Von der Lega Nord zur Lega Salvini
Schon mit der Namenswahl bei ihrer Entstehung Anfang der 1980er-Jahre positionierte sich die Lega unmissverständlich: Lega Lombarda. Entsprechend dem lateinischen ligare (verbinden, vereinigen, zusammenschließen) hatten sich erstmals in der Geschichte jene Aufständischen Mailands und der Lombardei Lega Lombarda genannt, die mit Waffengewalt gegen Kaiser Friedrich I. Barbarossa für die Beibehaltung ihrer Autonomierechte im römisch-deutschen Reich kämpften. Durch heldenhaften Einsatz konnten die Lombarden 1176 in Legnano bei Mailand die kaiserlichen Truppen besiegen und Barbarossa zur Flucht zwingen. Das Bildnis eines damaligen Anführers der Lombarden, Alberto da Giussano, in Ritterrüstung und mit gezücktem Schwert, ist Wappen und Parteilogo der Lega.
Auch inhaltlich definierte sich die wieder auferstandene Lega Lombarda als kämpferische Vorhut einer Region, eines in ihren Augen kulturell, wirtschaftlich, sozial, ja sogar ethnisch abgrenzbaren Volkes. Ähnliche Bewegungen waren seit Längerem in anderen Regionen entstanden, von der französischen Grenze im Westen bis nach Triest und in die Toskana. 1991 schlossen sich die Lega Lombarda, Piemont Autonomista, Uniun Ligure, Lega Emiliano-Romagnola, Alleanza Toscana und die Liga Veneta zur Lega Nord zusammen, behielten aber innerhalb der Partei organisatorisch und politisch eine gewisse Autonomie – eine föderal organisierte Regionalisten-Partei, wenn man so will. Zum Vorsitzenden – und aufgrund seines populistischen Charismas sehr bald auch unbestrittenen Chef – wurde Umberto Bossi, Gründer der Lega Lombarda und 20 Jahre lang die Nummer eins der neuen Partei. Abwechselnd nannte sie sich mit vollem Namen Lega Nord Italia Federale oder Lega Nord per l’indipendenza della Padania (Lega Nord für die Unabhängigkeit Padaniens), wobei unter La Padania das gesamte vom Po (lateinisch padanus) durchflossene norditalienische Gebiet von den französisch-italienischen Alpen bis an die Adria verstanden wird. Je nach politischer Konjunktur und den wechselhaften Partei- und Koalitionsbündnissen dominierten in den letzten drei Jahrzehnten abwechselnd die unterschiedlichen Seelen und Flügel der Lega Nord. Das reicht von radikal sezessionistischen Forderungen nach Loslösung von Italien bis zu moderaten Vorstellungen einer weitgehenden Steuer- und Verwaltungsautonomie.
Prima il Nord – Der Norden zuerst
Es wäre jedoch falsch, die Lega Nord lediglich als lokalistische, regionalistische oder föderalistische Bewegung zu sehen. Ihre Forderung nach mehr Unabhängigkeit von Rom oder gar vollständiger Loslösung war von Beginn an durch radikalen Anti-Südländer-Rassismus geprägt. Der Reichtum des Nordens sei Ergebnis der soziokulturellen Überlegenheit der dort lebenden Menschen, ihres Fleißes, ihrer Effizienz, ihrer Denk- und Lebensart. Das Wort Rasse vermied man, nicht jedoch den landläufigen Schimpfnamen für die Süditaliener, terroni (von terra, die Erde – also diejenigen, die die Erde bearbeiten). Die terroni seien eben arbeitsscheu, verschlagen, bestechlich usw. Bürokratie, Korruption, mangelnder Ordnungssinn, Kriminalität und Mafia, wirtschaftliche Rückständigkeit, Arbeitslosigkeit und Armut? Eine Folge der Wesensart. Nicht zufällig gilt als Chefideologe der Lega Nord der frühen Jahre Gianfranco Miglio, auch über Italien hinaus als Vordenker der „Neuen Rechten“ bekannter Politikwissenschaftler und Übersetzer ins Italienische der Schriften des Faschismusbewunderers, NS-Staatsrechtlers und Antisemiten Carl Schmitt. Miglio hätte Italien gerne in drei bis fünf Makroregionen aufgeteilt gesehen, deren Zentralgewalt lediglich koordinierende Kompetenzen haben sollte.
Dementsprechend bildet der Widerstand gegen die staatliche Verwaltung, gegen das landesweite Netz der Präfekten sowie gegen die römische Regierung bis heute einen Hauptpfeiler der Lega-Ideologie. Roma ladrona, Rom, die Diebin, lautet seit Jahrzehnten der zweideutige Klageruf. Einerseits Diebin, weil die Zentralregierung den reichen Norden durch Steuern und Gebühren aussauge, um den verkommenen Süden durchzufüttern, andererseits weil die in Rom schaltenden und waltenden Politiker durchwegs korrupt seien. Womit wir beim zweiten Pfeiler der Lega-Propaganda sind, der deklarierten Feindschaft gegen das Establishment. Die Lega Nord unter Umberto Bossi verschmolz Anti-Etatismus und Anti-Zentralismus geschickt mit dem Mythos eines angeblichen popolo padano.
