Ein defekter Kaffeeautomat
»Warum braucht diese blöde Kaffeemaschine einen Mikroprozessor? Das ist mir alles viel zu kompliziert!« Meine Frau ist sauer, denn der Automat funktioniert nicht mehr und muss schon wieder zur Reparatur.
Ich ziehe den Netzstecker, warte einen Moment und schließe das Gerät wieder an. Manchmal hilft das, doch diesmal bleibt das Display dunkel. Keine Aufforderung »Kaffee bereit«, kein Surren der Mühle, kein Glucksen der Wasserpumpe. Der Elektronikhändler vor Ort kann auch nichts machen. Die Maschine muss eingeschickt werden, so wie vor anderthalb Jahren, als sie schon einmal aus unerklärlichen Gründen aufhörte, ihrer Bestimmung zu gehorchen und Kaffee zu machen.
Auf dem Herd kocht Wasser. Eine Filtertüte, eine Kaffeekanne, aufschütten. Geht doch! Während mir der Kaffeeduft in die Nase steigt, frage ich mich, warum wir den Vollautomaten überhaupt angeschafft haben. Chic sieht er aus, silbern glänzend, und der Kaffee wird frisch gemahlen, per Knopfdruck kann man sogar auswählen, wie stark er werden soll. Eine Tasse darunterstellen – und fertig.
Doch unser Wunderteil macht keinen Mucks und schon gar keinen Kaffee. Ich schütte erneut Wasser nach. Das Fließgeräusch des durchlaufenden Filterwassers ist mir vertraut, von früher. Zunächst strömt es schnell und dann immer langsamer, bis es anfängt zu tropfen. Der angefeuchtete Kaffee im Filter sieht aus wie nasse Blumenerde.
Mir fällt auf, dass ich beim Vollautomaten nichts vom Prozess des Kaffeemachens mitbekomme. Das Mahlen der Bohnen, das Aufheizen des Wassers, das Dosieren und Filtern, alles geschieht im Verborgenen. Was ich bekomme, ist lediglich das Endprodukt. Vielleicht soll das ja so sein, denn so wird jeder Kaffee zu einem kleinen Wunder. Doch bei aller Bequemlichkeit werde ich um ein vertrautes Ritual gebracht. Wer selbst Kaffee aufschüttet, ist beteiligt an einem Prozess, ist aktiv und gestaltet; doch der Automat macht mich zu einem bloßen Knopfdrücker.
Überhaupt steht die Ordnung von Subjekt und Objekt plötzlich auf dem Kopf: Der Automat befiehlt, und ich muss gehorchen. Manchmal fordert er mich auf, das Wasser nachzufüllen. Das geht ja noch, doch wehe, es heißt im grünen Display: »Trester leeren«. Dann gilt es, eine kleine Schublade mit den Überresten vorheriger Kaffeebereitungsfreuden herauszunehmen. Das Tropfgefäß will ebenfalls ausgeleert werden. Beim Gang zur Spüle verschütte ich dann regelmäßig das braune Restwasser. Danach muss ich also auch noch den Boden wischen. Übrigens passiert das wohl vielen Menschen, und vielleicht hat das sogar System: Bei dieser einzig verbleibenden Aktion soll uns Menschen die eigene Fehlbarkeit vorgeführt werden. Es ist so, als würde mir der Vollautomat zuflüstern: »Siehst du, lieber Mensch, du bist viel unbeholfener als ich. Es ist besser, du überlässt mir das Kaffeemachen, bevor du noch mehr herumkleckerst!«
Niemand aus meiner Familie steht auf »Trester leeren«. Es ist die Loser-Karte des Vollautomaten. Besonders irritierend ist die schicksalhafte Zufälligkeit, mit der diese Nachricht auftaucht. Keine Vorwarnung, kein Indiz, es passiert immer unerwartet und meistens dann, wenn man ohnehin in Eile ist. Oder die erste Tasse füllt sich problemlos, und dann blinkt plötzlich »Trester leeren«, und der Nächste hat das Nachsehen.
»Wieder mal typisch! Immer trifft es mich«, höre ich dann von meiner Frau. Wir haben uns deshalb schon fast gestritten, weil mein Kaffee durchging und ihr Kaffeewunsch mit einem »Trester leeren« quittiert wurde. Sie unterstellt mir, ich hätte ganz genau gesehen, dass die Maschine geleert werden musste! Beim Wassertank kann ich das nachvollziehen, doch »Trester leeren« bleibt ein Geheimnis. Ich glaube auch nicht an diskriminierende Präferenzen des Apparates, glaube nicht, dass er zum Beispiel etwas gegen Frauen hat. Es trifft mich genauso häufig wie sie; ich sollte vielleicht mal eine Strichliste führen.
Am leidigsten ist die Prozedur des »Tresterleerens« am frühen Morgen. In diesen Momenten verfluche ich den Vollautomaten. Absurd, oder? Ein neuer Tag bricht an, ich stehe auf, und das Erste, was mir passiert: Ich werde von einem Vollautomaten herumkommandiert: »Leere mich, sonst kriegst du keinen Kaffee!« Ich gebe zu, ich bin ein Morgenmuffel, das habe ich wahrscheinlich von meiner Mutter geerbt. Nach dem Aufstehen sagte sie immer: »Rede mit mir, aber frage mich nichts!« Doch der Kaffeevollautomat fragt nicht nur, er erpresst mich, und das vor meiner ersten Tasse Kaffee!
Der Kaffeevollautomat ist nur ein kleines Beispiel für die übertechnisierte Welt, die uns immer mehr umgibt. Automotoren werden heute so abgekapselt, dass man nicht mehr daran herumschrauben kann. Selbst Scheinwerferlampen lassen sich ohne Spezialwerkzeug nicht auswechseln, sodass man gezwungen ist, eine Fachwerkstatt aufzusuchen.
