Vorwort
Mit der Bezeichnung »Star-Anwalt« kann ich nichts anfangen. Es gibt ja auch keinen »Star-Chirurgen« oder »Star-Piloten«. Dennoch taucht der Begriff in den Medien immer wieder auf. Das mag daran liegen, dass erfahrene und erfolgreiche Strafverteidiger häufig auch Prominente vertreten: Menschen, die in der Öffentlichkeit stehen und irgendwann – zu Recht oder nicht – Ärger mit der Justiz haben.
In meinen 50 Berufsjahren habe ich viele Größen aus dem Showgeschäft, der Wirtschaft, der Politik und dem Spitzensport verteidigt. Konstantin Wecker, Ottfried Fischer, Günther Kaufmann, Rainer Werner Fassbinder, Barbara Valentin, Martin Semmelrogge, Abi Ofarim, Hardy Krüger, Peter Graf, sie alle zählten zu meinen Mandanten. Ebenso Romy Schneider und der Großunternehmer Friedrich Flick, deren Scheidungsprozesse unsere Kanzlei geführt hat. Im Auftrag des Industriellenerben und Gentleman-Playboys Gunter Sachs stand ich seiner Cousine Christina von Opel, genannt »Putzi«, in einer Rauschgiftaffäre juristisch bei. Zuletzt betreute ich den wegen Steuerbetrugs verurteilten Uli Hoeneß.
Die Liste berühmter Mandanten ließe sich fortsetzen. Mag sein, dass die Bekanntheit eines Strafverteidigers zunimmt, wenn sein Name zusammen mit denen von Stars genannt wird. Aber darum ist es mir nie gegangen. Das Spannende an meinem Beruf sind die Menschen, mit denen ich zu tun habe, ob reich oder arm, prominent oder nicht. Es gibt auch keine kleinen und großen Fälle. Für jeden, der einer Straftat beschuldigt wird, ist sein Fall der wichtigste im Leben. Deshalb geht es immer um alles – auch für mich als Anwalt.
Meine Karriere begann am 1. April 1966. Damals bewarb ich mich als Referendar in der Kanzlei des Münchner Rechtsanwalts Rolf Bossi. Ich war 25 Jahre alt und hatte einen Stellenaushang im Justizpalast gesehen. Rolf Bossi, der später zum bekanntesten Strafverteidiger Deutschlands aufstieg, war mir seinerzeit völlig unbekannt. Auch wusste ich nicht, dass er bereits einen anderen Referendar eingestellt hatte, der ihm jedoch schnell zu hektisch wurde. Der junge Kollege hetzte wie ein Irrwisch durch die Kanzlei und versuchte so, besonderen Arbeitseifer vorzutäuschen. Ich selbst konnte Bossi vor allem mit meinen Sprachkenntnissen überzeugen. Neben ein bisschen Italienisch, Spanisch und Französisch sprach ich perfekt Englisch, weil ich als Austauschschüler ein Jahr in den USA gelebt hatte.
Ich kam zur rechten Zeit. Bossi hatte gerade einen spektakulären Fall in Bayreuth übernommen und brauchte dringend jemanden, der ihm dolmetschen und ihn zur Not bei Gericht vertreten konnte. Es ging um den Mord an einer 18-jährigen Deutschen. Angeklagt war ein Oberleutnant der US-Armee, er hieß Thomas Smith. Die Boulevardzeitungen nannten ihn »Bestie von Bayreuth«. Der Mann war Mitte 20, als er am 13. März 1964 seine Geliebte erwürgte. Er zerstückelte sie mit Rasierklingen und warf die Leichenteile an Autobahn-Parkplätzen weg.
Ich fuhr mehrere Male mit Bossi nach Bayreuth, um mit dem Angeklagten das Verfahren vorzubereiten. Oberleutnant Smith, der aus einer gutbürgerlichen Familie stammte und hochintelligent war, machte auf uns einen psychisch deutlich auffälligen Eindruck. Der von der Staatsanwaltschaft beauftragte Sachverständige hingegen hielt ihn für voll zurechnungsfähig und strafrechtlich voll verantwortlich. Ein Motiv für die grausame Tat war nicht ersichtlich.
Bossi gelang es, den damals bekanntesten deutschen Gerichtspsychiater, Professor Dr. Hans Bürger-Prinz, Direktor der Hamburger Universitäts-Nervenklinik, für den Fall zu gewinnen. Bürger-Prinz war ein besonders imposanter Hanseat, der es verstand, dem Gericht klarzumachen, dass die »Bestie von Bayreuth« kein sadistischer Krimineller war, sondern ein Mensch, der unter einer schweren schizophrenen Erkrankung litt. Der Staatsanwalt zog den Befund in Zweifel und beharrte auf einer lebenslangen Gefängnisstrafe. Doch Ärzte der Nervenklinik Ansbach, die Oberleutnant Smith nach seiner gerichtlich angeordneten Einweisung in die Psychiatrie untersucht hatten, bestätigten die Diagnose Schizophrenie. Nach einigen Jahren Behandlung hatte sich Smiths Zustand so weit gebessert, dass er in die USA zurückkehren konnte.
Nach erfolgreichem Abschluss der Strafsache durfte ich weitere Fälle übernehmen. Die Kanzlei erhielt damals Mandate Dutzender amerikanischer Soldaten. Meistens ging es um Delikte wie Mord, Totschlag, Raub oder Vergewaltigung. In solch schwerwiegenden Fällen konnten die Beschuldigten laut NATO-Truppenstatut vor deutsche Gerichte gestellt werden. Heute vertraut die hiesige Justiz den US-Militärgerichten. Von meinen damaligen Mandanten wurde nur ein einziger wegen Mordes angeklagter US-Armist zu lebenslang verurteilt. Bei allen anderen gelang es mir, die Anwendung des Jugendstrafrechts durchzusetzen, auch wenn die Täter im Einzelfall schon 20 Jahre und 11 Monate alt waren. Die Betroffenen mussten also höchstens zehn Jahre ins Gefängnis, einige wurden sogar freigesprochen. Dass die Soldaten eine zweite Chance erhielten, haben sie nicht nur meiner Verteidigung, sondern auch unserem vernünftigen Strafrecht zu verdanken. Noch heute schreiben mir Exmandanten Weihnachtskarten aus den USA.
