Dorfversammlung im Ökodorf Mbackombel in Senegal
Ökodörfer und die Welt, die wir gemeinsam erschaffen
von Kosha Joubert, Präsidentin von GEN International
Wir sind die letzte Generation, die den Klimawandel aufhalten kann. Wir haben die Pflicht zu handeln.
BAN KI-MOON
Wir leben in einer schönen Welt. Sie ruft uns dazu auf, uns die Zeit zu nehmen, sie zu entdecken, einen Fluss zu besuchen, den Mond anzuschauen, das Spiel des Windes in den Blättern zu sehen, den Vögeln zuzuhören, den Ozean auf unserer Haut zu spüren – und uns für die größeren Kräfte zu öffnen, die uns umgeben. Wir müssen nur in die Augen eines Kindes blicken, um wieder an unseren inneren Wunsch erinnert zu sein: das Leben zu schützen. Wir alle tragen die natürliche Begabung zur Fürsorge in uns und fühlen uns am glücklichsten, wenn wir ihr gemäß handeln können.
Gleichzeitig leben die meisten ein Leben, das uns an elektronische Bildschirme fesselt, in Gebäuden festhält und uns mit Produkten und Systemen beschäftigt, die nicht dem Leben dienen. In einer Zeit vielfältiger Krisen – Klimawandel, Ökozid, Armut, sinnlose Gewalt, abnehmende Artenvielfalt, Umweltverschmutzung und mehr – wächst unsere Sehnsucht nach einer Lebensweise, die die Erde sanft berührt. Im Herzen sehnen wir uns danach, Leidenschaft mit Verantwortung zu verbinden sowie unsere Liebe zum Planeten mit der Notwendigkeit, unseren Lebensunterhalt zu verdienen. Wir sehnen uns nach dem Tag, an dem wir zurückschauen und stolz sind auf das Erbe, das wir unseren Kindern und Enkeln hinterlassen. Die Ökodorf-Netzwerke der Erde sind ein greifbarer Ausdruck dieser Sehnsucht.
Ich wurde 1968 in Südafrika geboren, einem Land, dessen Völker verschiedener Hautfarben durch Rassismus und Gewalt getrennt waren. Das Apartheid-System brachte ständige Demütigung, wirtschaftliche Ausbeutung und Landraub. Die Konsequenzen sind heute noch in der südafrikanischen Gesellschaft spürbar. Schätzungsweise alle 36 Sekunden wird eine Frau vergewaltigt. Die individuellen und kollektiven Traumata und die geschichtlichen Greuel heilen nicht leicht. Vergebung und Versöhnung können nicht organisiert, sondern müssen Schritt um Schritt gelebt werden, damit ein Weg der Heilung entsteht.
Vor diesem Hintergrund richtete ich meinen Fokus auf Möglichkeiten der Wandlung, vor allem in den Grenzbereichen der interkulturellen Kommunikation. Ich gewann ein – vielleicht – gesundes Misstrauen gegenüber politischen Institutionen, geschlossenen Systemen und gesellschaftlichen Normen. Vertrauenswürdiger erschien es mir, Menschen zu treffen, reale Erfahrungen zu machen sowie das Chaos des Lebens willkommen zu heißen. Mein Engagement für Ökodörfer und die Gemeinschaftsbewegung wurde davon inspiriert.
Pilgerschaft durch mein eigenes Land
Mit 23 ging ich auf eine Pilgerschaft durch mein eigenes Land. Die Gewalt war auf einem Höhepunkt. Nelson Mandela war gerade freigelassen worden, und das ganze Land bebte von unterdrückter Wut und enttäuschter Hoffnung. Eine Weile arbeitete ich in Anti-Apartheid-Organisationen. Schließlich ging ich los, um mein Land kennenzulernen, all die Orte zu besuchen, die tabu waren für ein junges »Afrikanermeisie«: die schwarzen Taxis, die Townships, Alleinsein in der Wildnis unter weitem Nachthimmel. Ich marschierte Wochen und Monate lang die Küste entlang und landete in der Transkei, einem der damaligen Homelands.
Nachdem ich einmal den Fluss bei Port St. Johns mit dem Boot überquert hatte, gab es nur noch Fußwege, die sich um Hügel und Bäche schlängelten, zu Hütten und Feldern, die perfekt in die Landschaft eingepasst waren. Die Hörner der afrikanischen Rinder stiegen empor wie Halbmondsicheln, und ihr Stolz und ihre Neugier sprachen eher von Partnerschaft als von Unterwerfung durch ihre Eigentümer. In diesem Ort der Schönheit fand ich eine Gemeinschaft aus jungen Schwarzen und Weißen, die zusammenlebten und dem System der Apartheid entflohen waren. Sie bearbeiteten die Erde, pflegten das Land, bauten Hütten und zogen ihre Kinder gemeinsam auf.
Das war meine erste Erfahrung mit einem »Ökodorf«, obwohl niemand von uns damals dieses Wort kannte. Die Erfahrung veränderte mein Leben. Ich stellte fest, dass wir das Neue innerhalb des Alten erbauen können, ohne zu kämpfen. Ich verstand, dass eine solche »Zelle« oder Nische der Innovation zum Auslöser für eine Bewegung hin zu einem Systemwechsel werden könnte. Ich stellte auch fest, dass die luxuriöse Einfachheit in Einklang mit den eigenen Werten einen Prozess inneren Wachstums und Reife erfordert, die Naivität und Vorwände ziemlich gnadenlos wegmeißelt.
