Einleitung
Wenn Sie zu den zahlreichen Frauen gehören, die in eine toxische, destruktive Beziehung nach der anderen geraten und nicht verstehen, warum ihre Beziehungen immer wieder in die Brüche gehen, könnte das daran liegen, dass Sie sich immer wieder einen mit sich selbst beschäftigten, eigennützigen, narzisstischen Partner aussuchen. Noch schlimmer ist, dass Sie das noch nicht einmal merken. Doch ich habe gute Nachrichten für Sie: Sie können lernen, aus diesem destruktiven Beziehungsmuster auszusteigen. Als klinische Psychologin habe ich vielen Frauen wie Ihnen geholfen, dieses Muster zu durchbrechen. Dieses Buch ist für Sie und die vielen Frauen geschrieben, denen es ebenso geht wie Ihnen und die mit diesem Thema zu kämpfen haben. Eine solche Frau ist auch Linda. Schauen Sie einmal, ob Ihnen ihre Geschichte bekannt vorkommt.
Lindas Geschichte
Linda saß allein an der Bar eines schicken Lokals und knetete mit den Fingerspitzen den Stiel ihres Weinglases. Ein hohles Gefühl von Verlust lag ihr im Magen, und eine schwere Traurigkeit stieg in ihr auf und schnürte ihr langsam die Kehle zu. Stopp. Noch nicht. Ich möchte jetzt nicht in Tränen ausbrechen. Sie sah auf ihrem Smartphone nach, wie viel Uhr es war … zum x-ten Mal. Nancy kam immer zu spät. Nancy war schon seit Kindertagen ihre engste Freundin, und Linda musste dringend mit ihr reden. Sie dachte daran zurück, wie sie und Nancy vor ein paar Jahren gemeinsam den ersten Hot-Yoga-Kurs gemacht hatten und wie sie Nancy von ihrem neuen Freund Marc erzählt hatte. Damals sah alles so hoffnungsvoll aus. Linda versank in einem Tagtraum, in dem sie sich erinnerte, wie glücklich sie am Anfang ihrer Beziehung mit Marc gewesen war. Während Linda noch träumte, erschien endlich auch Nancy. Sie ignorierte die Versuche der Wirtin, sie an einen Platz zu lotsen, und steuerte direkt auf Linda an der Bar zu.
Sie umarmten sich, und während sie von der Bar an einen Tisch gingen, sagte Nancy, es tue ihr sehr leid, dass Lindas Beziehung zu Ende sei. Als sie sich gesetzt hatten, holte Linda tief Luft und sagte leise: „Ich fasse es nicht, dass es schon wieder passiert ist. Ich dachte wirklich, er wäre anders. Wie kann mir das nur immer wieder passieren? Was habe ich übersehen?“ Linda redete sich all die schmerzhaften Einzelheiten von der Seele und berichtete rückhaltlos offen, wie hässlich es am Ende zwischen Marc und ihr zugegangen war. Er war immer reizbarer geworden und brach wegen jeder Kleinigkeit einen Streit vom Zaun. Er schleuderte ihr Beleidigungen entgegen, die voller Verachtung waren, und wurde immer anspruchsvoller und kritischer. Nichts konnte sie ihm recht machen. Als sie dahinterkam, dass er mit einer Arbeitskollegin ausging, war sie überzeugt, dass er auch mit ihr geschlafen hatte. Linda erinnerte sich, dass er dieser Frau schon bei der letzten Weihnachtsparty wie ein Hündchen nachgelaufen war und mit ihr geflirtet hatte. Das stritt er natürlich ab und warf Linda vor, sie sei ein typischer Fall von eifersüchtiger Frau.
