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E-Book

Narconomics

Ein Drogenkartell erfolgreich führen

AutorTom Wainwright
VerlagBlessing
Erscheinungsjahr2016
Seitenanzahl352 Seiten
ISBN9783641161743
FormatePUB
KopierschutzDRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis15,99 EUR
Was haben Coca-Cola, McDonald's und der internationale Drogenhandel gemeinsam?
Der Drogenhandel ist ein globalisiertes, vernetztes und hoch professionalisiertes Geschäftsfeld mit einem Jahresumsatz von 300 Milliarden Dollar, Tendenz steigend. Wie man sich als aufstrebendes Kartell ein Stück vom Kuchen sichert? Indem man von den Besten des Big Business lernt. Denn die Strategien, die für Konzerne wie H&M, Coca-Cola und McDonald's funktionieren, haben sich längst auch international erfolgreiche Drogenbarone angeeignet - von der richtigen PR über Offshoring, Assessment-Center und E-Commerce.

In Narconomics vollzieht Wirtschaftsjournalist Wainwright die Wertschöpfungskette von Drogen wie Kokain nach, von der Koka-Ernte in den Anden bis zum Verkauf an unseren Straßenecken. Jahrelange Recherchen, gefahrenreiche Reisen zu den Brennpunkten des Drogenhandels und Interviews mit Beteiligten, ob minderjähriger Profikiller in den Straßen von Mexico City oder Polizist, Ganglord oder Staatspräsident, haben Wainwright tiefe Einblicke in eine einzigartig einträgliche und tödliche Branche beschert.

Tom Wainwright studierte Philosophie, Politik- und Wirtschaftswissenschaft in Oxford. 2010 zog er nach Mexico City, um als Korrespondent für den Economist aus Mittelamerika, der Karibik, Mexiko und dem Grenzgebiet zwischen Mexiko und den USA zu berichten. Zuvor schrieb er bereits über Themen wie Kriminalität und Soziales, seine Artikel erschienen u.a. in der London Times und dem Guardian. Seine Kolumne 'Narconomics' erzeugte 2012 großes Echo. Wainwright lebt heute in London.

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Leseprobe

EINLEITUNG

Die Kartell-GmbH

Meine Damen und Herren, willkommen in Ciudad Juárez, die Ortszeit ist 8 Uhr morgens.« An einem kühlen Novembermorgen auf einer Rollbahn in der mexikanischen Wüste fummelt an Bord des Interjet-Flugs 2283 ein Passagier nervös an einem kleinen Päckchen herum, das er in seiner Socke versteckt hat, und fragt sich, ob er nicht einen schrecklichen Fehler begangen hat. Juárez, eine pulsierende Grenzstadt mit sengend heißen Tagen und eiskalten Nächten, ist der Hauptumschlagplatz für Kokain, das in die Vereinigten Staaten gelangt. Die Stadt, die sich exakt auf halbem Weg zwischen dem Pazifik und der Golfküste an die Drahtzäune der texanischen Grenze drängt, war lange ein beliebter Schmugglertreff: ein Ort, wo illegale Vermögen gemacht und für schnelle Autos und protzige Villen verschwendet werden. In aller Regel fließen binnen Kürze weitere Unsummen in spektakuläre Mausoleen. Der nervöse Passagier, der jetzt auf seinem Weg zum Terminal in die Morgensonne blinzelt und die Soldaten in Tarnuniform und Sturmhaube mustert, die am Ausgang Wache stehen, ist jedoch kein Drogenkurier. Der Passagier bin ich.

Im Terminal suche ich die nächste Toilette auf, schließe mich in einer Kabine ein und ziehe das Päckchen hervor: ein kleines schwarzes elektronisches Gerät etwa von der Größe eines Feuerzeugs, mit einem einzigen Knopf und einer LED-Leuchte. Einige Tage zuvor habe ich es in Mexiko-Stadt von einem Sicherheitsberater erhalten, der fürchtete, dass der naive junge británico, den er da vor sich hatte, auf seinem Trip nach Juárez baden gehen könnte. Bei meinem allerersten Besuch dort hat sich die Stadt gerade den Titel der »mörderischsten Stadt der Welt« verdient. In der kolonialen Innenstadt und in den Betonslums spielen die Auftragskiller rivalisierender Kartelle ein tödliches Versteckspiel. Hinrichtungen auf offener Straße, Massengräber und erfinderische neue Formen der Zerstückelung füllen die örtlichen Zeitungsberichte und Fernsehnachrichten. Insbesondere neugierige Journalisten verschwinden, wie Mumien eingewickelt in Klebeband, häufig in Kofferräumen. In Juárez darf man nichts riskieren. Deshalb, erklärte der Berater, als er mir das Gerät übergab, solle ich bei meiner Ankunft auf den Knopf drücken, warten, bis die LED aufleuchtet, und das Gerät in meiner Socke verstecken. Solange die LED blinke, könne er, falls es mir nicht gelingen sollte einzuchecken, jederzeit meine Position orten – oder zumindest die meines rechten Beins.