Dieses padanische Volk, das sind die arbeitsamen, rechtschaffenen, einfachen Leute, mit dem Land verbunden und die traditionellen Werte wie Familie und Moral hochhaltend. In Sachen Homoehe, Leihmutterschaft, Abtreibung, Sterbehilfe oder Drogen (ausgenommen Alkohol natürlich) ist die Lega seit jeher erzkonservativ. Geradezu extrem wird die Ablehnung, wenn es um Migranten, besonders um Afrikaner, Asiaten und Muslime geht. Einwanderer aus christlich-katholischen Ländern will man sich aussuchen können – sie dienen ja immerhin dem Erhalt des Abendlandes. Law and order, hartes Durchgreifen gegen Kriminelle und härtere Strafen, gehören ohnedies zur DNA der Lega-Weltsicht.
Zur Stärkung der padanischen Identität und als Demonstration der Kampfentschlossenheit hat die Lega Nord auch die „Grünhemden“ geschaffen, in der Parteifarbe Grün uniformierte Freiwilligen-Milizen (fast ausschließlich Männer), die bei Veranstaltungen und Aufmärschen für Ordnung, Gesang und Applaus sorgen, aber auch als unbewaffnete Bürgerwehren nach dem Rechten sehen. Auch eine eigene, weil den Bürgern nähere Regionalpolizei gehört zu den langjährigen Forderungen. Wirkliche und echte Volksnähe suggeriert aber die populistische, häufig vulgäre Sprache der Lega-Exponenten, allen voran ihres Langzeit-Anführers Umberto Bossi. Legendär ist Bossis Beteuerung „io ce l’ho duro!“ („meiner ist steif!“) mit dazu passend ausgestrecktem Arm, auf der Rednertribüne, vor laufenden TV-Kameras. Dass die Lombarden bei der Vergabe von Sozialwohnungen Vorrang vor den Bingo Bongos (Migranten) haben sollen, und die Empfehlung, die Trikolore, also die Staatsfahne, ins Klo zu werfen, gehörten ebenso zum Standardrepertoire Bossis wie der erhobene Mittelfinger, wenn von Kritik politischer Gegner die Rede war. Und immer wieder gab es die Drohung, die Lombarden seien bereit, auf den Plätzen und Straßen gegen den Zentralismus des „faschistischen“ Staates zu kämpfen. Obwohl antikommunistisch und gegen alles Linke eingestellt, hat Bossi – im Unterschied zu Matteo Salvini heute – immer Respekt und Sympathie für die Resistenza, den bewaffneten Widerstand gegen Mussolini und die deutschen Besatzer, gezeigt und sich als entschiedener Antifaschist bezeichnet. Was ihn allerdings nicht daran hinderte, 1994 gemeinsam mit den von Silvio Berlusconi salonfähig gemachten und zu diesem Zweck formal geläuterten Neofaschisten des Movimento Sociale Italiano in die erste Regierung Berlusconi zu gehen. Insgesamt saß die Lega Nord knapp neun Jahre in den verschiedenen Regierungen Berlusconis und konnte seit Anfang der 1990er-Jahre vom Piemont bis zum Veneto auf kommunaler und regionaler Ebene zur vorherrschenden politischen Kraft avancieren.
Der Sündenfall der Saubermänner
Durch einen Herzinfarkt und einen Schlaganfall schon sehr geschwächt, musste Umberto Bossi 2012 nach einem spektakulären Skandal um betrügerische Parteienfinanzierung, Veruntreuung und Bilanzfälschung endgültig abtreten. Bossi hatte seinen Söhnen und einer engen Vertrauten mehr als eine halbe Million Euro aus der Parteikassa zukommen lassen. Viel folgenreichere und für das Ansehen der selbst ernannten „Partei der Anständigen“ katastrophale Finanzpraktiken brachten allerdings gerichtliche Untersuchungen zutage. So gestand der Parteikassier Francesco Belsito, über die Jahre rund neun Millionen Euro aus dem Topf der staatlichen Wahlkampfkosten-Rückerstattung für undurchsichtige Finanzoperationen in Zypern, Norwegen und Tansania verwendet zu haben. Außerdem waren die Spesenbelege, die dem Parlament zwecks Refundierung der Wahlkampfkosten vorgelegt werden müssen, in großem Ausmaß gefälscht. Belsito wurde als Sündenbock geopfert und gerichtlich verurteilt. Aber nach dessen Abgang sollen sich noch immer rund 40 Millionen Euro in der Parteikasse der Lega Nord befunden haben, von denen jetzt jede Spur fehlt. Die Gelder seien in der Zeit der Bossi-Nachfolger Roberto Maroni und dann Matteo Salvini „aufgebraucht“ worden. Die Gerichte untersuchen derzeit den Fluss von zehn Millionen Euro der Lega-Gelder via Südtiroler Sparkasse Bozen in den Vermögensverwaltungsfonds „Pharus Management“ mit Sitz in Luxemburg. Salvini beteuerte wiederholt, die Gelder seien weder in Luxemburg noch in der...