2 Behandlung in einem Lungenkrebszentrum
S. Ewig
2.1 Organkrebszentren
Die Entscheidung der Deutschen Krebsgesellschaft (DKG) zusammen mit den jeweiligen Fachgesellschaften, die Behandlung möglichst vieler Patienten mit malignen Tumoren in zertifizierte Organkrebszentren zu verlegen, ist für alle betroffenen Patienten von sehr grundlegender Bedeutung. Mit dieser Aufstellung soll sichergestellt werden, dass die Patienten von der Kompetenz aller beteiligten Spezialisten profitieren, sodass sie die zum jeweiligen Zeitpunkt optimale Therapie erhalten können.
Ziele Die Kernziele eines Organkrebszentrums Lunge sind demnach:
Behandlungsverfahren auf dem Boden der S3-Leitlinie und anderer aktueller Leitlinien (z.B. ACCP, NICE) zur Behandlung des Lungenkrebses zu formulieren, die stetig auf den neuesten Stand gebracht werden
die fachliche Interdisziplinarität sicherzustellen
die Vorhaltung aller relevanten diagnostischen und therapeutischen Möglichkeiten an einem Ort zu ermöglichen
die verwendeten Behandlungsverfahren einer objektiven Prozess- und Ergebnisqualität zu unterziehen
Letztlich soll erreicht werden, dass die höchstmögliche Lebensqualität bzw. Lebenserwartung der Patienten mit malignen Tumoren sichergestellt wird.
2.2 Lungenkrebszentren (LKZ)
Struktur Die DKG hat entsprechend unter der Leitung von Prof. Ukena in Zusammenarbeit mit der Deutschen Gesellschaft für Pneumologie und Beatmungsmedizin (DGP), Thoraxchirurgie (DGT), Hämatologie und Onkologie (DGHO), Radioonkologie (DEGRO) und zusätzlich 3 Fachgesellschaften, 2 Berufsverbänden, 11 Arbeitsgemeinschaften und der Konferenz onkologischer Kranken- und Kinderkrankenpflege (KOK) die Struktur definiert, die Lungenkrebszentren aufweisen sollen.
Primärfallzahl Aktuell (Stand 12.03.2014) sind 41 Lungenkrebszentren in Deutschland DKG-zertifiziert. In diesen Zentren werden bereits ca. 30% der Patienten mit Lungenkrebs in Deutschland behandelt. Dieses Zahlenverhältnis reflektiert die relativ hohe Hürde in Form von n = 200 Primärfällen, die ein Zentrum erfüllen muss, um zertifiziert werden zu können. Wenngleich diese geforderte Primärfallzahl angreifbar erscheint, ist gerade in der Anfangsphase der Entwicklung von Organ- wie auch Lungenkrebszentren die Forderung nach einer kritischen Größe sehr wahrscheinlich geeignet, nicht mehr hintergehbare Mindeststandards zu setzen, denen sich kleinere Einheiten durch Zusammenschluss oder Kooperation zu stellen haben werden. Insofern ist eine solche Hürde nicht als Versuch anzusehen, geschlossene Gesellschaften zu etablieren, sondern im Gegenteil als Ansporn, Mindeststandards zu erfüllen. Nicht erwünscht ist die bislang häufig gelebte Praxis, Krebsfälle dieser Komplexität ohne Gewährleistung des geforderten Standards zu behandeln und somit therapeutische Chancen der Patienten nicht in fachlich gebotenem Maße wahrzunehmen.
Weitere Zertifizierungen von Lungenkrebszentren werden daher mit hoher Sicherheit folgen.
2.2.1 Lungenkrebszentrum (LKZ) Herne – Bochum
Die Autoren dieses Buches sind gemeinsam überzeugt von den Möglichkeiten, die ein Lungenkrebszentrum für Patienten mit Lungenkrebs birgt und haben daher ein solches Zentrum mit Unterstützung der Träger ihrer Einrichtungen gegründet.
Zweifellos ist die Qualität der Behandlung unserer Patienten dadurch deutlich gestiegen. Jedes Organkrebszentrum bedarf allerdings der persönlichen und fachlichen Ausgestaltung der im Rahmen des Zentrums geschaffenen Strukturen. Mit anderen Worten, die Strukturen müssen gelebt und in einer spezifischen Interpretation ihrer Akteure ausgestaltet werden; ansonsten würden sie zur bloßen Formalität verkommen, die die Behandlung eher erschwert und den Patienten zum Nachteil gereichen könnte. Medizin, auch und gerade innerhalb zertifizierter Strukturen, ist eben kein bloßer Betrieb, sondern eine eigentümliche Mischung aus Standardisierung und Individualisierung der Behandlung, getragen von Persönlichkeiten, die sich ihrer Verantwortung bewusst sind, die sich aus der Suche nach der bestmöglichen Behandlung für den jeweiligen Patienten mit diesem und seinen Angehörigen gemeinsam ergibt. Dieses Kapitel soll daher sowohl die formalen Strukturen des Lungenkrebszentrums als auch eine legitime, und wie wir hoffen, auch für andere attraktive Interpretation ihrer Potenziale darstellen.