In der Kabine nehme ich das Tracking-Gerät leise heraus, drehe es in der Hand um und drücke den Knopf. Dann warte ich. Das Licht bleibt aus. Irritiert drücke ich noch einmal. Nichts. Ich schüttle das Gerät, klopfe darauf, halte den Knopf gedrückt, doch was auch immer ich in den nächsten paar Minuten versuche, um den kleinen Apparat zum Leben zu erwecken, bleibt ohne Erfolg: Die Lampe will einfach nicht blinken. Schließlich stecke ich das nutzlose Ding zurück in meine Socke, nehme meine Sachen und mache mich vorsichtig auf den Weg nach draußen, in die Straßen von Ciudad Juárez. Das Gerät ist tot, und ich bin ganz auf mich gestellt.

Diese Geschichte handelt davon, was geschah, als ein nicht besonders mutiger Wirtschaftsjournalist damit beauftragt wurde, über die exotischste und brutalste Branche der Welt zu schreiben. Ich kam im Jahr 2010 in Mexiko an, als der Staat gerade den Drogencowboys den Kampf angesagt hatte, die mit ihren vergoldeten Kalaschnikows manche Landesteile in fast anarchische Zustände gestürzt hatten. Die Anzahl der 2010 in Mexiko ermordeten Menschen überstieg die 20 000 und lag damit etwa fünfmal so hoch wie in gesamt Westeuropa.1 Das Jahr darauf war noch gewaltsamer. In den Nachrichten wurde kaum noch über etwas anderes berichtet: jede Woche neue Geschichten von korrupten Polizisten, Attentaten auf Beamte und zahllosen Massakern an narcotraficantes, die sich gegenseitig abknallten oder von der Armee aufgebracht wurden. Dies war der »War on Drugs«, der sogenannte Krieg gegen die Drogen, und es war klar, dass die Drogen gewinnen würden.

Ich hatte gelegentlich aus Sicht der Konsumenten in Europa und in den Vereinigten Staaten über Drogen geschrieben, doch hier in Lateinamerika wurde ich nun mit dem grausigen Lieferverkehr der Drogenindustrie konfrontiert. Je mehr ich über el narcotráfico schrieb, desto mehr stellte ich fest, woran mich das Ganze am meisten erinnerte: an ein globales, straff organisiertes Geschäft. Dessen Produkte werden entworfen, hergestellt, transportiert und an eine Viertelmilliarde Konsumenten auf der ganzen Welt vermarktet und verkauft. Der Jahresumsatz beläuft sich auf rund 300 Milliarden Dollar, Tendenz steigend.2 Die Leute, die in diesem Wirtschaftszweig tätig sind, erscheinen mit ihren monströsen Spitznamen wie finstere Glamour-Gestalten (ein Mann in Mexiko wurde El Comeniños, »der Kinderfresser«, genannt), doch wenn ich sie persönlich kennenlernte, erinnerten mich ihre Prahlerei und ihre Klagen in erster Linie an die Manager großer Unternehmen. Der Kopf einer blutdürstigen Bande in El Salvador, der in seiner stickigen Gefängniszelle mit der Größe des Gebiets angab, das seine compañeros draußen beherrschten, leierte Plattitüden über ein neues Bandenabkommen herunter, die direkt aus dem Mund eines Geschäftsführers hätten stammen können, der eine Fusion ankündigt. Ein korpulenter bolivianischer Bauer, der Koka anpflanzte – den Grundstoff für Kokain –, sprach von seinen gesunden jungen Sträuchern mit der ganzen Begeisterung, dem Stolz und der Fachkenntnis eines professionellen Gärtners. Immer wieder berichteten die rücksichtslosesten Kriminellen mir gegenüber von denselben profanen Problemen, die auch anderen Unternehmen das Leben schwer machen: Personalführung, die Umschiffung staatlicher Auflagen, die Suche nach zuverlässigen Lieferanten und der Umgang mit Konkurrenten.

