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»Neger, Neger, Schornsteinfeger!«

Meine Kindheit in Deutschland

AutorHans J. Massaquoi
VerlagS. Fischer Verlag GmbH
Erscheinungsjahr2010
Seitenanzahl416 Seiten
ISBN9783104002996
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis9,99 EUR
***Spannend wie ein Abenteuerroman*** Als Sohn einer weißen Mutter und eines schwarzen Vaters wächst Hans-Jürgen Massaquoi in großbürgerlichen Verhältnissen in Hamburg auf. Doch eines Tages verlässt der Vater das Land. Hans-Jürgen und seine Mutter bleiben zurück und ziehen in ein Arbeiterviertel. Als die Nazis die Macht übernehmen, verändert sich ihr Leben grundlegend ... Hans J. Massaquoi beschreibt in seiner außergewöhnlichen Autobiographie seine Kindheit und Jugend zwischen 1926 und 1948 als einer der wenigen schwarzen Deutschen in diesem Land.

Hans J. Massaquoi, geb. 1926 in Hamburg, ging 1948 zunächst nach Liberia und 1950 in die USA. Nach einem Studium der Zeitungswissenschaft arbeitete er als leitender Redakteur bei «Ebony», der größten afro-amerikanischen Zeitschrift der USA. 2013 starb Hans J. Massaquoi an seinem 87. Geburtstag.

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Leseprobe

Prolog


»Nur wenige besitzen die Fähigkeit, so über sich selbst zu schreiben, dass ihnen nicht gleich Schwäche, Eitelkeit und Egozentrik unterstellt wird; ich habe nur wenig Grund zu der Annahme, dass ich zu diesen wenigen Glücklichen zähle …«

Frederick Douglass

Diese Bedenken, die Frederick Douglass, der große Kämpfer gegen die Sklaverei, vor über einem Jahrhundert so wortgewandt in seiner Autobiografie My Bondage and My Freedom äußerte, sprechen mir aus der Seele. Dass ich mich wie Mr.Douglass trotzdem dazu entschlossen habe, die Geschichte meines Lebens in Buchform zu veröffentlichen, ist unter anderem auf das beharrliche Drängen einiger guter alter Autorenfreunde wie Alex Haley und Ralph Giordano zurückzuführen sowie auch auf meinen früheren Chef und Mentor, den Herausgeber der Zeitschrift EBONY, John H. Johnson. Sie haben mich überzeugt, dass meine Erfahrungen als junger Schwarzer, der in Nazideutschland heranwuchs und überlebte – als Augenzeuge und häufig auch als Opfer des rassistischen Wahnsinns der Nazis und der Bombenangriffe der Alliierten –, so einzigartig sind, dass es meine Pflicht als Journalist ist, einem größeren Publikum diesen völlig anderen Blick auf den Holocaust nahe zu bringen. Da ich zwar in Nazideutschland lebte, aber zugleich ein gefährdeter Außenseiter war, konnte ich die beängstigenden Triumphe und den katastrophalen Zusammenbruch des Dritten Reiches aus einer ganz eigenen Perspektive verfolgen.

Es gibt vier grundlegende Aspekte, durch die sich der persönliche Schrecken, den ich unter den Nazis erduldete, sowohl von den Pogromen unterscheidet, die meine jüdischen Landsleute in Deutschland durchleiden mussten, als auch von den rassistischen Verfolgungen, denen sich meine schwarzen Brüder und Schwestern in den Vereinigten Staaten ausgesetzt sehen:

Als Schwarzer im weißen Nazideutschland war ich derart auffällig, dass ich weder fliehen noch mich verstecken konnte.

Anders als meine schwarzen Brüder und Schwestern in den Vereinigten Staaten konnte ich nicht von Überlebenstechniken profitieren, die in den Jahrhunderten der Unterdrückung von zahllosen Vorfahren entwickelt und von Generation zu Generation weitergegeben wurden. Ich war also gezwungen, meine ureigenen Instinkte zu verfeinern, um physisch und psychisch in einem Land zu überleben, das von Rassenhass beherrscht wurde und sich unverhohlen der Vernichtung aller »Nicht-Arier« verschrieben hatte.

