Individualmedien
Media Richness
Oliver Fischer
Worum geht es?
Das Konzept der Media- oder auch Information Richness (Daft & Lengel, 1984, 1986; Trevino et al., 1990, 1987) trifft Aussagen über die Passung von Medien und Situationen. Ob technisch vermittelte Individualkommunikation erfolgreich verläuft, hängt dieser Theorie zufolge davon ab, ob für eine Situation oder Aufgabe das angemessene Medium gewählt wird. Situationen werden dabei nach Ambiguität, Medien nach ihrer Reichhaltigkeit differenziert. Mit Ambiguität ist gemeint, dass die Kommunikationspartner erst noch zu einer gemeinsamen Deutung der Situation gelangen müssen. Die Reichhaltigkeit von Medien bezieht sich vor allem auf die Vielfalt verfügbarer Kanäle und auf die Geschwindigkeit, mit der kommunikatives Feedback möglich ist. Kernannahme der Theorie ist, dass in Situationen mit hoher Ambiguität reichhaltige Medien verwendet werden sollten. Diese Aussage ist nicht überraschend. Für die einfache Mitteilung von Fakten hingegen sind schlanke Medien besser geeignet. Diese Hypothese ist eher kontrainutitiv und wird seltener berichtet.
In ihrer ursprünglichen Form zielte die Theorie der Media Richness auf die Optimierung vermittelter Kommunikation in Organisationen ab. Die zentrale Hypothese war, dass Führungskräfte mit angemessenen Medienwahlpräferenzen oder höherer »media sensitivity« erfolgreicher sind als Führungskräfte mit unangemessenen Wahlpräferenzen. Die Medienwahlkompetenz wird damit zu einer Kernkompetenz für Führungskräfte (Lengel & Daft, 1989). In aktuellen Publikationen wird der Aspekt der Ergebnisoptimierung allerdings nur selten berücksichtigt. Untersucht wird in der Regel, ob die Medienwahlmuster insgesamt den Annahmen der Media-Richness-Theorie entsprechen, d. h., ob die Teilnehmer der Untersuchungen tatsächlich angeben, dass sie für Situationen mit hoher Ambiguität reichhaltige Medien und für Aufgaben mit niedriger Ambiguität weniger reichhaltige Medien wählen würden. Obwohl diese Theorie auf die achtziger Jahre zurückgeht ist Media Richness auch auf Medien und Anwendungskontexte anwendbar, die bei der ursprünglichen Analyse noch nicht Gegenstand der Überlegungen waren.
Darstellung der Annahmen
Die Theorie der Media Richness trifft Annahmen zu drei Bereichen: Eigenschaften von Aufgaben, Eigenschaften von Medien und Kontingenz von Kommunikationsanforderung und Medium zur Aufgabenbewältigung. Durch die systematische Betrachtung der Eigenschaften der Aufgabe geht diese Theorie etwa über die der Social Presence hinaus. Spätere Entwicklungen der Media-Richness-Theorie (Trevino, Daft & Lengel, 1990) berücksichtigen zusätzlich kontextuelle und symbolische Determinanten der Medienwahl.
1. Die Anforderungen organisationaler Kommunikation
Die Theorie medialer Reichhaltigkeit bezieht sich ursprünglich auf Kommunikation in Organisationen (Daft & Macintosh, 1981; siehe auch Trevino, Lengel & Daft, 1987; Trevino, Daft & Lengel, 1990). Organisationen werden dabei als dynamische Kommunikationsnetzwerke verstanden, für deren Funktionieren ein gemeinsames Bedeutungs- bzw. Symbolsystem erforderlich ist. Kommunikation und die Bearbeitung von Aufgaben erfolgt wesentlich face-to-face, wird aber zunehmend durch Medien vermittelt. Eine für den Organisationsalltag typische Aufgabe besteht in der Reduktion von Ambiguität (»equivocality«). Dieser Begriff ist für die Bestimmung der Angemessenheit von Medien zentral und bezeichnet eine Situation, in der Sender und Empfänger zunächst zu einem gemeinsamen Verständnis kommen müssen, worum es bei einer Aufgabe überhaupt geht. Daft und Lengel (1986) unterscheiden streng zwischen Ambiguität (equivocality) und Unsicherheit (uncertainty): Unsicherheit lässt sich einfach durch Hinzugewinn zusätzlicher Information beseitigen, während dies bei »equivocal tasks« nicht möglich ist. Zusätzliche Information führt hier eher zu weiterer Verwirrung und wirkt somit kontraproduktiv. Ambiguität ist sicher ein Charakteristikum eines Großteils von Managemententscheidungen (z. B. Mintzberg, Raisinghani & Theoret, 1976).