Auch ihre Kunden haben dieselben Bedürfnisse wie gewöhnliche Konsumenten. Wie die Kundschaft anderer Geschäftsfelder suchen sie nach Bewertungen neuer Produkte, bevorzugen zunehmend den Online-Einkauf und erwarten von ihren Dealern sogar ein gewisses Maß an »gesellschaftlicher Unternehmensverantwortung«. Als ich im Internet das »Dark Web« erforschte, wo man Drogen und Waffen mit Bitcoins anonym kaufen kann, hatte ich es einmal mit einem Händler für Crystal-Meth-Pfeifen zu tun, der so aufmerksam wie ein Amazon-Mitarbeiter war. (Halt, das nehme ich zurück. Er war wesentlich hilfreicher.) Je genauer ich die weltweite Drogenindustrie betrachtete, desto mehr fragte ich mich, was wohl geschehen würde, wenn ich darüber berichtete, als wäre sie eine Branche wie jede andere. Das Ergebnis ist dieses Buch.

Eines der ersten Dinge, die mir auffielen, während ich den Drogenhandel mit den Augen eines Ökonomen betrachtete, war, dass viele beeindruckend klingende Zahlen, die von den Anti-Drogen-Behörden genannt werden, schlicht keinen Sinn ergeben. Kurz nach meiner Ankunft in Mexiko wurde in Tijuana ein riesiges Rauschgift-Freudenfeuer entzündet. Soldaten entfachten einen Kienspan und traten dann einen gutes Stück zurück, als 134 Tonnen Marihuana in dicken, beißenden Rauch aufgingen. Das geheime Depot, das man in einem Lagerhaus am Stadtrand in sechs Überseecontainern verborgen entdeckt hatte, stellte den größten Drogenfund in der Geschichte des Landes dar. Die Ware war lieferfertig, gepresst und abgepackt in 15 000 Pakete von der Größe eines Sandsacks, die mit Tieren, Smileys und Bildern von Homer Simpson versehen waren. Solche Logos verwenden Dealer als Kennzeichnung dafür, wohin ihre Produkte geschickt werden sollen. Die Pakete wurden geprüft, gewogen und fotografiert. Danach wurden sie gestapelt, mit Diesel bespritzt und in Brand gesteckt. Eine Menschenmenge sah zu, während Soldaten mit Maschinengewehren dafür sorgten, dass niemand in Windrichtung der bewusstseinserweiternden Feuersbrunst geriet. General Alfonso Duarte Mugica, der regionale Befehlshaber der mexikanischen Armee, verkündete stolz, der qualmende Haufen habe einen Wert von 4,2 Milliarden Pesos gehabt, was damals etwa 340 Millionen US-Dollar entsprach. Manche Zeitungen in den Vereinigten Staaten gingen sogar noch weiter und berichteten, der Fang sei eher eine halbe Milliarde Dollar wert, danach gerechnet, was die Drogen in Amerika hätten einbringen können.

Nach jeder halbwegs vernünftigen Analyse lagen beide jedoch meilenweit daneben. General Duartes Berechnung scheint auf der Annahme zu beruhen, dass der Preis für ein Gramm Marihuana in Mexiko etwa 3 Dollar beträgt. Multipliziert mit 100 Tonnen, erhält man einen Gesamtwert von rund 300 Millionen. In Amerika kostet ein Gramm vielleicht eher 5 Dollar, weshalb man so auf eine Schätzung von einer halben Milliarde kommen kann. Die Logik klingt recht überzeugend, selbst wenn die Zahlen nur Näherungswerte sind. Das Ganze ist jedoch irreführend. Nehmen wir ein anderes begehrtes lateinamerikanisches Exportgut: argentinisches Rindfleisch. In einem Restaurant in Manhattan kostet ein Acht-Unzen-Steak (etwa 230 Gramm) vielleicht 50 Dollar, also 22 Dollar das Gramm. Nach der Logik von General Duarte würde das bedeuten, dass eine Kuh mit dem Gewicht einer halben Tonne über 100 000 Dollar wert wäre.

Eine Kuh muss man schlachten, zerlegen, verpacken, verschiffen, abhängen, grillen und servieren, bevor sie 50 Dollar pro Scheibe wert ist. Aus diesem Grund würde kein für die Fleischindustrie tätiger Analyst den Preis einer lebendigen Kuh, die auf der argentinischen Pampa grast, anhand...

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