Ich hatte den Eingang zu einer anderen Welt entdeckt, versteckt unter der äußeren Schale, die meine bürgerliche Erziehung um mich aufgebaut hatte: Es war die Welt der Gemeinschaften und Ökodörfer. Später, als ich nach Europa zog und Asien bereiste, folgte ich den mündlichen Empfehlungen wie einem roten Faden und wurde auf meiner Reise von einem magischen Ort zum nächsten geführt. Jeder von ihnen war anders, geboren aus einer spezifischen Absicht innerhalb eines spezifischen kulturellen Zusammenhangs, und doch ähnelten sie sich in ihrer Suche nach einem Leben, das ein Ausdruck für die Liebe ist.
Das Global Ecovillage Network
Das Global Ecovillage Network (GEN) wurde 1995 gegründet, um ein Phänomen sichtbar zu machen, das sich auf dem ganzen Planeten schon ereignete. GEN dient als Allianz zwischen den ländlichen und städtischen, traditionell gewachsenen und bewusst gegründeten Gemeinschaften mit dem Ziel, ein Leben mit hoher Qualität bei geringem Ressourcenverbrauch zu führen. Einige Siedlungen, die zum Netzwerk gehören, besitzen mit die niedrigsten ökologischen Fußabdrücke pro Kopf, die in der industriellen Welt gemessen wurden. GEN arbeitet durch inzwischen fünf regionale Ökodorf-Netzwerke: Nordamerika (ENA), Lateinamerika (El Consejo de Asentamientos Sustentables de las Américas / CASA), Ozeanien und Asien (GENOA), Europa und Naher Osten (GEN Europe) sowie Afrika (GEN Africa). NextGEN beheimatet die Jugendbewegung. Zusammen verbinden diese Netzwerke schätzungsweise 10.000 Gemeinden in mehr als 100 Ländern. Indem GEN die innovativsten Lösungen mit tief verwurzeltem, traditionellem Wissen verwebt, bildet es einen Pool an Weisheit für nachhaltiges Leben auf dem Planeten.
Von Permakultur-Projekten in Afrika zu buddhistischen Ashrams in Asien, von Hippie-Kommunen in den USA zu Öko-Karawanen in Lateinamerika: In ihrer immensen Vielfalt sind »Ökodorf-Projekte« nicht leicht zu definieren. Ganz im Gegenteil. Gerade die Komplexität und große Bandbreite scheint den Kern der Ökodorf-Bewegung auszumachen. Kulturelle, individuelle und biologische Vielfalt bilden den Kern unserer Hoffnung auf Nachhaltigkeit. Ob die Vielfalt sich in künstlerischem Ausdruck zeigt, in den vielen spirituellen Wegen und deren Offenheit oder in der Authentizität lokal angepasster Technologien: Der Reichtum an Verschiedenheit ist einer unserer größten Schätze.
Kosha setzte sich für die Gründung von GEN Afrika ein, hier mit den Präsidenten von GEN Afrika, Ousmane Pame und Lua Beshala.
Was ist ein Ökodorf?
GEN definiert Ökodörfer als »gewachsene Dorf-, Stadtteil- oder Lebensgemeinschaften, die durch bewusste Beteiligung all ihrer BewohnerInnen gestaltet werden. Ein Ökodorf verbessert die Lebensqualität der Menschen und trägt gleichzeitig dazu bei, die umliegende Natur nicht nur zu schützen, sondern sogar zu regenerieren. Die vier Dimensionen der Nachhaltigkeit – Ökologie, Wirtschaft, Soziales und Kultur – sind zu einem ganzheitlichen Ansatz integriert.«
Ökodörfer kombinieren ein sozial und kulturell hochqualitatives Leben in gegenseitiger Unterstützung mit einem umweltverträglichen Lebensstil. Sie sind Laboratorien der Zukunft, in denen sich zivilgesellschaftliches Engagement zeigt. Sie gewinnen schnell an Anerkennung als Demonstrationsplätze für gelebte Nachhaltigkeit und inspirieren ihre umgebenden Regionen und Gesellschaften. In Ökodörfern können wirkliche Lösungen für den Planeten gesehen und angefasst werden.
Idealerweise würde aus jedem Dorf und jeder Stadt auf diesem Planeten ein Ökodorf oder eine grüne Stadt mit ökologischen Stadtteilen. Wir scheinen zur Zeit als Menschheit zu glauben, dass wir nicht auf der Erde leben können, ohne die Grundlagen unseres Lebens zu zerstören. Aber Ökodörfer zeigen, was alte Weisheiten lehren: Es liegt in unserer menschheitlichen Kraft, Gemeinschaften aufzubauen, die sich nicht nur selbst erhalten, sondern sogar die Natur regenerieren – durch unseren intelligenten und liebenden Einsatz. In Gemeinschaft können sich Seelen wieder aufrichten, die Vielfalt der Ökosysteme sich vergrößern, können wir Wälder neu pflanzen und Wasser reinigen; wir können die Wunden der Vergangenheit heilen und...