Die Nazi-Rassisten waren im Gegensatz zu ihren Geistesbrüdern im weißen Amerika früherer Tage keine feigen Feierabendterroristen, die ihre grässlichen Taten im Schutze der Nacht und unter weißen Laken versteckt begingen. Sie machten ihre schmutzige Arbeit offen und unverfroren mit Rückendeckung und Unterstützung ihrer eigenen Regierung, die das Vermischen arischen Blutes mit »minderwertigem«, nichtarischem Blut zur Kardinalsünde erklärt hatte.

Meine deutsche Mutter lehrte mich dadurch, dass sie an mich und meine Möglichkeiten glaubte, an mich selbst zu glauben. Abgesehen von ihrer mutigen und unermüdlichen Unterstützung sah ich mich jedoch praktisch allein der permanenten Bedrohung ausgesetzt, die die nationalsozialistische Politik der ethnischen Säuberungen für mich bedeutete. Das Gefühl von Sicherheit und Geborgenheit, das Menschen normalerweise aus ihrer Zugehörigkeit zu einer Gruppe ziehen können, selbst wenn diese Gruppe angefeindet wird, fehlte mir vollkommen. Heute leben in der Bundesrepublik Tausende von Afrikanern und so genannten »braunen Babys«, die Kinder schwarzer GIs und deutscher Mütter. Damals jedoch gab es praktisch keine nennenswerte schwarze Bevölkerung in Deutschland. Erst nach dem Krieg erfuhr ich, dass es außer mir doch eine relativ kleine Anzahl schwarzer Deutscher gegeben hatte – einschließlich der tragischen »Rheinland-Bastarde«, deren Väter französische und belgische Kolonialsoldaten des Ersten Weltkrieges waren – und dass die meisten von ihnen in Hitlers Konzentrationslagern ermordet worden waren.

Da von den Deutschen meiner Generation erwartet wurde, dass sie hellhäutig waren und sicher nicht afrikanischer Abstammung, wurde es mein Los, fortwährend zu erklären, wieso jemand mit brauner Haut und schwarzem, krausem Haar akzentfrei Deutsch sprach und Deutschland als Geburtsland für sich beanspruchte. Lassen Sie mich also hier ein weiteres Mal darlegen, dass ich 1926 in Hamburg geboren wurde, da mein Großvater damals liberianischer Generalkonsul in Hamburg war und seine vielköpfige Familie mit nach Deutschland genommen hatte, darunter auch seinen ältesten Sohn, der, nachdem er meiner Mutter, einer deutschen Krankenschwester, erfolgreich den Hof gemacht hatte, schließlich mein Vater wurde. Kurz vor Hitlers Machtergreifung kehrten mein Großvater und mein Vater nach Liberia zurück und ließen meine Mutter und mich in einem zunehmend feindseligen, rassistischen Land zurück, wo wir uns allein durchschlagen mussten.

Die schwere Zeit, in der wir in ständiger Angst sowohl vor den Häschern der Gestapo als auch vor den Bombardierungen der Alliierten lebten, endete im Frühjahr 1945, als Hamburgs nationalsozialistischer Gauleiter Karl Kaufmann die Stadt den anrückenden britischen Truppen kampflos übergab, obwohl Hitler befohlen hatte, Hamburg »bis zum letzten Mann« zu verteidigen.

1948, also drei Jahre nach dem Krieg, fuhr ich zu meinem Vater nach Liberia und blieb dort, bis ich 1950 mit einem auf ein Jahr befristeten Studentenvisum in die USA einreisen konnte. Knapp neun Monate nach meiner Ankunft, als der Koreakrieg schon in vollem Gange war, erhielt ich, offensichtlich auf Grund eines verwaltungstechnischen Fehlers, meine Einberufung zum Militär und diente zwei Jahre lang als Fallschirmspringer in der 82. Luftlandedivision.

