittel herab, das manche kennen und manche nicht. Sie sollte also, wenn es nicht anders geht, eine Psychologin aufsuchen. […] Eine Heilmethode wäre auch die islamische Ruqya (Heilung durch Quranrezitation).«3 
Ratsuchende, die nach eigenem Bekunden kein sexuelles Verlangen spüren und teilweise bekennen, der Gedanke an Sex ekle sie an, werden auf das Vorbild des Religionsstifters verwiesen, der dem Liebesleben große Bedeutung beimaß. Mohammed heiratete im Jahr 695 n. Chr. etwa fünfundzwanzigjährig seine erste Ehefrau Khadija, die nach der Überlieferung fünfzehn Jahre älter war als Mohammed. Khadija war bereits zweimal verheiratet gewesen, also sexuell nicht ganz unerfahren. Ob Mohammed voreheliche Kontakte zu Frauen hatte, ist nicht bekannt, aus muslimischer Sicht auf jeden Fall zu verneinen. Trotz ihres schon fortgeschrittenen Alters gebar Khadija ihm sieben Kinder, von denen vier Töchter erwachsen wurden; sie sollten die einzigen Kinder Mohammeds bleiben, die nicht in frühen Jahren starben. Khadija war die Erste, die der Botschaft Mohammeds Glauben schenkte und ihn in dem Bewusstsein stärkte, der Prophet Gottes für die Araber zu sein. Als Inhaberin eines Karawanenunternehmens hatte sie Mohammed einst in ihren Dienst genommen und war ihm nicht nur moralisch, sondern auch wirtschaftlich eine große Stütze. Bis zu ihrem Tod im Jahr 619 blieb sie seine einzige Ehefrau. Danach allerdings heiratete Mohammed zahlreiche weitere Frauen, vermutlich insgesamt dreizehn, wobei er teilweise bis zu neun Ehefrauen gleichzeitig hatte. Ein eigener Koranvers erlaubte ihm im Unterschied zu den anderen Gläubigen die zulässige Gesamtzahl von maximal vier Ehefrauen zu überschreiten. Aus muslimischer Perspektive dienten diese Ehen vornehmlich der Versorgung von Kriegswitwen, doch gab es auch solche, die seiner besonderen Zuneigung geschuldet waren. Neben seinen Ehefrauen machte Mohammed Gebrauch vom Konkubinat, der islamrechtlich erlaubten sexuellen Beziehung des Herrn zu seiner Sklavin, und hatte mehrere sogenannte Beischläferinnen. Diese von den Muslimen im alten Arabien vorgefundene Institution fand zunächst Eingang in die neue Religion und legitimierte im Kriegsfall die Versklavung von Menschen als Kriegsbeute und, sofern es sich um Frauen handelte, die Möglichkeit, sexuell mit ihnen zu verkehren. Alles in allem zeigt also der in allem vorbildhafte Prophet, dass ein intensives Sexualleben innerhalb der Grenzen des Islams nicht nur erlaubt, sondern gut und empfehlenswert ist. Was aber der Religionsstifter offenbar ausgiebig praktizierte, kann doch, so die Gelehrten, nicht abstoßend oder gar eklig sein, nicht objektiv, aber eben auch nicht subjektiv im Empfinden einzelner Menschen. Ehe und...
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