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E-Book

Männer

Was es heute heißt, ein Mann zu sein - Vom Autor von 'Männerseelen'

AutorBjörn Süfke
VerlagGoldmann
Erscheinungsjahr2018
Seitenanzahl400 Seiten
ISBN9783641235574
FormatePUB
KopierschutzDRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis9,99 EUR
Was gestern noch als männlich galt, ist heute verpönt - und auch wieder nicht. Der Mann von heute soll gefühlvoll sein, aber kein Weichei. Ein 24-Stunden-Papa, aber bitte auch beruflich ein Überflieger. Kein Wunder, dass Mann sich verwirrt fragt, wo's nun langgeht. Der Diplom-Psychologe Björn Süfke zeigt, was das traditionelle Verständnis von Männlichkeit in der Familie und in der Gesellschaft angerichtet hat. Er fordert die Männer auf, sich zu bewegen - und die Frauen, dies auch wirklich zuzulassen. Denn dann werden wir alle profitieren: durch eine Partner- und Elternschaft auf Augenhöhe und eine gleichberechtigte Gesellschaft.

Björn Süfke ist Diplom-Psychologe. Er hält regelmäßig Vorträge und bietet Fortbildungen zu verschiedenen Männerthemen an. Privat ist er passionierter Fan von zwei Fußballvereinen und drei Kindern. Er lebt mit seiner Familie bei Bielefeld. Weitere Informationen zu Björn Süfkes Veranstaltungen finden Sie auf www.maenner-therapie.de.

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Leseprobe

1

Das verleugnete Leid

EIN MANN HAT KEINE PROBLEME!

Seit etwa zehn Jahren spreche ich mehr oder minder regelmäßig öffentlich über Männer: über männliche Macken und männliches Fehlverhalten ebenso wie über die Leiderfahrungen und den wunderbaren Facettenreichtum der Männer. Dabei habe ich relativ schnell lernen müssen, dass man nicht gut von Männern sprechen kann, ohne einen »über die Rübe« zu bekommen. Und zwar aus zwei Richtungen.

Lächerliches Leiden oder Mann ohne Macken?

Da ist zunächst eine weitverbreitete Mitleidslosigkeit mit Männern: Sobald ich bei einer Veranstaltung irgendetwas äußere, das mein Mitgefühl mit Männern zum Ausdruck bringt, gibt es grummelnde Unmutsbekundungen bis hin zu handfester Kritik – übrigens beileibe nicht nur von Frauen. Mein eindrücklichstes Erlebnis in dieser Hinsicht war eine Podiumsdiskussion in Darmstadt vor einigen Jahren, bei der ich wahnwitzigerweise schon in meinem Eingangsstatement darauf hingewiesen habe, dass es auch männliches Leiden gibt. Als naiver Psychotherapeut hielt ich das nicht für eine revolutionäre Aussage und war daher ziemlich konsterniert, als mir aus dem abgedunkelten Zuschauerraum als spontane Reaktion ein ironisch-mitleidiges »Oooooch!« entgegenschlug. Es waren keine vereinzelten Stimmen, sondern eher ein synchroner Chor von etwa einhundert Menschen.

Was mich besonders schockiert hat, war nicht die Vielstimmigkeit und Lautstärke der Ablehnung jeglicher Empathie für Männer, sondern die Spontaneität dieser Ablehnung. Es war kein wohlüberlegter Widerspruch gegen meine Aussage, es war ein Reflex. Ich hatte auch zu diesem Zeitpunkt noch gar keine Argumente vorgetragen, keine detaillierten Behauptungen aufgestellt, keine Forderungen abgeleitet. Ich hatte lediglich darauf hingewiesen, dass es überhaupt männliches Leiden gibt.