Häufig hatte ich Gelegenheit, sowohl innerhalb als auch außerhalb der Armee, die hässliche Seite Amerikas kennen zu lernen, den Rassismus Marke USA zu erleben und ihn mit dem der Nazis zu vergleichen. So war ich 1966 bei einem Zwischenfall zugegen, der deutlich demonstrierte, dass der Rassismus nicht auf den tiefen amerikanischen Süden beschränkt war, wie oft behauptet wurde. Ich hatte mich einem von Martin Luther King angeführten Protestmarsch durch die rein weiße Wohngegend um den Gage Park in Chicago angeschlossen. Während wir kniend mit Martin Luther King beteten, hagelte es Steine auf uns, und wir wurden unflätig beschimpft. Die aufgebrachte Menge von Weißen konnte durch das dünne Polizeiaufgebot, das zu unserem Schutz abgestellt worden war, nur mühsam in Schach gehalten werden.

Ein besonderes Förderungsgesetz für Armeeangehörige ermöglichte es mir dann, vieles nachzuholen und das Studium zu absolvieren, das mir in Nazideutschland verwehrt geblieben war. Während der Studienzeit gelang es mir, die Liebe einer jungen Sozialarbeiterin aus St. Louis zu gewinnen. Unsere Ehe wurde zwar nach vierzehn Jahren wieder geschieden, doch sie bescherte uns zwei wunderbare Söhne, denen ich einen Großteil des Ansporns verdanke, auf den ich meine bescheidenen Erfolge im Leben zurückführe.

Mit einem Abschluss in Zeitungswissenschaft von der University of Illinois in der Tasche arbeitete ich eine Zeit lang in mehreren kleineren Redaktionen, bis ich schließlich als Redakteur der Zeitschrift Jet bei der Johnson Publishing Co. anfing. Innerhalb eines Jahres wurde ich auf einen ähnlichen Posten bei EBONY versetzt, dem Flaggschiff des Verlages und der größten afroamerikanischen Zeitschrift der USA, mit zwei Millionen Auflage.

Förmlich über Nacht wurde ich zum aktiven Teilnehmer und Beobachter im Kampf der Schwarzen um Gleichberechtigung, der in den fünfziger, sechziger und siebziger Jahren im Norden wie im Süden der USA, in Afrika und in der Karibik ausgetragen wurde. Während meiner fast vierzigjährigen Tätigkeit bei EBONY, in deren Verlauf ich es zum Chefredakteur brachte und einen Sitz im Editorial Board des Blattes einnahm, konnte ich einige historische Ereignisse unserer Zeit aus nächster Nähe verfolgen. Im Rahmen meiner Arbeit bereiste ich die Vereinigten Staaten, Afrika, Europa, Asien und die Karibik, und ich begegnete vielen bekannten Persönlichkeiten unseres Jahrhunderts, darunter auch drei US- Präsidenten (Carter, Reagan und Bush). Für meine verschiedenen Reportagen führte ich Interviews mit Staatsmännern wie dem nigerianischen Präsidenten Nnamdi Azikiwe, dem Präsidenten von Botswana, Tseretse Kama, dem Präsidenten von Liberia, William Tolbert, dem namibischen Präsidenten Sam Njomo, den jamaikanischen Premierministern Michael Manley und Edward Seaga. Ich sprach mit Bürgerrechtlern wie Martin Luther King, Reverend Jesse Jackson und Malcolm X, und ich lernte eine Reihe von »lebenden Legenden« kennen, so beispielsweise Lena Horne, Diana Ross, Shirley Temple Black, Joe Louis, Max Schmeling und Muhammad Ali.

Fast vierzig Jahre lang über die Leistungen schwarzer Menschen zu berichten war nicht nur überaus befriedigend, es ersparte mir auch den psychologischen Konflikt, den viele gemischtrassige Menschen im Hinblick auf ihre rassische Identität durchleben. Die Arbeit half mir, eine stabile psychische Basis zu finden, nachdem ich zwölf Jahre lang unter der Naziherrschaft entmenschlicht und gedemütigt worden war. Ich hätte unmöglich zum Zeugen des Kampfes um Überleben und Gleichberechtigung der Schwarzen im rassistischen Amerika werden können, ohne mich selbst als...

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