Während sie erzählte, bemühte sich Linda um Sachlichkeit, aber sie spürte, wie ihre Gedanken immer tiefer in den altbekannten Strudel der Scham gerieten. Ich bin ein Idiot! Mit mir stimmt etwas ganz und gar nicht. Immer wieder mache ich Mist! Ich hätte es besser wissen müssen. Wie peinlich das alles ist. Oh Gott, ich bin hoffnungslos. Ich sollte einfach den Versuch aufgeben, jemanden zu finden. Ich werde den Rest meines Lebens allein bleiben.
Nancy blickte auf das Häufchen Papierschnipsel, zu dem Linda beim Sprechen ihre Serviette zerrupft hatte. „Linda“, sagte Nancy und nahm ihre Hand, „ich wusste nicht, dass es so schlimm war. Du weißt, was ich vor ein paar Jahren mit David durchgemacht habe. Ich wollte, du hättest es mir gesagt. Du hättest das nicht alles allein durchstehen müssen.“ Linda sah auf, und in ihren Augen standen die Tränen, die sie so lange zurückzuhalten versucht hatte. „Ich konnte nicht … Ich konnte es nicht einmal mir selbst eingestehen. Ich habe mich so geschämt, als ich merkte, dass ich schon wieder in einer so üblen Beziehung steckte. Ich wollte es einfach nicht wahrhaben“, murmelte Linda. Nancy drückte ihre Hand.
Vielleicht können Sie mit Linda mitfühlen. Vielleicht haben auch Sie unzählige Beziehungen hinter sich gebracht, die anfangs so gut aussahen und sich so stimmig anfühlten, dann aber schnurgerade in eine bittere Enttäuschung mündeten. Sie sind nicht allein, wenn Sie feststellen, dass Sie regelmäßig narzisstische Männer anziehen und sich zu ihnen hingezogen fühlen. (Was ein Narzisst ist, werde ich in Kapitel 2 genau erklären). Tatsache ist, dass viele Frauen in ihren Beziehungen dasselbe selbstzerstörerische Muster mehrmals wiederholen. Wenn Sie zu den Unglücklichen gehören, auf die das zutrifft, sind Sie wahrscheinlich frustriert und wütend auf sich selbst, weil Sie nicht früher erkennen, wie diese Beziehungen in Wahrheit beschaffen sind, oder nicht früher aus ihnen aussteigen. Sie sind vielleicht von einem intensiven Schamgefühl erfüllt, weil Sie erlaubt haben, dass Sie getäuscht und / oder schlecht behandelt wurden. Sie haben vielleicht Schuldgefühle, weil Sie andere, wie etwa Ihre Kinder oder einen auf Sie angewiesenen Elternteil, diesem Mann ausgesetzt haben. Sie haben vielleicht das Gefühl, Sie hätten kostbare Zeit auf eine weitere Beziehung verschwendet, die in eine Sackgasse mündete. Oder vielleicht hatten Sie gehofft, zu heiraten und Kinder zu bekommen, ehe Ihre fruchtbaren Jahre vorüber sind. Oder Sie haben das Gefühl, Sie hätten die besten Jahre Ihres Lebens an diesen Mann verschwendet, weil Ihre Ehe nach langen Jahren zerbrach.
Wenn Sie dieses Muster immer wieder durchlaufen, fühlen Sie sich zutiefst verletzt und unzulänglich. Ihr Selbstvertrauen ist bis ins Mark erschüttert und Ihr Selbstwertgefühl untergraben. Sie sind voller Scham, weil Sie schon wieder mit einer Beziehung gescheitert sind. Diese Art von Beziehungen, bei denen Ihnen fast das Herz bricht, verunsichert Sie zutiefst: Sie glauben, Sie könnten Ihrem Urteil nicht mehr trauen. Künftig meiden Sie Beziehungen vielleicht ganz, obwohl Sie immer gehofft hatten, Ihr Leben mit jemandem zu teilen. Was ist hier das Problem?