Diese Tatsache an sich muss also abgewehrt werden – vermutlich gar nicht bewusst, was die Unmittelbarkeit dieser kollektiven Zuschauerreaktion ja zeigt. Das simple Motto lautet: Männer haben nicht zu leiden! Und behauptet jemand das Gegenteil, wird diesem Tabubruch auf äußerst effiziente Art und Weise begegnet, nämlich mit ironischem Nicht-Ernstnehmen. In den vergangenen fünfzig Jahren wurde immer und immer wieder – und völlig zu Recht – darauf hingewiesen, dass Frauen der Eintritt in viele »Männerdomänen« nicht in erster Linie durch Gewalt und kategorischen Ausschluss verwehrt wird, sondern durch konsequentes Nicht-Ernstnehmen. Nun, diese Strategie funktioniert auch andersherum …

Machen Sie doch mal in Ihrem Bekanntenkreis die folgende Umfrage: »Wer ist wehleidiger, Männer oder Frauen?« Meiner eigenen Umfrageerfahrung zufolge antworten gefühlte 100 Prozent der Menschen sofort und ohne Umschweife: »Männer!« Gerne wird diese Antwort noch von dem Witz begleitet, dass die Menschheit schon längst ausgestorben sei, wenn Männer die Kinder bekämen. Und neulich zeigte ein Freund mir ein YouTube-Filmchen, in dem ein Mann mit einem Schnupfen in die Notaufnahme eines Krankenhauses geht, wo er dann unmittelbar mit »Männergrippe« eingewiesen wird. Fakt ist aber, dass Männer weitaus seltener über Schmerzen klagen als Frauen, generell schmerzunempfindlicher sind, also in Experimenten Schmerzreize länger auszuhalten bereit sind und den identischen Schmerzreiz auch schwächer einstufen, als Frauen dies tun (siehe etwa Pogatzki-Zahn, 2012; Pogatzki-Zahn, Ruscheweyh & Evers, 2015).

Die Erklärung für all das ist wohl, dass das körpereigene Schmerzhemmsystem von Männern bei Schmerzreizen stärker aktiviert wird. Aber das ist jetzt gar nicht der Punkt. Die Frage ist eher: Wie kommt es trotz einer offenkundig fehlenden Verankerung in der Realität zu dieser kollektiven Wahrnehmung von Männern als den wehleidigeren Menschen? Meines Erachtens kann das nur daran liegen, dass die Klagen von Frauen über Kopf-, Menstruations-, Erkältungs- oder sonstige Schmerzen als »normal« betrachtet werden und somit gar nicht groß herausstechen oder im Gedächtnis bleiben. Wenn ein Mann hingegen im Alltag oder bei einer Erkältungskrankheit über Schmerzen spricht, dann ist dies so »unmännlich«, dass es sofort auffällt. Es handelt sich also um ein (Fehl-) Wahrnehmungsphänomen, welches in dieselbe Richtung deutet wie die erwähnte Reaktion des Darmstädter Publikums: »Männer, die jammern, sind lächerlich!«1

Auf männliches Leid hinzuweisen, fördert also nicht die eigene Beliebtheit. Am »anderen Ende« sieht es aber auch nicht viel besser aus: Wenn ich in meinen Veranstaltungen auch nur ansatzweise auf männliche Defizite zu sprechen komme, wird mir gerne unterstellt, ich wolle Männer an den Pranger stellen und mich als »Gut-Mann« bei den Frauen einschmeicheln. Die Palette reicht von höflichen Nachfragen am Ende eines Vortrags, warum ich nicht noch auf ureigene »männliche Stärken« eingegangen sei (auch wenn Stärken oder Schwächen gar nicht Thema des Vortrags waren) bis hin zu der im Internet geäußerten Meinung, ich sei mit meinen Ausführungen »eine Schande für meine Geschlechtsgenossen«.

Es ist nicht mein Beruf, Männer zu verteidigen oder zu loben. Es ist ebenfalls nicht mein Beruf, über Männer herzuziehen. Das Gleiche gilt natürlich auch für Frauen. Beides ist auch nicht mein Hobby, im Gegenteil, ich finde blinde, selbstkritikfreie Parteilichkeit albern bis ärgerlich.

Natürlich haben Männer Probleme, seelische wie körperliche, und diese werden nicht dadurch verschwinden, dass man sie ignoriert. Und es gibt auch eine strukturelle, das heißt gesellschaftlich verankerte Diskriminierung von Männern. Ersteres wird vermutlich jeder, der ein Buch wie dieses hier in die Hand nimmt, abnicken – auch wenn er oder sie vielleicht noch neugierig darauf ist, wie genau diese Probleme aussehen. Letzteres aber ist meiner Erfahrung nach erklärungsbedürftig.