2. Charakteristika von Medien: Media Richness
Als Media Richness definieren die Autoren die Möglichkeit eines Mediums, Ambiguität zu reduzieren: »Communication media can be characterized as ›rich‹ or ›lean‹ based upon their capacity to facilitate shared meaning« (Trevino, Daft & Lengel, 1990, S. 75). Ambiguitätsreduktion hängt Daft und Lengel (1984, 1986) zufolge wesentlich von vier Charakteristika ab:
Tab. 1.1: Komponenten der Media Richness
Media Richness wird hierbei als ein objektives Merkmal des Mediums angesehen. Allerdings bleibt eine genaue Operationalisierung oder gar eine quantitative Gewichtung der einzelnen Charakteristika zunächst aus. Abbildung 1.2 illustriert die von Trevino, Daft und Lengel (1990) vorgeschlagene Hierarchisierung medialer Reichhaltigkeit, die prinzipiell für beliebig viele weitere Medien erweiterbar ist.
Abb. 1.2: Media-Richness-Hierarchie nach Trevino, Daft und Lengel
Da die von Trevino, Daft und Lengel (1990) genannten Kriterien weder quantifiziert noch gewichtet werden, handelt es sich um eine problematische Operationalisierung. Es ist daher kaum verwunderlich, dass fast alle empirischen Untersuchungen bei der Erstellung von Hierarchien auf subjektive Ratings zurückgreifen.
3. Die Kontingenz von Medium und Kommunikationsanforderung
Der Theorie medialer Reichhaltigkeit zufolge ist die Kombinationen von Medium und Kommunikationsanforderung kritisch für den Erfolg der Kommunikation.
Entsprechen sich Reichhaltigkeit des Mediums und Ambiguität der Situation, verläuft die Kommunikation optimal. Dies führt unmittelbar zur Empfehlung der Media-Richness-Theorie für den Anwendungskontext: Bei klar definierten Aufgaben (also etwa der Kommunikation eindeutiger und klar interpretierbarer Zahlen) sollten schlanke Medien verwendet werden, um unnötige Komplexität zu vermeiden. Bei hoher Ambiguität (z. B. der Beurteilung eines Mitarbeiters) sollten reichhaltige Medien verwendet werden, um ein gemeinsames Verständnis des Gegenstands zu ermöglichen (Trevino, Daft & Lengel, 1990)
Eine suboptimale Kommunikation liegt dann vor, wenn zwischen Ambiguität der Situation und der Reichhaltigkeit des gewählten Mediums ein Mismatch besteht. Die Verwendung eines schlanken Mediums für eine deutungsbedürftige Nachricht kann zu Missverständnissen führen. Dies ist zunächst nicht weiter überraschend. Allerdings stellen die Autoren zusätzlich eine kontraintuitive Hypothese auf: Face-to-face-Kommunikation kann unter bestimmten Bedingungen zu einem gegenüber vermittelter Kommunikation defizitären Kommunikationsablauf führen, weil Informationen kommuniziert werden, die für die Aufgabe irrelevant sind. Tabelle 1.2 visualisiert die möglichen Kombinationen und Ergebnisse.
Tab. 1.2: Kontingenz von Media Richness und Ambiguität der Nachricht
Wie eingangs erwähnt berücksichtigen spätere Entwicklungen der Media-Richness-Theorie zusätzlich kontextuelle und symbolische Determinanten der Medienwahl. Dabei geht es wesentlich um die Frage der Verbreitung eines Mediums (Daft, Lengel & Trevino, 1990) sowie darum, inwieweit die Verwendung eines Mediums metakommunikative Wirkungen haben kann.
Typische Methodik
Fast alle Untersuchungen zur Theorie der medialen Reichhaltigkeit basieren auf Fragebögen. In der für diese Theorie paradigmatischen Untersuchung von Daft, Lengel und Trevino (1987) wurden Manager einer Petrochemie-Firma gebeten, für 60 spezifische Managementsituationen aus jeweils 10 Medien das passende auszuwählen. Die Ambiguität der Situationen war vor der Untersuchung durch Expertenurteil empirisch ermittelt worden. Die Reichhaltigkeit der Medien wurde hingegen von den Autoren einfach angenommen. E-Mail wurde in dieser Studie noch nicht berücksichtigt. Weitere Untersuchungen (Russ, Daft & Lengel, 1989) verwandten eine ähnliche Methodik. Allerdings wurden auch verschiedene andere Methoden verwendet. Trevino, Daft und Lengel (1987) führten in Organisationen teilstrukturierte Interviews, und Trevino, Lengel, Bodensteiner, Gerloff und Muir (1990) führten eine Studie mit Studenten durch, bei der jeweils für eine Situation (hohe vs. geringe Ambiguität) eine Medienwahlentscheidung zu fällen war. Eine sehr elaborierte Untersuchung stammt von Zack (1994), der eine Felduntersuchung zum Kommunikationsverhalten in Arbeitsgruppen durchführte. In dieser Untersuchung wurden Fragebögen, Beobachtungen, Interviews und Dokumentenanalyse...