An Mobiltelefonen sucht man vergeblich nach Schrauben, und ohnehin ist die technische Entwicklung so rasant, dass sich jede Reparatur erübrigt. Die Apparate wehren sich gegen den Versuch einer Reparatur mit splitternden Plastikteilen oder reißenden Membranen. Wir Konsumenten werden rausgehalten aus der Innenwelt des Fortschritts, werden degradiert zu Tastendrückern und Mausbedienern. Das alles geschieht bewusst: Steve Jobs, der Apple-Gründer, ließ Spezialwerkzeuge entwerfen, damit niemand das Macintosh-Computergehäuse mit einem gewöhnlichen Schraubenzieher öffnen konnte.[5] Niemand außerhalb der Apple-Welt sollte Einblick in diesen Kasten bekommen. Die Zauberer des Neuen lassen sich nicht in die Karten schauen, denn die Magie ihrer Maschinen lebt vom Geheimnis um deren Innenleben.
In nur ein, zwei Generationen sind wir als ehemals fast autarke Selbstversorger zu abhängigen Konsumenten geworden. Dies ist nur ein Symptom eines Fortschritts, wie ihn die Welt in dieser Tiefe und in dieser Geschwindigkeit noch nie erlebt hat.
Unsere Mütter, Großmütter und Urgroßmütter haben Zukunft noch als langsamen Prozess erlebt. Ihre Welt wurzelte in der Vergangenheit, und sie konnten sicher sein, dass Gegenwart und Zukunft kontinuierlich aus dem Gegebenen erwachsen würden. Die Menschen hatten also viel Zeit, sich anzupassen. Die Stetigkeit der Zeit verband dabei Alt und Neu zu einem Kontinuum.
Innovationen wie das elektrische Licht brauchten Jahrzehnte, bis sie sich in den Gesellschaften verbreiteten. 1882 erhellten erstmals elektrische Straßenlaternen die Leipziger Straße in Berlin. 30 Jahre später waren jedoch erst 3,5 Prozent der Berliner Wohnungen an das Stromnetz angeschlossen, und noch Ende der Zwanzigerjahre verfügte nur jeder zweite Berliner Haushalt über Elektrizität.[6] Selbst ein halbes Jahrhundert nach dem Aufkommen der ersten elektrischen Straßenlaternen in Berlin lebte noch immer ein Viertel der dortigen Bevölkerung ohne Strom.[7] Es dauerte manchmal Generationen, bis das Neue die Welt eroberte. Es gab eine Synchronität zwischen dem individuellen Altern und der Veränderung der Welt, die uns umgab. Die Zyklen der Technik verliefen in vergleichbaren Zeiträumen wie die Generationenfolge der Menschen. Die Zukunft wuchs aus der Vergangenheit empor, ein organisches Wachsen, so wie junge Bäume, die sich zaghaft nach oben recken, um sich nach Jahrzehnten ihren festen Platz im Wald zu sichern.
Aus einer Zukunft, die noch gestern eine Projektionsfläche für unsere Sehnsüchte und Hoffnungen war, ist inzwischen ein »disruptiver« Wandel geworden, bei dem Innovationen bestehende Realitäten nahezu schlagartig verdrängen. Niemand nimmt ihn wahr, bis er plötzlich mit aller Heftigkeit in unsere Realität einschlägt, wie ein Blitz aus dem Nichts.
2007 wurde das erste Smartphone eingeführt. Nur zehn Jahre später wird es bereits von der Hälfte der Weltbevölkerung genutzt. Das klassische Telefon brauchte noch 75 Jahre, bis 100 Millionen Menschen es nutzten. Zum Vergleich: Beim Mobiltelefon waren es nur noch 16 Jahre, bei Facebook lediglich 4,4 Jahre, bei WhatsApp und Instagram 2,2 Jahre, und das Online-Videospiel Candy Crush Saga benötigte gerade einmal 1,3 Jahre, um die 100-Millionen-Nutzergrenze zu durchbrechen.[8] Die Zahl der Facebook-Nutzer überschritt in nur sechs Jahren seit der Einführung des sozialen Netzwerks die Milliardengrenze. Dieses Tempo der Veränderung ist eine neue Qualität. Bei diesem globalen Hyperwachstum greifen selbstverstärkende Netzwerkeffekte, und so verändern sich ganze Geschäftszweige innerhalb einer Zeitspanne von weniger als einem Jahrzehnt.
Das, was wir für beständig hielten, löst sich auf: Unsere bisherige Arbeitswelt zerbricht, ganze Wirtschaftszweige geraten ins Wanken, Berufsbilder werden über Nacht ersetzt, und die neue Kommunikation verändert das Miteinander von Familien. Plötzlich legt sich über alles ein beschleunigter Alterungsprozess, und manche zerbrechen fast an dem rasenden Fortschritt.
Wir erleben einen nie da gewesenen Umbruch. Es gibt keinen geschützten Raum mehr, in dem wir uns darauf vorbereiten könnten, was auf uns zukommen wird, keine Zeit mehr, die Vor- und Nachteile des Neuen zunächst abzuwägen, bevor es bei uns Einzug hält. Moderne Entwicklungen erfassen alle Industrienationen auf unserem Planeten gleichzeitig. Wir erleben in dieser Hinsicht keinen Unterschied mehr zwischen den Metropolen New York, Berlin, Dubai, Singapur, Tokio oder Shanghai.
Die Strahlkraft der digitalen Revolution reicht in nahezu...