Diskriminierungsblindheit

Ich höre auf Tagungen häufig Aussagen wie: »Wir sollten jetzt aber nicht so weit gehen, von einer Diskriminierung von Männern zu sprechen.« Oder: »Es gibt keine strukturelle Benachteiligung von Männern.« »Basta!« könnte dem letzten Satz noch angehängt werden, denn es schwebt sehr deutlich im Raum: »In die Richtung darf man nicht einmal denken!« So etwas sagen wohlgemerkt Menschen, die beruflich mit dem Thema zu tun und somit eine gewisse Einsicht haben.

Jener typische Satz, der von Männern gern als Antwort auf Fragen nach ihrem persönlichen Befinden gegeben wird: »Mir geht es gut, ich habe keine Probleme!«, findet also seine Entsprechung auf der Ebene der gesellschaftlichen und auch fachlichen Auseinandersetzung: »Männer werden nicht benachteiligt, es gibt keinen Grund zum Jammern.« Meine Vermutung ist, dass hinter solchen Denk- und Sprechverboten über männliche Diskriminierungserfahrungen der Gedanke liegt, dass in unserer Gesellschaft Frauen weiterhin vielfältigen Benachteiligungen ausgesetzt sind und dass man diese leugnen oder herunterspielen würde, wenn man über Diskriminierungen von Männern spräche. Nach dem Motto: Solange Frauen noch diskriminiert werden, ist jedes Erwähnen einer männlichen Diskriminierungserfahrung ein perfides, frauenfeindliches Sich-zum-Opfer-Stilisieren.

Nach dieser Logik könnte auch jede politisch motivierte Demonstration in Deutschland verboten werden. Schließlich geht es ja in vielen anderen Staaten noch grausamer zu: »Wie könnt Ihr Euch bloß über Datenvorratsspeicherung ereifern, wenn andernorts willkürlich hingerichtet wird?« Dazu fällt mir auch die stereotype Antwort der Erwachsenen aus meiner Kindheit ein, wenn ich unter Tränen vorbrachte, dass die gerade erhaltene Bratwurst doch ziemlich verkohlt sei: Sie wiesen stets auf die hungernden Kinder in Äthiopien hin, die überhaupt nichts zu essen hätten. Das hat mir als Kind irgendwie eingeleuchtet. Oder sagen wir lieber, es hat mich so beeindruckt, dass ich entweder brav weitergekaut oder aber die Wurst heimlich und schambeladen illegal entsorgt habe. Krebserregend war das Zeug trotzdem, Äthiopien hin oder her.

Und bevor mich jetzt empörte Hinweise erreichen, dass man doch handfestes männliches Leid nicht mit Datenspeicherung und verkohlten Bratwürsten vergleichen könne und die weibliche Lebensrealität nicht mit Hinrichtungen und verhungernden Kindern: Ich habe eindrückliche Beispiele dafür gesucht, dass es doch grundsätzlich erlaubt sein muss, Schwierigkeiten einer Personengruppe zu thematisieren, egal wie groß die Schwierigkeiten einer anderen Personengruppe sind. Denn ich persönlich fand es schon immer zynisch bis menschenverachtend, die Leiden von Frauen und Männern gegeneinander aufzurechnen: »Wer hat es denn nun schwerer/schlechter?« Eine sinnlose Frage, die aber gerne gestellt wird.

In meinen Arbeitskontexten geht es natürlich häufig in die Richtung: »Im Grunde haben es Männer doch letztlich schwerer, oder?« Die Frage soll dann besonders plakativ daherkommen. Oder provokativ. Oder betont progressiv. Ich weiß es nicht. Mich macht sie bloß müde. Ich möchte auf männliches Leid hinweisen. Darf ich das nur, wenn ich weibliches Leid relativiere?

Als ich Anfang der Neunzigerjahre an der Universität Bielefeld Psychologie studierte, hatte die Studierendenvertretung des Fachbereichs gerade erkämpft, dass jährlich drei »Frauen-Seminare« stattfanden: Seminare zu frauenspezifischen oder -typischen Themen, die direkt von der Studierendenvertretung organisiert wurden und nur für Frauen zugelassen waren. Ich konnte daran nichts Empörendes finden. Freundinnen von mir haben die Kurse besucht, sie waren wohl immer sehr...

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