Das Problem ist, dass narzisstische Partner anfangs so attraktiv wirken können, dass es denen, die sich auf sie einlassen, sehr schwerfallen kann, sich wieder von ihnen zu lösen. Diese Männer können zunächst charmant und liebevoll sein. Alles scheint ihnen spielend leicht zu gelingen, und sie haben offenbar alle Vorzüge, die man sich nur wünschen kann: Selbstbewusst, wie sie sind, strahlen sie eine magnetische Anziehungskraft aus. Sie geben Ihnen das Gefühl, etwas Besonderes zu sein, weil sie Sie auserwählt haben. Und Sie fügen sich leicht und voller Freude in ihr Leben ein. Sie können Ihr Glück kaum fassen. Jetzt werden Sie für den Rest Ihres Lebens nicht mehr allein sein. Sie werden eine rundum glückliche Beziehung haben. Aber dann ändert sich das Klima, und zwar stets und zuverlässig.
Ihr Märchenprinz beginnt, jede Kleinigkeit an Ihnen zu kritisieren – angefangen bei Ihrer Kleidung und Ihrer Frisur bis hin zu Ihrer Sprechweise, er bemängelt Ihren Intellekt, Ihre Freunde und Ihre Familie, die Liste wird immer länger. Sie werden langsam nervös. Was ist da los? Sie bekommen Angst, weil Sie erkennen, dass Sie ihn vielleicht verlieren werden, da Sie seinen Ansprüchen nicht gewachsen sind – und dann kommt der Selbstzweifel: Wie konnten Sie nur glauben, Sie könnten ihn halten? Er ist so großartig und Sie sind, na ja … eben Sie. Und Sie wissen, dass Sie nicht gar so besonders sind. Die Beziehung löst sich vor Ihren Augen in Luft auf. Entweder lässt er Sie dann ohne Vorwarnung plötzlich fallen, oder Sie setzen selbst einen Schlusspunkt, weil Sie irgendwann nicht mehr anders können. Sie lecken Ihre Wunden, Ihre Freundinnen und Ihre Familie sagen, sie hätten ihn sowieso nie leiden können, und nach einer Weile lernen Sie einen anderen Mann kennen. Und alles fängt wieder von vorn an. Ohne es zu wollen, stecken Sie bald wieder in einer unguten Beziehung. Wie aus Versehen suchen Sie sich wieder einen Mann aus, der Ihnen nicht die Liebe geben kann, die Sie verdienen.
Aufgrund ihrer unglückseligen psychischen Konstitution können Narzissten andere Menschen nicht auf eine tiefe, gegenseitige, von Respekt geprägte und befriedigende Weise lieben. Narzisstische Männer sind ichbezogen und können Sie nie wirklich lieben oder wertschätzen. Sie lieben und schätzen nur das, was Sie ihnen bieten – Ihr Aussehen, Ihren Status oder die Dienste, die Sie ihnen leisten. Narzisstische Männer sind nur darauf bedacht, ihre eigenen Bedürfnisse zu erfüllen, daher sind sie unfähig, Dinge aus der Perspektive eines anderen Menschen zu sehen oder einer Partnerin Freundlichkeit, Respekt und Sensibilität entgegenzubringen.
Um zu verhindern, dass Sie in diese ungesunden Beziehungen hineinschlittern, müssen Sie aufhören, sich auf die Wünsche und Bedürfnisse anderer Menschen auszurichten, und anfangen, sich auf sich selbst zu besinnen. Was an oder in Ihnen führt dazu, dass Sie sich zu diesen Männern hingezogen fühlen und viel zu lange in diesen verletzenden, destruktiven Beziehungen bleiben?
Nicht der Mann muss sich hier ändern. Sie müssen sich ändern. Das wird möglich, wenn Sie etwas über die psychischen Muster lernen, die Sie in der Kindheit infolge unerfüllter kindlicher Bedürfnisse entwickelt haben, wie das Bedürfnis nach nährender Zuwendung, Empathie, Liebe, Sicherheit und Verlässlichkeit. Aus diesen unerfüllten Bedürfnissen entwickeln sich ungesunde Verhaltensmuster, die...