In meinen ersten Strafprozessen hatte ich oft das berühmte Anfängerglück. Und natürlich eine gewisse Chuzpe, die man nur als ganz junger Strafverteidiger mitbringen kann. Über die damals von mir frech in den Raum gestellten Thesen zu möglichen Tatabläufen und deren rechtlicher Bewertung kann ich heute nur schmunzeln. Nachdem mir Bossi klargemacht hatte, dass Verteidigung in erster Linie »Kampf« bedeutet, bin ich kaum einer Auseinandersetzung aus dem Weg gegangen. Relativ bald habe ich gelernt, nicht unnötig zu kämpfen, sondern durch Gespräche mit den Verfahrensbeteiligten das bestmögliche Ergebnis für die Mandanten herauszuholen.
Um jemanden zu verteidigen, muss ich nicht wissen, ob er wirklich unschuldig ist. Es genügt, wenn ich davon überzeugt bin, dass mein Mandant möglicherweise unschuldig ist. Dann kann ich mich ruhigen Gewissens für ihn einsetzen. Für mich galt und gilt der Grundsatz: Lieber 100 Schuldige laufen lassen, als einen Unschuldigen zu Unrecht einsperren. Der Journalist Göran Schattauer, der mit mir zusammen dieses Buch geschrieben hat, fragte mich 2015 während eines Interviews für den FOCUS, ob ich schon einmal für einen Freispruch gekämpft habe, obwohl ich wusste, dass mein Mandant schuldig war. Ich antwortete, dass dies bei Mord- und Totschlagsvorwürfen nie der Fall gewesen sei. Bei kleineren Delikten habe ich Mandanten, die aus Mangel an Beweisen freigesprochen wurden, gesagt: »Lieber Freund, du hast Glück gehabt. Aber beim nächsten Mal bekommst du dafür die doppelte Strafe, also riskiere es nicht noch mal!« Ich kenne ganz wenige, die rückfällig wurden.
Ich habe viele Tausend Tage in Gerichtssälen und fast zwei Jahre hinter Gittern verbracht – weil ich meine Mandanten im Gefängnis besucht habe. Im Lauf meiner Karriere ist mir eines klar geworden: Jeder Mensch ist zu allem fähig, selbst zu unvorstellbar schrecklichen Verbrechen. Es ist ein weitverbreiteter Irrglaube, dass dies vor allem auf Menschen zutrifft, die aus schwierigen sozialen Verhältnissen stammen. In diesem Buch finden sich einige Beispiele dafür, dass auch wohlerzogene, hochintelligente und eigentlich gesetzestreue Menschen in der Lage sind, brutalste Taten zu begehen.
Was ich ebenfalls aus Erfahrung bestätigen kann: Nirgendwo wird so viel gelogen wie im Gericht. Angeklagte lügen, weil sie um eine Strafe herumkommen wollen. Zeugen lügen, weil sie sich wichtig machen oder selbst nicht belasten wollen. Auch vermeintliche Opfer lügen, beispielsweise Frauen, die sich an ihren Männern rächen wollen und deshalb im Scheidungs- oder Sorgerechtsstreit behaupten, ihr Mann habe sie vergewaltigt oder die Kinder missbraucht. Das Schlimme ist, dass manche Spezialreferate bei Polizei und Staatsanwaltschaft wenig Energie darauf verwenden, die Anschuldigungen kritisch zu prüfen. Dabei ist nicht nur in Anwaltskreisen längst bekannt, dass im Internet regelrechte »Handlungsanweisungen« kursieren, wie eine (nicht stattgefundene) Vergewaltigung am besten vorgetäuscht und angezeigt werden kann.
Wenn es um das Verbreiten von Unwahrheiten geht, darf man eine Gruppe nicht vergessen: wild spekulierende Sachverständige. Wie oft habe ich erlebt, dass sich Thesen von gerichtlich bestellten Gutachtern als falsch erweisen. Werden diese Irrtümer oder Mutmaßungen nicht rechtzeitig widerlegt, kann es zu krassen Fehlurteilen kommen.
Als Münchner Strafverteidiger habe ich an vielen Gerichtsprozessen in ganz Deutschland und im Ausland mitgewirkt. Die meisten und heftigsten Schlachten lieferte ich mir jedoch mit der bayerischen Justiz, denn in Bayern werden Law & Order noch hochgehalten. Richter und Staatsanwälte wissen, dass sie eher Karriere machen, wenn sie kräftig zulangen und die Leute ein bisschen länger einsperren. Wir Anwälte verteidigen deshalb lieber in nördlichen Regionen, wo es liberaler zugeht. Trotz zum Teil zäher Auseinandersetzungen habe ich mich mit vielen Richtern und Richterinnen persönlich sehr gut verstanden, und mit einigen saß ich öfter auf ein Bier oder ein Glas Wein zusammen.
Ich will nicht verschweigen, dass es immer wieder Urteile gab, die mir unverständlich waren und die ich als persönliche Niederlagen empfunden habe. In solchen Fällen hatte ich immer nur einen Gedanken: Wie kann ich diese Ungerechtigkeit korrigieren oder – wenn die Rechtsmittel ausgeschöpft waren – wie kann ich dem Mandanten weiterhelfen? Ich bemühte mich...