VORWORT
Im März 2011 wies Professor Jens Alber, Soziologe und Forschungsdirektor für Ungleichheit und soziale Integration am Wissenschaftszentrum Berlin, in der »Frankfurter Allgemeinen Zeitung« auf ein zentrales Missverhältnis in unserer Gesellschaft hin: Während es immer mehr Ungleichheiten zu Lasten von Männern gebe, werde in der Geschlechterdebatte inzwischen dermaßen mit zweierlei Maß gemessen, dass wir hier »inzwischen ein ebenso beeindruckendes wie bedrückendes Maß einer verzerrten Realitätskonstruktion erreicht haben, das allmählich einer kollektiven Gehirnwäsche nahekommt«. Während die mehr und mehr schwindenden Diskriminierungen von Frauen weiterhin in den Vordergrund gerückt würden, blieben Benachteiligungen und soziale Problemlagen, von denen Männer betroffen sind, weitgehend marginalisiert. Alber nannte einige Beispiele – auf die im Verlauf des vorliegenden Buches noch einzugehen sein wird – und zog zum Schluss seines Artikels das Fazit:
Zumindest sollten diejenigen, die das Geschlecht auch weiterhin als eine zentrale Dimension sozialer Ungleichheit darstellen wollen, allmählich auch die Ungleichheiten zu Ungunsten von Männern zur Kenntnis nehmen. Die Männer wären gut beraten, wenn sie den Universalismus als Wert weiterhin hochhielten, überdies aber eine Sensibilität für die Verwendung von Doppelstandards erkennen ließen und der mit harten Bandagen und doppelten Standards aufwartenden Interessenverfolgung engagierter entgegenträten.1
Es ist bezeichnend, dass Alber diese klaren Worte erst kurz vor seiner Emeritierung im September 2011 fand, wodurch er sich dem Risiko entzog, für solche politisch unkorrekten Äußerungen unter Beschuss genommen zu werden. Ein einseitiger Blick auf die Lage der Geschlechter hat sich durch die emsige Arbeit zahlreicher Lobbygruppen in Forschung, Politik und Medien so stark institutionalisiert, dass die Forderung »Gleichberechtigung auch für Männer« dort vielfach wie ein Unding wirkt und häufig tabuisiert wird.
Schaut man aber nicht in die Bereiche, wo entschieden wird, welche Form von Geschlechterpolitik stattfindet, sondern in die Stimmung der Bevölkerung, entsteht ein komplett anderes Bild – insbesondere, was junge Menschen angeht. »Gleichstellungspolitik wird von der jungen Generation überwiegend als Reparatur- und Subventionspolitik für Frauen wahrgenommen«, hieß es so in einer Pressemitteilung des Bundesfrauenministeriums vom 26.9.2007, »nicht als Politik für beide Geschlechter. In ihrer Wahrnehmung werden Männer von der Gleichstellungspolitik nicht berücksichtigt«. Im selben Jahr hatte das Ministerium die Studie »20-jährige Frauen und Männer heute« herausgegeben, die zu einem ähnlichen Ergebnis kam. Dort heißt es: »Die jungen Männer betonen die Ambivalenz der Emanzipation. Sie betonen die Wichtigkeit, wollen aber auch auf Kehrseiten für sie selber hinweisen. Sie sehen die Verbesserung für Frauen – aber keine positiven Aspekte für Männer. Im Gegenteil: Männer sind heute nicht mehr nur in Bezug auf Berufswahl und Arbeitsmarkt verunsichert, sondern auch im Privaten haben sie alle Sicherheiten verloren.« Junge Männer äußerten sogar die Befürchtung, bald »gesellschaftlich überflüssig zu werden«.
Anfang Oktober 2013 veröffentlichte das Meinungsforschungsinstitut Allensbach die Studie »Der Mann 2013. Arbeits- und Lebenswelten. Wunsch und Wirklichkeit«, die im Auftrag der Wochenzeitschrift »Bild der Frau« erstellt wurde. Dieser Untersuchung zufolge erklären 64 Prozent der deutschen Männer, es reiche ihnen inzwischen mit der »Gleichberechtigung«;
28 Prozent der Männer klagen: »Was da passiert, ist übertrieben.« In ihrem Vorwort zur Studie stellen die Bild-der-Frau-Chefredakteurin Sandra Immoor und die Bild-der-Frau-Verlagsleiterin Bianca Pohlmann klar, dass es sich bei diesen Männern keineswegs um »unverbesserliche Machos« handele: Stattdessen werde die Liste der Dinge, die Frauen in den Augen von Männern genauso gut oder besser können, immer länger, Aspekte wie »Mitarbeiter führen«, »Entscheidungen treffen« und »Stress gut verarbeiten« eingeschlossen. Allerdings fühlen sich mittlerweile sechs Prozent der Männer inzwischen selbst benachteiligt. Im Verlauf der Studie wird deutlich, dass sich sogar 76 Prozent der Männer »wenigstens ab und zu gegenüber Frauen benachteiligt« fühlen.