2.3 Kernelemente des LKZ und Schwerpunkte des LKZ Herne – Bochum
Struktur Von ärztlicher Seite wird ein Lungenkrebszentrum getragen von einem Pneumologen, einem Thoraxchirurgen, einem Onkologen (oder onkologisch ausgewiesenen Pneumologen), einem Strahlentherapeuten, einem Radiologen und einem Pathologen sowie der jeweils dazugehörigen Mitarbeiterschaft der jeweiligen Klinik bzw. Institution. ▶ Abb. 2.1 zeigt die Struktur des LKZ Herne – Bochum mit Zentrumsleitung und Behandlungspartnern in einem Organigramm an.
Vorzugsweise ein Pneumologe bzw. ein Thoraxchirurg soll die Leitung des Zentrums und die Funktion der Sicherstellung ihrer Normen innehaben, dabei wird eine regelmäßige Rotation empfohlen. Eine pneumologische bzw. thoraxchirurgische Klinik (mit definierten Mindestanzahlen an Fachärzten) stellen die Grundpfeiler des Zentrums dar, dabei sind nach bestimmten Regeln Kooperationen mit mehreren Kliniken möglich. Mit den Behandlungspartnern sind schriftliche Kooperationsverträge zu schließen, die die Vorgaben für eine Kooperation beinhalten.
Abb. 2.1 Struktur des LKZ Herne – Bochum.
Das LKZ Herne – Bochum ist an zwei Standorten angesiedelt, dabei ist die Thoraxchirurgie in Herne und die Pneumologie an beiden Standorten präsent. Die Onkologie wiederum ist in Bochum etabliert und betreut den Herner Standort mit. Ebenso ist das Zentrum für Strahlentherapie in Bochum angesiedelt.
Kooperationen bzw. Kooperationsverträge bestehen mit mehreren benachbarten Kliniken. Vertreter der kooperierenden Kliniken nehmen an der Tumorkonferenz teil.
Qualitätsziele und Primärfälle Ein Lungenkrebszentrum formuliert messbare Qualitätsziele, die jährlich überprüft werden. Diese werden auf dem Boden formulierter Standards erstellt, die regelmäßig entsprechend dem neuesten Stand der Forschung aktualisiert werden.
Wie erwähnt, beträgt die Mindestzahl der Primärfälle 200 Patienten. Darüber hinaus müssen in einem Zentrum pro Jahr mindestens 75 Patienten einer operativen Therapie (d.h. anatomischen Resektion) zugeführt werden.
Die Qualitätsziele im LKZ Herne – Bochum folgen aktuell den ausgewiesenen Qualitätszielen, die zurzeit nur für ▶ chirurgische Endpunkte formuliert wurden. Die im Zentrum geltenden Standards sind interdisziplinär festgelegt und im Intranet der Kliniken in einem Dokumentenlenkungssystem hinterlegt.
Im Jahre 2013 wurden im LKZ Herne – Bochum 456 Primärfälle in den beiden Standorten identifiziert und behandelt. Zusätzlich haben Kooperationspartner weitere 271 Patienten zur Diagnostik/Therapie/Besprechung in der Tumorkonferenz vorgestellt. Es stellt damit eines der größten Zentren in Deutschland dar.
Tumorkonferenz Das Herzstück der Interdisziplinarität eines Organkrebszentrums besteht in der mindestens einmal wöchentlich abzuhaltenden Tumorkonferenz. In dieser sollen im Beisein aller das Zentrum tragenden Akteure sowie bedarfsgerecht der Vertreter assoziierter Fachbereiche alle Fälle mit Lungenkrebs besprochen und einem Therapieplan zugeführt werden. Das Ergebnis muss protokolliert und allen Behandlern, ggf. auch den Patienten, zur Verfügung gestellt werden.
Die Tumorkonferenz findet im LKZ Herne – Bochum zweimal wöchentlich statt. Die Anmeldung erfolgt über ein besonderes Anmeldeformular, aus dem die wesentlichen Daten für die Entscheidungsfindung hervorgehen (▶ Abb. 2.2). Da der Pathologe nicht immer persönlich präsent sein kann, wurde eine Videokonferenzanlage...