Das ist alles andere als ein rein deutsches Problem. In der Schweiz etwa fühlt sich inzwischen fast ein Viertel der Männer benachteiligt – doppelt so viele wie Frauen.2 Nachdem in Österreich im Jahr 2009 ein neues Gleichbehandlungsgesetz eingeführt wurde, das, so bekannte der ORF freimütig, »eigentlich für Frauen gedacht« war, gingen 80 Prozent der Beschwerden stattdessen von Männern ein. »Wir wurden tatsächlich ein bisschen überrascht von dieser Entwicklung«, zitierte der ORF eine Gleichbehandlungsanwältin, »dass es so massiv gleich gekommen ist ...«. Und im Mai 2012 ermittelte eine OECD-Studie, die erstmals einen geschlechtervergleichenden Überblick über volle 34 Länder lieferte, dass Frauen mit ihrem Leben glücklicher und insgesamt weniger gestresst waren als die männliche Bevölkerung.3
Viele Männer reagieren auf die Vernachlässigung ihrer Bedürfnisse in der Geschlechterpolitik damit, dass sie sich Karriere, Partnerschaft und sozialem Engagement zunehmend entziehen: Sie gehen in den Streik. Das sei nur allzu nachvollziehbar, befindet die amerikanische Psychologin Dr. Helen Smith – eine der bislang nur wenigen Feministinnen, die bereit sind, auch dem Leiden der Männer Aufmerksamkeit zukommen zu lassen. In ihrem Buch »Men on Strike« stellt Smith dar, inwiefern dieser Streik eine nachvollziehbare Reaktion auf eine immer männerfeindlichere Gesellschaft darstellt.
Für jemanden wie mich, für den Antidiskriminierungspolitik und Menschenrechte wichtige Themenfelder sind, kommen beide, sobald es um Männer geht, noch immer deutlich zu kurz. Meine zentrale These, die ich auch in dem vorliegenden Buch vertrete, lautet: Ein Mensch, der diskriminiert wird, zum Opfer wird oder aus anderen Gründen leidet, verdient Zuwendung und Unterstützung – unabhängig von seinem Geschlecht. Wünschenswert und notwendig wäre es, Benachteiligungen, soziale Problemlagen und Menschenrechtsverletzungen in Bezug auf beide Geschlechter4 zu erforschen, herauszufinden, was die möglicherweise vielfältigen Ursachen dafür sind und realistische Lösungsstrategien zu entwickeln, die dann in einer gerechten Politik zur Anwendung kommen. Sinnvoll wäre ein integraler Antisexismus, also die Bekämpfung von Sexismus gegen beide Geschlechter statt gegen Frauenfeindlichkeit allein.
Diese Anschauung wird seit etwas über zehn Jahren unter der etwas irreführenden Bezeichnung »Maskulismus« vertreten: irreführend, weil es dem Maskulismus nicht darum geht, Männer statt Frauen zu unterstützen, also schlicht die feministischen Fehler bei Männern zu wiederholen, sondern Männern wie Frauen zu ihrem Recht zu verhelfen. Dabei ist der Maskulismus eingebettet in ein größeres System von Werten – etwa Geschlechtergerechtigkeit, Heiligkeit des Lebens, Gewaltfreiheit, Würde und Freiheit des Individuums, Offenheit zum Dialog –, die der Feminismus zwar auch zu vertreten vorgibt, in Wahrheit aber torpediert. Sich den Anliegen beider Geschlechter zu widmen statt nur denen eines von ihnen sollte eigentlich gesellschaftlicher Konsens sein. Zu Ende gedacht und in die Tat umgesetzt, beschert einem diese Einstellung jedoch große Empörung und Feindseligkeiten ohne Ende. Wer vom allgemeinen Glaubensbekenntnis vom Unterdrückergeschlecht Mann und dem Opfer Frau abweicht, bricht ein Tabu, das mit Klauen und Zähnen verteidigt wird. Aufrufe zu größerer Differenziertheit gehen im Schlachtenlärm häufig unter.
»Viele Gender-Analysten betrachten es als ihre Aufgabe, die Situation von Frauen zu untersuchen und die Männer, die ihnen Schaden zufügen«, fasst der Professor für Politikwissenschaft Adam Jones die Situation zusammen. Das habe zwar erfreulicherweise dazu geführt, dass zahlreiche Gewalt- und Diskriminierungserfahrungen zu Lasten von Frauen aufgedeckt wurden. »Weniger erfreulich ist, dass dabei ausschließlich Frauen als Opfer geschlechtsbezogener Diskriminierung und Misshandlung gezeigt wurden. Wissenschaftler und Aktivisten, die auf die andere Seite der Medaille aufmerksam machen, werden weitgehend marginalisiert und standardmäßig als Vertreter einer ›fundamentalistischen Männlichkeit‹ karikiert.«5
Fatalerweise durchzieht diese Einstellung unsere gesamte Gesellschaft und erstreckt sich hinauf bis zu den Vereinten Nationen. Dr. Charli Carpenter, Menschenrechtsexpertin und -aktivistin, berichtet in einem ihrer Bücher, wie ein UN-Mitarbeiter, den sie auf die Verwundbarkeit von erwachsenen Männern in der Zivilbevölkerung angesprochen hatte, darauf mit nervösem Lachen reagierte.6 Dieses nervöse Lachen ist heute das typische Kennzeichen für die Position zahlloser Männer in der Geschlechterdebatte insgesamt: Sie beginnen durchaus zu merken, dass auch sie selbst und ihre Geschlechtsgenossen Opfer verschiedenster Formen von Diskriminierung sind, aber offen darüber zu sprechen, wenn man als Mann diskriminiert wird, das erscheint einem doch lächerlich, das passt nicht zu dem Bild, das man anderen Frauen und Männern von sich vermitteln will, das versucht man wegzugrinsen, und geriete das Grinsen auch noch so schief. Insbesondere wer ein eher reaktionäres Rollenbild verinnerlicht hat – der Mann als harter Fels und robuste Eiche – tut sich mit dem Thema »Männer als Opfer«...